Index
32/01 Finanzverfahren allgemeines AbgabenrechtNorm
AMA-Gesetz 1992 §21aBeachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Holeschofsky und die Hofrätinnen Mag. Dr. Zehetner, Mag.a Nussbaumer-Hinterauer, Mag. Liebhart-Mutzl sowie Dr. Koprivnikar als Richterinnen bzw. Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kovacs, über die Revisionen der E Gesellschaft m.b.H. in H, vertreten durch die Mag. Dr. Christian Janda Rechtsanwalts KG in 4550 Kremsmünster, Herrengasse 1, gegen die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes jeweils vom 4. August 2017, Zlen. 1) W147 2157328-1/3E, 2) W147 2164391-1/2E und 3) W147 2157723-1/2E, W147 2157724-1/2E, betreffend Vorschreibung von Agrarmarketingbeiträgen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Vorstand für den Geschäftsbereich I der Agrarmarkt Austria),
Spruch
I. zu Recht erkannt:
Die angefochtenen Entscheidungen werden jeweils in ihrem Spruchpunkt A) I. wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 4.039,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
II. den Beschluss gefasst:
Im Übrigen werden die Revisionen zurückgewiesen.
Begründung
Verfahrensgang
1 Mit Bescheiden des Vorstandes für den Geschäftsbereich I der Agrarmarkt Austria (belangte Behörde) 1.) vom 2. Dezember 2016, 2.) vom 19. Mai 2017 sowie 3.) vom 20. Jänner 2017 und vom 8. Februar 2017 wurden der revisionswerbenden Partei für die Beitragszeiträume 1.) Jänner 2016 bis einschließlich Oktober 2016, 2.) Jänner 2017 bis einschließlich März 2017 und 3.) November 2016 und Dezember 2016 „für die Übernahme von Milch zum Versand oder zur Bearbeitung oder Verarbeitung“ gemäß §§ 21a ff AMA-Gesetz 1992 iVm § 1 AMA-Beitragsverordnung 2015 Agrarmarketingbeiträge in jeweils näher genannter Höhe zur Bezahlung vorgeschrieben.
2 Den Bescheid vom 2. Dezember 2016 begründete die belangte Behörde dabei zusammengefasst wie folgt: Im Jahr 2016 seien durch die Agrarmarkt Austria (AMA) bei Milchproduzenten in Oberösterreich Vor-Ort-Kontrollen durchgeführt worden, im Zuge derer Transportaufträge und Rechnungen betreffend die Milchsammellogistik erhoben worden seien. Diese würden die Beauftragung der revisionswerbenden Partei durch Mitglieder des Vereins der Milchproduzenten mit dem Milchtransport ab Hof bis zur Übergabestelle an einem näher bezeichneten Ort an der Grenze zur Bundesrepublik Deutschland dokumentieren. Nach der Präambel der Transportaufträge sei die Milch der Produzenten bis Ende 2015 von einer namentlich näher genannten GmbH in Österreich aufgekauft und an eine näher genannte GmbH in Deutschland weiterverkauft worden. Ab 1. Jänner 2016 sei nunmehr vorgesehen, „dass der Milchproduzent in seinem Namen und auf seine Rechnung den Transport von seinem Produktionsort zur Übergabestelle in Deutschland organisiert und in Auftrag gibt“. Mit Schreiben der AMA vom 29. September 2016 sei der revisionswerbenden Partei unter Angabe der Rechtsgrundlagen für die Beitragseinhebung mitgeteilt worden, dass sie als Übernehmer für die ab dem 1. Jänner 2016 an die deutsche Grenze transportierte Milch beitragspflichtig sei; unter einem sei sie aufgefordert worden, die fälligen Beitragserklärungen sowie den ausstehenden Betrag binnen 14 Tagen an die AMA zu schicken bzw. zu überweisen. Mit Schreiben ihres Rechtsvertreters vom 12. Oktober 2016 habe die revisionswerbende Partei die ausgefüllten Beitragserklärungen für die Monate Jänner 2016 bis August 2016 unter Anschluss näher genannter Vertragsunterlagen retourniert und hierzu ausgeführt, dass mangels Erfüllung der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen keine Beitragsschuld entstanden sei; weder sei die übernommene Milch in ihrer Verfügungsmacht, noch werde die revisionswerbende Partei, beispielsweise durch Vermischung, Eigentümerin der Milch. Das Verlautbarungsblatt der AMA vom 2. März 2015 betreffend die aktuelle Information zur Beitragspflicht bei Milch ab 1. April 2015 stelle kein Fallbeispiel dar, nach welchem der Spediteur beitragspflichtig werde. Nach Wiedergabe von herangezogenen Rechtsgrundlagen der BAO sowie des AMA-Gesetzes 