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97 VergabewesenNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Unterlassung der Vorlage einer vorlagepflichtigen Frage der Interpretation des Gemeinschaftsrechts an den EuGH seitens des BundesvergabeamtesSpruch
Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. a) Die beschwerdeführende Gesellschaft beantragte am 16. September 1996 beim Bundesvergabeamt (künftig: BVA) unter anderem die Feststellung, daß der Zuschlag für die Lieferung eines sog. automatischen Öko-Punkte-Systems samt Nebenleistungen (umfassend unter anderem die Lieferung elektronischer und nachrichtentechnischer Einrichtungen, die Entwicklung von Software, alle damit verbundenen notwendigen baulichen Maßnahmen für die Errichtung von Raumzellen und Tragekonstruktionen, die Herstellung von Kabelwegen ua.), der am 5. September 1996 an die Kapsch AG und damit an einen anderen Bewerber um diese Lieferung vergeben worden war, unter Verletzung der Bestimmungen des BVergG erteilt wurde und daß der Zuschlag der beschwerdeführenden Gesellschaft zu erteilen gewesen wäre. Weiters wurde die Aufhebung des Zuschlags beantragt. Gleichzeitig wurden auch Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung gestellt.
Dabei beantragte die in diesem Verfahren beschwerdeführende
Gesellschaft, "das Bundesvergabeamt möge ... der Republik
Österreich (gemeint: dem Bund) durch einstweilige Verfügung
verbieten, den Vertrag mit der Kapsch AG durchzuführen, bis eine
endgültige Entscheidung des Bundesvergabeamtes oder des EuGH
ergangen ist; ... in eventu der Republik Österreich (gemeint: dem
Bund) durch einstweilige Verfügung für die Dauer von einem Monat verbieten, den Vertrag mit der Kapsch AG durchzuführen".
Weiters wurde angeregt, das BVA wolle ein Vorabentscheidungsersuchen zur Klärung verschiedener Fragen der Auslegung der Richtlinie 89/665/EWG des Rates (der Europäischen Gemeinschaften) vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (Rechtsmittelrichtlinie) an den EuGH stellen; insbesondere sollte das BVA den EuGH mit der Frage befassen, ob die Richtlinie von den Mitgliedstaaten eine Regelung verlange, derzufolge eine Zuschlagsentscheidung im Falle ihrer Rechtswidrigkeit aufzuheben ist, und ob sie verlange, daß die Realisierung des Vorhabens nach Zuschlagserteilung für den Fall durch einstweilige Verfügung aufgeschoben werden müsse, daß die Rechtmäßigkeit des Zuschlags Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens ist.
b) Mit Bescheid vom 18. September 1996 wies das BVA diese beiden Anträge zurück. Begründend führte es aus, die Erlassung einer einstweiligen Verfügung sei gemäß §91 Abs2 und 3 des Bundesvergabegesetzes (BVergG) (nunmehr §113 Abs2 und 3 des mit BGBl. I 56/1997 wiederverlautbarten BVergG 1997) nur bis zum Zeitpunkt des Zuschlags zulässig, im gegenständlichen Fall sei der Leistungsvertrag aber durch Schlußbrief und Gegenschlußbrief vom 5. September 1996 bereits mit diesem Tag zustande gekommen.
Auch aus gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften sei eine Anordnung nicht zu entnehmen, die das BVA berechtigen würde, den gestellten Anträgen stattzugeben. Dazu führte das BVA aus:
"Die Antragstellerin macht in ihrem Einleitungsschriftsatz eine Reihe von gemeinschaftsrechtlichen Erwägungen geltend, die ihrer Ansicht nach dazu führen, daß das Bundesvergabeamt verpflichtet wäre, entgegen den Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes auch nach Zuschlagserteilung eine einstweilige Verfügung zu erlassen.
Insbesondere beruft sich der Einschreiter auf den Beschluß des Präsidenten des Europäischen Gerichtshofes vom 22. April 1994 in der Rechtssache C-87/94 R (Sammlung der Rechtsprechung 1994, S. I- 1395). In diesem Verfahren hat die Europäische Kommission eine Vertragsverletzungsklage gemäß Art169 gegen das Königreich Belgien erhoben und die Feststellung beantragt, daß das Königreich Belgien dadurch gegen sein Verpflichtungen aus der Richtlinie 90/531/EWG (Sektorenrichtlinie) verstoßen hat, daß es im Rahmen eines von der Societ regionale wallonne du transport (SRWT) ausgeschriebenen öffentlichen Auftrags nachträgliche Änderungen berücksichtigt hat, die an einem Angebot nach Öffnung der Angebote vorgenommen wurden. Mit besonderem Schriftsatz, der am selben Tag (11. März 1994) bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat die Kommission gemäß den Art186 EG-Vertrag, 36 der Satzung des Gerichtshofes und 83 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes im Verfahren der einstweiligen Anordnung beantragt, dem Königreich Belgien aufzutragen, alle erforderlichen Maßnahmen zu erlassen, um die Rechtswirkungen der Vergabeentscheidung der SRWT vom 6. Oktober 1993 und des zwischen dieser Gesellschaft und der erfolgreichen Bieterin geschlossenen Vertrages bis zum Erlaß des Urteils des Gerichtshofes im Verfahren zur Hauptsache auszusetzen. Der Präsident des Europäischen Gerichtshofes hat diesen Antrag der Europäischen Kommission zurückgewiesen, dies jedoch allein aus dem Grund, daß die Kommission zwischen dem Eingang der Beschwerde und der Abgabe einer mit Gründen versehenen Stellungnahme an das Königreich Belgien drei Monate habe verstreichen lassen und somit nicht so gehandelt habe, daß die Auftraggeberin so rasch wie möglich erfuhr, daß sie die Durchführung des Vertrages auf eigene Gefahr fortsetzte. Unter diesen Umständen habe die Kommission nicht so rasch gehandelt, wie man dies von einer Partei erwarten mußte, die später einen Antrag auf einstweilige Anordnung stellen will.
