Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Dr.
Musger als Vorsitzenden und den Senatspräsidenten Dr. Veith, die Hofrätin Dr. E. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Salzburger Gebietskrankenkasse, Salzburg, Engelbert-Weiß-Weg 10, vertreten durch Mag. Albert Reiterer, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei P***** L*****, vertreten durch Pallauf Meißnitzer Staindl & Partner, Rechtsanwälte in Salzburg, und die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei K***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Harald Schwendinger und Dr. Brigitte Piber, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 12.542,54 EUR sA und Feststellung (Streitwert 1.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 10. August 2017, GZ 53 R 85/17g-26, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 6. Februar 2017, GZ 31 C 992/16x-20, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 501,91 EUR (darin 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Am 24. Jänner 2015 ereignete sich kurz nach Mitternacht auf einer Schipiste ein Unfall, bei dem ein bei der klagenden Partei Versicherter schwere Verletzungen erlitt.
Der Geschädigte fuhr nach einer Feier, die auf einer Almhütte stattgefunden hatte, gemeinsam mit zwei weiteren Personen auf einer Rodel talwärts. Der mit einem Schidoo nachfolgende Beklagte, der ebenfalls an der Feier teilgenommen hatte, fuhr wegen Einhaltung einer für die Sichtverhältnisse überhöhten Geschwindigkeit auf die Rodel auf. Er benützte den Schidoo ohne Genehmigung seines Dienstgebers (der Nebenintervenientin) für die Auf- und Abfahrt zur Hütte und um weitere Gäste zu transportieren.
Aufgrund einer Verordnung der Ortsgemeinde S***** war das Befahren und Betreten der Schipiste von 17:00 Uhr bis 8:00 Uhr morgens verboten. Die Verordnung war ordnungsgemäß kundgemacht.
Die klagende Partei begehrte, gestützt auf die Legalzession nach § 332 ASVG und das Verschulden des Beklagten, den Ersatz der von ihr an den Versicherten erbrachten Leistungen in Höhe von 12.542,54 EUR sA. Zusätzlich stellte sie ein Feststellungsbegehren.
Der Beklagte wandte das alleinige, zumindest aber überwiegende Verschulden des Geschädigten ein. Dieser hätte die aufgrund der erwähnten Verordnung gesperrte Piste nicht benützen dürfen.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zu zwei Dritteln statt und wies das Mehrbegehren ab.
Zum Mitverschulden des Klägers vertrat es die Ansicht, der Schutzzweck der Verordnung liege darin, dass die Gefährlichkeit der Anwesenheit von Personen bei Dunkelheit im Pistenbereich hintangehalten werden solle. Da sich diese Gefahr verwirklicht habe, sei der Rechtswidrigkeitszusammenhang zu bejahen.
Der stattgebende Teil der Entscheidung erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.
Das im Übrigen vom Kläger angerufene Berufungsgericht änderte das angefochtene Urteil im Sinne einer gänzlichen Stattgebung des Klagebegehrens ab. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei.
Das Berufungsgericht führte aus, § 30 Abs 2 des Salzburger Landessicherheitsgesetzes, auf dem die Verordnung der Ortsgemeinde beruhe, lege den Normzweck ausdrücklich dahin fest, dass (nur) Gefahren hintangehalten werden sollten, die sich beim Präparieren der Piste mit schwer wahrnehmbaren Gegenständen in der Dunkelheit ergäben. Eine solche Gefahr habe sich nicht verwirklicht. Der Beklagte habe selbst gegen das Verbot verstoßen und nichts mit der Präparierung der Piste zu tun gehabt.
Die ordentliche Revision sei zulässig, weil der Rechtsfrage des Rechtswidrigkeitszusammenhangs und der Reichweite eines Fahrverbots auf Pisten aufgrund einer nach dem Salzburger Landessicherheitsgesetz erlassenen Verordnung über den Anlassfall hinaus erhebliche Bedeutung zukomme.
