TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/7 W184 2114543-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.08.2018
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Entscheidungsdatum

07.08.2018

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §18
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §53
FPG §55

Spruch

W184 2114543-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Werner PIPAL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX alias XXXX , StA. Nigeria alias Sierra Leone, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.03.2018, Zl. 830725207/180231384, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10, 57 AsylG 2005, §§ 52, 53, 55 FPG und §§ 9, 18 BFA-VG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die beschwerdeführende Partei, ein männlicher Staatsangehöriger Nigerias, brachte nach der illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 02.06.2013 den ersten und am 08.03.2018 den vorliegenden zweiten Antrag auf internationalen Schutz ein.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde folgende Entscheidung über den zweiten Antrag getroffen:

"I. Der Antrag auf internationalen Schutz wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen.

II. Der Antrag auf internationalen Schutz wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen.

III. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG wird eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wird gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig ist.

IV. Gemäß § 53 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Z 6 FPG wird gegen Sie ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

V. Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wird gemäß § 18 Abs. 1 Z 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.

VI. Gemäß § 55 Abs. 1a FPG besteht keine Frist für die freiwillige Ausreise."

Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die Sachverhaltsfeststellungen und die Beweiswürdigung wurden im angefochtenen Bescheid folgendermaßen zusammengefasst (gekürzt und teilweise anonymisiert durch das Bundesverwaltungsgericht):

"... A) Verfahrensgang

...

Sie sind (illegal) in das Bundesgebiet eingereist.

Am 02.06.2013 stellten Sie Ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz, wobei Sie angaben, IKCUWU Emma zu heißen, am 07.08.1995 geboren und Staatsangehöriger von Sierra Leone zu sein. Sie begründeten Ihren Antrag im Wesentlichen damit, dass Ihre Eltern im Jahre 2011 von Unbekannten entführt worden seien. Sie hätten Angst gehabt, dass Ihnen Ähnliches widerfahren könnte, und hätten deshalb Ihr Heimatland verlassen.

Da Ihre Angaben zu Ihrem Alter mit Ihrem äußerlichen Erscheinungsbild nicht vereinbar schienen, wurde am 12.06.2013 eine Röntgenuntersuchung Ihrer Handwurzel zwecks näherer medizinischer Bestimmung Ihres Alters durchgeführt. Das Ergebnis der Untersuchung indizierte, dass Sie volljährig sind.

...

Ein in der Folge eingeholtes gerichtsmedizinisches Gutachten vom 14.08.2013 ergab, dass Sie zum Zeitpunkt der Untersuchung mindestens 20 Jahre alt waren. Aus gerichtsmedizinischer Sicht liege das wahrscheinliche Alter bei über 22 Jahren.

...

Am 22.07.2015 wurden Sie zum dritten Mal einvernommen. Dabei bestätigten Sie, im bisherigen Verfahren wahrheitsgetreue Angaben gemacht zu haben, und beriefen sich wiederum darauf, dass Ihre Eltern im Jahr 2011 in der Nacht aus ihrer Wohnung entführt worden wären. Sie hätten geschlafen und von der Entführung nichts mitbekommen. Ein nicht näher bezeichneter Mann hätte Ihnen anschließend zur Flucht verholfen. Die Entführung Ihrer Eltern stelle Ihren alleinigen Fluchtgrund dar; Sie seien in Ihrer Heimat nie staatlicherseits verfolgt worden. Auch von privater Seite habe es Ihnen gegenüber nie irgendwelche Übergriffe gegeben.

Mit Bescheid vom 27.08.2015 ... wies das Bundesamt Ihren Antrag

sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen Sie und stellte fest, dass Ihre Abschiebung nach Sierra Leone zulässig ist.

Gegen den Bescheid erhoben Sie fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde.

Mit Erkenntnis vom 01.12.2015 zur Zl. W103 2114543-1/4E wies das Bundesverwaltungsgericht Ihre Beschwerde in allen Punkten ab. Das Erkenntnis erwuchs mit Zustellung an Sie am 07.12.2015 in Rechtskraft.

Am 16.11.2017 wurden Sie einer Identitätsüberprüfung durch eine Delegation der Republik Sierra Leone unterzogen. Dabei wurde festgestellt, dass es sich bei Ihnen nicht um einen Staatsangehörigen von Sierra Leone handelt. Es kamen Hinweise hervor, wonach Sie nigerianischer Staatsangehöriger seien.

...

Am 08.03.2018 stellten Sie Ihren zweiten (den verfahrensgegenständlichen) Antrag auf internationalen Schutz. Am selben Tag wurden Sie dazu von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich erstbefragt. Dabei gaben Sie an, Ihr richtiger Name sei IKEKE Sunday Emmanuel. Sie seien am 18.02.1979 geboren und nigerianischer Staatsangehöriger. Sie hätten Ihre Heimat verlassen, weil im Jahr 2006 Ihr Vater jemanden erstochen habe, dessen Familie Sie nun töten wolle.

Nach Zulassung Ihres Verfahrens wurden Sie am 15.03.2018 von einem Organwalter des Bundesamtes im Beisein einer Dolmetscherin niederschriftlich einvernommen. Dabei machten Sie im Wesentlichen folgende Angaben (F = Frage, A = Antwort):

...

F: Wie geht es Ihnen gesundheitlich? Bestehen chronische Erkrankungen, Verletzungen, psychische Störungen oder sonstige Beschwerden?

A: Ich habe Probleme. Ich gehe nach wie vor ins Spital, um Medikamente zu bekommen.

F: An welchen Problemen leiden Sie genau? Haben Sie Unterlagen dazu?

A: Ich kann nicht regelmäßig auf die Toilette gehen. Ich uriniere sehr oft, also ich weiß nicht, ob ich an Diabetes leide. Und dann die Probleme im Kopf.

F: Können Sie dazu Unterlagen vorlegen? Haben Sie Befunde?

A: Nein, ich habe so etwas nicht, aber wenn ich ins Spital gehe, erkläre ich ihnen, dass ich Medikamente brauche.

F: Welche Medikamente nehmen Sie gegenwärtig ein?

A: Medikamente gegen das Kopfweh. Dann auch Medikamente, damit ich regelmäßig auf die Toilette gehen kann.

F: Sie leiden also an Kopfschmerzen und Verdauungsproblemen, habe ich das richtig verstanden?

A: Ich hatte einmal eine Verletzung am Kopf, und Verstopfung habe ich auch.

F: Wann waren Sie das letzte Mal bei einem Arzt?

A: Ich kann mich nicht genau daran erinnern, aber es war letztes Jahr.

F: Haben Sie in Österreich aufhältige Angehörige?

A: Nein.

F: Leben Sie sonst mit jemandem in einer Familiengemeinschaft oder einer familienähnlichen Lebensgemeinschaft?

A: Nein, ich lebe hier im Lager.

F: Gehen Sie im Moment einer Erwerbstätigkeit nach? Wenn ja, wie viel verdienen Sie dabei?

A: Nein, im Moment nicht. Ich habe einmal Zeitungen verkauft.

F: Wie stellen sich Ihre Vermögensverhältnisse dar?