1992 führte die belangte Behörde hierzu in rechtlicher Würdigung aus, es sei unbestritten, dass von der revisionswerbenden Partei Kuhmilch im Wege von Sammeltouren bei österreichischen Produzenten abgeholt und nach Deutschland verbracht werde. Nach § 21e Abs. 1 Z 1 erster Fall AMA-Gesetz 1992 falle die Beitragsschuld bei Milch beim Versender an; ausschlaggebend für das Entstehen der Beitragspflicht sei in diesem Fall „die physische Übernahme der Milch (vom Produzenten) durch den Versender zur Weiterleitung (mit dem Zweck der Bearbeitung oder Verarbeitung)“. Indem die revisionswerbende Partei die Milch faktisch vom Produzenten zum Transport an den Bearbeiter bzw. Verarbeiter übernehme, trete sie als Versender der Milch iSd § 21e Abs. 1 Z 1 AMA-Gesetz 1992 auf. Dass durch die Übernahme der Milch und die anschließende Vermischung mit Milch anderer Produzenten während der Sammeltouren sachenrechtlich kein Eigentumsübergang stattfinde, ändere daran nichts; der gesetzliche Tatbestand stelle gerade nicht auf einen Eigentumsübergang ab. Auch die Auftragserteilung durch den Produzenten zum Transport und die Verrechnung mit dem Produzenten spreche für die Annahme, dass die revisionswerbende Partei Milch zur Weiterleitung zur Bearbeitung oder Verarbeitung übernehme. Aufgrund der erstmaligen Einreichung von Beitragserklärungen für die Beitragszeiträume Jänner 2016 bis August 2016 und der fristgerechten Antragstellung nach § 201 Abs. 3 BAO seien die Voraussetzungen für die erstmalige Festsetzung der Abgabe mit Abgabenbescheid erfüllt; die Beitragszeiträume September 2016 und Oktober 2016 würden auf Grundlage der eingereichten Beitragserklärungen geschätzt.
3 Die für die oben genannten weiteren Beitragszeiträume ergangenen Bescheide der belangten Behörde vom 19. Mai 2017 sowie vom 20. Jänner 2017 und vom 8. Februar 2017 ergingen im Wesentlichen unter Heranziehung derselben Rechtsgrundlagen wie im Bescheid vom 2. Dezember 2016 sowie jeweils ua. unter Hinweis auf § 21g Abs. 2 AMA-Gesetz 1992, wonach die AMA den Beitrag mit Bescheid vorzuschreiben hat, wenn der Beitrag vom Beitragsschuldner nicht, nicht rechtzeitig oder nicht in der richtigen Höhe entrichtet wird.
4 Die revisionswerbende Partei erhob gegen alle Bescheide jeweils im Wesentlichen gleichlautende und jeweils mit einem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung verbundene Beschwerden, in welchen die Mangelhaftigkeit des Verfahrens und eine unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht wurden. Zusammenfassend wurde darin zunächst unter Anführung von § 21b Z 12 AMA-Gesetz 1992 der Übergang der Verfügungsmacht über die von der revisionswerbenden Partei zum Transport übernommene Milch bestritten; eine die Beitragspflicht auslösende „Übernahme“ im Sinne der Bestimmungen des AMA-Gesetzes 1992 habe zu keinem Zeitpunkt stattgefunden. Weder erfolge hinsichtlich der Milch ein Eigentumsübergang noch eine Übertragung der Verfügungsmacht im Sinne des Gesetzes an die revisionswerbende Partei, weshalb zu keinem Zeitpunkt eine Beitragspflicht habe entstehen können. Dies entspreche auch dem Inhalt des Verlautbarungsblattes der AMA vom 3. März 2015, in welchem ausdrücklich festgehalten werde, dass keine Beitragspflicht entstehe, wenn der Produzent einen Frächter beauftrage, die Milch im Namen und auf Rechnung des Produzenten an eine Molkerei ins Ausland zu liefern. Vorliegend habe jeder einzelne Produzent höchstpersönlich einen Transportvertrag mit der revisionswerbenden Partei abgeschlossen. Noch in keinem Fall der gesamten Speditionsbranche sei von der AMA bislang versucht worden, den Transporteur einer Beitragspflicht zu unterwerfen. Es bestehe keine Beitragspflicht der revisionswerbenden Partei, da diese die Milch zu keinem Zeitpunkt im Sinne der Legaldefinition übernehme. Eine Bearbeitung oder Verarbeitung in Österreich finde nicht statt; die revisionswerbende Partei verbringe ausschließlich im Rahmen ihrer Speditionsdienstleistungen fremde Milch in Österreich zum Transport nach Deutschland zu den Übergabeorten, wo die Verfügungsmacht der Landwirte über die Milch ende.
