Entscheidungsdatum
27.11.2018Index
41/02 Passrecht FremdenrechtNorm
NAG §8 Abs1 Z2Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Dr. Köhler über die Beschwerde der Frau A. B. vertreten durch Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien (Magistratsabteilung 35) vom 13.09.2018, Zl. MA 35..., mit welchem der Antrag vom 11.07.2017 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ gemäß § 11 Abs. 2 Z. 4 iVm. Abs. 5 NAG, § 11 Abs. 2 Z. 2 NAG, § 11 Abs. 2 Z. 1 iVm. § 11 Abs. 4 Z. 1 NAG, abgewiesen wurde,
zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
II. Dem Antrag vom 11.07.2017 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot–Karte plus“ gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 NAG wird stattgegeben. Der Aufenthaltstitel wird für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
III. Gemäß § 53b AVG iVm § 76 Abs. 1 AVG sowie § 17 VwGVG wird der Beschwerdeführerin der Ersatz der mit Beschluss des Verwaltungsgerichtes Wien vom 26.11.2018, Zl. VGW-KO-..., mit 118,– Euro bestimmten Barauslagen für den zur mündlichen Verhandlung am 21.11.2018 beigezogenen nichtamtlichen Dolmetsch auferlegt. Die Beschwerdeführerin hat der Stadt Wien die genannten Barauslagen durch Banküberweisung auf das Bankkonto mit der Kontonummer IBAN AT16 1200 0006 9621 2729, BIC BKAUATWW, lautend auf „MA6 BA40“ mit dem Verwendungszweck „VGW-KO...“ binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
IV. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin beantragte am 11.07.2017 bei der österreichischen Vertretungsbehörde in Belgrad einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ (§ 8 Abs. 1 Z 2 und § 46 Abs. 1 Z 2 NAG). Der Antrag langte am 21.07.2017 bei der belangten Behörde ein.
Am 11.06.2018 brachte die Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde eine Säumnisbeschwerde ein.
Mit Bescheid vom 13.09.2018 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin ab, da ihr Aufenthalt zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte, mangels Rechtsanspruchs auf eine ortsübliche Unterkunft sowie weil ihr Aufenthalt den öffentlichen Interessen widerstreite (§ 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5, Abs. 2 Z 2 sowie Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 Z 1 NAG).
Gegen diese Antragsabweisung richtet sich die rechtzeitige und formgerechte Beschwerde.
Mit der Ladung zur Verhandlung am 21.11.2018 trug das Verwaltungsgericht der Beschwerdeführerin auf, bis spätestens zur Verhandlung folgende Unterlagen vorzulegen: gültiger Reisepass der Beschwerdeführerin, Nachweis über den rechtmäßigen Aufenthalt (visumsfrei oder visumspflichtig) im Inland der Beschwerdeführerin samt Auflistung aller Ein- und Ausreisen der letzten 6 Monate, Einkommensnachweise der letzten 6 Monate der Beschwerdeführerin sowie des Ehegatten, Mietbelastungen/Betriebskosten/allfällige Kreditbelastungen der letzten 6 Monate der Beschwerdeführerin sowie des Ehegatten, vollständige Kontoauszüge der letzten 9 Monate der Beschwerdeführerin und des Ehegatten sowie ein aktuelles Lichtbild (§ 2a Abs. 2 NAG-DV).
Mit Schreiben vom 13.11.2018 beantragte der Beschwerdevertreter die Beiziehung eines Dolmetsch für die serbische Sprache.
In der Verhandlung am 21.11.2018 legte die Beschwerdeführerin die vorgeschriebenen Nachweise vor. Neben der Beschwerdeführerin wurde ihr Ehegatte als Zeuge einvernommen. Als nichtamtlicher Dolmetsch wurde Herr Mag. C. beigezogen.
Die vom Dolmetsch in der Verhandlung verzeichnete Gebühr wurde – nach hg. erfolgter Überprüfung – beschlussmäßig bestimmt und in Folge zur Auszahlung gebracht.
Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin, A. B., geboren am ...1992, ist serbische Staatsangehörige. Die Beschwerdeführerin beantragte am 11.07.2017 bei der österreichischen Vertretungsbehörde in Belgrad einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ (§ 8 Abs. 1 Z 2 und § 46 Abs. 1 Z 2 NAG), der am 21.07.2017 bei der belangten Behörde einlangte. Die Beschwerdeführerin verfügt über einen serbischen Reisepass, gültig bis 23.05.2027.
Sie ist verheiratet mit dem serbischen Staatsbürger D. B., geboren am ...1990. Die Eheschließung erfolgte am ...2013 in Wien. Der Ehegatte der Beschwerdeführerin verfügt über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ (§ 8 Abs. 1 Z 7, § 45 NAG) und ist damit zur dauerhaften Niederlassung in Österreich berechtigt (§ 20 Abs. 3 NAG). Er ist mit ca. 6 Jahren (1996), d.h. vor 22 Jahren, nach Österreich gekommen und verfügt seit 12.09.2005 über einen unbefristeten Aufenthaltstitel.
Der Ehe entstammt die gemeinsame Tochter E. B., geboren am ...2011. Sie ist serbische Staatsangehörige und verfügt seit 25.07.2011 (immer wieder rechtzeitig verlängert) über einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“. Sie ist in Wien geboren und lebt seither durchgehend in Österreich. Die Tochter besucht die öffentliche Volksschule in Wien, .... Der Ehegatte ist alleine obsorgeberechtigt (Beschluss des BG ...).
Das Ehepaar lebt mit der gemeinsamen Tochter (aktuell 7 Jahre alt) in einer Wohnung in Wien, ... (Altbau). Diese Wohnung ist 39,81 m² groß und besteht aus zwei Zimmern, einer Küche, einem Vorraum und einem WC (die Duschtasse ist in der Küche). Das Schlafzimmer steht der Tochter der Beschwerdeführerin zur Verfügung, die Beschwerdeführerin und ihr Ehegatte schlafen im Wohnzimmer. An dieser Adresse sind keine anderen Personen gemeldet. Die Miete beträgt 520,– Euro monatlich, die Stromkosten belaufen sich auf 107,29 Euro im Monat (321,87 Euro im Quartal).