A: Manche meiner Sachen sind im Lager ... Nachgefragt gebe ich an,

ich habe nicht viel Geld, vielleicht 100 Euro. Nachgefragt gebe ich an, ich habe ein Konto ..., ich weiß nicht, wie viel auf dem Konto ist, da sind vielleicht 200 oder 250 Euro drauf. Nachgefragt gebe ich an, ich besitze keine Wertsachen.

F: Sind Sie, hier in Österreich, Mitglied in Vereinen oder Organisationen?

A: Nein.

F: Haben Sie schon einen Deutschkurs besucht?

A: Ja. Nachgefragt gebe ich an, ich habe Zertifikate dazu, die sind in meinem Zimmer. Nachgefragt gebe ich an, das war ein A1- und

A2-Kurs ... 2014 habe ich damit angefangen, bis Dezember letztes

Jahr.

F: Ihr erster Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 01.12.2015 rechtskräftig in zweiter Instanz abgewiesen. In der Zwischenzeit konnte schon festgestellt werden, dass Sie kein Staatsangehöriger von Sierra Leone sind. Sie haben nunmehr einen zweiten Asylantrag gestellt mit völlig neuen Daten zu Ihrer Identität und Staatsangehörigkeit und einer völlig neuen Fluchtgeschichte. Erklären Sie das.

A: Ich möchte Österreich um Verzeihung bitten für das, was ich getan habe. Ich hatte Angst. Ich bitte die Republik, mir das zu verzeihen. Ich bin Christ und brauche nicht zu lügen. Ich weiß, dass ich gegen Gott und die Menschen gesündigt habe.

F: Erklären Sie, weshalb Sie im Vorverfahren jahrelang eine frei erfundene Geschichte erzählt haben.

A: Ich habe Probleme in Nigeria, und deswegen wollte ich am Anfang nicht, dass irgendjemand weiß, wer ich bin. Deswegen musste ich lügen, damit die Leute mich nicht identifizieren konnten.

F: Sie wurden auch im Vorverfahren darüber belehrt, dass Ihre Angaben im Asylverfahren vertraulich behandelt werden und nichts an Ihr Heimatland weitergeleitet wird.

A: Ja, ich wurde darüber informiert.

F: Was soll nun Ihr tatsächlicher Fluchtgrund sein?

A: Mein Vater ist ein Polizeibeamter. Er hat vier Frauen. Von der ersten ist er geschieden. Ich bin der Sohn seiner dritten Frau. Es ist 2006 passiert. Meine Stiefschwester kam nach Hause, um Geld zu holen, für das Schulgeld. Meine Stiefmutter war zuhause. Meine Stiefmutter hat meiner Stiefschwester nicht erlaubt, in das Haus zu kommen. Die Stiefschwester ging zu meiner Stiefmutter und fragte, weshalb sie nicht in das Haus ihres Vaters dürfe. Meine Stiefmutter sagte ihr, sie dürfe nicht in das Haus, weil mein Vater noch einmal geheiratet hatte. Sie ging dann hinaus und sagte zwei Leuten in der Gegend, dass meine Stiefmutter sie nicht in das Haus lässt. Eine Dame kam und fragte meine Stiefmutter, weshalb sie das Mädchen nicht einlässt. Die Stiefmutter fragte dann die Dame, mit welchem Recht sie komme und das frage. Als die Dame dann das Haus wieder verlassen wollte, hat meine Stiefmutter angefangen, mit ihr zu streiten. Der Mann der Dame ging zur Polizeistation und die Polizei kam, um meine Stiefmutter festzunehmen. Mein Vater kam an diesem Tag aus dem Urlaub zurück, begegnete den beiden Polizisten, die kamen, um meine Stiefmutter zu verhaften. Er fragte sie, was los sei, und sie erklärten ihm den Vorfall. Mein Vater sagte den beiden, sie mögen das Haus verlassen, weil es sich um eine familiäre Angelegenheit handeln würde. Mein Vater hat dann einen Geldbetrag an die Polizisten bezahlt. Am 26. Dezember 2006 haben mein Vater und der Ehemann der Dame, die ins Haus gekommen war, zusammen getrunken. Er hat dann meinem Vater gesagt, dass er den Vorfall nicht verzeihen kann. Mein Vater stand auf und fragte, ob er sich bewusst sei, dass er mit einem Polizisten spreche. Der Mann antwortete, es sei ihm egal, zu wem er spreche. Er hat meinem Vater auch gesagt, er hätte eine Schwester und einen Bruder, die auch bei der Polizei wären. Plötzlich nahm der Mann einen Bambusstock und schlug meinen Vater, der Stock zerbrach dann in zwei Teile. Mein Vater nahm einen Sessel und schlug den Mann damit. Die Leute um meinen Vater fragten ihn, ob ihm bewusst sei, dass er Polizist ist. Er stellte den Sessel dann wieder weg. Der Mann nahm den Sessel und schlug ihn damit. Mein Vater zog dann ein Messer und verletzte den Mann. Der Mann ist dann plötzlich umgefallen und verstarb, bevor man ihm helfen konnte. Mein Vater ging dann nach Hause, um seine Uniform zu holen, und fuhr zur Polizeistation, um den Vorfall zu schildern. Die Jugend in der Gemeinde hinderte meinen Vater aber daran, unsere Gegend zu verlassen. Sie haben meinen Vater dann geschlagen, bevor sie ihn zur Polizei brachten. Seit 2007 war es dann ein großes Problem. Meine Stiefmutter, die diese Probleme verursacht hatte, gebar ein Kind, das bei der Geburt verstarb. Mein Vater wurde dann verhaftet und wurde zur Polizeistation gebracht. Die Familie des Mannes, den mein Vater umgebracht hatte, sagte, sie wollten sich rächen. Die Familie hat sich vor dem Gericht versammelt, und mein Vater hat einen Bus. Sie haben ihn niedergebrannt, den Bus. Das war 2007. Sie haben auch das Haus beschädigt, also den Bus verbrannt und eine Maschine, also ein Motorrad, auch. Danach ging der Fall weiter. Ich bin der einzige Sohn meines Vaters, und diese Familie plante dann, wie sie mich umbringen könnten. Deswegen musste ich weglaufen.

F: Haben Sie die Vorfälle mit dem Bus und dem Motorrad angezeigt?

A: Nein, ich ging nicht zu Polizei, weil mein Vater zu dem Zeitpunkt schon verhaftet war.

F: Wann genau wurde Ihr Vater verhaftet?

A: Das war 2006, am 27. Dezember.

F: Kam die Polizei zu ihm nach Hause?

A: Ja. Die kamen zum Haus. Als die kamen, hatte die Familie das Haus noch nicht beschädigt.

F: Ich dachte, Ihr Vater wäre von der Jugend in der Gemeinde zur Polizei gebracht worden?

A: Ja, das ist richtig.

F: Wurde er dann nicht festgenommen, sondern nur für einen Tag auf freien Fuß gesetzt?

A: Die Gemeinde hat ihn angebunden, also gefesselt. In der Nacht hat die Jugend meinen Vater dann zur Polizei gebracht.

F: Haben Sie einen Umzug innerhalb Nigerias in Betracht gezogen, um der Rache der Familie zu entgehen?