Daraus schließt die Antragstellerin zunächst, daß im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof dem Europäischen Gerichtshof die Erlassung von einstweiligen Anordnungen möglich ist, die in bereits geschlossene Verträge, die das Ergebnis eines Vergabeverfahrens darstellen, eingreifen kann. Er schließt weiter daraus, daß daher schon das Bundesvergabeamt berechtigt sei, eine derartige Entscheidung zu fällen. Entsprechend den Ausführungen des Einschreiters dürfe gemäß der ständigen Rechtsprechung des EuGH ein nationales Gericht durch nationale Bestimmungen nicht daran gehindert werden, Gemeinschaftsrecht zu vollziehen und somit wäre das Bundesvergabeamt zur Aufhebung des Zuschlages und zur Aufhebung des Vertrages mit der Firma Kapsch AG berechtigt.
Unabhängig von den zuletzt genannten Ausführungen, deren Prüfung nicht Gegenstand des Verfahrens auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung sind, war vom erkennenden Senat zunächst zu prüfen, ob das Gemeinschaftsrecht tatsächlich eine Basis für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung durch das Bundesvergabeamt bietet. Art2 Abs6 der Richtlinie 89/665/EWG räumt den Mitgliedstaaten ausdrücklich das Recht ein, in ihren nationalen Rechtsordnungen vorzusehen, daß nach Abschluß des Vertrages die Möglichkeit des Bieters zur Bekämpfung eines Vergabeverfahrens auf die Gewährung von Schadenersatz beschränkt werden kann. Der österreichische Gesetzgeber hat von dieser ihm eingeräumten Möglichkeit in §91 bis 95 BVergG offensichtlich Gebrauch gemacht.
Zu dieser Bestimmung der Richtlinie 89/665 hat der Präsident des Europäischen Gerichtshofes in seinem Beschluß in der Rechtssache C-87/94 R folgendes erwogen: '... zeigen die Materialien und die Vorschriften dieser Richtlinien selbst, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber wegen der Unterschiedlichkeit der nationalen Rechtsordnungen und im Bestreben, dem Grundsatz der Rechtssicherheit möglichst weitgehende Rechnung zu tragen, den Rechtsbehelfen vor Vergabe des Auftrages den Vorzug gegeben hat. Dadurch, daß er festgelegt hat, daß sich die Wirkungen eines Rechtsbehelfs auf einen bereits geschlossenen Vertrag nach nationalem Recht richten, und er es gestattet hat, daß ein Mitgliedstaat diese Wirkungen darauf beschränkt, der geschädigten Person Schadenersatz zuzuerkennen, hat er zugelassen, daß ein Staat auf nationaler Ebene die Aufhebung eines laufenden Vertrages ausschließen kann (Rz. 33). An anderer Stelle führt der Präsident des Gerichtshofes aus: 'Die Nichtbeachtung einer für einen öffentlichen Auftrag geltenden Richtlinie stellt eine schwerwiegende Verletzung des Gemeinschaftsrechtes dar; stellt der (Europäische) Gerichtshof nachträglich - zumeist erst nach Durchführung des Vertrages - gemäß Art169 EG-Vertrag eine Vertragsverletzung fest, so kann dies den Schaden für die Gemeinschaftsrechtsordnung und für alle Bieter, die ausgeschaltet oder daran gehindert worden sind, sich unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes wirksam am Wettbewerb zu beteiligen, nicht beseitigen. Die Kommission kann daher als Hüterin der Verträge einen Antrag auf einstweilige Anordnung neben einer Vertragsverletzungsklage im Zusammenhang mit der Beanstandung eines Vergabeverfahrens für einen öffentlichen Auftrag einreichen (Rz. 31).'
Daraus ergibt sich, daß der Europäische Gerichtshof die Möglichkeit der Erlassung einer einstweiligen Anordnung nur für den Fall nicht ausgeschlossen hat, daß er selbst - aufgrund einer Klage der Europäischen Kommission gemäß Art169 EGV - gemäß Art186 EGV eine einstweilige Anordnung erläßt. Diese Anordnung zielt allerdings offensichtlich weniger auf den Schutz der konkret betroffenen Bieter und Bewerber als auf den abstrakten Schutz der Gemeinschaftsrechtsordnung.
Dies erhellt allein daraus, daß die Europäische Kommission ausdrücklich in ihrer Rolle als 'Hüterin der Verträge' genannt wird. Aus den Ausführungen ergibt sich überdies, daß der Präsident des Europäischen Gerichtshofes keinerlei Bedenken gegen die gemeinschaftsrechtliche Regelung hat, wonach die Mitgliedstaaten die Wirkungen des Nachprüfungsverfahrens nach Vertragsabschluß darauf beschränken können, dem Geschädigten Schadenersatz zuzuerkennen.
Somit ist davon auszugehen, daß eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung zum Erlaß einer einstweiligen Verfügung für das Bundesvergabeamt nicht besteht. Daran ändert auch das vom Einschreiter offenbar angesprochene Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 19. Juni 1990 in der Rechtssache C-213/89 (Sammlung der Rechtsprechung 1990, S. I-2433) nichts, wonach ein Gericht, das aufgrund des Gemeinschaftsrechts einstweilige Anordnungen zu erlassen hätte, Vorschriften des nationalen Rechts nicht anwenden darf, die dem Erlaß einer solchen einstweiligen Anordnung entgegenstehen. Im zitierten Fall bestand eine klare Anordnung des Gemeinschaftsrechts, die das Gericht zu vollziehen hat. Eine solche Anordnung des Gemeinschaftsrechts vermag der erkennende Senat weder aus dem Gemeinschaftsrecht, noch aus der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes zu gewinnen."
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, des Gleichheitsgrundsatzes sowie eine Rechtsverletzung wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.