Die Eltern der Beschwerdeführerin leben in Serbien, wo sie sich auch aufhält, wenn sie das österreichische Bundesgebiet verlassen muss. In ... Wien wohnt die Schwester der Beschwerdeführerin. In Serbien gibt es einen weiteren Verwandtenkreis, mit dem es jedoch keinen (engeren) Kontakt gibt. Die Eltern des Ehegatten der Beschwerdeführerin leben in Wien.
Der Ehegatte der Beschwerdeführerin arbeitet derzeit als Barkeeper/Kellner in Wien. Seit 2010 hatte er 32 Beschäftigungsverhältnisse, die zwischen 1 Tag und 11 Monaten 21 Tagen dauerten. Dazwischen liegen auch insgesamt 11 Zeiträume des Arbeitslosengeldbezuges (teilweise Notstandshilfe, Überbrückungshilfe), die zwischen 3 Tagen und 5 Monaten 22 Tagen dauerten.
Aus seiner Tätigkeit als Barkeeper/Kellner verdient der Ehegatte ein Monatsgehalt von 1.595,– Euro brutto (14mal im Jahr). Zusätzlich bezieht er durchschnittlich 250,– Euro Trinkgeld pro Woche (bei einer 5-Tage-Woche). Weiters bezieht er Familienbeihilfe für die Tochter in Höhe von 121,90 Euro pro Monat. Gemeinsam mit der Familienbeihilfe wird ein monatlicher Kinderabsetzbetrag in Höhe von 58,40 Euro ausgezahlt.
Die Beschwerdeführerin verfügte in Österreich noch nie über einen Aufenthaltstitel. Bei Ihrem am 11.07.2018 in Belgrad eingebrachten Antrag handelt es sich um einen Erstantrag. Sie beantragte bereits 2013 und 2014 die Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“; diese Anträge wurden abgewiesen. Als serbische Staatsangehörige ist die Beschwerdeführerin zum visumsfreien Aufenthalt von bis zu 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen berechtigt. Sie reiste zuletzt am 25.09.2018 in das Bundesgebiet ein. Zuvor war sie von 29.09.2017 bis 24.12.2017 sowie von 25.03.2018 bis 24.06.2018 im Bundesgebiet aufhältig. Vor der Antragstellung war die Beschwerdeführerin (zuletzt) von 25.05.2017 bis 26.06.2017 im Bundesgebiet.
Beweiswürdigung:
Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus
1. dem vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde samt den dort vorgelegten Nachweisen (insbesondere Reisepass und Sprachzertifikat A1 der Beschwerdeführerin, Geburtsurkunden der Beschwerdeführerin, des Ehemannes und der Tochter sowie Heiratsurkunde, Meldezettel, Mietvertrag über Wohnung Wien, ..., Beschluss des BG ..., mit dem die alleinige Obsorge für die gemeinsame Tochter auf den Ehegatten der Beschwerdeführerin übertragen wurde, Schulbesuchsbestätigung der Tochter),
2. den von der Beschwerdeführerin im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorgelegten Urkunden (Auflistung der Ein- und Ausreisen samt Kopie der Stempel im Reisepass, Kontoauszüge und Gehaltszettel des Ehegatten der Beschwerdeführerin, Schulbesuchsbestätigung der Tochter der Beschwerdeführerin und Strafregisterauszug über die Beschwerdeführerin aus Serbien),
3. den amtswegigen Ermittlungen des Verwaltungsgerichtes (nämlich Abfragen aus dem Melderegister betreffend Beschwerdeführerin und Ehemann sowie Einsichtnahme in alle Meldungen an der Adresse Wien, ..., Sozialversicherungsdatenabfragen betreffend Beschwerdeführerin und Ehemann, Strafregister betreffend die Beschwerdeführerin sowie Fremdenregister betreffend die Beschwerdeführerin, den Ehegatten und die Tochter) sowie aus
4. den Einvernahmen der Beschwerdeführerin und ihres Ehegatten als Zeugen in der mündlichen Verhandlung vom 21.11.2018. Im Zuge der Verhandlung wurde auch Einsicht genommen in Aufzeichnungen des Ehegatten der Beschwerdeführerin über den Bezug von Trinkgeld (als Barkeeper/Kellner), die Aufenthaltstitelkarte der Tochter (Gültigkeitsdauer 14.01.2020) sowie in Dienstzeugnisse des Ehegatten.
Vor diesem Hintergrund ergeben sich die Feststellungen weitestgehend aus dem vorliegenden unstrittigen Akteninhalt, insbesondere aufgrund der von der Beschwerdeführerin selbst vorgelegten Dokumente und Unterlagen sowie auch aus den Angaben der einvernommenen Personen in der mündlichen Verhandlung am 21.11.2018.
Die getroffenen Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin und ihres Ehegatten – insbesondere Identität, Nationalität, Eheschließung, Unbescholtenheit, Deutschkenntnisse A1 – ergeben sich aus den im Verfahren vorgelegten unbedenklichen Unterlagen. Auch die Zeiträume des Aufenthaltes in Österreich (Ein- und Ausreisen) sowie Feststellungen zur Unterkunft ergeben sich aus solchen Unterlagen (Reisepass, Mietvertrag). An der Echtheit und Richtigkeit dieser Unterlagen hegt das Verwaltungsgericht jeweils keinen Zweifel. Die Antragsunterlagen ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt.
Das Verwaltungsgericht selbst hat durch Einsichtnahme in öffentliche Register und mittels Durchführung einer mündlichen Verhandlung Ermittlungen durchgeführt (vgl. auch § 37 Abs. 5 NAG). An der Richtigkeit der Eintragungen im Melderegister und Fremdenregister (Abfragen betreffend Beschwerdeführerin, Ehegatten und Tochter) sowie Sozialversicherungsdatenabfragen betreffend Beschwerdeführerin und Ehegatten, Strafregister betreffend die Beschwerdeführerin besteht kein Zweifel. Daraus ergeben sich die Feststellungen über Wohnsitznahmen und Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet. Weiters wurden die Meldungen an der Adresse Wien, ..., abfragt, um den Belag der Wohnung zu ermitteln.