A: Ja, ich habe schon daran gedacht. Es gab einen Ort, wo die Leute mich versteckt haben.

F: In Nigeria?

A: Ja.

F: Wohin sind Sie da gegangen und wie lange waren Sie dort?

A: Mein Staat ist Delta State, ich ging nach Edo State. Von Edo State ging ich nach Kano. Und von dort erfuhr ich, wie ich das Land verlassen kann.

F: Was ist an dieser Geschichte nun so problematisch, dass Sie sie im Vorverfahren nicht angeben konnten?

A: Weil ich Angst hatte. Ich möchte nicht zurück, denn ich weiß nicht, was passiert, wenn ich gewisse Leute treffe. Das ist der Grund, warum ich mich anfangs nicht geöffnet habe.

...

F: Ich bin am Ende meiner Befragung. Hatten Sie Gelegenheit, alles zu sagen, was Ihnen wichtig erscheint?

A: Was ich noch sagen möchte: Ich möchte, dass Österreich mir hilft, denn ich kann nicht zurück. Mein Vater ist nach wie vor in Haft. Ich weiß nicht, was passieren wird, wenn ich nach Afrika zurückgehe. Sie müssen mir helfen, ich kann nicht zurück nach Afrika.

...

B) Beweismittel

...

C) Feststellungen

Der Entscheidung werden folgende Feststellungen zugrunde gelegt:

Zu Ihrer Person:

Ihre Identität steht nicht fest. Sie sind nigerianischer Staatsangehöriger. Nicht festgestellt werden kann, dass Sie an schweren körperlichen Erkrankungen oder Verletzungen bzw. psychischen Störungen oder Krankheiten leiden, welche im Falle einer Rückkehr in Ihr Herkunftsland eine unzumutbare Verschlechterung Ihres Gesundheitszustandes zur Folge hätten.

Zu den Gründen für das Verlassen Ihres Herkunftsstaats und zu Ihrer Situation im Falle einer Rückkehr:

Es kann nicht festgestellt werden, dass Sie in Ihrem Herkunftsland staatlicher Verfolgung oder Gefährdungen, vor welchen die Behörden Ihres Heimatlandes Sie nicht schützen könnten bzw. wollten, ausgesetzt waren bzw. nach einer Rückkehr sein würden.

Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass Sie bei einer Rückkehr in Ihr Herkunftsland mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine existenzbedrohende Notlage gedrängt würden oder den Verlust Ihrer Lebensgrundlage zu befürchten hätten.

Zu den Gründen für die Erlassung des Einreiseverbots:

Sie konnten die Mittel zu Ihrem Unterhalt nicht nachweisen. Sie sind nicht selbsterhaltungsfähig und bestreiten Ihren Lebensunterhalt aus den Zuwendungen der Ihnen gewährten staatlichen Grundversorgung.

Zu Ihrem Privat- und Familienleben:

Sie verfügen über keine Angehörigen in Österreich. Eine besondere Integrationsverfestigung in Österreich kann nicht festgestellt werden.

Zur Lage in Ihrem Herkunftsstaat (Staatendokumentation des Bundesamtes vom 07.08.2017):

Politische Lage

Nigeria ist in 36 Bundesstaaten und einen Bundeshauptstadtbezirk sowie 774 Local Government Areas (LGA/Bezirke) untergliedert. Die Bundesstaaten werden von direkt gewählten Gouverneuren regiert (AA 21.11.2016; vgl. AA 4.2017a; vgl. GIZ 7.2017a). Die Bundesstaaten verfügen auch über direkt gewählte Parlamente (AA 4.2017a).

Nigeria verfügt über ein Mehrparteiensystem. Die Verfassung vom 29.5.1999 enthält alle Attribute eines demokratischen Rechtsstaates (inkl. Grundrechtskatalog) und orientiert sich insgesamt am System der USA. Einem starken Präsidenten, der zugleich Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist, und einem Vizepräsidenten stehen ein aus Senat und Repräsentantenhaus bestehendes Parlament und eine unabhängige Justiz gegenüber (AA 21.11.2016; vgl. AA 4.2017a). In der Verfassungswirklichkeit dominiert die Exekutive in Gestalt des direkt gewählten Präsidenten und der direkt gewählten Gouverneure. Der Kampf um politische Ämter wird mit großer Intensität und häufig auch mit undemokratischen, gewaltsamen Mitteln geführt. Polizei und Justiz werden ebenfalls vom Bund kontrolliert (AA 21.11.2016).

Die Parteienzugehörigkeit orientiert sich bei den meisten der ca. 50 kleineren Parteien an Führungspersonen. Loyalitäten gegenüber der eigenen ethnischen Gruppe bzw. gegenüber Personen gehen anderen Loyalitäten vor; entsprechend repräsentiert keine der Parteien eine eindeutige politische Richtung (AA 21.11.2016).

Die Wahlen von Präsident und Nationalversammlung 2015 und die seitdem stattgefundenen Wahlen der Gouverneure und Landesparlamente in 31 von 36 Bundesstaaten haben die politische Landschaft in Nigeria grundlegend verändert. Die seit 2013 im All Progressives' Congress (APC) vereinigte Opposition gewann neben der Präsidentschaftswahl eine klare Mehrheit in beiden Häusern des Parlaments und regiert nun auch in 23 der 36 Bundesstaaten. Die seit 1999 dominierende People's Democratic Party (PDP) musste zum ersten Mal in die Opposition und ist durch Streitigkeiten um die Parteiführung stark geschwächt. Lediglich in den südöstlichen Bundesstaaten des ölreichen Niger-Deltas konnte sie sich als Regierungspartei behaupten (AA 21.11.2016).

Bei den Präsidentschaftswahlen am 28.3.2015 besiegte der frühere Militärmachthaber und Kandidat der Opposition, Muhammadu Buhari, den bisherigen Amtsinhaber Goodluck Jonathan mit 54,9 Prozent der abgegebenen Stimmen. Bei diesen Wahlen, die von der internationalen Öffentlichkeit als beispielhaft für die Demokratie Afrikas gelobt wurden, kam es zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit Nigerias zu einem demokratischen Machtwechsel (GIZ 7.2017a). Der APC gewann die Gouverneurswahlen in 20 von 29 Bundesstaaten. Er stellt in den 36 Bundesstaaten derzeit 24 Gouverneure, die PDP 11 und All Progress Grand Alliance (APGA) einen Gouverneur. Unter den 36 Gouverneuren ist weiterhin keine Frau. Die Wahlen vom März/April 2015 wurden sowohl in Nigeria als auch von internationalen Wahlbeobachtern trotz organisatorischer Mängel als im Großen und Ganzen frei und fair bezeichnet. Die Spitzenkandidaten Jonathan und Buhari hatten sich in einer Vereinbarung (Abuja Accord) zur Gewaltlosigkeit verpflichtet. Dies und die Tatsache, dass Präsident Jonathan seine Wahlniederlage sofort anerkannte, dürfte größere gewalttätige Auseinandersetzungen verhindert haben. Die Minister der Regierung Buhari wurden nach einem längeren Sondierungsprozess am 11.11.2015 vereidigt (AA 4.2017a).

