TE OGH 2018/10/25 6Ob182/18k

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Veröffentlicht am 25.10.2018
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** S*****, vertreten durch Dr. Stephan Duschel und Mag. Klaus Hanten, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei G***** M*****, vertreten durch Gibel Zirm Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, wegen 16.800 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 5. Juli 2018, GZ 11 R 82/18m-32, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 9. April 2018, GZ 22 Cg 102/16f-27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit 860,58 EUR (darin 143,43 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu zahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die mit ihrem an der Leine geführten Hund spazierende Klägerin wurde im Mai 2016 vom freilaufenden Hund der Beklagten, einem Dobermann mit 70 cm Schulterhöhe, der bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf fremde Hunde zulief, umgestoßen und verletzte sich dabei am linken Knie. Sie erlitt einen Eindrückbruch des äußeren Schienbeinkopfes, ein Knochenmarksödem im Bereich der äußeren Oberschenkelrolle sowie im Bereich des äußeren Schienbeinkopfes und eine Zerrung des vorderen Kreuzbandes. Im Juni 2016 unterzog sie sich deshalb einer Operation, die aus unfallchirurgisch-medizinischer Sicht nicht indiziert war. Bei dieser Operation wurden die Schrauben nicht am verletzten äußeren, sondern am unverletzten inneren Schienbeinkopf angebracht; dabei handelte es sich um einen groben Behandlungsfehler.

Die Vorinstanzen verpflichteten die Beklagte in Anwendung des § 1320 ABGB zur Zahlung von 11.809,81 EUR an Schmerzengeld und sonstigen unfallskausalen Schäden und stellten deren Haftung für alle zukünftigen, derzeit noch nicht bekannten Schäden aus dem Vorfall fest.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig ist; es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob die Verantwortung des ersten Schädigers durch eine dem anschließend operierenden Arzt anzulastende grob fahrlässige Fehlbehandlung insoweit aufgehoben wird, als dieser Kunstfehler gesundheitliche Beeinträchtigungen herbeiführt, die im Fall einer lege artis durchgeführten Behandlung unterblieben wären.

In der Sache selbst vertrat das Berufungsgericht zur (allein den Gegenstand der Revision bildenden) Frage der Zurechnung der Fehlbehandlung der Klägerin durch den Arzt die Auffassung, das Hinzutreten einer gewollten, rechtswidrigen Handlung eines Dritten sei adäquat, wenn diese nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit lag; ein ärztlicher Kunstfehler bei der Behandlung einer Körperverletzung schließe die Adäquanz des Geschehensablaufs grundsätzlich nicht aus, was auch für den Fall eines groben Kunstfehlers (grobe Fahrlässigkeit) zu gelten habe. Die Beklagte hafte somit für sämtliche von der Klägerin erlittenen Schäden.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zwecks Klarstellung der Rechtslage zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

Die Revision der Beklagten strebt – ausgehend von den Ausführungen des dem Verfahren erster Instanz beigezogenen medizinischen Sachverständigen – eine Herabsetzung des Zuspruchs auf 8.232,37 EUR und die Feststellung einer Haftung für alle zukünftigen, derzeit noch nicht bekannten Schäden aus dem Vorfall, jedoch mit Ausnahme all jener Schäden, die auf die grobe Fehlbehandlung des operierenden Arztes zurückzuführen sind, an. Die Beklagte habe zwar für ihren Hund, der unangeleint und ohne Beißkorb auf die Straße gelangt war, einzustehen, nicht jedoch für den vergrößerten Schaden, der auf das grobe Fehlverhalten des Arztes zurückzuführen sei; es fehle insoweit am adäquaten Kausalzusammenhang.

1. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass ein adäquater Kausalzusammenhang auch dann vorliegt, wenn eine weitere Ursache für den entstandenen Schaden hinzu getreten ist und nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge dieses Hinzutreten als wahrscheinlich zu erwarten ist, jedenfalls aber nicht außerhalb der menschlichen Erwartung liegt; es kommt nur darauf an, ob nach den allgemeinen Kenntnissen und Erfahrungen das Hinzutreten der weiteren Ursache, wenn auch nicht gerade normal, so doch wenigstens nicht gerade außergewöhnlich ist (RIS-Justiz RS0022918). Es genügt, dass die generelle Eignung zur Schadensherbeiführung von jedem vernünftigen Menschen erkannt werden konnte, wenn auch die Einzelfolge gerade nicht erkennbar war (RIS-Justiz RS0022918 [T2]). Die Adäquanz des Kausalzusammenhangs ist objektiv und nicht danach zu beurteilen, was dem Schädiger subjektiv voraussehbar war (RIS-Justiz RS0022546 [T4]).