Regelmäßige Belastungen ergeben sich aus dem vorgelegten Mietvertrag und sind in den vorgelegten Kontoauszügen dokumentiert. Zu den Einkünften wurden Gehaltszettel und Kontoauszüge vorgelegt. Dass der Anspruch auf einen alle Risken abdeckenden und in Österreich leistungspflichtigen Krankenversicherungsschutz besteht, ist im vorliegenden Fall nicht zweifelhaft (siehe dazu nochmals in der rechtlichen Beurteilung).
Der unstrittigen Aktenlage ist die belangte Behörde nie entgegengetreten.
In der mündlichen Verhandlung machten die Beschwerdeführerin und ihr Ehegatten jeweils einen glaubwürdigen Eindruck. Es wurden insgesamt schlüssige und zusammenhängende Angaben gemacht, sodass die Feststellungen über die Einkommensverhältnisse und –möglichkeiten sowie die familiäre Situation (insbesondere bezüglich der Betreuung der Tochter) aufgrund des persönlichen Eindruckes dieser Personen zweifelsfrei zustande kommen.
Bei der Bewertung der integrationsbegründenden Umstände im Rahmen der Interessenabwägung sowie bei der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Zukunftsprognose war auch der durch die Einvernahme der Beschwerdeführerin und ihres Ehegatten im Zuge der durchgeführten mündlichen Verhandlung gewonnene persönliche Eindruck maßgeblich.
Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt I.
Mit Bescheid vom 13.09.2018 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin vom 11.07.2017 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ ab. Dagegen richtet sich die Beschwerde vom 01.10.2018, in der beantragt wird, den angefochtenen Bescheid aufzuheben bzw. festzustellen, dass die belangte Behörde zur Erlassung des Bescheides nicht mehr zuständig war. Weiters wurde der Antrag gestellt, über die Säumnisbeschwerde vom 11.06.2018 zu entscheiden und einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ zu erteilen.
Mit der gegenständlichen Bescheidbeschwerde wurde der Verwaltungsakt der belangten Behörde vorgelegt. Darin enthalten ist die Säumnisbeschwerde.
Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) kann erhoben werden, wenn die Behörde die Sache nicht innerhalb von sechs Monaten (im NAG ist keine andere Entscheidungsfrist vorgesehen) entschieden hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war.
Im Verfahren über eine Säumnisbeschwerde kann die Behörde innerhalb einer Frist von bis zu drei Monaten den Bescheid erlassen (§ 16 Abs. 1 VwGVG). Holt die Behörde den Bescheid nicht nach, hat sie dem Verwaltungsgericht die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen (§ 16 Abs. 2 VwGVG).
Die Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht dient dem Rechtsschutz wegen Säumnis der Behörden. Zweck dieses Rechtsbehelfes ist es, demjenigen, der durch die Untätigkeit einer Behörde beschwert ist, ein rechtliches Instrument zur Verfügung zu stellen, um eine Entscheidung in seiner Sache zu erlangen. Anders als in § 73 Abs. 2 AVG ist im VwGVG nicht festgelegt, dass schon mit der Antragstellung die Zuständigkeit auf das angerufene Verwaltungsgericht übergeht. Vielmehr räumt § 16 Abs. 1 VwGVG der Verwaltungsbehörde von Gesetzes wegen die Möglichkeit ein, innerhalb einer Frist von drei Monaten den Bescheid zu erlassen, ohne dass es erforderlich wäre, dass ihr dafür vom Verwaltungsgericht ausdrücklich eine Frist eingeräumt werden müsste (VwGH 20.06.2017, Ra 2017/01/0052).
Infolge einer zulässigen und berechtigten Säumnisbeschwerde geht nach (deren Vorlage oder) ungenütztem Ablauf der Nachfrist des § 16 Abs. 1 VwGVG die Zuständigkeit, über die Verwaltungsangelegenheit zu entscheiden, auf das Verwaltungsgericht über (VwGH 20.06.2017, Ra 2017/01/0052). Somit erlischt die Zuständigkeit der Behörde spätestens mit Ablauf der dreimonatigen Nachfrist, die mit dem Einbringungszeitpunkt der Säumnisbeschwerde zu laufen begonnen hat. Tatbestandsvoraussetzung für den Zuständigkeitsübergang ist (ausgenommen im hier nicht relevanten Fall einer Vorlage nach § 16 Abs. 2 VwGVG) nur das ungenützte Verstreichen der Nachholfrist. Dieser Zuständigkeitsübergang tritt unabhängig davon ein, ob die säumige Behörde den Bescheid nach Ablauf der Frist nachholt oder nicht.
Das Verwaltungsgericht ist nach Verstreichen der dreimonatigen Nachfrist zuständig, in der Verwaltungssache meritorisch zu entscheiden (VwGH 27.05.2015, Ra 2015/19/0075). Wird der verwaltungsbehördliche Bescheid nach Ablauf der der Behörde gesetzlich eingeräumten Nachfrist erlassen, ist dieser mit Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde belastet.
Da die nachträgliche Erlassung des die Verwaltungssache erledigenden Bescheides keinen Einfluss auf den bereits erfolgten Zuständigkeitsübergang hat, ändert die allfällige Aufhebung eines nach Zuständigkeitsübergang von der Behörde erlassenen Bescheides in einem nachfolgenden Beschwerdeverfahren ebenso nichts an der einmal eingetretenen Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts für die Entscheidung in der Verwaltungsangelegenheit (VwGH 19.09.2017, Ro 2017/20/0001).