Neben der modernen Staatsgewalt haben auch die traditionellen Führer immer noch einen nicht zu unterschätzenden, wenn auch weitgehend informellen Einfluss. Sie gelten als Kommunikationszentrum und moralische Instanz und können wichtige Vermittler in kommunalen und in religiös gefärbten Konflikten sein (AA 4.2017a).

Fast im ganzen Norden Nigerias ist das System der LGA kollabiert. Große Teile kamen unter Kontrolle von Milizen und lokalen "Strongmen", die den politischen und sozio-ökonomischen Raum ausfüllen. Dies führte zur Vertiefung lokaler und regionaler Missstände (BS 2016).

Quellen

AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria;

AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): Nigeria - Innenpolitik ...;

BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Nigeria Country Report

...;

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (7.2017a): Nigeria - Geschichte und Staat ...

Sicherheitslage

Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete und keine Bürgerkriegsparteien (AA 21.11.2016). In drei Gebieten herrschen Unsicherheit und Spannungen: im Nordosten (islamistische Gruppe Boko Haram); im Middle Belt (v. a. im Bundesstaat Plateau); und im Nigerdelta (SBM 17.1.2017). Laut SBM Intel war Boko Haram im Jahr 2016 für 71 Vorfälle mit 1.240 Toten verantwortlich. Den Fulani-Hirten werden für das Jahr 2016 47 Vorfälle mit 1425 Toten zugeschrieben. Viehdiebstahl, welcher für viele Jahre an Bedeutung verloren hat, ist inzwischen für Hirten, die hauptsächlich von Fulani abstammen, ein Grund für Konflikte und Angriffe geworden. Bei zwölf Vorfällen von Viehdiebstahl sind 470 Menschen getötet worden. Die Ölkonflikte, die sich im Jahr 2016 im Nigerdelta zugetragen haben, haben sich auf die ölproduzierenden Bundesstaaten im Südwesten und Südosten verbreitet. Bei 32 Vorfällen wurden 97 Menschen getötet (SBM 17.1.2017).

Es besteht aufgrund wiederholter Angriffe und Sprengstoffanschläge militanter Gruppen (Boko Haram, Ansaru) derzeit ein sehr hohes Anschlagsrisiko insbesondere für Nord- und Nordostnigeria, einschließlich für die Hauptstadt Abuja. In mehreren Städten Nord- und Nordostnigerias finden immer wieder Gefechte zwischen Sicherheitskräften und militanten Gruppen statt. Angehörige der Sicherheitskräfte, Regierungsstellen, christliche Einrichtungen - aber auch Einrichtungen gemäßigter Moslems - sowie Märkte, Wohnviertel und internationale Organisationen sind Anschlagsziele der militanten Gruppen. Drohungen bestehen gegen moslemische Einrichtungen im Süden (BMEIA 24.7.2017).

Das deutsche Auswärtige Amt warnt vor Reisen in die nördlichen Bundesstaaten Borno, Yobe, Adamawa, Bauchi und Gombe. Darüber hinaus wird auch von nicht notwendigen Reisen in die übrigen Landesteile Nordnigerias abgeraten. Wegen des besonders hohen Entführungsrisikos wird außerdem von Reisen in die Bundesstaaten Delta, Bayelsa, Rivers, Imo (insb. Hauptstadt Owerri), Abia, Anambra, Ebonyi, Edo, Enugu, Delta, Kogi, den südlichen Teil von Cross Rivers, Ogun und Akwa Ibom abgeraten (AA 24.7.2017). Auch das österreichische Außenministerium warnt vor Reisen in die Bundesstaaten Borno, Yobe, Adamawa, Plateau sowie den südlichen Landesteil von Bauchi und Kano. Mit Gewaltausbrüchen in allen zwölf nördlichen Bundestaaten ist jederzeit zu rechnen (BMEIA 24.7.2017). Das britische Außenministerium warnt zusätzlich noch vor Reisen in die Flussgegenden der Bundesstaaten Delta, Bayelsa, Rivers, Akwa Ibom und Cross River States sowie an die Grenze zu Niger im Bundesstaat Zamfara (UKFCO 24.7.2017).

Das österreichische Außenministerium hat für folgende Bundesstaaten eine partielle Reisewarnung ausgesprochen: Abia, Akwa Ibom, Anambra, Bayelsa, Delta, Ebonyi, Edo, Ekiti, Enugu, Imo, Kaduna, Kano, Oyo, Ondo, Rivers, einschließlich Port Harcourt und die vorgelagerten Küstengewässer (BMEIA 24.7.2017). Das britische Außenministerium warnt vor unnötigen Reisen nach: Bauchi, Zamfara, Kano, Kaduna, Jigawa, Katsina, Kogi, Abia sowie an die Grenze zu Niger in Sokoto und Kebbi und die Trockengebiete von Delta, Bayelesa und Rivers (UKFCO 24.7.2017). In Nigeria können in allen Regionen meist kaum vorhersehbar lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe dafür sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Meist sind diese Auseinandersetzungen von kurzer Dauer (wenige Tage) und örtlich begrenzt (meist nur einzelne Orte, in größeren Städten nur einzelne Stadtteile) (AA 24.7.2017).

In Lagos kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen verschiedenen Ethnien, politischen Gruppierungen, aber auch zwischen Militär und Polizeikräften (BMEIA 24.7.2017) bzw. zu Problemen (u. a. Mobs, Plünderungen) durch die sogenannten "Area Boys". Der Einsatz von Schlägertruppen und privaten Milizen zur Erreichung politischer oder wirtschaftlicher Ziele ist weit verbreitet (AA 21.11.2016).

Gemäß den Zahlen des Council on Foreign Relations für die Zeitspanne Jänner 2016 bis Juni 2017 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Borno (3.097), Benue (754), Rivers (360), Zamfara (308) und Adamawa (201). Folgende Bundesstaaten stechen mit einer relativ niedrigen Zahl hervor: Jigawa (2), Gombe (3), Kebbi (7) und Sokoto (8) (CFR 2017). Laut OSAC besteht eine erhebliche terroristische Bedrohung vor allem in Nordnigeria. Boko Haram hat für die meisten terroristischen Aktivitäten die Verantwortung übernommen. In der gesamten Nigerdelta-Region greifen mehrere aufständische Gruppen gezielt die Infrastruktur und Mitarbeiter von internationalen Ölgesellschaften an. Viele Gebiete im südlichen Nigeria erleben aufgrund großer Armut, mangelnder Bildung, Jugendarbeitslosigkeit und bedeutender Inflation Unruhen, verursacht durch Zivilisten (OSAC 4.7.2017).

Quellen

AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria;

AA - Auswärtiges Amt (24.7.2017): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung) ...;

BMEIA - Außenministerium (24.7.2017): Reiseinformationen - Nigeria

...;

CFR - Council on Foreign Relations (2017): Nigeria Security Tracker

...;

OSAC - Overseas Security Advisory Council (4.7.2017): Nigeria 2017 Crime and Safety Report - Abuja ...;

SBM - SBM Intel (7.1.2017): A Look at Nigeria's Security Situation

...;

UKFCO - United Kingdom Foreign and Commonwealth Office (24.7.2017):

Foreign Travel Advice - Nigeria ...