5 Mit Beschwerdevorentscheidungen vom 20. Jänner 2017, vom 23. Juni 2017 und jeweils vom 3. Mai 2017 wies die belangte Behörde die Beschwerden der revisionswerbenden Partei jeweils als unbegründet ab, dies im Bescheid vom 20. Jänner 2017 aufgrund zwischenzeitlich auch für die Monate September 2016 und Oktober 2016 eingelangter Beitragserklärungen mit einer Modifikation der vorgeschriebenen Beitragshöhe. In den Beschwerdevorentscheidungen vom 23. Juni 2017 sowie je vom 3. Mai 2017 wurden darüberhinaus die Anträge der revisionswerbenden Partei auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde unter Hinweis auf deren ex-lege-Bestehen als unzulässig zurückgewiesen. Begründend führte die Behörde in der Sache im Wesentlichen aus wie in den angefochtenen Bescheiden; weiters habe die Frage, ob der Agrarmarketingbeitrag für einen Betrieb wirtschaftlich tragbar sei, keine Auswirkung auf das Bestehen einer grundsätzlichen Beitragspflicht. Die Behauptung, der Agrarmarketingbeitrag sei ursprünglich nicht im Auftragspreis mitkalkuliert worden, sei „substantiiert vorgebracht, weshalb er nicht weiter zu berücksichtigen“ sei. Die Tatsache der Vermischung von Milch verschiedener Produzenten ändere nichts daran, dass die revisionswerbende Partei Milch übernehme, die zur weiteren Bearbeitung bzw. Verarbeitung bestimmt sei; die revisionswerbende Partei trete somit als „Versender“ im Sinne des Gesetzes auf. Die Vermischung von Erzeugnissen verschiedener Produzenten bewirke die Übertragung der Verfügungsmacht an den Spediteur. Da dies in Österreich erfolge, entstehe dadurch eine Beitragspflicht.
6 Mit Schreiben vom 9. Februar 2017, je vom 9. Mai 2017 sowie vom 3. Juli 2017 stellte die revisionswerbende Partei die Anträge, ihre Beschwerden gegen die mit Bescheiden der belangten Behörde vom 2. Dezember 2016, vom 19. Mai 2017 sowie vom 20. Jänner 2017 und vom 8. Februar 2017 erfolgte Vorschreibung von Agrarmarketingbeiträgen dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorzulegen.
Angefochtene Entscheidungen
7 Mit drei im Wesentlichen inhaltlich übereinstimmenden Entscheidungen jeweils vom 4. August 2017 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerden der revisionswerbenden Partei gegen die jeweiligen Bescheide als unbegründet ab (je Spruchpunkt A) I.) und die Anträge auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerden als unzulässig zurück (je Spruchpunkt A) II.) Weiters sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG gegen diese Entscheidungen nicht zulässig sei (je Spruchpunkt B)).