Begründend wird dazu unter anderem vorgebracht, das BVA hätte ungeachtet des Art91 Abs2 und 3 BVergG (i.e. §113 Abs2 und 3 BVergG 1997) in richtlinienkonformer Auslegung eine einstweilige Verfügung auch nach Zuschlagserteilung erlassen müssen:
"Das Bundesvergabeamt hätte über den Antrag auf Erlassung einstweiliger Verfügungen in der Sache selbst unter Abwägung der geltend gemachten Interessen sowie des öffentlichen Interesses entscheiden müssen.
Aus dem Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung österreichischer Gesetze ergibt sich, daß §91 Abs2 und 3 Bundesvergabegesetz so auszulegen ist, daß nach erfolgtem Zuschlag einem übergangenen Bieter die Gelegenheit geboten wird, den Zuschlag als solches zu bekämpfen.
Die in diesem Zusammenhang bedeutsame Rechtsmittelrichtlinie spricht im Artikel 2 Abs6 davon, daß ein Mitgliedstaat vorsehen kann, 'daß nach dem Vertragsschluß im Anschluß an die Zuschlagserteilung die Befugnisse der Nachprüfungsinstanz darauf beschränkt werden, einer durch einen Rechtsverstoß geschädigten Person Schadenersatz zuzuerkennen.'
Damit geht jedoch die Rechtsmittelrichtlinie offensichtlich von einem zeitlichen Auseinanderklaffen zwischen Vertragsschluß und Zuschlagserteilung aus. Dieses zeitliche Auseinanderklaffen ermöglicht den Bietern in einer angemessenen, wenn auch kurzen, Zeit, den Zuschlag zu bekämpfen, um so nicht nur auf Schadenersatz angewiesen zu sein, sondern auch den Auftrag als solches noch erhalten zu können.
...
Die Entstehungsgeschichte der Rechtsmittelrichtlinie zeigt, daß diese das französische Modell der Auftragsvergabe - also Verfahren zur Zuschlagserteilung und zeitlich getrennt privatrechtlicher Vertragsabschluß - verfolgt, wonach sich auch die Umsetzung in nationales - hier österreichisches - Recht zu orientieren hat.
Es kann sohin Art2 Abs6 der Rechtsmittelrichtlinie nicht dahingehend ausgelegt werden, daß die Aufhebung eines Zuschlages und die Erlassung einstweiliger Verfügungen betreffend die Auftragsdurchführung per se ab Zuschlagserteilung bzw. Vertragsabschluß, welcher mit Bekanntwerden der Zuschlagserteilung bei dem den Zuschlag erhaltenden Bieter angenommen wird, ausgeschlossen werden.
...
Aus genannten Gründen hätte daher aufgrund des Grundsatzes der richtlinienkonformen Auslegung österreichischer Gesetze das Bundesvergabeamt §91 Abs2 und 3 des Bundesvergabegesetzes dahingehend auszulegen gehabt, daß sehr wohl die Erlassung einer einstweiligen Verfügung auch nach Zuschlagserteilung möglich ist. Sohin hätte aber das Bundesvergabeamt über den Antrag auf Erlassung einstweiliger Verfügungen in der Sache selbst unter Abwägung der geltendgemachten Interessen sowie des öffentlichen Interesses entscheiden müssen.
Dadurch, daß das Bundesvergabeamt jedoch nicht in der Sache selbst entschieden hat, sondern den Antrag vor Prüfung der Sache zurückgewiesen hat, sind wir im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter insofern verletzt worden, als dieses nicht nur abstrakt die Entscheidung durch den zuständigen Richter, sodann auch die materielle Einlassung auf den geltendgemachten Anspruch bzw. das geltendgemachte Begehren umfaßt."
Unter der Annahme, das BVA habe diese Auslegung nicht für möglich gehalten, hätte es jedoch
"diese Fragen dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegen müssen. Diese Vorlage hätte bereits vor der Entscheidung über die Erlassung oder Nichterlassung einstweiliger Verfügungen vorgenommen werden müssen, da die europarechtliche Frage in dieser Angelegenheit bereits von Bedeutung für die Frage der Erlassung einstweiliger Verfügungen ist. §91 Abs2 und 3 Bundesvergabegesetz beschränkt nach Auslegung durch das Bundesvergabeamt in richtlinienwidriger Weise den Rechtsschutz der übergangenen Mitbieter. Gerade die Frage, ob es daher mit EU-Recht, insbesondere Art2 Abs6 der Rechtsmittelrichtlinie, vereinbar sei, im nationalen Recht vorzusehen, daß ein Vertrag als im Zeitpunkt des Zugangs der Zuschlagserteilung geschlossen betrachtet wird und die Befugnisse der Nachprüfungsinstanz bereits ab diesem Zeitpunkt darauf beschränkt werden, einer durch den Rechtsverstoß geschädigten Person Schadenersatz zuzuerkennen, ist unzweifelhaft bereits für die Zulässigkeit der Erlassung einer einstweiligen Verfügung von Bedeutung.
Hierzu ist auszuführen, daß eine derartige zeitliche Parallelität zwischen Zuschlagserteilung und Vertragsabschluß neben Österreich lediglich in deutschen Gesetzen vorgesehen ist und die Frage der Zulässigkeit dieser Bestimmung bisher vom europäischen Gerichtshof keiner Prüfung unterzogen wurde.
Sämtliche andere EU-Mitgliedstaaten sehen eine größere Zeitdifferenz zwischen Zuschlagserteilung und Vertragsabschluß im Anschluß an die Zuschlagserteilung vor, sodaß in diesen Staaten gemäß nationalen Vergabegesetzen die Überprüfung des Zuschlages nach materiellen Kriterien mit der Maßgabe möglich ist, daß letztlich die Zuschlagserteilung aufgehoben und der Zuschlag einem anderen Bieter erteilt wird. Daß dies unzweifelhaft auch der Sinn von Art2 Abs6 Rechtsmittelrichtlinie ist, wurde bereits oben aufgezeigt.