...

Rechtsschutz/Justizwesen

Die Verfassung sieht Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz vor (AA 21.11.2016; vgl. FH 2.6.2017). Sie unterscheidet zwischen Bundesgerichten, Gerichten des Hauptstadtbezirks sowie Gerichten der 36 Bundesstaaten. Letztere haben die Befugnis, per Gesetz erstinstanzliche Gerichte einzusetzen. Mit Einführung der erweiterten Scharia-Gesetzgebung in neun nördlichen Bundesstaaten sowie den überwiegend muslimischen Teilen dreier weiterer Bundesstaaten 2000/2001 haben die staatlichen Schariagerichte strafrechtliche Befugnisse erhalten, während sie zuvor auf das islamische Personenstandsrecht beschränkt waren. Bundesgerichte, die nur staatlich kodifiziertes Recht anwenden, sind der Federal High Court (Gesetzgebungsmaterie des Bundes, Steuer-, Körperschafts- und auch Verwaltungssachen), der Court of Appeal (Berufungssachen u. a. der State Court of Appeal und der State Sharia and Customary Court of Appeal) sowie der Supreme Court (Revisionssachen, Organklagen). Der Rechtsweg von der ersten Instanz (Magistrate Court) bis zum Supreme Court ist grundsätzlich eröffnet (AA 21.11.2016). Für Militärangehörige gibt es eigene Militärgerichte (USDOS 3.3.2017).

Laut Bundesverfassung wird die Verfassung und Zuständigkeit der Gerichte seit 1999 im Hinblick auf die Entscheidung über das anzuwendende Rechtssystem "Common Law" oder des "Customary Court Law"-Systems durch Gesetze der Gliedstaaten festgestellt. Einzelne Bundesstaaten haben "Sharia Courts" neben "Common Law" und "Customary Courts" geschaffen. Mehrere Bundesstaaten, einschließlich die gemischt konfessionellen Bundesstaaten Benue und Plateau, haben Scharia-Berufungsgerichte eingerichtet. Bedingt durch die drei einander mitunter widersprechenden Rechtssysteme und aufgrund der schlechten Bezahlung, Überlastung und fehlenden Infrastruktur ist Korruption im Justizbereich verbreitet (ÖBA 7.2014).

Die Justiz hat ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und Professionalität erreicht, doch bleibt sie politischem Einfluss, Korruption und einem Mangel an Ressourcen ausgesetzt (FH 2.6.2017). In der Realität ist die Justiz der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen und der Wirtschaft ausgesetzt. Unterbesetzung, Unterfinanzierung und Ineffizienz verhindern, dass die Justiz ausreichend funktionieren kann. Außerdem fehlt es den Gerichten oftmals an Ausrüstung und Ausbildung, um den eigenen Aufgaben nachzukommen. Vor allem auf Bundesstaats- und Bezirksebene (LGA) versuchen Politiker, die Justiz zu beeinflussen. Zusätzlich ist die Justiz von endemischer Korruption geprägt. Wohl gibt es auf Bundesebene strikte Voraussetzungen und Ansprüche für Richter. Allerdings fehlt es auf Bundesstaats- und Bezirksebene an Aufsichtsmöglichkeiten, und dies führt zu Korruption und Misswirtschaft in der Justiz (USDOS 3.3.2017).

Eine willkürliche Strafverfolgung bzw. Strafzumessungspraxis durch Polizei und Justiz, die nach Rasse, Nationalität o. ä. diskriminiert, ist nicht erkennbar. Das bestehende System benachteiligt jedoch tendenziell Ungebildete und Arme, die sich weder von Beschuldigungen freikaufen noch eine Freilassung auf Kaution erwirken können. Zudem ist vielen eine angemessene Wahrung ihrer Rechte auf Grund von fehlenden Kenntnissen selbst elementarster Grund- und Verfahrensrechte nicht möglich. Auch der Zugang zu staatlicher Prozesskostenhilfe ist in Nigeria beschränkt:

Das Institut der Pflichtverteidigung wurde erst vor kurzem in einigen Bundesstaaten eingeführt. Lediglich in den Landeshauptstädten existieren NGOs, die sich zum Teil mit staatlicher Förderung der rechtlichen Beratung von Beschuldigten bzw. Angeklagten annehmen (AA 21.11.2016). Rechtsberatungen und Rechtsbeistand bieten u. a. die folgenden Organisationen: Legal Aid Council; die Nationale Menschenrechtskommission (NHRC); Legal Defence and Assistance Project (LEDAP) (IOM 8.2013). Gerade in den ländlichen Gebieten gibt es jedoch zahlreiche Verfahren, bei denen Beschuldigte und Angeklagte ohne rechtlichen Beistand mangels Kenntnis ihrer Rechte schutzlos bleiben (AA 21.11.2016).

Das Recht auf ein zügiges Verfahren wird zwar von der Verfassung garantiert, ist jedoch kaum gewährleistet. Auch der gesetzlich garantierte Zugang zu einem Rechtsbeistand oder zu Familienangehörigen wird nicht immer ermöglicht (AA 21.11.2016). Dauerinhaftierungen ohne Anklage oder Urteil, die sich teils über mehrere Jahre hinziehen, sind weit verbreitet. 66-72 Prozent der in nigerianischen Gefängnissen inhaftierten Personen sind Untersuchungshäftlinge, die auf ihren Prozess warten (AA 21.11.2016; vgl. USDOS 3.3.2017). Die Untersuchungshaft ist oftmals länger als die maximal zu erwartende gesetzliche Höchststrafe des jeweils in Frage stehenden Delikts (AA 21.11.2016). Darüber hinaus bleiben zahlreiche Häftlinge auch nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafen in Haft, weil ihre Vollzugsakten unauffindbar sind (AA 21.11.2016; vgl. USDOS 3.3.2017). Mehrmals kündigte die Regierung an, Aktionen zur Überprüfung der Inhaftierten durchzuführen und Gefängnisinsassen ohne ersichtlichen Inhaftierungsgrund freizulassen, allerdings ohne messbaren Erfolg (AA 21.11.2016).

Quellen

AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria;

FH - Freedom House (2.6.2017): Freedom in the World 2017 - Nigeria

...;

IOM - International Organization for Migration (8.2013): Nigeria - Country Fact Sheet ...;

ÖBA - Österreichische Botschaft Abuja (7.2014): Asylländerbericht Nigeria;

USDOS - U.S. Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Nigeria ...

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Sicherheitsbehörden

Die allgemeinen Polizei- und Ordnungsaufgaben obliegen der rund 360.000 Mann starken (Bundes-) Polizei, die dem Generalinspekteur der Polizei in Abuja untersteht (AA 21.11.2016). Der Generalinspekteur ist für die Durchsetzung der Gesetze verantwortlich. Zusätzlich zu der üblichen polizeilichen Verantwortung der Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung in den Bundesstaaten und Federal Capital Territory (FCT) überwacht der Generalinspekteur die Strafverfolgungsbehörden im ganzen Land, die mit Grenzschutz, Marineangelegenheiten (Navigation) und Terrorismusbekämpfung involviert sind. Der Generalinspekteur nominiert einen Polizeikommissar, der die National Police Force (NPF) in jedem Bundesstaat und FCT befehligt (USDOS 3.3.2017). Etwa 100.000 Polizisten sollen als Sicherheitskräfte bei Personen des öffentlichen Lebens und einflussreichen Privatpersonen tätig sein (AA 21.11.2016).

