TE Bvwg Beschluss 2018/9/4 W168 2204545-1

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Veröffentlicht am 04.09.2018
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Entscheidungsdatum

04.09.2018

Norm

AsylG 2005 §5 Abs1
BFA-VG §21 Abs3
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W168 2204545-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. MACALKA über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Armenien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.07.2018, Zl. 1184100003 / 180249372 -EAST Ost beschlossen:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 BFA - VG idF BGBl. I Nr. 24/2016 stattgegeben und der bekämpfte Bescheid wird behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte nach unberechtigter Einreise in das Bundesgebiet am 13.03.2016 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz ein und gab hierzu die oben angeführten Personalien an.

Eine EURODAC- Abfrage ergab keinen Eurodac Treffer. In der Visa Datenbank konnte das Vorliegen eines Visas der Kategorie C für Polen im Gültigkeitszeitraum vom 09.09.2017 bis zum 23.09.2017 festgestellt werden.

Bei der Erstbefragung gab der Beschwerdeführer (BF) befragt zur Reiseroute an, dass er aus Armenien kommend über unbekannte Länder schlepperunterstützt am 12.03.2018 nach Österreich gekommen wäre. Die Reise hätte rund 3,5 Tage gedauert. Er wäre mit einem Fahrzeug gereist, bzw. hätte während der Fahrt das Auto nicht verlassen dürfen. Weitere Angaben betreffen der Reiseroute könnten nicht erstattet werden. Betreffend des Fluchtgrundes wurde ausgeführt, dass der BF am 07.03.2018 wäre er am Nachhauseweg von zwei Männern in Zivil angegriffen worden und mit dem Auto entführt und mit dem Umbringen bedroht worden. Am 08.03.2018 wäre er dann mit der Hilfe seines Onkels aus Armenien ausgereist.

Aufgrund der vorliegenden Daten der Visa Datenbank richtete das BFA ein auf Art. 12 Abs. 4 Dublin III VO gestütztes Ersuchen an Polen. Polen stimmte daraufhin der Aufnahme des BF gem. Art. 12 Abs. 4 Dublin III VO mit 19.03.2018 ausdrücklich zu.

Bei der am 09.05.2018 durchgeführten Erstbefragung führte der BF aus, dass er aus Armenien gekommen wäre. Er hätte nicht in Polen gelebt. Er wäre vor 8 Monaten in Polen gewesen und wäre anschließend wieder nach Armenien ausgereist. Danach wäre er direkt von dort nach Österreich gereist. Österreich wäre sein Zielland gewesen. Insgesamt hätte er sich nur für rund 2 Tage in Polen zum Besuch eines Begräbnisses in Polen aufgehalten. Ansonsten hätte er nichts mit Polen zu tun.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde I. der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Polen gemäß Art. 12 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Prüfung des Antrages zuständig sei, sowie II. gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gem. § 61 Abs. 2 FPG dessen Abschiebung nach Polen zulässig sei.

Gegenständlicher Bescheid enthält zum damaligen Zeitpunkt aktuelle und umfassende Feststellungen zur Lage im Mitgliedstaat. Beweiswürdigend wurde im Wesentlichen die Zuständigkeit Polen betreffend ausgeführt, dass der BF aus Polen kommend illegal nach Österreich weitergereist wäre. Aufgrund des durchgeführten Konsultationsverfahrens mit Polen stehe fest, dass Polen gem. Art. 12 Abs. 4 der Dublin III VO für das materielle Verfahren zuständig wäre.

Der Beschwerdeführer bekämpfte die Entscheidung des Bundesamtes mit einer fristgerecht eingebrachten Beschwerde. In dieser wurde zusammenfassend ausgeführt, dass Art. 12 Abs. 4 voraussetzen würde, dass der BF das Gebiet der Mitgliedsstaaten nicht verlassen hätte. (Filzwieser / Sprung, Dublin III VO, Stand 1.1.14, S. 140 ff K24)