Auch mit einem nach Ablauf der Nachfrist erlassenen Bescheid hat die Partei zunächst den von ihr mit ihrer Säumnisbeschwerde verfolgten Anspruch auf Entscheidung durchgesetzt, auch wenn dabei eine gesetzliche Bestimmung –nämlich die zwischenzeitig eingetretene Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts zur Entscheidung in der Sache – verletzt wurde. Diese Gesetzesverletzung geltend zu machen, ist der Disposition der Partei überlassen, als ihr die Entscheidung darüber offensteht, ob sie den Bescheid in Rechtskraft erwachsen lässt oder Beschwerde gegen den nachgeholten Bescheid erhebt. Die Gesetzesverletzung ist in dem allfälligen Beschwerdeverfahren vom Verwaltungsgericht zu klären, während das Säumnisbeschwerdeverfahren als Rechtsschutzziel nur die Herbeiführung einer Entscheidung vor Augen hat und nicht die Richtigkeit der Entscheidung. Die Einstellung des Säumnisbeschwerdeverfahrens ist von der Verwaltungsbehörde vorzunehmen, weil § 16 Abs. 2 VwGVG die Vorlage der Beschwerde unter Anschluss der Akten (nur) für den Fall vorsieht, dass die Bescheiderlassung von der Behörde nicht nachgeholt wird (VwGH 19.09.2017, Ro 2017/20/0001).
Der gegenständliche Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels wurde am 11.07.2017 bei der österreichischen Botschaft in Belgrad gestellt und ist am 21.07.2017 bei der belangten Behörde eingelangt. Die Säumnisbeschwerde datiert vom 11.06.2018 und wurde per Fax an die belangte Behörde (Faxnummer der MA 35) übermittelt. Die Säumnisbeschwerde trägt den Zeitstempel des Empfangsgerätes 9:13 Uhr (Aktenseite 246); der 11.06.2018 war ein Montag. Das Fax langte während der Amtsstunden bei der belangten Behörde ein und war damit auch wirksam eingebracht. Der angefochtene Bescheid trägt das Datum 13.09.2018, es ist der Stempel „Expediert 17. Sep 18“ darauf angebracht (Aktenseite 319. Aus dem Zustellschein ergibt sich die Übernahme am 20.09.2018.) Aufgrund des genannten Einbringungszeitpunktes 11.06.2018 endete die dreimonatige Nachfrist aber jedenfalls bereits am 11.09.2018. Abschließend ist festzuhalten, dass die Säumnisbeschwerde 11 Monate nach Antragstellung eingebracht wurde; die Entscheidungsfrist für die belangte Behörde betrug 6 Monate. Die Säumnisbeschwerde war bereits deshalb zulässig und berechtigt (§ 8 Abs. 1 VwGVG). Durch den früheren Rechtsbeistand wurde nach diversen Urkundenvorlagen (unter anderem) am 25.10.2017, 07.02.2018 und 11.04.2018 eine Entscheidung urgiert. Wäre die Behörde zu diesen Zeitpunkten der Meinung gewesen, dass nicht alle Voraussetzungen erfüllt sind oder entgegen der Mitwirkungspflicht der Antragstellerin (§ 29 Abs. 1 NAG; vgl. aber auch § 19 NAG sowie die NAG-DV) nicht alle Nachweise erbracht wurden, hätte sie dies auch entsprechend würdigen und einen entsprechenden Bescheid erlassen können.
Das Verwaltungsgericht ist im Beschwerdefall somit zur Entscheidung in der Sache zuständig (geworden). Der angefochtene Bescheid wurde nach Ablauf der gesetzlich eingeräumten Nachfrist erlassen und ist damit mit Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde belastet.
Der angefochtene Bescheid ist damit aufzuheben und das Verwaltungsgericht hat nun über den verfahrenseinleitenden Antrag der Beschwerdeführerin zu entscheiden.
Zu Spruchpunkt II.
Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen ist gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 lit. a NAG der Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen, ein Quotenplatz vorhanden ist und der Zusammenführende einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt–EU“ innehat.
Die Beschwerdeführerin, eine serbische Staatsangehörige, hat einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot–Karte plus“ (§ 8 Abs. 1 Z 2 und § 47 Abs. 2 NAG) beantragt und ist mit einem serbischen Staatsbürger, der über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt–EU“ verfügt, verheiratet.
Die Voraussetzungen des 1. Teiles des NAG sind insbesondere in §§ 11 ff und 21a NAG normiert.
Ein Quotenplatz gemäß § 12 NAG ist vorhanden.
Auch wenn nun im Beschwerdefall (wegen der Aufhebung des angefochtenen Bescheides mit Spruchpunkt I.) über den Antrag vom 11.07.2017 abzusprechen ist – ohnehin ist in jedem Fall das Verwaltungsgericht verpflichtet, alle Erteilungshindernisse und –voraussetzungen und nicht nur die von der Behörde „kritisierten“, zu prüfen (VwGH 23.05.2018, Ra 2018/22/0023) – werden zunächst die von der belangten Behörde aufgegriffenen Abweisungsgründe, nämlich drohende finanzielle Belastung einer Gebietskörperschaft (§ 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG), fehlende ortsübliche Unterkunft (§ 11 Abs. 2 Z 2 NAG) und Widerspruch zu öffentlichen Interessen (§ 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 NAG) abgehandelt:
Gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG darf der Aufenthalt eines Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen. Dabei sind iSd § 11 Abs. 5 NAG die regelmäßigen Einkünfte und Ausgaben dem erforderlichen Richtsatz gegenüberzustellen.
Bei der Beurteilung der zur Verfügung stehenden Mittel ist eine Prognoseentscheidung zu treffen. Es ist nicht allein auf den Entscheidungszeitpunkt abzustellen (VwGH 23.11.2017, Ra 2017/22/0144; 22.03.2018, Ra 2017/22/0177). Es genügt für den Nachweis ausreichender Unterhaltsmittel, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, dass im Fall der Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels eine konkretisierte Erwerbstätigkeit aufgenommen und damit das notwendige Ausmaß an Einkommen erwirtschaftet werden könnte (VwGH 19.04.2016, Ra 2015/22/0153).
Bei der Prüfung, ob ausreichende Unterhaltsmittel zur Verfügung stehen, ist eine Prognose über die Erzielbarkeit ausreichender Mittel zu treffen. Für die Berechnung maßgeblich ist dabei jenes Einkommen, das dann erzielt wird, wenn dem Fremden der begehrte Aufenthaltstitel erteilt wird (vgl. VwGH 20.10.2011, 2009/18/0122), wobei die anteiligen Sonderzahlungen bei der Einkommensberechnung zu berücksichtigen sind (vgl. VwGH 21.06.2011, 2008/22/0356).