Neben der Polizei werden im Inneren auch Militär, Staatsschutz sowie paramilitärische Einheiten (sogenannte Rapid Response Squads) eingesetzt (AA 21.11.2016). Die Innere Sicherheit liegt also auch im Zuständigkeitsbereich des Department of State Service (DSS), das dem Präsidenten via nationalem Sicherheitsberater unterstellt ist. Die Polizei, das DSS und das Militär sind zivilen Autoritäten unterstellt, sie operieren jedoch regelmäßig außerhalb ziviler Kontrolle (USDOS 3.3.2017). Die National Drug Law Enforcement Agency (NDLEA) ist für alle Straftaten in Zusammenhang mit Drogen zuständig. Der NDLEA, in deren Zuständigkeit Dekret 33 fällt, wird Professionalität konstatiert (ÖBA 9.2016).

Die NPF und die Mobile Police (MOPOL) zeichnen sich hingegen durch geringe Professionalität, mangelnde Disziplin, Willkür und geringen Diensteifer aus (ÖBA 9.2016). Die Polizei ist durch niedrige Besoldung sowie schlechte Ausrüstung, Ausbildung und Unterbringung gekennzeichnet. Die staatlichen Ordnungskräfte sind personell, technisch und finanziell nicht in der Lage, die Gewaltkriminalität zu kontrollieren bzw. einzudämmen. Zudem sind nach allgemeiner Auffassung die Sicherheitskräfte teilweise selbst für die Kriminalität verantwortlich (AA 21.11.2016). Da die Polizei oft nicht in der Lage ist, durch gesellschaftliche Konflikte verursachte Gewalt zu unterbinden, verlässt sich die Regierung in vielen Fällen auf die Unterstützung durch die Armee (USDOS 3.3.2017). Jedoch sind im Allgemeinen die nigerianischen Behörden gewillt und fähig, Schutz vor nichtstaatlichen Akteuren zu bieten (UKHO 8.2016b).

Quellen

AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria;

ÖBA - Österreichische Botschaft Abuja (9.2016): Asylländerbericht Nigeria;

UKHO - United Kingdom Home Office (8.2016b): Country Information and Guidance Nigeria: Women fearing gender-based harm or violence ...;

USDOS - U.S. Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Nigeria ...

Vigilante Gruppen, Bürgerwehren, Hisbah

In verschiedenen Regionen des Landes haben sich bewaffnete Organisationen in Form von ethnischen Vigilantegruppen gebildet, z. B. der Odua People's Congress (OPC) im Südwesten oder die Bakassi Boys im Südosten. Bei diesen Gruppen kann man sich gegen Zahlung eines Schutzgeldes "Sicherheit" erkaufen. Die Behörden reagieren unterschiedlich auf die "Vigilantes": Im Bundesstaat Lagos ging die Polizei gegen den OPC vor, im Osten des Landes wurde die Existenz dieser Gruppen dagegen von einigen Gouverneuren begrüßt. Die Polizei arbeitet zum Teil mit ihnen zusammen. Generell scheint die Bedeutung der Vigilantes in Städten etwas abzunehmen, in einigen ländlichen Regionen haben sie aber weiterhin eine dominante Machtposition (AA 21.11.2016).

Im Jahr 2013 wurde von der Regierung und mit Unterstützung der Armee im Nordosten im Zuge des Kampfes gegen Boko Haram die sogenannte Civilian Joint Task Force (CJTF) ins Leben gerufen. Dabei handelt es sich um eine Art Bürgerwehr, die laut NGOs und Medien für Menschenrechtsvergehen verantwortlich ist (USDOS 25.6.2015). Es gibt Berichte von den Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisationen, dass die CJTF weiterhin Kindersoldaten, gelegentlich auch zwangsweise, rekrutiert. Die Regierung verbietet diese Handlungen und behauptet, dass die CJTF, die mit der Regierung zusammenarbeitet, keine Kindersoldaten einsetzt (USDOS 3.3.2017).

In einigen Bundesstaaten (Gombe, Zamfara, Niger, Kaduna, Kano, Bauchi und Jigawa) werden Schariawächter, wie die Hisbah, unterhalten. Diese überwachen die Umsetzung der Scharia aber nur inkonsistent und sporadisch, führen aber Verhaftungen durch (USDOS 10.8.2016; vgl. ÖBA 9.2016). Z. B. verhafteten Mitglieder der Kano Hisbah Bewohner, die der Prostitution, des Alkoholkonsums, der Bettelei und andere Scharia-Verstöße verdächtigt wurden (USDOS 10.8.2016). In Kano wird die Hisbah direkt durch den Bundesstaat betrieben, während sie in anderen Bundesstaaten ähnlich den nichtstaatlichen Bürgerwehren organisiert ist. Die Hisbah wurde vom Obersten Gericht zwar als verfassungswidrig bezeichnet, da polizeiliche Aufgaben ausschließlich in die Zuständigkeit des Bundes fallen, sie hat ihre Tätigkeit jedoch bisher nicht eingestellt, sondern wurde lediglich umorganisiert (AA 21.11.2016).

Quellen

AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria;

ÖBA - Österreichische Botschaft Abuja (9.2016): Asylländerbericht Nigeria;

USDOS - U.S. Department of State (10.8.2016): 2015 Report on International Religious Freedom - Nigeria ...;

USDOS - U.S. Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Nigeria ...;

USDOS - U.S. Department of State (25.6.2015): Country Report on Human Rights Practices 2014 - Nigeria ...

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Korruption

Das Gesetz sieht für Korruption Strafen vor. Trotzdem bleibt Korruption weit verbreitet (USDOS 3.3.2017) und damit ein wichtiges Entwicklungshindernis Nigerias. In der Bekämpfung der Korruption sind seit 1999 nur wenige Erfolge zu verzeichnen (GIZ 7.2017a). Auf dem Korruptionsindex von Transparency International belegt Nigeria Rang 136 von 176 untersuchten Staaten (TI 25.1.2017).

Die Regierung setzt die Gesetze gegen Korruption nicht effektiv um, und Beamte gehen oft straffrei aus. Die massive, weitverbreitete und tiefgreifende Korruption betrifft alle Ebenen in den Behörden und bei den Sicherheitskräften; Korruption herrscht auch in der Justiz. Es gibt die weitverbreitete Auffassung, dass Richter leicht zu bestechen sind und Prozessparteien sich daher nicht auf Gerichte verlassen sollten, um ein unparteiisches Urteil zu erhalten. Die Bürger mussten sich auf lange Verzögerungen einstellen und berichteten davon, dass Justizangestellte für eine Beschleunigung der Fälle oder genehme Urteile Schmiergeld forderten (USDOS 3.3.2017). Korruption ist bei der Polizei weit verbreitet; Gelderpressungen an Straßensperren sind an der Tagesordnung (AA 21.11.2016).