Im Hinblick auf das Fehlen einschlägiger EuGH-Judikatur liegt sohin keinesfalls ein acte clair vor und hätte das Bundesvergabeamt die von uns aufgeworfenen Fragen, insbesondere Frage 4, welche unzweideutig von Relevanz für die Zulässigkeit einer einstweiligen Verfügung ist, vor Zurückweisung der Anträge auf Erlassung einstweiliger Verfügungen dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegen müssen.
Daß das Bundesvergabeamt ein Gericht im Sinn des Artikel 177 EGV ist, muß wohl nicht gesondert betont werden.
Durch die Nichtvorlage der aufgeworfenen Fragen hat sohin das Bundesvergabeamt die Beschwerdeführerin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt."
3. Das BVA trat als belangte Behörde in einer Äußerung der Auffassung der beschwerdeführenden Gesellschaft entgegen, nahm jedoch von einer Antragstellung im Verfahren Abstand. Es hält die Beschwerde - ungeachtet des von ihr für verfassungswidrig erachteten §93 Abs7 BVergG in der im Verfahren maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl. 776/1996 - für zulässig und führt in der Sache aus:
"Das Bundesvergabeamt verkennt nicht den Umstand, daß es als 'Gericht' im Sinne des Art177 Abs3 EG-Vertrag verpflichtet ist, bei ihm anhängig gemachte Rechtsfragen des Gemeinschaftsrechts unter Beachtung der Bestimmungen des Art177 EG-Vertrag und der hiezu ergangenen Urteile des Europäischen Gerichtshofes diesem vorzulegen, solange keine hinreichend klare Rechtsprechung des Gerichtshofes besteht.
Gemäß §91 Abs3 BVergG ist das Bundesvergabeamt nach erfolgtem Zuschlag ausschließlich zuständig, festzustellen, ob wegen eines Verstoßes gegen dieses Bundesgesetz oder die hiezu ergangenen Verordnungen der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt wurde. Aufgrund der Aktenlage ergibt sich, daß der Zuschlag im Sinne des Bundesvergabegesetzes am 5. September 1996 erteilt und der Leistungsvertrag mit Gegenschlußbrief vom selben Tag zustandegekommen ist. Somit geht der Senat davon aus, daß gemäß den Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes keine Zuständigkeit zur Erlassung einstweiliger Verfügungen mehr besteht.
Wie das Bundesvergabeamt bereits in seiner bekämpften Entscheidung umfangreich ausgeführt hat, kann das Bundesvergabeamt im vorliegenden Fall keine konkrete gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung erblicken, auf die sich der Beschwerdeführer mit Erfolg stützen könnte.
Zwar vermag das Bundesvergabeamt dem inhaltlichen Vorbringen der Antragstellerin, wonach der Umstand, daß das österreichische Recht keine gesonderte, vom Vertragsabschluß abgetrennte Zuschlagserteilung vorsieht, nicht jenem System entspricht, von dem die Rechtsmittelrichtlinie ausgeht, eine gewisse innere Logik nicht abzusprechen. Die Antragstellerin übersieht aber offensichtlich, daß auch der Leistungsvertrag bereits zustandegekommen ist. Wann der Leistungsvertrag zustandekommt, ist eine Frage des innerstaatlichen (Zivil-)Rechts und nicht des Gemeinschaftsrechts. Der gegenständliche Sachverhalt ist daher so zu betrachten, daß von einem gültigen Zustandekommen des Leistungsvertrages auszugehen ist.
Art2 Abs6 der Rechtsmittelrichtlinie stellt es den Mitgliedstaaten anheim, in ihrem nationalen Recht Festlegungen über das Nachprüfungsverfahren nach Zuschlagserteilung dahingehend zu treffen, daß sich die Wirkungen der Ausübung der Befugnisse der nationalen Vergabekontrollorgane auf einen bereits geschlossenen Leistungsvertrag ausschließlich nach den Bestimmungen des nationalen Rechts richten. Diese Bestimmung der Rechtsmittelrichtlinie wird vom Beschwerdeführer auch ausdrücklich zitiert. Der österreichische Gesetzgeber hat offensichtlich den Weg gewählt, bei Verstößen gegen das Bundesvergabegesetz, die nach Zuschlagserteilung und damit nach Vertragsabschluß bekämpft werden, den Antragsteller auf Schadenersatz zu beschränken.
Dem Argument der Beschwerdeführerin, die Entstehungsgeschichte der Rechtsmittelrichtlinie zeige, daß diese das französische Modell der Auftragsvergabe, also Verfahren zur Zuschlagserteilung und zeitlich getrennt privatrechtlicher Vertragsabschluß (gemeint ist wohl Vertragsabschluß nach Rechtskraft der - öffentlich rechtlichen - Zuschlagsentscheidung) verfolge und dies zu dem Ergebnis führe, daß sich die Mitgliedstaaten der Union bei ihrer Umsetzung an diesem Modell zu orientieren hätten, vermag das Bundesvergabeamt jedoch nicht zu folgen. Zum einen ist darauf hinzuweisen, daß die Beschwerdeführerin für diese ihre bloße Behauptung keinerlei verwertbare Unterlagen beigelegt hat, zum anderen würde dies bedeuten, daß für die Beurteilung einer gemeinschaftsrechtlichen Norm das Rechtssystem eines bestimmten Mitgliedstaates zur Interpretation heranzuziehen ist. Für diese gemeinschaftsrechtliche Anordnung geben diese Bestimmungen der Rechtsmittelrichtlinie keinerlei Hinweis.