Bei Schwankungen hinsichtlich des Einkommens ist im Rahmen der Prognoseentscheidung gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 NAG ein durchschnittlich verfügbares Monatseinkommens heranzuziehen. Ein Abstellen allein auf den Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung oder ausgewählte Monate alleine verbietet sich, wenn in absehbarer Zeit mit einer Änderung der Einkommensverhältnisse zu rechnen ist (VwGH 22.03.2018, Ra 2017/22/0177, mwH). Bei der Prognose über ein erzielbares Einkommen können somit auch wechselnde Zeiträume, etwa abwechselnd Lohn bzw. Arbeitslosengeld berücksichtigt werden (als Nachweis dient hier insbesondere auch Versicherungsdatenauszug; vgl. auch VwGH 16.06.2011, 2007/18/0435; 12.10.2010, 2009/21/0089). Gleiches würde für häufige Arbeitgeberwechsel gelten, wenn insgesamt erkennbar wäre, dass eine Person immer wieder Arbeit findet, aber auch damit gerechnet werden müsste, dass sie nicht durchgehend beschäftigt sein wird.
Der Aufenthalt eines Fremden führt gemäß § 11 Abs. 5 NAG zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (§ 11 Abs. 2 Z 4 NAG), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 ASVG – das sind derzeit 889,84 Euro bzw. bei Ehegatten 1.363,52 Euro und wie im Beschwerdefall bei Ehegatten mit einem Kind 1.503,84 Euro – entsprechen.
Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs. 3 zweiter Satz ASVG festgelegten Höhe (derzeit 288,87 Euro) unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des § 11 Abs. 5 erster Satz NAG (vgl. etwa VwGH 26.01.2012, 2010/21/0346).
Aufgrund der vorgelegten aktuellen Lohnzettel ergibt sich für den Ehegatten der Beschwerdeführerin aus seiner Tätigkeit als Barkeeper/Kellner ein Monatsgehalt von 1.595,– Euro brutto (14mal im Jahr). Das sind inklusive Sonderzahlungen 1.540,75 Euro netto monatlich (bei Berücksichtigung des Alleinverdienerabsetzbetrages).
Zusätzlich bezieht der Ehegatte durchschnittlich 250,– Euro Trinkgeld pro Woche (bei einer 5-Tage-Woche). Auch Trinkgelder sind anrechendbar als Einkünfte iSd § 11 Abs. 5 NAG (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/22/0095; vgl. auch 18.03.2010, 2008/22/0411). Berücksichtigt man einen fünfwöchigen Jahresurlaub und rechnet mit zwei Wochen Krankenstand und Pflegeurlaub im Jahr können 216,37 Euro monatlich zu den Einkünften veranschlagt werden (250,- mal 45 durch 52).
Weiters bezieht der Ehegatte (bereits jetzt) Familienbeihilfe für die Tochter in der Höhe von 121,90 Euro monatlich und einen monatlicher Kinderabsetzbetrag in Höhe von 58,40 Euro. In Verfahren bei Erstanträgen sind soziale Leistungen gemäß § 11 Abs. 5 letzter Satz NAG nicht zu berücksichtigen, wenn der Anspruch auf sie erst durch die Erteilung des Aufenthaltstitels entstehen würde. Diese Einschränkung trifft im Beschwerdefall nicht zu. Die Familienbeihilfe ist den Einkünften ebenfalls hinzuzurechnen, weil die Tochter im gemeinsamen Haushalt lebt. Die Familienbeihilfe wird damit für jene Person verwendet, für die sie bezahlt wird (VwGH 20.06.2012, 2011/01/0217; 18.04.2018, Ro 2017/22/0002, mwH).
Die Beschwerdeführerin selbst verfügt derzeit über keine Einkünfte und es sind keine gesicherten Einkünfte für den Erteilungszeitraum zu prognostizieren.
Dies ergibt somit zum nunmehrigen Entscheidungszeitpunkt als Prognose für den Fall der Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels ein monatliches Gesamteinkommen von 1.937,42 Euro netto.
Diesen Einkünften stehen folgende regelmäßige Aufwendungen gegenüber (§ 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG): Monatliche Kosten für Strom betragen 107,29. Die Miete beträgt monatlich 520,– Euro.
Bei der Ermittlung der regelmäßigen Aufwendungen bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs. 3 zweiter Satz ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte des gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG erforderlichen Einkommens („Wert der freien Station“, das sind monatlich 288,87 Euro). Nach Abzug dieses Betrages ergibt sich der vom Einkommen abzuziehende Gesamtbetrag an regelmäßigen Aufwendungen in Höhe von 338,42 Euro.
Es ergibt sich nach Abzug dieser regelmäßigen Aufwendungen vom monatlichen Gesamteinkommen damit ein – über dem gesetzlich geforderten Einkommen liegender – Betrag in Höhe von 1.599,– Euro: Aus dem Richtsatz gemäß § 293 Abs. 1 ASVG ergibt sich – da die Beschwerdeführerin beabsichtigt, mit ihrem zusammenführenden Ehemann und ihrer Tochter in einer gemeinsamen Wohnung zu leben – nämlich der erforderliche Monatsbetrag in Höhe von 1.503,84 Euro. Das errechnete, anrechenbare monatliche Familieneinkommen der Kernfamilie reicht daher aus; der erforderliche, nachzuweisende gesetzliche Richtsatz wird überschritten.
