Entscheidungsdatum
22.10.2018Index
41/02 Passrecht FremdenrechtNorm
NAG §54 Abs1Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch den Richter Dr. Trefil über die Beschwerde des A. B. vom 31.8.2018 gegen den Bescheid des Landeshauptmanns von Wien, Magistratsabteilung 35, vom 3.8.2018, Zl. …, mit dem von Amts wegen gemäß § 54 Abs. 1 und 7 in Verbindung mit § 55 Abs. 3 vorletzter Satz des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, festgestellt wurde, dass er kein Angehöriger einer EWR-Bürgerin ist, im Zeitpunkt seines Zuzugs nach Österreich nicht war und ihm zu keiner Zeit ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukam,
zu Recht erkannt:
I. Gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG wird der angefochtene Bescheid wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde ersatzlos behoben.
II. Gemäß § 25a VwGG ist gegen dieses Erkenntnis eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Das Verwaltungsgericht Wien sieht folgenden Sachverhalt als erwiesen an:
Aus dem angefochtenen Feststellungsbescheid und der Beschwerde im Einklang mit dem vorgelegten Verwaltungsakt ergibt sich der folgende unstrittige Sachverhalt:
Nach der Eheschließung des Beschwerdeführers mit einer slowakischen Staatsangehörigen am 12.2.2016 in C. war ihm auf seinen Antrag vom 19.2.2016 eine Aufenthaltskarte mit Gültigkeit vom 4.3.2016 bis 4.3.2021 ausgestellt worden, die er am 18.3.2016 persönlich übernommen hatte.
Im April 2016 und nochmals mit konkreten Ermittlungsergebnissen im Juli 2016 verständigte die Landespolizeidirektion Wien die belangte Behörde über den (erhärteten) Verdacht des Bestehens einer Aufenthaltsehe. In der Folge wurde der Beschwerdeführer (als Beteiligter sowie seine Ehefrau) mit Urteil des Bezirksgerichts C. vom 19.12.2016 (rechtskräftig seit 31.1.2017) wegen § 117 FPG schuldig gesprochen (diese rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung wurde vom Beschwerdeführer nicht in Abrede gestellt).
In der Folge richtete die belangte Behörde an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und an den Beschwerdeführer jeweils ein Schreiben datiert mit 23.8.2017 gemäß § 55 Abs. 3 NAG. Am 15.3.2018 teilte die belangte Behörde dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit, aufgrund der "festgestellten Aufenthaltsehe wird ein Feststellungsbescheid erlassen."
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 3.8.2018 stellte daraufhin die belangte Behörde nach Gewährung von Parteiengehör von Amts wegen fest, dass der Beschwerdeführer kein Angehöriger einer EWR-Bürgerin ist, im Zeitpunkt seines Zuzugs nach Österreich nicht war und ihm daher zu keiner Zeit ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukam. Als Rechtsgrundlage stützte sich der angefochtene Feststellungsbescheid auf § 54 Abs. 1 und 7 in Verbindung mit § 55 Abs. 3 vorletzter Satz NAG.
II. Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:
II.1. Rechtlicher Rahmen
Das NAG wurde zuletzt durch das am 14.8.2018 kundgemachte Fremdenrechtsänderungsgesetz 2018 - FrÄG 2018, BGBl. I Nr. 56/2018, novelliert.
§ 54 Abs. 7 NAG (in der geltenden Fassung des FrÄG 2011, BGBl. I Nr. 2011/38) lautet:
"(7) Liegt eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30), eine Zwangsehe oder Zwangspartnerschaft (§ 30a) oder eine Vortäuschung eines Abstammungsverhältnisses oder einer familiären Beziehung zu einem unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger vor, ist ein Antrag gemäß Abs. 1 zurückzuweisen und die Zurückweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass der Antragsteller nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts fällt."
§ 55 Abs. 2 und 3 NAG hat folgenden Wortlaut (mit der zuletzt durch das FrÄG 2017, BGBl. I Nr. 145/2017 [bzw. BGBl. I Nr. 84/2017], erfolgten Novelle wurde die hervorgehobene Wortfolge "nicht oder" in den ersten Satz des Abs. 3 eingefügt; der als Rechtsgrundlage im angefochtenen Bescheid zitierte vorletzte bzw. dritte Satz ist hervorgehoben):
"(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs. 3 und 54 Abs. 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.