Zu der von der Beschwerdeführerin in ihrem ursprünglichen Antrag zitierten Entscheidung des Präsidenten des Europäischen Gerichtshofes vom 22. April 1994 in der Rechtssache C-87/94 R, die sie im übrigen in ihrer Beschwerde vom 25. Oktober 1996 nicht mehr vorbringt, ist festzuhalten, daß durchaus die Möglichkeit besteht, daß der Europäische Gerichtshof im Wege der einstweiligen Anordnung in bereits abgeschlossene Leistungsverträge eingreift. Rechtsgrundlage für diesen Eingriff ist aber nicht die Rechtsmittelrichtlinie, sondern die Satzung des Europäischen Gerichtshofes und der Gemeinschaftsvertrag selbst. Zweck des Eingriffes ist weniger der Schutz des individuellen Rechtsanspruches des Bieters, sondern der abstrakte Schutz der Gemeinschaftsrechtsordnung. Eine derartige Kompetenz kommt jedoch ausschließlich dem Europäischen Gerichtshof, nicht aber dem Bundesvergabeamt zu.
Somit hat die Antragstellerin in letzter Konsequenz keine konkrete Bestimmung des Gemeinschaftsrechts dargetan, auf die sie ihr Vorbringen gegenüber dem Bundesvergabeamt stützen könnte. Die bloße Annahme einer abstrakten Gemeinschaftsrechtsverletzung allein kann aber nicht Grundlage eines Vorabentscheidungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof sein.
Die von der Beschwerdeführerin relevierte Frage der Vereinbarkeit des nationalen Rechts (Zuschlagsregelung) mit dem Gemeinschaftsrecht stellt aber keine vorlagefähige Frage im Sinne des Art177 EG-Vertrag dar (vgl. statt vieler die Entscheidung des Gerichtshofes in der Rechtssache Costa/ENEL, Rs. 6/64, Slg. 1964, S. 1215 ff)."
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die beschwerdeführende Gesellschaft ist gemäß Art144 Abs1 B-VG als Adressat des bekämpften Bescheides, mit dem ein von ihr gestellter Antrag zurückgewiesen wurde, zu dessen Anfechtung legitimiert. Dem steht auch die zum Zeitpunkt der Einbringung der vorliegenden Beschwerde geltende Bestimmung des §93 Abs7 BVergG nicht entgegen, demzufolge einstweilige Verfügungen nicht abgesondert von der endgültigen Entscheidung in der Sache selbst bekämpft werden konnten. Denn wie immer diese Bestimmung zu deuten gewesen sein mag (vgl. dazu Thienel, WBl. 1993, 382), sie stand jedenfalls der Bekämpfung eines Bescheides nicht entgegen, mit dem der Antrag einer Partei auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung förmlich zurückgewiesen wird. Angesichts dessen ist die Bestimmung im vorliegenden Verfahren auch nicht präjudiziell, sodaß sich aus Anlaß dieses Verfahrens Überlegungen zur Frage erübrigen, ob die - inzwischen aufgehobene (vgl. §103a Abs3 Z2 BVergG idF BGBl. 776/1996) - Bestimmung verfassungswidrig war.
Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, ist die Beschwerde zulässig.
2. a) Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird unter anderem dann verletzt, wenn eine als Gericht iSd Art177 EGV zu qualifizierende Verwaltungsbehörde entgegen der Anordnung des Art177 Abs3 EGV eine vorlagepflichtige Frage der Interpretation des Gemeinschaftsrechts dem Europäischen Gerichtshof nicht zur Vorabentscheidung vorgelegt hat, wobei nicht nur eine grobe, sondern jede Verletzung der Vorlagepflicht zu dieser Konsequenz führt (vgl. mit näherer Begründung VfGH 11.12.1995, B2300/95). Ein solcher Fehler ist dem belangten BVA, an dessen Gerichtsqualität iSd Art177 Abs3 EGV der Verfassungsgerichtshof keine Zweifel hegt (vgl. auch dazu die eben zitierte Entscheidung), im vorliegenden Fall vorzuwerfen.
b) Das BVA hat den von der beschwerdeführenden Gesellschaft gestellten Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Daß sich diese Entscheidung auf §91 Abs2 und 3 BVergG zu stützen vermag, ist nicht zweifelhaft.
Diese Bestimmung lautete in der hier maßgeblichen Fassung (vor der Novelle BGBl. 776/1996):
"(2) Bis zum Zeitpunkt des erfolgten Zuschlages ist das Bundesvergabeamt zum Zwecke der Beseitigung von Verstößen gegen dieses Bundesgesetz und die hiezu ergangenen Verordnungen zuständig
1. zur Erlassung einstweiliger Verfügungen sowie
2. zur Nichtigerklärung rechtswidriger Entscheidungen der vergebenden Stellen des Auftraggebers.
(3) Nach erfolgtem Zuschlag ist das Bundesvergabeamt zuständig, festzustellen, ob wegen eines Verstoßes gegen dieses Bundesgesetz oder die hiezu ergangenen Verordnungen der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt wurde. In einem solchen Verfahren ist das Bundesvergabeamt ferner zuständig, auf Antrag des Auftraggebers festzustellen, ob einem übergangenen Bewerber oder Bieter auch bei Einhaltung der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes und der hiezu ergangenen Verordnungen der Zuschlag nicht erteilt worden wäre."
Fraglich und im Verfahren umstritten ist jedoch, ob einer Anwendung dieser Bestimmung unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht entgegensteht, sodaß das BVA jene aus §91 Abs2 Z1 und Abs3 BVergG erfließende Anordnung, daß eine einstweilige Verfügung nur bis zum Zeitpunkt des erfolgten Zuschlags erlassen werden darf, unangewendet hätte lassen müssen.
c) In seiner Entscheidung vom 19. Juni 1990 in der Rs C213/89 (Factortame), Slg. 1990, I-2433, hat der EuGH unter Hinweis auf seine Judikatur zum Anwendungsvorrang unmittelbar anwendbaren Richtlinienrechts und zur Verpflichtung der innerstaatlichen Organe, Rechtsschutz zu gewährleisten, der sich für die einzelnen aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts ergibt, ausgeführt:
"Der Gerichtshof hat weiter entschieden, daß jede Bestimmung einer nationalen Rechtsordnung oder jede Gesetzgebungs-, Verwaltungs- oder Gerichtspraxis mit den in der Natur des Gemeinschaftsrechts liegenden Erfordernissen unvereinbar wäre, die dadurch zu einer Abschwächung der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts führen würde, daß dem für die Anwendung dieses Rechts zuständigen Gericht die Befugnis abgesprochen wird, bereits zum Zeitpunkt dieser Anwendung alles Erforderliche zu tun, um diejenigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften auszuschalten, die unter Umständen ein wenn auch nur vorübergehendes Hindernis für die volle Wirksamkeit der Gemeinschaftsnormen bilden (Rs. 106/77, Simmenthal II).