Im Rahmen der Prognoseentscheidung hegt das Verwaltungsgericht keine Bedenken hinsichtlich der Realisierbarkeit der Einkünfte durch den Ehemann der Beschwerdeführerin. Dieser hatte zwar in der Vergangenheit häufige Arbeitgeberwechsel, doch steht dem gegenüber, dass es ihm tatsächlich immer wieder gelang Arbeit zu finden. Die häufigen Arbeitgeberwechsel wurden zudem schlüssig damit erklärt, dass er sich um seine Tochter kümmern musste, wenn die Beschwerdeführerin das Bundesgebiet verlassen musste (zudem wurden Arbeitszeugnisse vorgelegt, die durchwegs positiv und wohlwollend waren). Diese Notwendigkeit würde im Fall der Titelerteilung wegfallen. Insofern ist für den maßgeblichen Prognosezeitpunkt (nämlich die Zukunft unter Zugrundelegung der Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels davon auszugehen, dass das aktuelle Beschäftigungsverhältnis bestandsfester sein wird und es somit gerade nicht zu Schwankungen hinsichtlich der Einkünfte kommen wird. Selbst im Fall eines weiteren Arbeitgeberwechsel wäre zu bedenken, dass der Ehegatte der Beschwerdeführerin eben wiederholt Arbeit gefunden hat und es sich beim aktuellen Bezug um ein branchenübliches Gehalt handelt (vgl. die im Akt enthaltenen Gehaltszettel aus früheren Dienstverhältnissen), das nach einem allfälligen neuerlichen Dienstgeberwechsel überall sonst ebenfalls bezogen werden könnte.
Aufgrund der ermittelten/prognostizierten festen und regelmäßigen Einkünfte iSd § 11 Abs. 5 NAG ist davon auszugehen, dass der Unterhalt der Beschwerdeführerin im Fall der Errichtung einer Familiengemeinschaft mit dem Zusammenführenden im Bundesgebiet gesichert ist. Es kann somit mit maßgeblicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft iSd § 11 Abs. 2 Z 4 NAG führen könnte.
Der Rechtsanspruch auf eine ortsübliche Unterkunft (§ 11 Abs. 2 Z 2 NAG) ist im Beschwerdefall gegeben. Angesichts der Größe (knapp 40,0 m²) und der Raumaufteilung (Küche plus zwei Zimmer, wobei der Tochter ein eigenens Zimmer zur Verfügung steht) der Unterkunft und der Anzahl der dort bei Erteilung des Aufenthaltstitels lebenden Personen (Ehepaar mit einem siebenjährigen Kind) bestehen hinsichtlich der Ortsüblichkeit keine Bedenken. Der vorgelegte unbefristete Mietvertrag vermittelt einen gesicherten Rechtsanspruch (vgl. etwa VwGH 24.11.2000, 98/19/0181). Im Übrigen ist zu bedenken, dass aufgrund der finanziellen Situation davon auszugehen ist, dass die Beschwerdeführerin samt Ehegatten in der Lage sein wird, ihre Wohnbedürfnisse bzw. die der Familie befriedigen zu können, ohne wegen Obdachlosigkeit eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darzustellen oder eine Gebietskörperschaft finanziell zu belasten (VwGH 09.09.2014, Ro 2014/22/0032). Von drohender Obdachlosigkeit ist die Familie weit entfernt. Abschließend ist hinsichtlich der prognostizierten Wohnsituation zu berücksichtigen, dass es glaubwürdige Anstrengungen Richtung einer größeren Wohnung gibt (Kontaktaufnahme mit Wiener Wohnen), wobei dieses Vorhaben entsprechend den Vergaberichtlinien für geförderten bzw. gemeinnützigen Wohnbau auch davon abhängig ist, dass der Beschwerdeführerin ein Aufenthaltstitel erteilt wird und damit eine dreiköpfige Familie besteht.
Als serbische Staatsangehörige ist die Beschwerdeführerin zum visumsfreien Aufenthalt von bis zu 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen berechtigt. Die Beschwerdeführerin reiste zuletzt am 25.09.2018 in das Bundesgebiet ein. Eine Überschreitung des sichtvermerkfreien Aufenthaltes liegt für den Zeitraum 25.03.18 bis 24.06.2018 (92 Tage Aufenthalt) vor, der gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 Z 1 NAG relevant sein könnte.
Insgesamt sind folgende Aufenthalte im Bundesgebiet festgestellt:
25.05.17 - 26.06.2017 (33 Tage)
(Antragstellung 11.07.2017 in Belgrad)
29.09.2017 - 24.12.17 (87 Tage)
25.03.18 - 24.06.2018 (92 Tage)
25.09.2018 – Entscheidungszeitpunkt 26.11.2018 (63 Tage)
Die Frage der Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit (§ 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 Z 1 NAG 2005) ist fallbezogen in Form einer Prognose ausgehend vom Gesamtverhalten für jede Person eigenständig zu prüfen (VwGH 22.07.2011, 2009/22/0325).
Im Beschwerdefall hat die Beschwerdeführerin während eines Aufenthaltszeitraumes (von mehreren) die visumsfreie Zeit (90 in 180 Tagen) um 2 Tage überschritten. Damit könnte eine Erteilungsvoraussetzung § 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 NAG verletzt sein – das Überschreiten der visumsfreien Zeit ist auch bei der Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG heranzuziehen (§ 11 Abs. 3 Z 7, vgl. aber auch Z 1) –, wobei ein unrechtmäßiger Aufenthalt alleine nicht automatisch zu einer Versagung gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 Z 1 NAG führt (VwGH 19.09.2012, 2011/22/0161; 09.09.2013, 2012/22/0164).
Zu einer Anzeige oder einem Strafverfahren (gar einer Verurteilung) hat diese Überschreitung nicht geführt. Alleine aber schon aufgrund der Art und Schwere der konkreten Taten (vgl. VwGH 19.02.2014, 2011/22/0009) lässt sich eine negative Gesamtprognose nicht treffen. Schließlich ist hier zu berücksichtigen, dass auch bei den Erteilungsvoraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 Z 1 NAG eine Prognose für den Zeitraum der Aufenthaltstitelerteilung maßgeblich ist und eine Wiederholung des rechtswidrigen Verhaltens (Überschreiten einer visumsfreien Aufenthaltsdauer) nach Erteilung eines NAG-Aufenthaltstitel ohnehin nicht mehr in Frage kommt. Zurückliegendes Fehlverhalten könnte aber nur insofern beachtlich sein, als es den Schluss auf weiter zu befürchtende gefährliche Verhaltensweisen zulässt (VwGH 26.04.2018, Ra 2018/21/0027); das ist in der vorliegenden Konstellation nicht ersichtlich.