Die Regierung Nigerias hat den notwendigen Kampf gegen Korruption zu einem Teil ihrer Wirtschaftspolitik erklärt (AA 4.2017c).

Obwohl die Bemühungen der Economic and Financial Crimes Commission (EFCC) und der Independent Corrupt Practices and Other Related Offenses Commission (ICPC) sich auf Regierungsbeamte mit niedrigem und mittlerem Rang konzentrierten, begannen beide Organisationen mit Ermittlungen und Anklagen gegen verschiedene hochrangige Regierungsbeamte (USDOS 3.3.2017). Die ICPC hält ein breites Mandat bezüglich der Verfolgung fast aller Formen von Korruption, während das EFCC auf Finanzdelikte beschränkt ist (USDOS 3.3.2017).

Die Buhari-Regierung setzte ihren Kampf gegen Korruption fort, indem Reformen auch im Öl- und Sicherheitssektor durchgeführt wurden. Im Jahr 2016 wurden mehrere hochrangige Militär- und Regierungsbeamte wegen Korruption verhaftet (FH 2.6.2017). Die nigerianische Regierung nahm die "Geister-Beamten" des Staatsapparats ins Visier. Im Laufe des Jahres seien rund 50.000 solcher Bediensteter von den staatlichen Gehaltslisten gestrichen worden, weil sie zwar formell als Staatsbedienstete geführt und entlohnt wurden, aber nie bei der Arbeit auftauchten, wie das Präsidialamt in Abuja mitteilte. Durch die Streichungen blieben dem Staatshaushalt jährlich rund 630 Millionen Euro an erschwindelten Lohnausgaben erspart (FAZ 28.12.2016).

Die Polizei hat in einer Wohnung in Lagos umgerechnet 44 Millionen Dollar gefunden, welches dem Geheimdienst gehörte. Die Entdeckung der Bargeldsumme war auf einen Tipp an die EFCC hin erfolgt. Der Direktor des Geheimdienstes, Ayo Oke, machte geltend, die Millionen würden für verdeckte Operationen eingesetzt werden, er wollte aber nicht sagen, woher das Geld kam. Daraufhin wurde Ayo Oke von Buhari entlassen. Ebenfalls des Amtes enthoben wurde der Kabinettschef Lawal. Er soll über 800.000 Dollar entwendet haben, die für humanitäre Zwecke im von Hunger geplagten Nordosten des Landes vorgesehen waren (NNZ 22.4.2017; vgl. Reuters 19.4.2017).

Insgesamt mangelt es der Regierung an effektiven Mechanismen, um Amtsmissbrauch und Korruption zu untersuchen und zu bestrafen (USDOS 3.3.2017).

Quellen

AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria;

AA - Auswärtiges Amt (4.2017c): Nigeria - Wirtschaft ...;

FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (28.12.2016): Nigeria streicht Zehntausenden "Geisterbeamten" das Gehalt ...;

FH - Freedom House (2.6.2017): Freedom in the World 2016 - Nigeria

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (7.2017a): Nigeria - Geschichte und Staat ...;

NNZ - Neue Zürcher Zeitung (22.4.2017): Eine Wohnung voller Banknoten ...;

Reuters (19.4.2017): Nigeria's Buhari orders corruption probe over humanitarian funds ...;

TI - Transparency International (25.1.2017): Corruption Perceptions Index 2016 ...;

USDOS - U.S. Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Nigeria ...

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Bewegungsfreiheit

Die Verfassung sowie weitere gesetzliche Bestimmungen gewährleisten Bewegungsfreiheit im gesamten Land sowie Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung. Allerdings schränken Sicherheitsbeamte die Bewegungsfreiheit durch Ausgangssperren ein. Dies betrifft v. a. die Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa aufgrund der Operationen gegen Boko Haram. Auch in anderen Bundesstaaten gab es Ausgangssperren als Reaktion auf Vorfälle, wie zum Beispiel ethnisch-religiöse Gewalt. Es gibt auch weiterhin sogenannte "Stopp- und Durchsuchungsoperationen" in Städten und Hauptverkehrsstraßen, wobei Checkpoints eingerichtet werden. Der neue Generalinspektor der Polizei erneuerte den Auftrag seines Vorgängers, dass alle Checkpoints aufgelöst werden sollten. Dennoch blieben viele von Militär und Polizei betriebene Checkpoints vorhanden (USDOS 3.3.2017).

Bürger dürfen sich in jedem Teil des Landes niederlassen (USDOS 3.3.2017). Prinzipiell sollte es einer Person, die von nicht-staatlichen Akteuren verfolgt wird oder die sich vor diesen fürchtet, in einem großen Land wie Nigeria möglich sein, eine interne Relokation in Anspruch zu nehmen. Natürlich müssen die jeweiligen persönlichen Umstände beachtet werden (UKHO 10.8.2016). Es ist festzustellen, dass in den vergangenen Jahrzehnten eine fortgesetzte Durchmischung der Wohnbevölkerung auch der "Kern"-Staaten der drei Hauptethnien (Hausa, Yoruba, Igbo) durch Wanderungsbewegungen sowie aufgrund inter-ethnischer Heirat stattgefunden hat. So ist insbesondere eine starke Nord-Südwanderung, mit den sichtbaren Zeichen von vielen neuen Moscheen, feststellbar, wodurch Metropolen wie Lagos heute weitgehend durchmischt sind. Es bestehen daher innerstaatliche Fluchtalternativen (ÖBA 9.2016).

Grundsätzlich besteht in vielen Fällen die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung oder Repressionen Dritter durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen. Dies kann allerdings mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, in dem keine Mitglieder ihrer Familie bzw. erweiterten Verwandtschaft oder der Dorfgemeinschaft leben: Angesichts der anhaltend schwierigen Wirtschaftslage und der Bedeutung großfamiliärer Bindungen in der nigerianischen Gesellschaft ist es für viele Menschen praktisch unmöglich, an Orten ohne ein solches soziales Netz erfolgreich Fuß zu fassen. Für alleinstehende Frauen besteht zudem die Gefahr, bei einem Umzug in die Großstadt von der eigenen Großfamilie keine wirtschaftliche Unterstützung mehr zu erhalten (AA 21.11.2016).

Bundesstaats- und Lokalregierungen diskriminieren regelmäßig ethnische Gruppen, die in ihrem Gebiet nicht einheimisch sind. Dies nötigt gelegentlich Personen dazu, in jene Regionen zurückzukehren, aus denen ihre ethnische Gruppe abstammt (USDOS 3.3.2017).

Quellen

AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria;

ÖBA - Österreichische Botschaft Abuja (9.2016): Asylländerbericht Nigeria;

UKHO - United Kingdom Home Office (10.8.2016): Country Information and Guidance Nigeria: Background information, including actors of protection and internal relocation ...;

USDOS - U.S. Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Nigeria ...