8 Hierzu stellte das BVwG nach Darstellung des Verfahrensganges jeweils (ausschließlich) fest, die revisionswerbende Partei sei „Inhaberin eines landwirtschaftlichen Betriebes für die Übernahme von Milch zum Versand oder zur Bearbeitung oder Verarbeitung“. Da die für die jeweiligen Beitragszeiträume geschuldeten Agrarmarketingbeiträge nicht entrichtet worden seien, seien diese der revisionswerbenden Partei mit den angefochtenen Bescheiden in der jeweils bezeichneten Höhe vorgeschrieben worden. Beweiswürdigend führte das BVwG aus, die getroffenen Feststellungen ergäben sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten, deren Inhalt von der revisionswerbenden Partei nicht substantiiert bestritten worden sei. Nach Anführung von Rechtsgrundlagen kam das BVwG in der Folge rechtlich zu dem Ergebnis, aus dem festgestellten Sachverhalt gehe hervor, dass die revisionswerbende Gesellschaft Milch zum Versand oder zur Bearbeitung oder Verarbeitung in Österreich übernehme. Gemäß Verlautbarungsblatt der AMA vom 3. März 2015 sei die Übernahme von Milch durch den physischen Übergang der Milch von Behältnissen des Produzenten in Behältnisse des Übernehmers und die dort stattfindende Vermischung mit Erzeugnissen anderer Produzenten definiert. Keine Beitragspflicht bestehe laut angeführtem Verlautbarungsblatt, wenn der Produzent selbst die Milch in eigenem Namen und auf eigene Rechnung ins Ausland liefere und sie dort der Molkerei übergebe, oder der Produzent einen Frächter beauftrage, der die Milch im Namen und auf Rechnung des Produzenten an die Molkerei ins Ausland liefere. „Durch die Übernahme der Milch zum Versand oder zur Bearbeitung oder Verarbeitung in Österreich“ sei die revisionswerbende Partei „gemäß der gesetzlichen Bestimmung des § 21e Abs. 1 Z 1 AMA-Gesetz 1992 Versenderin von Milch und damit auch Beitragsschuldnerin im Sinne des § 21c Abs. 1 Z 1 AMA-Gesetz 1992“. Die Anträge auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung seien zurückzuweisen gewesen, da den Beschwerden bereits jeweils ex lege die aufschiebende Wirkung zukomme. Die Revisionen seien nicht zuzulassen gewesen, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG vorliege.
9 Gegen diese Entscheidungen richten sich die vorliegenden außerordentlichen Revisionen mit den Anträgen an den Verwaltungsgerichtshof, eine mündliche Verhandlung durchzuführen und die angefochtenen Entscheidungen wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes und Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben. Die belangte Behörde erstattete je eine Revisionsbeantwortung mit einem Antrag auf Kostenersatz.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die aufgrund ihres persönlichen, sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbundenen Revisionen erwogen:
Rechtslage
11 Die für die Revisionsfälle maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Errichtung der Marktordnungsstelle „Agrarmarkt Austria“ (AMA-Gesetz 1992), BGBl. Nr. 376/1992 in der Fassung BGBl. I Nr. 46/2014 lauten:
„Beitragszweck
§ 21a. (1) Der Agrarmarketingbeitrag (im folgenden Beitrag genannt) wird für folgende Zwecke erhoben:
1. zur Förderung und Sicherung des Absatzes von land- und forstwirtschaftlichen Erzeugnissen und daraus hergestellten Erzeugnissen;
2. zur Erschließung und Pflege von Märkten für diese Erzeugnisse im In- und Ausland;
3. zur Verbesserung des Vertriebs dieser Erzeugnisse;
4. zur Förderung von allgemeinen Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung und -sicherung bezüglich dieser Erzeugnisse (insbesondere der entsprechenden landwirtschaftlichen Erzeugnisse) sowie zur Vermittlung von für die Verbraucher relevanten Informationen hinsichtlich Qualität, Aspekte des Verbraucherschutzes und des Wohlergehens der Tiere sowie sonstiger Produkteigenschaften dieser Erzeugnisse;
5. zur Förderung sonstiger Marketingmaßnahmen (insbesondere damit zusammenhängender Serviceleistungen und Personalkosten).
[...]
Begriffsbestimmungen
§ 21b. Im Sinne dieses Abschnitts sind:
1. Milch: Kuhmilch, frisch, weder eingedickt noch gezuckert;
2. Versand: die Übernahme von Milch und deren Weiterleitung zur Bearbeitung oder Verarbeitung;
3. Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieb: Abnehmer im Sinne des Art. 5 lit. e der Verordnung (EG) Nr. 1788/2003 über die Erhebung einer Abgabe im Milchsektor (ABl. Nr. L 270 vom 21.10.2003, S. 123);
[...]