Die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts würde auch dann abgeschwächt, wenn ein mit einem nach Gemeinschaftsrecht zu beurteilenden Rechtsstreit befaßtes Gericht durch eine Vorschrift des nationalen Rechts daran gehindert werden könnte, einstweilige Anordnungen zu erlassen, um die volle Wirksamkeit der späteren Gerichtsentscheidung über das Bestehen der aus dem Gemeinschaftsrecht hergeleiteten Rechte sicherzustellen. Ein Gericht, das unter diesen Umständen einstweilige Anordnungen erlassen würde, wenn dem nicht eine Vorschrift des nationalen Rechts entgegenstünde, darf diese Vorschrift somit nicht anwenden.
Für diese Auslegung spricht auch das durch Artikel 177 EWG-Vertrag geschaffene System, dessen praktische Wirksamkeit beeinträchtigt würde, wenn ein nationales Gericht, das das Verfahren bis zur Beantwortung seiner Vorlagefrage durch den Gerichtshof aussetzt, nicht so lange einstweiligen Rechtsschutz gewähren könnte, bis es auf der Grundlage der Antwort des Gerichtshofes seine eigene Entscheidung erläßt."
Angesichts dessen sprach der EuGH aus, daß das Gemeinschaftsrecht dahin auszulegen sei, daß ein nationales Gericht, das in einem bei ihm anhängigen, das Gemeinschaftsrecht betreffenden Rechtsstreit zu der Auffassung gelangt, dem Erlaß einstweiliger Anordnungen stehe nur eine Vorschrift des nationalen Rechts entgegen, diese Vorschrift nicht anwenden dürfe.
Ganz im gleichen Sinn bestimmt Art2 Abs7 der Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG: "Die Mitgliedstaaten stellen sicher, daß die Entscheidungen der für Nachprüfungsverfahren zuständigen Instanzen wirksam durchgesetzt werden können."
Es ist daher für die Entscheidung über den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung von Bedeutung, ob sich aus einer unmittelbar anwendbaren Rechtsvorschrift des Gemeinschaftsrechts bei der Nachprüfung eines Vergabeverfahrens für das Kontrollorgan eine Verpflichtung zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung ergibt, mit der die Realisierung einer Zuschlagsentscheidung aufgeschoben wird.
d) Die Rechtslage stellt sich nach der mehrfach zitierten Rechtsmittelrichtlinie folgendermaßen dar:
Nach Art2 Abs1 der genannten Richtlinie haben die Mitgliedstaaten unter anderem sicherzustellen, daß für die Nachprüfungsverfahren
"die erforderlichen Befugnisse vorgesehen werden,
a)
damit so schnell wie möglich im Wege der einstweiligen Verfügung vorläufige Maßnahmen ergriffen werden können, um den behaupteten Rechtsverstoß zu
beseitigen oder weitere Schädigungen der betroffenen Interessen zu verhindern; dazu gehören Maßnahmen, um das Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags auszusetzen oder die Aussetzung zu veranlassen oder Maßnahmen der Durchführung jeder sonstigen
Entscheidung der öffentlichen Auftraggeber;
b)
damit die Aufhebung rechtswidriger Entscheidungen, einschließlich der Streichung diskriminierender technischer, wirtschaftlicher oder finanzieller Spezifikationen in den Ausschreibungsdokumenten, den Verdingungsunterlagen oder in jedem sonstigen sich auf das betreffende Vergabeverfahren beziehenden Dokument vorgenommen oder veranlaßt werden kann;
c)
damit denjenigen, die durch den Rechtsverstoß geschädigt worden sind, Schadenersatz zuerkannt werden kann."
Nach Abs2 dieses Artikels dürfen die in Abs1 genannten Befugnisse "getrennt mehreren Instanzen" übertragen werden.
Sodann wird in den Abs3 und 4 bestimmt:
"(3) Die Nachprüfungsverfahren haben als solche nicht notwendigerweise einen automatischen Suspensiveffekt auf die betreffenden Vergabeverfahren.
(4) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, daß die zuständige Instanz bei Prüfung der Frage, ob vorläufige Maßnahmen zu ergreifen sind, deren voraussehbare Folgen für alle möglicherweise geschädigten Interessen sowie das Interesse der Allgemeinheit berücksichtigen kann, und daß sie beschließen kann, diese Maßnahmen nicht zu ergreifen, wenn deren nachteilige Folgen die damit verbundenen Vorteile überwiegen könnten. Die Ablehnung der vorläufigen Maßnahmen beeinträchtigt nicht die sonstigen Rechte des Antragstellers."