Eine Mindestdauer des Verlassens der Mitgliedsstaaten wäre bei Art. 12 im Unterschied zu Art. 19 Abs. 2 und Art. 20 Abs. 5 zweiter Untersatz die diesbezüglich eine Mindestdauer von 3 Monaten vorsehen würden, hier nicht gegeben. Auch eine kurzfristige Ausreise würde genügen, dass abgelaufene Visa und Aufenthaltstitel keinen zuständigkeitsbegründenden Charakter mehr besitzen würden. Der BF hätte dargelegt, dass er das Visum nur für den Besuch eines Begräbnisses benutzt hätte, bzw. nach 2 Tagen Polen wieder verlassen hätte und nach Armenien zurückgekehrt wäre. Diesbezüglich könnten mehrere der Beschwerde beigefügte Bescheinigungsmittel, wie ein Arztbrief vom 20.11.2017, und eine Pfandleihbestätigung vom 23.11.2017 in Kopie vorgelegt, bzw. diese auch im Original jederzeit vorgelegt werden. Im angefochtenen Bescheid wäre das Vorbringen hinsichtlich des Verlassens des BF zwar rezitiert worden und nicht in Absprache gestellt worden. Es wäre, begründet auf die erfolgte Zustimmung jedoch seitens des BFA offensichtlich davon ausgegangen worden, dass sämtliche Aussagen des BF (betreffend des Verlassens der Mitgliedsstaaten) in Folge hinfällig wären. Auf die Rsp. des VwGH (RA 2016/19/0078 vom 14.12.2016 wäre zu verwiesen, der mit Verwies auf das Urteil des EuGH zu RS C-63/15 (Ghezelbash), sowie C-155/15 (Karim) vom 07.06.2016 die fehlende Anwendung der Kriterien der Dublin III VO vom Antragsteller (bzw. BF) mittels Rechtsbehelf geltend gemacht werden können und es sich hierbei um ein subjektives Recht handle. Bei richtiger Rechtsanwendung hätte die belangte Behörde somit nicht von einer Zuständigkeit Polens ausgehen dürfen. Demgemäß wird der angefochtene Bescheid zu beheben und das Verfahren in Österreich zuzulassen sein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Auf das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend des angeführten Verlassens der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union in einem Zeitraum von ungefähr acht Monaten ist ausreichend nicht eingegangen worden, bzw. sind hierzu keine ausreichenden Feststellungen und Ermittlungen getroffen worden. Insbesondere wurden keine Abklärungen mit den polnischen Dublin Behörden betreffend eines Verlassens des Gebietes der Mitgliedsstaaten im Zeitraum von 23. September bis zum des Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Zeitraum nach Ablauf des Visums von Februar 2015 bis zum Jänner 2016 vorgenommen.

Die vorgenommene Beweiswürdigung vermag die Feststellung, dass der aus Polen kommend unberechtigt nach Österreich gereist wäre unter Berücksichtigung der diesbezüglich durchgehend in der Erstbefragung, bzw. auch während der Einvernahme vor dem BF weiter ausgeführten Aussagen des BF, dass dieser aus Armenien kommend direkt nach Österreich gelangt wäre, nicht zu begründen.

Die Beurteilung der Zuständigkeit Polens bzw. die Zulässigkeit der Überstellung in den angenommen zuständigen Mitgliedstaat ist durch das BVwG aufgrund des vorliegenden Akteninhaltes noch nicht möglich, bzw. sind diesbezüglich ergänzende Abklärungen seitens des BFA vorzunehmen.

2. Beweiswürdigung

Die festgestellten Tatsachen ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

3. Rechtliche Beurteilung

Zu A) Stattgebung der Beschwerde:

§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idF BGBl. I Nr. 24/2016 lautet:

"§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint."

Auf gegenständliches Verfahren bezogen ist folgendes festzuhalten:

Im angefochtenen Bescheid wurde die Zuständigkeit Polens betreffend zwar ausgeführt, dass der BF angegeben hätte, dass er Polen verlassen habe, aufgrund der seitens Polens erteilten Zustimmung zur Aufnahme des BF gem. Art. 12 Abs. 4 Dublin III VO wäre Polen jedoch für die Durchführung des materiellen Verfahrens weiterhin zuständig.

Der Beschwerde ist zuzustimmen, wenn diese ausführt, dass die fehlende Anwendung der Kriterien der Dublin III VO vom Antragsteller (bzw. BF) mittels Rechtsbehelf geltend gemacht werden kann und es sich hierbei um ein subjektives Recht des Antragstellers handelt.