(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt."
II.2. Rechtliche Beurteilung
Der angefochtene Feststellungsbescheid wurde von Amts wegen erlassen. Ein noch offener Antrag des Beschwerdeführers ging dieser Bescheiderlassung nicht voraus. Das ursprünglich mit seinem Antrag vom 19.2.2016 eingeleitete Verfahren war mit Ausfolgung der Aufenthaltskarte am 18.3.2016 abgeschlossen und dieser Antrag des Beschwerdeführers damit erledigt (Hengstschläger/Leeb, Kommentar zum AVG, § 13 AVG (Stand 1.1.2014, rdb.at) Rz. 1). Die nachfolgende amtswegige Verfahrenseinleitung durch die belangte Behörde mit der Erlassung des angefochtenen Feststellungsbescheids ist auf die Meldungen der Landespolizeidirektion Wien im Jahr 2016, deren weitere Ermittlungen im Sommer 2016 und die nachfolgende strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers im Dezember 2016 zurückzuführen.
Bei dieser Sachlage bestand nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts Wien für die amtswegige Einleitung eines Verfahrens und Erlassung eines (Feststellungs-)Bescheids durch die belangte Behörde keine Rechtsgrundlage. Sie fehlt auch dann, wenn sich nachträglich (erwiesenermaßen) herausstellt, dass die Voraussetzungen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts (wegen einer Aufenthaltsehe) bereits bei der erstmaligen Ausstellung der Aufenthaltskarte nicht vorlagen bzw. zu keiner Zeit gegeben waren (in diese Richtung VwGH 18.4.2018, Ra 2018/22/0063, Rz. 5). Eine entsprechende Bestimmung findet sich weder im Verfahrensrecht, weil § 69 Abs. 1 und 3 AVG die Voraussetzung "eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens" erfordert (so das auch von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 16.8.2016, VGW-151/082/?7199/2015). Noch ist eine materiengesetzliche Regelung für eine solche Feststellung vorhanden (vgl. etwa § 3 Abs. 5 NAG - einschränkend allerdings VwGH 13.10.2011, 2009//22/?0330, im Hinblick auf die damals unionskonform auszulegende Rechtslage vor Einführung der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit). Zwar sind in § 55 Abs. 2 NAG bestimmte Sachverhalte als "besonderer Anlass" für eine Überprüfung und damit für ein behördliches Tätigwerden der Niederlassungsbehörde vorgesehen, ohne ihr dabei aber (sogleich) auch die Befugnis zur Erlassung eines Bescheids einzuräumen (was letztlich auf den Fall des Abs. 5 leg. cit. beschränkt ist).
§ 55 Abs. 3 dritter Satz NAG stellt ebenfalls keine (implizite) Grundlage für die amtswegige Erlassung eines Feststellungsbescheids (unter anderem) in den Fällen einer Aufenthaltsehe dar. Diese Regelung ist im Zusammenhang mit § 54 Abs. 7 NAG zu sehen (VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0151, Rz. 17 f). Sie gilt in erster Linie in einem anhängigen Verfahren zur Erteilung einer Aufenthaltskarte gemäß § 54 Abs. 1 NAG. Bei dieser Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts handelt es sich um einen (ausschließlich) antragsbedürftigen Verwaltungsakt (vgl. auch die Strafnorm des § 77 Abs. 1 Z 4 NAG; und VwGH 26.4.2016, Ra 2015/?09/?0137, Rz. 10 und 13; sowie allgemein Hengstschläger/Leeb, Kommentar zum AVG, § 39 AVG (1.7.2015, rdb.at) Rz. 3 f). Einem begründeten Antrag wird durch Ausfolgung der Aufenthaltskarte faktisch entsprochen. Im Fall einer Aufenthaltsehe besteht das Aufenthaltsrecht nicht. Die Erledigung des Verfahrens hat dann durch Bescheid zu erfolgen. Kraft ausdrücklicher Anordnung des § 55 Abs. 3 dritter Satz NAG sind dann nicht die Verfahrensschritte gemäß dessen erstem und zweitem Satz zu setzen (Befassung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl mit einer Aufenthaltsbeendigung und Mitteilung an den Antragsteller bei gleichzeitiger Hemmung etwaiger Entscheidungsfristen). Vielmehr ist in diesem Verfahrensstadium mit einer Zurückweisung des Antrags vorzugehen, die mit der Feststellung zu verbinden ist, dass der Antragsteller nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts fällt (Abermann/Czech/?Kind/?Peyrl, Kommentar zum Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (2016), § 55 Rz. 5 f).