Meldewesen

Ein Meldewesen ist nicht vorhanden (AA 21.11.2016; vgl. ÖBA 9.2016). Auch ein nationales funktionierendes polizeiliches Fahndungssystem existiert nicht. Damit ist es in der Praxis äußerst schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, nach verdächtigen Personen national zu fahnden, wenn diese untergetaucht sind. Das Fehlen von Meldeämtern und gesamtnigerianischen polizeilichen Fahndungsbehörden ermöglicht es in den allermeisten Fällen, bereits in der näheren Umgebung "unterzutauchen" (ÖBA 9.2016).

Im Sheriffs and Civil Process Act Chapter 407, Laws of the Federation of Nigeria 1990 sind Ladungen vor Gericht geregelt. Der Sheriff oder von ihm bestellte Bailiffs müssen die Ladungen in ganz Nigeria persönlich zustellen (ÖBA 9.2016).

Quellen

AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria;

ÖBA - Österreichische Botschaft Abuja (9.2016): Asylländerbericht Nigeria.

Grundversorgung/Wirtschaft

Mit einem Wachstum von 6,31 Prozent gehörte Nigeria Anfang 2014 noch zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt und hatte Südafrika als größte Volkswirtschaft auf dem afrikanischen Kontinent überholt (GIZ 7.2017c). Nigeria verfügt über sehr große Öl- und Gasvorkommen und konnte in den letzten Jahren auch dank verschiedener Reformen ein hohes einstelliges Wirtschaftswachstum verzeichnen. Wegen sinkender Öleinnahmen (Ölpreisverfall und Reduzierung der Ölfördermenge durch Anschläge auf Ölförderanlagen und Pipelines im Nigerdelta) befindet sich Nigeria zwischenzeitlich in einer Rezession, die sich 2017 voraussichtlich nur langsam erholen wird. Das Wachstum betrug 2015 noch 2,7 Prozent, für 2016 Negativwachstum von etwa -1,5 Prozent (AA 4.2017c). Ab 2004 nutzte Nigeria den Ölgewinn, um seine Schulden zu bezahlen. Im Rahmen der wirtschaftlichen Reformen der Regierung Obasanjo konnte das Land 2005 mit dem Pariser Club, also den internationalen Gläubigern, einen Schuldenerlass um 18 Mrd. US-Dollar von insgesamt 30 Mrd. US-Dollar aushandeln. Im Gegenzug zahlte die nigerianische Regierung 12 Mrd. US-Dollar zurück. Damit ist Nigeria das erste afrikanische Land, das gegenüber dem Pariser Club schuldenfrei geworden ist (GIZ 7.2017c).

Nigeria ist der zehntgrößte Erdölproduzent der Welt und der größte Erdölproduzent Afrikas. Über 70 Prozent der Staatseinnahmen und 90 Prozent der Exporterlöse stammen aus der Erdöl- und Erdgasförderung. Neben den Erdöl- und Erdgasvorkommen verfügt Nigeria über umfangreiche natürliche Ressourcen (z. B. Zinn, Eisen-, Blei-, und Zinkerz, Kohle, Kalk, Gesteine und Posphat), die gesamtwirtschaftlich gesehen jedoch von geringer Bedeutung sind (GIZ 7.2017c).

Neben der Öl- und Gasförderung sind der (informelle) Handel und die Landwirtschaft von Bedeutung, die dem größten Teil der Bevölkerung eine Subsistenzmöglichkeit bietet (AA 21.11.2016). Der Reichtum Nigerias ist das Öl, doch über 60 Prozent der Nigerianer sind in der Landwirtschaft beschäftigt. In ländlichen Gegenden beträgt der Anteil über 90 Prozent (AA 4.2017c). Der Sektor erwirtschaftete 2016 etwa 26 Prozent des BIP (GIZ 6.2016c). Nigeria ist Afrikas größter Yam- und Augenbohnenproduzent und der weltweit größte Produzent von Maniok (Kassava) (AA 4.2017c).

Über 95 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion kommt von kleinen Anbauflächen - in der Regel in Subsistenzwirtschaft - mit Größen von einem bis fünf Hektar (AA 4.2017c). Neben Millionen von Kleinbauern gibt es Großfarmen. In den letzten Jahren wuchs dieser Sektor mit zehn Prozent überdurchschnittlich, denn die Förderung der Landwirtschaft mittels finanzieller und technischer Anreize (Produktivitätssteigerung mittels Düngemittel und Ausbau des Transportnetzwerkes) stand im Mittelpunkt von Wirtschaftsreformen der Regierung (GIZ 7.2017c). Auch die Mais- und Reisproduktion wurde - durch Einwirken der Regierung - kräftig ausgeweitet. Die unterentwickelte Landwirtschaft ist nicht in der Lage, den inländischen Nahrungsmittelbedarf zu decken. Dabei ist das Potenzial der nigerianischen Landwirtschaft bei Weitem nicht ausgeschöpft (AA 4.2017c). Eine Lebensmittelknappheit war in fast ganz Nigeria aufgrund des günstigen Klimas und der hohen agrarischen Tätigkeit so gut wie nicht existent, in vereinzelten Gebieten im äußersten Norden Nigerias (Grenzraum zur Republik Niger) gestaltet sich die Landwirtschaft durch die fortschreitende Desertifikation schwierig. Experten schließen aufgrund der Wetterbedingungen, aber auch aufgrund der Flüchtlingsbewegungen als Folge der Attacken durch Boko Haram, Hungerperioden für die nördlichen, insbesondere nordöstlichen Bundesstaaten nicht mehr aus (ÖBA 9.2016).

Der Industriesektor (Stahl, Zement, Düngemittel) macht ca. 20 Prozent des BIP im Jahr 2016 aus. Neben der Verarbeitung von Erdölprodukten werden Nahrungs- und Genussmittel, Farben, Reinigungsmittel, Textilien, Brennstoffe, Metalle und Baumaterial produziert. Haupthindernis für die industrielle Entfaltung ist die unzureichende Infrastrukturversorgung (Energie und Transport). Von den landesweit insgesamt 200.000 Straßenkilometer sind ca. 50 Prozent instandsetzungsbedürftig. Die Eisenbahnlinie Lagos-Kano (ca. 1.300 km) wurde 2013 mit chinesischer Hilfe modernisiert (GIZ 7.2017c).

Die Einkommen sind in Nigeria höchst ungleich verteilt (BS 2016). Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung leben in absoluter Armut (BS 2016; vgl. AA 21.11.2016).

Über 20 Millionen junge Menschen sind arbeitslos. Der Staat und die Bundesstaaten haben damit begonnen, diesbezüglich Programme umzusetzen. Die Resultate sind dürftig (BS 2016). Der Mangel an lohnabhängiger Beschäftigung führt dazu, dass immer mehr Nigerianer in den Großstädten Überlebenschancen im informellen Wirtschaftssektor als "self-employed" suchen. Die Massenverelendung nimmt seit Jahren bedrohliche Ausmaße an (GIZ 7.2017b).

Verschiedene Studien haben ergeben, dass mehr als 80 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung Nigerias arbeitslos sind und dass 60 Prozent der Arbeitslosen Abgänger der Haupt- oder Mittelschule ohne Berufsausbildung sind (IOM 8.2014). Offizielle Statistiken über Arbeitslosigkeit gibt es aufgrund fehlender sozialer Einrichtungen und Absicherung nicht. Die Großfamilie unterstützt

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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