Rechtliche Beurteilung
Die vom Beklagten erhobene Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig. Auch in der Revision werden keine Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO dargetan.
1. Strittig ist nur noch das Mitverschulden des Geschädigten. Dieses setzt grundsätzlich weder ein Verschulden im technischen Sinn noch Rechtswidrigkeit voraus. Es genügt Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern, worunter auch die Gesundheit fällt (RIS-Justiz RS0022681, RS0032045). Das Mitverschulden kann aber auch aus der Verletzung eines Schutzgesetzes resultieren. In diesem Fall ist danach zu fragen, ob die übertretene Norm ein Schadensereignis wie das eingetretene verhindern wollte, ob also der – dem Rechtswidrigkeitszusammenhang auf der Seite des Schädigers entsprechende – „Mitverschuldens-zusammenhang“ besteht (2 Ob 167/17y mwN = RIS-Justiz RS0132048).
2. Um dies herauszufinden, ist das anzuwendende Schutzgesetz teleologisch zu interpretieren. Dazu ist der Normzweck zu erfragen, der sich aus der wertenden Beurteilung des Sinns der Vorschrift ergibt. Es genügt, dass die Verhinderung des Schadens bloß mitbezweckt ist, die Norm muss aber die Verhinderung eines Schadens wie des später eingetretenen intendiert haben (2 Ob 135/13m mwN; 6 Ob 118/18y; RIS-Justiz RS0008775). Wie weit der Normzweck reicht, ist Ergebnis der Auslegung im Einzelfall (2 Ob 213/13g mwN; RIS-Justiz RS0082346). Trifft das Gesetz eine eindeutige Regelung oder lässt sich im Wege einfacher Auslegung ein eindeutiges Ergebnis erzielen, begründet der Umstand, dass höchstgerichtliche Rechtsprechung zu einer konkreten Fallgestaltung fehlt, für sich allein genommen noch nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage (1 Ob 232/11s; RIS-Justiz RS0042656 [T32]).
3. Der Beklagte hat das Mitverschulden des Geschädigten ausschließlich auf eine Verletzung der das Befahren und Betreten der Schipiste während der Nachtstunden verbietenden Verordnung der Ortsgemeinde gestützt. Die gesetzliche Grundlage dieser Verordnung
findet sich in § 30 Abs 2 des Salzburger Landessicherheitsgesetzes – S.LSG, die bereits mit der Novelle LGBl 114/2006 als § 3e in das damalige Salzburger Landes-Polizeistrafgesetz eingefügt worden war und im Zuge der Wiederverlautbarung als S.LSG mit LGBl 57/2009 mit identischem Wortlaut erhalten blieb. Die Bestimmung lautet (Hervorhebung durch den Senat):
Die Gemeinde kann zur Vermeidung von Gefährdungen für Leben und Gesundheit von Menschen durch Verordnung das Befahren und Begehen von Schipisten oder Schipistenabschnitten, die mit Hilfe von in der Dunkelheit schwer wahrnehmbaren Gegenständen präpariert werden, im örtlich und zeitlich notwendigen Ausmaß ab frühestens einer halben Stunde nach Betriebsschluss der für die betreffende Schipiste oder den betreffenden Schipistenabschnitt in Betracht kommenden Aufstiegshilfen, frühestens jedoch ab 17:00 Uhr, verbieten. Besteht ein Tourismusverband, ist dieser vor Erlassung der Verordnung zu hören.
Zwischen den Parteien ist zu Recht unstrittig, dass diese Bestimmung ebenso wie die darauf gegründete Verordnung der Ortsgemeinde den Charakter einer Schutznorm iSd § 1311 ABGB hat.