Zu den im angefochtenen Bescheid ins Treffen geführten Zeiträumen, in denen die Beschwerdeführerin nach dem Meldegesetz 1991 gemeldet war, die aber abweichend von den tatsächlichen Aufenthaltszeiträumen länger dauerten, ist anzumerken, dass dieser Umstand von der Beschwerdeführerin damit erklärt wurde, dass ihr Ehegatte die Abmeldungen jeweils nach ihren Ausreisen durchführte und dabei offenbar nicht immer sofort gehandelt hatte. Zwar besteht gemäß § 2 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 MeldeG eine Abmeldepflicht binnen drei Tagen nach Aufgabe der Unterkunft, doch handelt es sich bei einer entsprechenden Gesetzesverletzung um eine bloße Verwaltungsübertretung (§ 22 Abs. 1 Z 1 MeldeG). Kriminelle Energie oder eine Gefährlichkeit iSd § 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 Z 1 NAG 2005 lässt sich daraus aber nicht ableiten.
Schließlich legte die belangte Behörde ihrem Verfahren auch die Annahme zugrunde, dass die Beschwerdeführerin ihren früheren Reisepass verloren/gestohlen gemeldet hat, um einen früheren Zeitraum einer Überschreitung des visumsfreien Aufenthaltes zu verschleiern. Dem ist entgegenzuhalten, dass dies nicht festgestellt werden konnte. Dass die Verlustmeldung vom 04.05.2017 in „Vorbereitung“ der Antragstellung vom 11.07.2017 und zwecks „Sanierung“ eines Erteilungshindernisses erfolgt sein soll, ist für das Verwaltungsgericht nicht feststehend.
Es ist damit für das Verwaltungsgericht auch das Vorliegen der Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 Z 1 NAG 2005 erfüllt.
Die Beschwerdeführerin ist krankenversichert in Österreich (siehe vorgelegte e-card und Versicherungsdatenauszug). Als Angehörige hat sie über den Ehegatten einen Anspruch auf Mitversicherung (§ 123 ASVG). Damit ist auch § 11 Abs. 2 Z 3 NAG und § 7 Abs. 1 Z 6 NAG-DV entsprochen (VwGH 20.07.2016, Ro 2015/22/0030).
Die gemäß § 21a NAG erforderlichen Sprachkenntnisse sind entsprechend § 9b Abs. 1 NAG-DV nachgewiesen worden (Diplom vom 14.06.2017). Das Sprachdiplom (§ 9b NAG-DV) darf zum Zeitpunkt der Vorlage; im Unterschied dazu darf das Lichtbild gemäß § 2a Abs. 2 NAG-DV „zum Entscheidungszeitpunkt“ nicht älter als ein Jahr sein. Nachdem aufgrund der vorliegenden Konstellation (siehe oben zu Spruchpunkt I. und dem Gegenstand des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht) dessen Vorlage aufgetragen wurde, wurde ein aktuelles Lichtbild im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 21.11.2018 von der Beschwerdeführerin abgegeben. Der anwesende Vertreter der belangten Behörde hat sich spontan zu dessen Übernahme bereit erklärt.
Das Vorliegen von Erteilungshindernissen iSv § 11 Abs. 1 NAG ist im behördlichen Verfahren nicht hervorgekommen und kann auch nicht nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens vor dem Verwaltungsgericht festgestellt werden. Weder wurden gegen die Beschwerdeführerin aufenthaltsbeendende Maßnahmen oder ein Einreiseverbot verhängt, noch ist das Vorliegen einer Aufenthaltsehe, eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien Aufenthaltes oder eine Bestrafung wegen Umgehung der Grenzkontrolle oder nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet zu erkennen.
Ebenso haben sich keine (sonstigen) Hinweise auf dem Aufenthalt der unbescholtenen Beschwerdeführerin widerstreitende öffentliche Interessen iSd § 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 NAG, wie eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung oder eine Nähe zu einer extremistischen oder terroristischen Organisation ergeben und ist auch nichts hervorgekommen, was darauf hindeuten würde, dass der Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtsobjekt iSd § 11 Abs. 2 Z 5 NAG wesentlich beeinträchtigen würde.
Selbst wenn sich das Fehlen einer Voraussetzung gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 bis 7 NAG ergeben hätte, wäre im Beschwerdefall – entgegen der Beurteilung im angefochtenen Bescheid – die Erteilung des Aufenthaltstitel entsprechend einer Interessenabwägung gemäß § 11 Abs. 3 NAG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK geboten gewesen:
Art. 8 EMRK gebietet die Berücksichtigung (unter anderem) von familiären Bindungen zu in Österreich lebenden, aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen (VwGH 23. Mai 2012, 2010/22/0128; § 11 Abs. 3 Z 2 und 3 NAG). Damit wird auch die Verbindung von Eheleuten zu einem gemeinsamen Kind geschützt (VfGH 11.6.2018, E 343/2018; 26.6.2018, E 1791/2018).
Im vorliegenden Fall besteht die Kernfamilie aus der Beschwerdeführerin, ihrem Ehegatten und der gemeinsamen Tochter. Das Familienleben dieser Kernfamilie besteht seit mehr als sieben Jahren. Schon früher hat die Beschwerdeführerin einen Aufenthaltstitel angestrebt, diese Anträge wurden jedoch abgewiesen. Auch wenn sich das Familienleben auf visumsfreie Zeiten beschränkt, handelt es sich um ein tatsächliches Familienleben. Freilich ist die Beschränkung im Rahmen der Gewichtung gemäß § 11 Abs. 3 NAG zu berücksichtigen.
Die Beschwerdeführerin ist seit ...2013 verheiratet mit einem serbischen Staatsbürger, der mit ca. 6 Jahren (1996), d.h. vor 22 Jahren, nach Österreich gekommen ist und seit 12.09.2005 über einen unbefristeten Aufenthaltstitel verfügt. Der Ehemann ist somit seit 22 von 28 Lebensjahren in Österreich aufhältig.
Der Ehe entstammt die gemeinsame Tochter, die am ...2011 in Wien geboren wurde und seither durchgehend in Österreich lebt. Die Tochter ist ebenfalls serbische Staatsangehörige und verfügt seit 25.07.2011 (immer wieder rechtzeitig verlängert) über einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“. Die Tochter besucht eine öffentliche Volksschule in Wien.