Der BF hat im Verfahren durchgehend angegeben, dass er das Gebiet der Mitgliedsstaaten verlassen habe, bzw. hat diesbezüglich im Beschwerdeverfahren auch Bescheinigungsmittel vorgelegt. Der BF hat zudem einen Fluchtgrund angegeben der sich seinen Angaben nach erst wenige Tage vor der Antragstellung des BF in Österreich in Armenien zugetragen haben soll. Dass das BFA entsprechend nähere Abklärungen mit dem BF betreffend das angegebene Verlassen des Gebietes der Mitgliedsstaaten durchgeführt hat, bzw. valide Nachforschungen angestellt hätte, die dieserart Vorbringen widerlegen könnten, ist dem vorliegenden Verwaltungsakt nicht zu entnehmen. Auch wurde Polen nicht betreffend den Ausführungen des BF betreffend des Verlassens des Gebietes der Mitgliedsstaaten entsprechend informiert. Alleine aufgrund der in Unkenntnis dieser Ausführungen des BF erfolgten Zustimmung der polnischen Behörden zur Aufnahme des BF gem. Art. 12 Abs.4 Dublin III VO basierend auf einem bereits am 23.09.2017 abgelaufenen Visum, in Zusammenschau mit dem Antragsdatum 13.03.2018 ergibt sich somit in casu jedenfalls alleine aufgrund der erfolgten Zustimmung Polens noch keine Zuständigkeit dieses Mitgliedsstaates. Der EuGH hat in seinen Urteilen vom 07.06.2016 in RS C-64/15, sowie C-155/15 festgestellt, dass ein Verstoß gegen die Regelung des Art. 19 Abs. 2 Untersatz 2 Dublin III VO als subjektives Recht durch einen Beschwerdeführer geltend gemacht werden kann.

Auf ein Vorbringen betreffend eines nicht per se unglaubwürdigen zuständigkeitsrelevanten Verlassens des Gebietes der Mitgliedsstaaten ist in einem Dublin Verfahren jedenfalls näher einzugehen. Das im gegenständlichen Verfahren seitens des Beschwerdeführers diesbezüglich explizit durchgehend im Verfahren erstattete Vorbringen wird somit ausführlich mit dem BF zu erörtern sein, ihm wird ausreichend Gelegenheit einzuräumen sein, dass dieser genauere Informationen betreffend des angeführten Verlassens des Gebietes der Mitgliedsstaaten ausführen kann und allfällig diesbezüglich vorhandene Bescheinigungsmittel in Vorlage bringen kann. Dieserart Ausführungen des BF sind dem zuständigen Mitgliedssaat mitzuteilen, um diesen in die Lage zu versetzen aufgrund dieser wesentlichen neuen Informationen seine Zuständigkeit neu beurteilen zu können.

Nur nach der Durchführung solcherart Ermittlungen und Abklärungen und der Führung eines diesbezüglich vollständigen Konsultationsverfahren ist es möglich zu beurteilen, ob weiterhin von einer Zuständigkeit des angenommenen Mitgliedsstaates, bzw. von einem Erlöschen der Zuständigkeit dieses Mitgliedsstaates ausgegangen werden muss.

Die Beurteilung der weithin gegebenen Zuständigkeit Polens bzw. die Zulässigkeit der Überstellung in den angenommen zuständigen Mitgliedstaat ist daher durch das BVwG aufgrund des vorliegenden Akteninhaltes gegenwärtig nicht möglich.

Erst unter Zugrundelegung der diesbezüglich vorgenommene Abklärungen und Informationen kann somit in casu die Frage der Zuständigkeit Polens oder Österreichs erstinstanzlich durch das BFA beurteilt werden, bzw. kann erst auf diesen ergänzenden Abklärungen aufbauend eine abschließende rechtliche Beurteilung des konkreten Einzelfalles durch das BVwG im Beschwerdefall vorgenommen werden.

Wie dargelegt wurde im gegenständlichen Fall der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt, weshalb gem. §21 Abs. 3 BFA-VG 2. Satz zwingend vorzugehen war.

Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 6a BFA-VG unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Einreise, Ermittlungspflicht, Kassation,
mangelnde Sachverhaltsfeststellung, Mitgliedstaat

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W168.2204545.1.00

Zuletzt aktualisiert am

07.12.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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