12. Übernahme: Erwerb der Verfügungsmacht über eine Ware;
[...]
Beitragsgegenstand
§ 21c. (1) Bei
1. Übernahme von Milch zum Versand oder zur Bearbeitung oder Verarbeitung,
[...]
ist nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen ein Beitrag zu entrichten.
[...]
Beitragsschuldner
§ 21e. (1) Beitragsschuldner ist:
1. für Milch der Versender oder der Inhaber des Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetriebs, soweit nicht bereits ein Versender oder Inhaber eines anderen Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetriebs beitragspflichtig ist;
[...]
Entstehung der Beitragsschuld
§ 21f. (1) Die Beitragsschuld entsteht
1. in den Fällen des § 21c Abs. 1 Z 1 im Zeitpunkt der Übernahme der Waren durch den Beitragsschuldner,
[...]
(2) Der Beitrag ist spätestens am letzten Tag des der Entstehung folgenden Kalendermonats, in den Fällen des Abs. 1 Z 6 spätestens vier Monate nach dem Zeitpunkt der Entstehung an die AMA zu entrichten.
[...]
Beitragserklärung
§ 21g. (1) Der Beitragsschuldner hat bis zu dem sich aus § 21f Abs. 2 oder 3 ergebenden Termin unter Verwendung eines hierfür von der AMA aufgelegten Vordrucks eine Beitragserklärung einzureichen, [...]
[...]
(2) Wird der Beitrag vom Beitragsschuldner nicht, nicht rechtzeitig oder nicht in der richtigen Höhe entrichtet, so hat die AMA den Beitrag mit Bescheid vorzuschreiben.
[...]
Beitragserhebung
§ 21i. (1) Die Erhebung des Beitrags obliegt der AMA.
(2) Gegen Bescheide der AMA auf Grund dieses Abschnittes ist eine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht zulässig.
(3) Die AMA hat bei der Vollziehung dieses Abschnittes die BAO in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden.
[...]
Finanzierung
§ 21j. (1) Der Beitrag ist eine Einnahme der AMA. Die AMA hat aus dem Beitragsaufkommen die Kosten, die ihr durch die Beitragserhebung erwachsen, sowie die Verwaltungskosten im Zusammenhang mit der Förderung des Agrarmarketings zu bedecken.
(2) Das restliche Beitragsaufkommen und allfällige Zinsen sind durch die AMA für die in § 21a genannten Zwecke zu verwenden.
[...]“
Zulässigkeit
12 Die Revisionen bringen zu ihrer Zulässigkeit übereinstimmend zusammengefasst vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob der Transporteur für den Transport von Milch vom Produzenten ins Ausland auf eigene Rechnung und Gefahr des Produzenten sowie bei dessen alleiniger Verfügungsmacht über die transportierte Milch bis zur Abnahme der Milch im Ausland der Beitragspflicht nach den gegenständlichen Bestimmungen des AMA-Gesetzes 1992 unterliege. Weiters fehle Rechtsprechung dazu, ob das Einfüllen der Milch des Produzenten in den Tankwagen des Transporteurs einen Erwerb der Verfügungsmacht durch den Transporteur und sohin eine die Beitragspflicht auslösende „Übernahme“ im Sinne des § 21b Z 12 AMA-Gesetz 1992 darstelle. Auch liege eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG im Hinblick darauf vor, dass das BVwG in unvertretbarer Weise und unter Außerachtlassung tragender Verfahrensgrundsätze unrichtig und aktenwidrig angenommen habe, dass es sich bei der revisionswerbenden Partei um einen landwirtschaftlichen Betrieb für die Übernahme von Milch zum Versand oder zur Bearbeitung oder zur Verarbeitung handeln solle; auf Grundlage dieser unrichtigen Feststellung sei der gegenständliche Sachverhalt einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung unterzogen worden. Auch sei im Hinblick darauf, dass die revisionswerbende Partei im gesamten Verfahren vorgebracht habe, dass es sich bei ihr um ein Speditionsunternehmen handle und sie als bloße Transporteurin der Milch fungiere, die Verhandlungspflicht bzw. der Unmittelbarkeitsgrundsatz verletzt, da das BVwG, anders als noch die belangte Behörde, diesen Umstand in den angefochtenen Entscheidungen erstmals anzweifle. Darüber hinaus habe sich das BVwG nicht mit dem Beschwerdevorbringen, wonach die revisionswerbende Partei zu keinem Zeitpunkt die Verfügungsmacht über die transportierte Milch erwerbe und daher bereits nach dem Gesetzeswortlaut keine beitragspflichtige Übernahme der Milch vorliegen könne, auseinandergesetzt. Schließlich liege eine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vor, da eine große Anzahl österreichischer Landwirte ihre Milch zu Abnehmern in das benachbarte Ausland transportieren ließe und die Lösung der Rechtsfrage daher für weite Teile der milchproduzierenden Landwirte und milchtransportierenden Transporteure von unmittelbarer rechtlicher und wirtschaftlicher Bedeutung sei.