Art2 Abs6 der zitierten Rechtsmittelrichtlinie schließlich ermächtigt die Mitgliedstaaten vorzusehen, "daß nach dem Vertragsschluß im Anschluß an die Zuschlagserteilung" die Befugnis der Nachprüfungsinstanz auf die Zuerkennung von Schadenersatz beschränkt wird.
e) Es ist in der vergaberechtlichen Diskussion umstritten (vgl. den im Verwaltungsverfahren mehrfach zitierten Beschluß des Präsidenten des EuGH in der Rechtssache C-87/94 R oder aus der Literatur etwa Triantafyllou, Europäisierungsprobleme des Verwaltungsprivatrechts am Beispiel des öffentlichen Auftragsrechts, NVwZ 1994, 943, 946), ob Art2 Abs1 litb iVm der zuletzt zitierten Bestimmung der Richtlinie verlangt, daß die Zuschlagserteilung und der Abschluß des Vertrages zur Erbringung der Leistung auseinanderfallen müssen und daß die Zuschlagserteilung für sich bekämpfbar sein muß, oder ob sie auch eine Regelung zuläßt, nach der - wie nach §9 Z14 iVm §41 Abs1 erster Satz BVergG bzw. §15 Z15 iVm §54 Abs1 erster Satz BVergG 1997 - der Auftrag mit der Verständigung von der Zuschlagserteilung zustandekommt, also die Zuschlagserteilung, wie sie nach außen in Erscheinung tritt, mit dem Vertragsabschluß im Regelfall zusammenfällt und ob sie diesfalls eine gesonderte Bekämpfbarkeit der Entscheidung über den Zuschlag verlangt:
So geht die Europäische Kommission in ihrem ein Verfahren gemäß Art169 EGV ankündigenden "Mahnschreiben" an den Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten vom 8. April 1997 zu von ihr behaupteten Verstößen im Verfahren zur Vergabe der Lieferung eines automatischen Öko-Punkte-Systems gegen das Gemeinschaftsrecht von jener Auffassung aus, während die Bundesregierung in ihrem Antwortschreiben die gegenteilige Ansicht vertritt.
Im genannten Schreiben der Kommission, das der Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten dem Verfassungsgerichtshof über dessen Aufforderung vorgelegt hat, heißt es hiezu u.a.:
"Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b) der Richtlinie 89/665/EWG normiert, daß für die Nachprüfungsverfahren erforderlichen Befugnisse vorgesehen werden, damit die Aufhebung 'rechtswidriger Entscheidungen', einschließlich der Streichung diskriminierender Spezifikationen in den Ausschreibungsunterlagen vorgenommen oder veranlaßt werden kann. Die Richtlinie macht keine näheren Angaben, was unter 'rechtswidriger' Entscheidung zu verstehen ist. Dennoch ist unzweifelhaft, daß es sich um einen umfassenden Begriff handelt, der auch die Zuschlagserteilung, also diejenige Entscheidung des Auftraggebers, die das Vergabeverfahren durch die Auswahl des konkreten Vertragspartners abschließt, erfaßt. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut des Artikels 2 Absatz 1 Buchstabe b) der Richtlinie 89/665/EWG und aus Artikel 2 Absatz 6 der Richtlinie 89/665/EWG, der die Zuschlagsentscheidung besonders anspricht und vom danach geschlossenen Vertrag mit dem Unternehmer unterscheidet. Vielmehr läßt sich dies auch aus dem Ziel der Richtlinie 89/665/EWG ableiten, die eine umfassende und effektive Durchsetzung der Vergabevorschriften bezweckt. Im übrigen wurde dieser generelle Begriff absichtlich gewählt, um jeglichen Verweis auf eine bestimmte juristische Form zu vermeiden und damit nicht durch einen juristischen Formalismus gebunden zu sein. Festzuhalten ist außerdem, daß der 'effet utile' der einstweiligen Verfügungen im spezifischen Fall der öffentlichen Auftragsvergabe in Frage gestellt wird, wenn die Zuschlagsentscheidung nicht jederzeit aufhebbar ist.
...
Der österreichische Gesetzgeber hat sich entschlossen, die Wirkungen eines Nachprüfungsverfahrens nach Abschluß des Vertrages auf die Zuerkennung von Schadenersatz zu beschränken. Damit wurde von einer in der Richtlinie ausdrücklich vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht. Zweifel an der Vereinbarkeit des österreichischen Systems mit der Richtlinie bestehen aber insofern, als durch diese Wahl sowie das Zusammenfallen von Zuschlagserteilung und Vertragsabschluß dem Bieter jede Möglichkeit genommen wird, die Zuschlagsentscheidung anzufechten und gleichzeitig einen Antrag auf Erlassung einstweiliger Verfügungen zu stellen. Dies steht aber dem von der Richtlinie geforderten wirksamen Nachprüfungsverfahren entgegen, wonach ein Antrag auf Erlassung einstweiliger Verfügungen zumindest bis zum Vertragsabschluß möglich sein muß.
Das Bundesvergabegesetz enthält keine Bestimmung, die definiert, was unter einer Entscheidung des Auftraggebers zu verstehen ist. Das BVergG legt daher auch keine bestimmte Form für die Entscheidung des Auftraggebers, einem bestimmten Bieter den Zuschlag zu erteilen, fest. Weiters ist nicht normiert, ob und wie die Bieter Kenntnis der Zuschlagsentscheidung erlangen können. Die eigentliche Zuschlagsentscheidung ist daher nach dem BVergG vielmehr ein organisationsinterner Beschluß des Auftraggebers, von dem die Bieter keine Kenntnis erlangen können. Nach außen tritt die Zuschlagsentscheidung erst mit Abgabe des 'Zuschlags', also in einem Moment, in dem unmittelbar danach - nach Zugang der Annahmeerklärung - der Vertrag abgeschlossen wird und eine Aufhebung der Zuschlagsentscheidung gemäß §94 Absatz 3 BVergG nicht mehr in Betracht kommt. Dies hat zur Folge, daß die Bieter keine Kenntnis von der Zuschlagsentscheidung erlangen und diese somit auch nicht anfechten können. Nach der Legaldefinition des §9 Ziffer 14 BVergG, wonach der Zuschlag die Angebotsannahmeerklärung ist, fällt die Zuschlagserteilung zeitlich de facto mit dem Vertragsabschluß zusammen. Damit existiert nach österreichischer Rechtsterminologie solange keine 'Zuschlagsentscheidung', als diese anfechtbar wäre; sobald sie aber für die Unternehmer erkennbar nach außen tritt und diese Maßnahmen zur Erlangung einstweiliger Verfügungen setzen könnten, ist sie gemäß §94 Absatz 3 BVergG nicht mehr anfechtbar.