2.1. Hat ein Schädiger (Ersttäter) eine rechtswidrige Handlung dem Geschädigten gegenüber gesetzt und kommt es durch die einem Dritten (Zweittäter) vorwerfbare (oder ihm sonst zuzurechnende) Handlung zur Schadensentstehung oder Schadensweiterung, so haften beide in der Regel solidarisch (Reischauer in Rummel, ABGB³ [2007] § 1295 ABGB Rz 20).

2.2. Durch Handlungen, die auf dem freien Willen Dritter beruhen, wird die Adäquität nicht notwendigerweise ausgeschlossenen, sondern es kommt allein darauf an, ob dieses Verhalten des Dritten nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit lag (2 Ob 275/97y; 1 Ob 65/01t; Koziol, Haftpflichtrecht I³ [1997] Rz 8/77). Es besteht keine Haftung, wenn mit der Handlung des Dritten nach der Lebenserfahrung nicht gerechnet werden musste (2 Ob 275/97y; 1 Ob 253/01i je mwN; RIS-Justiz RS0022621, RS0022918 [T19]). Bei der Beurteilung der Zurechnung der weiteren Schäden zum Ersttäter ist eine wertende Betrachtung geboten (1 Ob 625/94 SZ 68/145; Reischauer in Rummel, ABGB³ [2007] § 1295 ABGB Rz 19; vgl Koziol, Haftpflichtrecht I³ [1997] Rz 8/77).

2.3. Werden bei der Heilbehandlung des vom Ersttäter Verletzten durch einen ärztlichen Kunstfehler die Folgen vergrößert, so haftet nach Rechtsprechung und herrschender Lehre der Ersttäter, der dieses Risiko heraufbeschworen hat, auch weiterhin neben dem Arzt für die Folgen (1 Ob 738/83; 8 Ob 63/85; 2 Ob 113/08v; Koziol, Haftpflichtrecht I³ [1997] Rz 8/78; Reischauer in Rummel, ABGB³ [2007] § 1295 ABGB Rz 20). Die Folgen einer vorsätzlichen Fehlbehandlung des Arztes sind hingegen dem Erstverletzer nicht zuzurechnen (Koziol, Haftpflichtrecht I³ [1997] Rz 8/78; Reischauer in Rummel, ABGB³ [2007] § 1295 ABGB Rz 20; G. Kodek in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 1295 Rz 37; Karner in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB5 [2017] § 1295 Rz 15; vgl allgemein 4 Ob 578/87, wonach die Verantwortlichkeit des Ersttäters für die vorsätzliche Herbeiführung des Schadens durch einen Dritten ausgeschlossen ist). Während das unwertbeladene Verhalten des Arztes ganz besonders schwer wiegt, bezog sich das Verschulden des Erstverletzers nur auf die erste Verletzung, und ist nur noch ein sehr geringes Maß an Adäquität gegeben (Koziol, Haftpflichtrecht I³ [1997] Rz 8/78) oder fehlt diese (Reischauer in Rummel, ABGB³ [2007] § 1295 ABGB Rz 20: der behandelnde Arzt ermordet den Verletzten).

3. Deutsche Rechtsprechung bejaht grundsätzlich die Adäquanz bei Schadensfolgen, die erst durch einen ärztlichen Kunstfehler bei Behandlung der Verletzung ausgelöst wurden, lehnt dies hingegen bei einem „besonders schweren Kunstfehler“ ab (vgl die Nachweise bei Oetker in MünchKomm zum BGB7 § 249 Rz 114 FN 486), wenn also der Arzt in außergewöhnlich hohem Maße die an ein gewissenhaftes ärztliches Verhalten zu stellenden Anforderungen außer Acht gelassen und derart gegen alle ärztlichen Regeln und Erfahrungen verstoßen hat, dass der eingetretene Schaden seinem Handeln haftungsrechtlich-wertend allein zugeordnet werden muss (BGH VI ZR 37/88 NJW 1989, 767). Dies steht mit der allgemeinen Formulierung in Einklang, wonach eine Zurechnung dann entfallen soll, wenn die Zweitursache im Hinblick auf den eingetretenen Schaden so stark in den Vordergrund tritt, dass die Erstursache vollständig verdrängt wird (Oetker aaO § 249 Rz 143).