13 Die Revisionen sind bereits im Hinblick auf die in den Verfahren unterlaufenen gravierenden Verfahrensmängel, auf die die Revisionen in ihren Zulässigkeitsbegründungen hinweisen, zulässig.
In der Sache
14 Die Revisionen sind auch begründet.
15 Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, dass es Aufgabe der Verwaltungsgerichte ist, alle zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhalts von Bedeutung sein kann, einzugehen (vgl. etwa VwGH 22.11.2017, Ra 2017/06/0123, mwN). Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (etwa VwGH 27.7.2017, Ro 2017/07/0016, mwN). Dies gilt, wie im vorliegenden Fall, auch im Verfahrensregime der BAO (vgl. nochmals VwGH 15.9.2016, Ra 2016/15/0049, mwN).
16 Fallbezogen hat die revisionswerbende Partei, wie dem Inhalt der vorgelegten Verfahrensakten zu entnehmen ist, sowohl bereits in den Verfahren vor der belangten Behörde als auch in den Beschwerden an das BVwG darauf hingewiesen, dass es sich bei ihr (bloß) um ein Speditionsunternehmen handle, welches im Namen und auf Rechnung des jeweiligen Milchproduzenten dessen Milch zum jeweiligen Bestimmungsort verbringe. Ausdrücklich bestritten wurde von der revisionswerbenden Partei in diesem Zusammenhang unter anderem, dass sie hierbei als „Versenderin“ der Milch im Sinne des § 21e Abs. 1 AMA-Gesetz 1992 (und somit als Beitragsschuldnerin betreffend Agrarmarketingbeiträge) anzusehen sei. Während die belangte Behörde in den vor dem BVwG angefochtenen Bescheiden dem behaupteten Umstand, die revisionswerbende Partei habe bloß den Transport der Milch übernommen, nicht entgegentritt, führt das BVwG in den angefochtenen Entscheidungen erstmalig aus, bei der revisionswerbenden Partei handle es sich um die „Inhaberin eines landwirtschaftlichen Betriebes für die Übernahme von Milch zum Versand oder zur Bearbeitung oder Verarbeitung“. Dabei handelt es sich um eine rechtliche Beurteilung, die nicht auf Tatsachenfeststellungen gegründet wurde. Während dem Verwaltungsgerichtshof bereits nicht nachvollziehbar ist, aus welchem Grund das BVwG offenkundig der Ansicht ist, es käme gegenständlich auf die Frage des Vorliegens eines landwirtschaftlichen Betriebes überhaupt an (vgl. in diesem Zusammenhang etwa VwGH 27.9.1999, 99/17/0189, bzw. VwGH 22.11.1999, 99/17/0287), hat es das BVwG überdies gänzlich unterlassen, für die Falllösung relevante Ermittlungen anzustellen und diesbezügliche Feststellungen zu treffen: Beispielsweise wären in diesem Zusammenhang im Hinblick auf § 21e Abs. 1 Z 1 AMA-Gesetz 1992 iVm § 21b Z 2 und 12 sowie § 21c Abs. 1 Z 1 leg. cit. konkrete Feststellungen zur Beurteilung der Frage des Erwerbes der Verfügungsmacht der revisionswerbenden Partei an der von ihr transportierten Milch zu treffen und nach entsprechender Beweiswürdigung diese Feststellungen einer entsprechenden rechtlichen Würdigung zu unterziehen gewesen. Das BVwG hat sich auch weder im Rahmen von Feststellungen noch beweiswürdigend mit der Frage auseinandergesetzt, auf wessen Namen und Rechnung die verfahrensgegenständlichen Milchtransporte stattfanden bzw. wer die Verfügungsmacht über die Milch hatte, also das Recht, anzuordnen, was mit der Milch zu geschehen hat, z.B. wohin sie zu transportieren ist. Die angefochtenen Entscheidungen