Im Rahmen der Abwägung nach Art. 8 EMRK würde schon alleine dem Bestehen einer Ehe mit einem dauerhaft niedergelassenen Partner große Bedeutung zukommen (VwGH 27.04.2017, Ra 2016/22/0102). Im Beschwerdefall wird dieser Faktor durch die gemeinsame Tochter noch einmal wesentlich erhöht. Die Tochter ist zwar keine österreichische Staatsbürgerin (vgl. dazu etwa VfGH 09.06.2016, E 2617/2015; E 1320/2017), ist aber in Wien geboren und seither durchgehend in Österreich aufhältig.
Der mit der Versagung eines Aufenthaltstitels verbundene Eingriff in das Familienleben – im Beschwerdefall durch Trennung vom dauerhaft niedergelassenen Ehegatten und der aufenthaltsberechtigen sieben Jahre alten Tochter – wäre nur dann zulässig, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer solchen Maßnahme ein sehr großes Gewicht - etwa bei Straffälligkeit des Fremden (insbesondere bei Gewaltdelikten) - beizumessen wäre (VwGH 03.10.2017, Ra 2016/22/0056).
Dem schützenswerten Familienleben müssten in der vorliegenden Konstellation wesentliche Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren (VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005). Dafür besteht im Beschwerdefall jedoch keine Grundlage. Die angesprochene Überschreitung des visumsfreien Zeitraums um zwei Tage sowie allfällige Übertretungen des MeldeG stellen bloß geringfügige Verstöße iSd § 11 Abs. 3 Z 7 NAG dar.
Es liegen keine wesentlichen Bindungen zum Heimatstaat vor; diese sind den Anknüpfungspunkten in Österreich jedenfalls untergeordnet. Die Beschwerdeführerin ist strafrechtlich unbescholten und erfüllt zumindest die von § 21a NAG geforderten Deutschkenntnisse. Bezüglich der Verfahrensdauer (Verzögerungen) ist auf die zu Spruchpunkt I. berechtigte Säumnisbeschwerde hinzuweisen.
Das Interesse am Schutz des Familienlebens iSd Art. 8 EMRK überwiegt somit im Beschwerdefall die öffentlichen Interessen des § 11 Abs. 2 und 3 NAG.
Nachdem die Beschwerdeführerin sämtliche in § 7 und auch §§ 2a und 9b NAG-DV angeführten Unterlagen vorgelegt hat, sie die Erteilungsvoraussetzungen für den beantragten Aufenthaltstitel erfüllt und keine Erteilungshindernisse bestehen, ist ihr der beantragte Aufenthaltstitel (in konstitutiver Weise) zu erteilen (vgl. VwGH 15.12.2015, Ra 2015/22/0125).
Gemäß § 19 Abs. 10 NAG hat die belangte Behörde nunmehr die Herstellung von Aufenthaltstitelkarten zu beauftragen und diese auszufolgen.
Die spruchgemäße Befristung des erteilten Aufenthaltstitels auf 12 Monate gründet sich auf § 20 Abs. 1 NAG.
Zu Spruchpunkt III.
Der öffentlichen mündlichen Verhandlung wurde zur Einvernahme der Beschwerdeführerin ein nichtamtlicher Dolmetsch für die serbische/bosnische/kroatische Sprache beigezogen. Gemäß § 17 VwGVG iVm § 76 Abs. 1 und 3 AVG wird der Beschwerdeführerin der Ersatz der Barauslagen für die der mündlichen Verhandlung vom 21.11.2018 beigezogene nichtamtliche Dolmetsch –auferlegt: Die Beschwerdeführerin hat die Beziehung eines Dolmetsch selbst beantragt. Dem Verwaltungsgericht Wien stand ein amtlicher Dolmetsch für die serbische/bosnische/kroatische Sprache nicht zur Verfügung. Für die mündliche Verhandlung wurde daher eine externe Person zur Übersetzung beigezogen. Die in der Gebührennote (nach dem Gebührenanspruchsgesetz) verzeichneten Gebühren hat das Verwaltungsgericht geprüft und in der im Spruch genannten Höhe für in Ordnung befunden (Beschluss vom 26.11.2018, VGW-KO-...). Die Buchhaltungsabteilung der Stadt Wien wurde zur Bezahlung der Gebühr aus Amtsmitteln angewiesen (vgl. zu alldem § 53b iVm § 53a Abs. 2 erster Satz und Abs. 3 erster Satz AVG). Gemäß § 17 VwGVG in Verbindung mit § 76 Abs. 1 erster und zweiter Satz sowie § 53b AVG hat die beschwerdeführende Partei für diese Barauslagen aufzukommen. Die Gebühren sind nunmehr nach Anweisung an den Dolmetsch der Beschwerdeführerin aufzuerlegen.
Zu Spruchpunkt IV.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Die Rechtslage ist aufgrund der Gesetzeslage klar und durch die Rechtsprechung geklärt. Sowohl zur Frage der Zuständigkeit als auch in der Sache wurde die entsprechende Rechtsprechung umfassend zitiert.
Das Verfahren betreffend Aufenthaltstitel erfordert eine Einzelfallbeurteilung. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen – wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde – nicht revisibel. Dies gilt im Besonderen für eine einzelfallbezogene Interessenabwägung gemäß § 11 Abs. 3 NAG, aber auch im Allgemeinen generell für Prognoseentscheidungen nach § 11 Abs. 2 NAG (VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0033; 09.09.2014, Ro 2014/22/0027; vgl. auch VwGH 09.08.2018, Ra 2018/22/0125 betreffend Beweiswürdigung und Erwerbsabsichten). Der gegenständlich vorgenommenen Würdigung kommt keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Schließlich liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Säumnisbeschwerde; Nachholung des Bescheides; Unzuständigkeit; Zuständigkeitsübergang; ex lege; Allgemeine Erteilungsvoraussetzungen; Erteilungshindernisse; Aufrechterhaltung des Privat- und FamilienlebensEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2018:VGW.151.007.13453.2018Zuletzt aktualisiert am
13.12.2018