Gegen die Möglichkeit der Einleitung eines Verfahrens nach § 54 NAG von Amts wegen (insbesondere bei fortbestehender Gültigkeit der zuletzt ausgestellten Bescheinigung) mit dem Ziel einer bescheidmäßigen Feststellung gemäß § 54 Abs. 7 letzter Halbsatz NAG spricht demnach auch der Wortlaut dieser Bestimmung, der diesen Ausspruch an eine Antragszurückweisung knüpft, die damit einherzugehen hat und daher schon begrifflich das Vorliegen eines Antrags voraussetzt (Abermann/?Czech/?Kind/?Peyrl, Kommentar zum Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (2016), § 54 Rz. 22 f).
Den allgemeinen verfahrensrechtlichen Überlegungen der belangten Behörde und der dazu zitierten Rechtsprechung des VwGH zur Zulässigkeit von Anträgen auf Erlassung eines Feststellungsbescheids ist entgegenzuhalten, dass sich daraus kein hoheitliches Feststellungsinteresse (in Vollziehung der Gesetzte) gegenüber Parteien ableiten lässt (VwGH 10.4.2018, Ra 2018/03/0030, Rz. 23 ff; und VwGH 16.05.2011, 2011/17/0007). Zudem kann die Frage des Aufenthalts(rechts) des Beschwerdeführers im dafür vorgesehenen Verfahren gemäß § 55 Abs. 3 NAG über Befassung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer Aufenthaltsbeendigung geklärt werden (VwGH 18.6.2013, 2012/18/0005), ohne dass dem dessen dritter Satz entgegensteht, weil mangels Antrags in einem anhängigen Verfahren dann auch kein "Fall gemäß § 54 Abs. 7 NAG" vorliegt.
Die belangte Behörde nahm daher eine Entscheidungskompetenz in Anspruch, die ihr nicht zukam und die der Erlassung des angefochtenen Feststellungsbescheids entgegenstand (Hengstschläger/Leeb, Kommentar zum AVG, § 28 VwGVG (15.2.2017, rdb.at) Rz. 74 f). Ein Vorgehen gemäß § 55 Abs. 3 NAG durch das Verwaltungsgericht Wien hatte schon im Hinblick auf die bereits gesetzten Schritte der belangten Behörde im August 2017 zu unterbleiben (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/22/0024, Pkt. 4.7, betreffend § 25 NAG). Das weitere Verfahren ist im Anschluss an das Ergebnis aus der Befassung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl ebenfalls von der belangte Behörde fortzuführen.
Der angefochtene Bescheid ist daher wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde ersatzlos zu beheben.
Die Durchführung einer Verhandlung konnte im Sinne des § 24 Abs. 2 Z 1 und Abs. 4 VwGVG entfallen, weil bei unstrittigem Sachverhalt (lediglich zur Erörterung schriftlich dargelegter Rechtsauffassungen) die Akten erkennen lassen, dass die (beantragte) mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt.
Die ordentliche Revision ist zulässig, weil zur vorliegenden Konstellation eines dokumentierten, aber (potenziell) nie bestandenen unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts die gebotene (behördliche) Vorgehensweise in der verwiesenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht hinreichend geklärt erscheint, sodass eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG vorliegt.
Schlagworte
Aufenthaltskarte; Aufenthaltsehe; Feststellungsbescheid; amtswegige Verfahrenseinleitung; Rechtsgrundlage; FeststellungsinteresseEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2018:VGW.151.082.11814.2018Zuletzt aktualisiert am
06.12.2018