Die Kommission stellt fest, daß die dargestellte österreichische Konzeption mit der Richtlinie 89/665/EWG nicht vereinbar ist. Dies gilt im besonderen für die fehlende Möglichkeit der Bieter, von der Zuschlagsentscheidung rechtzeitig zu erfahren, um noch einen Antrag auf Erlassung einstweiliger Verfügungen stellen zu können. Um jedoch von einem wirksamen Nachprüfungsverfahren sprechen zu können, muß die Anfechtung der Zuschlagsentscheidung jederzeit möglich sein."
Die Republik Österreich ist dieser Auffassung mit ihrem - dem Verfassungsgerichtshof über dessen Aufforderung ebenfalls vorgelegten - Antwortschreiben vom 5. Mai 1997 entgegengetreten. Sie meint, daß das BVergG
"von der Möglichkeit des Art2 Abs2 Unterabs. 2 der Rechtsmittelrichtlinie Gebrauch gemacht (hat). Nach dieser Bestimmung ist es den Mitgliedstaaten gestattet, 'daß nach dem Vertragsschluß im Anschluß an die Zuschlagserteilung die Befugnisse der Nachprüfungsinstanz darauf beschränkt werden, einer durch einen Rechtsverstoß geschädigten Person Schadenersatz zuzuerkennen'. Da gemäß §9 Z14 des Bundesvergabegesetzes unter den 'Zuschlag ... die an den Bieter abgegebene Erklärung, sein Angebot anzunehmen' zu verstehen ist, könnte man meinen, daß im Bundesvergabegesetz Zuschlagserteilung und Vertragsabschluß formal nicht auseinandergehalten werden und die Umsetzung durch das Bundesvergabegesetz den Anforderungen des Art2 Abs6 Unterabs. 2 der Rechtsmittelrichtlinie nicht genüge. Darauf ist jedoch zu erwidern, daß unabhängig von der in §9 Z14 festgeschriebenen Terminologie nach dem Bundesvergabegesetz - wie auch die Kommission zugesteht (S 8) - die eigentliche Zuschlagserteilung ein 'organisationsinterner Beschluß' ist. Das Vertragsverhältnis mit dem Bieter kommt hingegen gemäß §41 Abs1 Bundesvergabegesetz erst zustande, wenn der Bieter von der Annahme seines Angebotes verständigt wird bzw. mit seiner schriftlichen Erklärung, daß er den Auftrag annimmt. Art2 Abs6 der Rechtsmittelrichtlinie kann nach Auffassung der Republik Österreich nicht entnommen werden, daß ein solches System unzulässig wäre, da diese Bestimmung der Richtlinie an die Zuschlagserteilung keine besonderen Anforderungen stellt. Auch Art2 lita (einstweilige Verfügungen) und Art2 litb (Aufhebung rechtswidriger Entscheidungen) der Rechtsmittelrichtlinie vermögen an dieser Einschätzung nichts zu ändern, da sie offenkundig nicht auf das in Art2 Abs6 geregelte Verfahren abstellen. Schließlich führen nach Ansicht der Republik Ysterreich auch Rechtsschutzerwägungen zu keinem anderen Ergebnis, weil allfällige durch einen rechtswidrigen Zuschlag erlittene Nachteile bei diesem Verständnis von Art2 Abs6 im Wege einer Schadenersatzklage geltend gemacht werden können."
Die von der Republik Österreich gegenüber der Kommission vertretene Rechtsansicht unterscheidet also zwischen der Willensbildung über den Zuschlag und der nach außen tretenden Information darüber, geht also davon aus, daß Zuschlag und Beginn des Vertragsverhältnisses zwar auseinanderfallen, der Zuschlag aber als ein interner Akt der vergebenden Stelle nicht als "Entscheidung" im Sinne des Art2 Abs1 litb der Richtlinie zu qualifizieren ist, sodaß weder eine Aufhebung der Zuschlagsentscheidung in Betracht komme noch eine einstweilige Verfügung, die ihre Realisierung hemmt.
f) Für die Entscheidung der an das BVA gestellten Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ist es somit von wesentlicher Bedeutung, wie die Vorschriften des Art2 Abs1 lita und b sowie des Art2 Abs6 der Rechtsmittelrichtlinie zu verstehen sind. Denn sollten diese Bestimmungen so zu verstehen sein, daß sie eine Trennung von Zuschlag und Vertragsabschluß und die gesonderte Bekämpfbarkeit der Zuschlagsentscheidung verlangen, so dürfte der Ausschluß der Möglichkeit der Erlassung einer einstweiligen Verfügung zur Aufschiebung der Wirkung der Zuschlagsentscheidung wohl gemeinschaftsrechtswidrig sein. Dies müßte anscheinend dazu führen, daß das BVA bei seiner Entscheidung über einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung die dies bewirkende innerstaatliche Rechtsvorschrift unangewendet zu lassen oder die entsprechenden Rechtsvorschriften - anders als bisher die Praxis - richtlinienkonform auszulegen hat.
Die genannte Frage der Auslegung des Gemeinschaftsrechtes war für die Entscheidung des BVA relevant; sie zu klären ist im Rahmen des dualen Rechtsschutzsystems des Gemeinschaftsrechts Sache des EuGH, der aber bisher keine Gelegenheit hatte, die Frage in einer Entscheidung zu klären.
Da somit das BVA entgegen der Anordnung des Art177 Abs3 EGV eine vorlagepflichtige Frage der Interpretation des Gemeinschaftsrechts dem EuGH nicht zur Vorabentscheidung vorgelegt hat, hat es die beschwerdeführende Partei in ihrem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
3. Der Bescheid war daher aufzuheben, was gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden konnte.
4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG; vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen S 3.000,-- auf die Umsatzsteuer.
Schlagworte
Vergabewesen, EU-Recht Richtlinie, Anwendbarkeit EU-RechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1997:B3486.1996Dokumentnummer
JFT_10029374_96B03486_00