4. In der Entscheidung 7 Ob 233/00s ließ der Oberste Gerichtshof die Frage offen, ob (bereits) bei grober Fahrlässigkeit oder (erst) bei Vorsatz des Arztes, dem eine Fehlbehandlung unterläuft, eine Grenze zu ziehen sei, ab welcher eine Haftung des Ersttäters ausscheidet.

5. Harrer/Wagner (in Schwimann/Kodek, ABGB4 [2016] § 1295 Rz 32 f) meinen, die fehlerhafte Behandlung einer Verletzung durch einen Arzt komme – „statistisch gesehen“ – so selten vor, dass man nicht länger von einer adäquaten Schadensfolge sprechen sollte. Sie gehen damit offensichtlich davon aus, dass Schäden aufgrund von ärztlichen Behandlungsfehlern dem Ersttäter nie zuzurechnen sind.

6. Dieser Auffassung vermag sich der Oberste Gerichtshof nicht anzuschließen. Zum einen legen Harrer/Wagner nicht näher dar, auf welche Statistik sie sich berufen, zum anderen widerspricht die Aussage, eine fehlerhafte Behandlung einer Verletzung durch einen Arzt komme selten vor, der forensischen Erfahrung.

Es besteht deshalb keine Veranlassung, von der bisherigen Rechtsprechung, wonach eine ärztliche Fehlbehandlung zwar nicht gerade wahrscheinlich, aber auch nicht außerhalb der menschlichen Erfahrung liegt (1 Ob 738/83; 8 Ob 63/85; 2 Ob 113/08v), abzugehen.

Maßgeblich ist vielmehr bei der gebotenen wertenden Betrachtung, ob die Möglichkeit eines bestimmten (weiteren) Schadenseintritts (aufgrund einer ärztlichen Fehlbehandlung) so weit entfernt war, dass „nach der Lebenserfahrung vernünftigerweise eine solche Schädigung nicht in Betracht gezogen zu werden brauchte“ (RIS-Justiz RS0022918 [T17]), dem Arzt also ein besonders schwerer Kunstfehler unterlaufen ist, wobei er in außergewöhnlich hohem Maße die an ein gewissenhaftes ärztliches Verhalten zu stellenden Anforderungen außer Acht gelassen und derart gegen alle ärztlichen Regeln und Erfahrungen verstoßen hat.

7. Der dem Verfahren erster Instanz beigezogene medizinische Sachverständige hat zwar ausgeführt, dem Arzt sei bei der medizinisch nicht indizierten Operation ein „grober Behandlungsfehler“ unterlaufen, der aus gutachterlicher Sicht objektiv nicht mehr verständlich erscheine und einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen dürfe. Damit ging das ärztliche Fehlverhalten über einen „gewöhnlichen“ Kunstfehler hinaus. Allerdings kann auch ein solcher (gravierender) Fehler bei der Heilbehandlung einer Verletzten nicht als gänzlich außerhalb der menschlichen Erfahrung liegend angesehen werden. Mag auch das Maß der Adäquität des Verhaltens der Beklagten gering sein, so fällt doch Folgendes zu ihren Ungunsten ins Gewicht: Ihr war nach den Feststellungen der Vorinstanzen bekannt, dass ihr Hund andere Hunde nicht mochte und deshalb dazu neigte, sein Revier zu verteidigen, andere Hunde verbellte und auf fremde Hunde zulief. Sie vernachlässigte schuldhaft ihre Pflicht zur Verwahrung des Hundes (RIS-Justiz RS0030079) und schuf damit genau jene Gefahr, die mit dem Halten derartiger Tiere verbunden ist. Die Folgen der an der Klägerin vorgenommenen Operation sind auch der Beklagten als Ersttäterin zuzurechnen, deren unwertbeladenes Verhalten als Ursache für diese nicht völlig in den Hintergrund tritt.

8. Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsbeantwortung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E123498

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0060OB00182.18K.1025.000

Im RIS seit

14.12.2018

Zuletzt aktualisiert am

13.12.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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