TE OGH 2018/10/1 1R117/18k

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Veröffentlicht am 01.10.2018
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Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Dr. Jesionek als Vorsitzende sowie die Richterin und den Richter des Oberlandesgerichts Mag. Istjan, LL.M., und Dr. Thunhart in der Rechtssache der klagenden Partei H*****, vertreten durch Dr. Stefan Joachimsthaler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. T*****, und 2. V*****, 3. G*****, 4. K*****, 5. M*****, wegen EUR 15.034,15 samt Anhang, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 28.8.2018, 65 Cg 55/18z-2, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens über die Klage aufgetragen.

Die Rekurskosten sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin begehrt EUR 15.034,15 an Honorar für Beratungs- und Vertretungsleistungen in den Jahren 2015 und 2016. Ihre Vertragspartnerin, eine GmbH, habe das von ihr betriebene Reisebürounternehmen im Frühjahr 2016 samt Filialen, Marke und Personal ohne Gegenleistung der Erstbeklagten übertragen. Die Erstbeklagte hafte als Übernehmerin nach § 38 UGB und § 1409 ABGB für das Honorar. Der Zweitbeklagte sei faktischer Geschäftsführer und Prokurist, die Drittbeklagte Geschäftsführerin der inzwischen insolventen Vertragspartnerin gewesen. Zweit-, Viert- und Fünftbeklagte seien Geschäftsführer der Übernehmerin. Sämtliche Beklagte seien der Klägerin auch schadenersatzpflichtig, weil sie durch die Übertragung des Unternehmens die Insolvenz der Vertragspartnerin kridaträchtig herbeigeführt hätten.

Das Erstgericht wies die Klage wegen sachlicher Unzuständigkeit zurück. Die Klägerin könne sich nicht auf § 51 Abs 1 Z 1 JN stützen, weil kein unternehmensbezogenes Geschäft zwischen der Klägerin und der Erstbeklagten vorliege. Die Zuständigkeit des Handelsgerichts lasse sich auch nicht aus § 51 Abs 1 Z 4 JN ableiten, weil diese Bestimmung nur Streitigkeiten aus der Veräußerung eines Unternehmens zwischen den Vertragsteilen selbst erfasse.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss ersatzlos zu beheben. Hilfsweise stellt sie einen Antrag auf Überweisung an das nicht offenbar unzuständige Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien gemäß § 230a ZPO.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt.

1. Dem Erstgericht ist beizupflichten, dass die Klägerin den Zuständigkeitstatbestand des § 51 Abs 1 Z 4 JN betreffend Streitigkeiten aus der Veräußerung eines Unternehmens nicht für sich in Anspruch nehmen kann, weil er auf jene Streitigkeiten beschränkt ist, die unmittelbar zwischen Veräußerer und Übernehmer (oder ihren Rechtsnachfolgern) entstehen. Klagen Dritter auf Bezahlung der Schulden des Vorbesitzers aufgrund der Haftung nach § 38 UGB fallen also nicht darunter (Simotta in Fasching/Konecny3 I § 51 JN Rz 89 [Stand 30.11.2013, rdb.at]).

2. Die Zuständigkeit des Handelsgerichts Wien ist aber nach § 51 Abs 1 Z 1 JN gegeben. Danach gehören Streitigkeiten aus unternehmensbezogenen Geschäften vor die Handelsgerichte, wenn die Klage gegen einen im Firmenbuch eingetragenen Unternehmer gerichtet ist und das Geschäft auf Seiten des Beklagten ein unternehmensbezogenes Geschäft ist.

2.1. Die Vertragspartnerin und die Erstbeklagte sind Unternehmerinnen kraft Rechtsform nach § 2 UGB.

2.2. Entgegen der Auffassung des Erstgerichts ist beim Tatbestand des § 51 Abs 1 Z 1 JN - zum Unterschied von jenem nach Z 4 leg cit - ein direkter Geschäftsabschluss zwischen den Prozessparteien nicht erforderlich (RIS-Justiz RS0046402; Simotta aaO § 51 JN Rz 64).

Das Handelsgericht ist daher insbesondere auch für Klagen auf Verbindlichkeiten aus einem unternehmensbezogenen Geschäft zuständig, für die der Beklagte wegen gesetzlichen Schuldbeitritts nach § 38 UGB (früher § 25 HGB) oder § 1409 ABGB als Übernehmer eines Unternehmens haftet (OLG Wien 16.6.1994, 4 R 108/94 = WR 666; ebenso die unveröffentlichten Entscheidungen OLG Wien 30.4.2008, 16 R 69/08x und 17.2.2017, 1 R 2/17x).

Das Handelsgericht ist daher für die Klage gegen die Erstbeklagte nach § 51 Abs 1 Z 1 JN zuständig.

3. Für die Zweit- bis Fünftbeklagten beruft sich die Klägerin auf den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nach § 93 JN. Dafür reicht, dass in der Klage eine Solidarhaftung der Beklagten als Mittäter behauptet wird (6 Ob 316/02t). Dass die Zweit- bis Fünftbeklagten keine Unternehmer sind, hindert in diesem Fall die Zuständigkeit des Handelsgerichts nicht (RIS-Justiz RS0117283).

4. Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 ZPO.

5. Ein Ausspruch über die Zulässigkeit des Revisionsrekurses erübrigt sich, weil die Klägerin durch die Entscheidung des Rekursgerichts nicht beschwert ist und es der Beklagten im fortgesetzten Verfahren ohnedies freistünde, eine Unzuständigkeitseinrede zu erheben (vgl Mayr in Rechberger, ZPO4 § 41 JN Rz 3; RIS-Justiz RS0039200).

Textnummer

EW0000941

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0009:2018:00100R00117.18K.1001.000

Im RIS seit

13.12.2018

Zuletzt aktualisiert am

13.12.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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