4. Nach Ansicht des Berufungsgerichts legt das Gesetz selbst den Normzweck fest. Danach sollen nicht schlechthin die mit dem nächtlichen Befahren der Piste im Zusammenhang stehenden Gefahren hintangehalten werden, sondern nur jene, die sich beim Präparieren mit in der Dunkelheit schwer wahrnehmbaren Gegenständen ergeben können. Diese Auslegung entspricht dem insoweit eindeutigen Inhalt der Norm und wirft schon deshalb keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.
5. Unterstützt wird die Auslegung des Berufungsgerichts überdies durch die aus den Gesetzesmaterialien (RV 86 Blg LT 13. GP 4. Session) ersichtlichen Erwägungen des Gesetzgebers:
Um der Gefahr von Unfällen mit Schifahrern zu begegnen, die nach Betriebsschluss der Liftanlagen und während der Pistenpräparierung die Pisten abfahren, soll der Gemeinde die Möglichkeit eingeräumt werden, per Verordnung das Befahren sowie Betreten bestimmter Pisten(abschnitte) zu bestimmten Zeiten zu untersagen. Diese Möglichkeit soll angesichts des besonderen Gefährdungspotenzials insoweit bestehen, als die Piste mit Hilfe von in der Dunkelheit schwer wahrnehmbaren Gegenständen präpariert wird. Gemeint sind damit in erster Linie Winden, aber auch etwa Schläuche von Beschneiungsanlagen, nicht jedoch sich mit entsprechenden Warnleuchten und Warnton fortbewegenden Raupen (ohne Winden).
Diese Erwägungen haben in Form des oben hervorgehobenen Halbsatzes in den Gesetzestext Eingang gefunden.
6. Dem Berufungsgericht ist auf dieser gesetzlichen Grundlage keine vom Obersten Gerichtshof wahrzunehmende Fehlbeurteilung unterlaufen, wenn es zu dem Ergebnis gelangte, dass sich eine Gefahr, der durch § 30 Abs 2 S.SLG und den darauf beruhenden Verordnungen vorgebeugt werden soll, im vorliegenden Fall nicht verwirklicht hat und der eingetretene Schaden daher auch nicht vom Schutzzweck der Norm erfasst ist.
Die vom Beklagten ins Treffen geführte Entscheidung 2 Ob 223/15f vermag seinen gegenteiligen Standpunkt nicht zu stützen, weil sich nach dem damals zu beurteilenden Sachverhalt genau jene Gefahr realisiert hatte, mit der bei einer unbefugten Benützung der gesperrten Piste in der Pause eines Schirennens zu rechnen war.
7. Die in der Revision erstmals zu einer Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheit angestellten Überlegungen des Beklagten verstoßen gegen das Neuerungsverbot (§ 504 Abs 2 ZPO).
Der Oberste Gerichtshof hat sich in zahlreichen Entscheidungen zu den Risiken nächtlichen Rodelns geäußert, die jedoch von den konkreten Umständen des jeweiligen Falles abhängig sind (vgl etwa 3 Ob 2295/96p; 1 Ob 75/02i; 2 Ob 162/05w; 2 Ob 132/15y). Welche konkreten Verhaltensweisen im Hinblick auf die örtlichen Gegebenheiten, die Witterungs- und Sichtverhältnisse sowie das Fahrkönnen einem Rodler jeweils zumutbar und geboten sind, entzieht sich deshalb genereller Aussagen (1 Ob 104/10s mwN). Der Beklagte hat zu den genannten Umständen und deren möglicher Kausalität für den Unfall in erster Instanz weder Tatsachenvorbringen erstattet noch seinen Mitverschuldenseinwand darauf gestützt. Seine Revisionsbehauptung, der Geschädigte sei durch Ungeschicklichkeit mit der Rodel zu Sturz gekommen, findet überdies keine Deckung im festgestellten Sachverhalt.
8. Da es der Lösung von Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht bedarf, ist die Revision zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die klagende Partei hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
Textnummer
E123474European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0020OB00185.17W.1129.000Im RIS seit
13.12.2018Zuletzt aktualisiert am
08.07.2019