leiden daher insoweit an einem wesentlichen Feststellungs- und Begründungsmangel, bei dessen Vermeidung das BVwG zu einem anderen rechtlichen Ergebnis hätte kommen können (vgl. z.B. VwGH 8.9.2005, 2001/17/0169 oder auch 23.11.2016, 2013/17/0885); darüber hinaus entziehen sie sich mangels nachvollziehbarer Begründung in den rechtlich entscheidungswesentlichen Fragen - nämlich jener des Erwerbes der Verfügungsmacht über die transportierte Milch im Sinne des § 21b Z 12 AMA-Gesetz 1992 und damit im Zusammenhang stehend jener des Geschäftszweiges, welchem die revisionswerbende Partei zuzurechnen ist - zur Gänze der nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof (vgl. für viele z.B. VwGH 17.9.2018, Ra 2018/03/0049, mwN).
17 Die angefochtenen Entscheidungen waren daher schon aus diesem Grund in dem im Spruch genannten Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. a, b und c wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
18 Im Übrigen waren die Revisionen, die zwar die Anträge auf Aufhebung jeweils der gesamten angefochtenen Entscheidung stellen, jedoch zur Frage der Zurückweisung der Anträge auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG kein Vorbringen enthalten, mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zurückzuweisen.
19 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 und 3 VwGG Abstand genommen werden.
20 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Die belangte Behörde hat bei diesem Ergebnis keinen Anspruch auf Kostenersatz (§ 47 Abs. 2 Z 2 VwGG).
Für das fortzusetzende Verfahren ist abschließend auf Folgendes hinzuweisen:
21 Dem in § 21a AMA-Gesetz 1992 genannten Beitragszweck zufolge kommen die durch die AMA eingehobenen Agrarmarketingbeiträge durch die dem Gesetz entsprechende Mittelverwendung im Ergebnis grundsätzlich den Betrieben des jeweiligen Produktionszweiges zugute.
22 Der Beitragsbelastung durch den Agrarmarketingbeitrag stehen typischerweise die wirtschaftlichen Vorteile aus der Mittelverwendung für Zwecke der Marketingmaßnahmen im jeweiligen Produktionsbereich gegenüber; die in § 21a AMA-Gesetz 1992 genannten Zielsetzungen stehen mit der Einhebung des Agrarmarketingbeitrages im Zusammenhang (vgl. VwGH 25.11.2003, 99/17/0271).
23 Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang auch bereits ausgesprochen, dass der Agrarmarketingbeitrag von allen Unternehmen, die im jeweiligen Produktionszweig tätig sind, eingehoben wird (VwGH 26.2.2003, 99/17/0023).
24 Sollte das fortgesetzte Verfahren ergeben, dass es sich bei der revisionswerbenden Partei um kein Unternehmen handelt, welches dem hier relevanten Produktions- bzw. Verarbeitungszweig der Milchwirtschaft zurechenbar ist, scheidet eine Beitragspflicht im Sinne des § 21e Abs. 1 Z 1 iVm § 21c Abs. 1 Z 1 AMA-Gesetz 1992 bereits von vorneherein aus; die Qualifikation eines die Milch bloß im Namen und auf Rechnung des Produzenten transportierenden Unternehmens als „Versender“ im Sinne des § 21e Abs. 1 Z 1 leg. cit. käme aus den genannten Gründen mangels hierfür ersichtlicher sachlicher Rechtfertigung im Ergebnis nicht in Betracht.
Wien, am 21. November 2018
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017170777.L00Im RIS seit
11.05.2021Zuletzt aktualisiert am
11.05.2021