TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/21 W258 1434253-5

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.09.2018
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Entscheidungsdatum

21.09.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1

Spruch

W258 1434253-5/23E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gerold PAWELKA-SCHMIDT über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl XXXX , nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am 26.01.2018 und 28.05.2018 zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Wesentlicher Verfahrensgang:

1. Erstantrag:

Der Beschwerdeführer (in Folge kurz "BF") stellte am 19.07.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er brachte im Wesentlichen vor, von unbekannten Tätern in seinem Heimatstaat entführt worden zu sein. Nachdem sein Bruder Lösegeld gezahlt habe, sei der BF freigelassen worden.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom XXXX wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat der Islamischen Republik Afghanistan (in Folge kurz "Afghanistan") nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan verfügt (Spruchpunkt III.).

Gegen diese Entscheidung erhob der BF Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, die mit hg Erkenntnis vom XXXX zur AZ XXXX hinsichtlich Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 und § 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 rechtskräftig als unbegründet abgewiesen wurde. Gemäß § 75 Abs 20 AsylG 2005 wurde das Verfahren hinsichtlich Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das seit 01.01.2014 zuständige Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Die ordentliche Revision wurde gemäß Art 133 Abs 4 B-VG für nicht zulässig erklärt. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, der BF unterliege in seinem Herkunftsstaat keiner Verfolgungsgefahr iSd Genfer Flüchtlingskonvention; eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung nach Afghanistan bedeute für ihn keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, Art 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (in Folge kurz "EMRK") oder der Protokolle Nr 6 oder 13 zur Konvention und würde für den BF als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen; die aufenthaltsbeendende Maßnahmen stelle keinen unzulässigen Eingriff in das durch Art 8 EMRK geschützte Privat- und Familienleben des BF in Österreich dar.

Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom XXXX wurde die Behandlung der Beschwerde gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX abgelehnt. Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass dem Bundesverwaltungsgericht bei der Erlassung der angefochtenen Entscheidung keine Verletzung der Art 2 und 3 EMRK unterlaufen sei, weil es sich in aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstandender Weise mit Art 2 und 3 EMRK erfließenden Aspekten auseinandergesetzt habe. Durch eine den Antrag auf internationalen Schutz abweisende, nicht aber auch die Ausweisung verfügende Entscheidung komme eine Verletzung des Art 8 EMRK von vornherein nicht in Betracht. Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen und sie gemäß Art 144 Abs 3 B-VG dem VwGH abzutreten.

Gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX wurde vom BF gemäß § 30a Abs 7 VwGG eine außerordentliche Revision erhoben.

Mit Beschluss vom XXXX hat der Verwaltungsgerichtshof die Revision gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX zurückgewiesen. Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass unter der Überschrift "Revisionspunkte" die Revision zu ihrer Zulässigkeit vorbringe, dass "das angefochtene Erkenntnis nicht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinsichtlich der Glaubwürdigkeit von Verfolgungsründen" entspreche. Dieses Vorbringen sei nicht geeignet, eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung gemäß Art 133 Abs 4 B-VG aufzuzeigen. Der Verwaltungsgerichtshof habe bereits festgehalten, dass er als Rechtsinstanz tätig sei, zur Überprüfung der Beweiswürdigung sei er im Allgemeinen nicht berufen. Auch könne einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitze.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 erteilt. Gegen den BF wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.

Gegen den angeführten Bescheid richtete sich eine beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl fristgerecht eingelangte und mit XXXX datierte Beschwerde des BF an das Bundesverwaltungsgericht.

Am 23.08.2016 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung statt, in welcher der BF Angaben zu seiner Integration machte und diesbezügliche Unterlagen vorlegte. In der Befragung gab der BF im Wesentlichen an, es habe sich hinsichtlich seiner persönlichen und familiären Verhältnisse nichts geändert, außer dass er den Kontakt zu seinem Vater abgebrochen habe. Seiner Familie in Afghanistan gehe es nach wie vor gut. Der Vater arbeite nach wie vor als Bauer. Er habe seit langem keinen Kontakt mehr zu seinem Vater. Grund für den Abbruch des Kontakts sei gewesen, dass der BF den 18. Geburtstag seiner Freundin gefeiert und dabei Alkohol getrunken und geraucht habe. Ein Freund des BF dürfte ein Video vom BF in diesem Zustand aufgenommen und es dem Vater des BF übermittelt haben.

Die Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom XXXX aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde in der Entscheidung im Wesentlichen festgehalten, dass beim BF keine der Rückkehr entgegenstehende Integration erkannt werden könne und dessen Rückkehr keinen (unzulässigen) Eingriff in dessen Privat- und Familienleben darstelle.

Ein vom BF an den Verfassungsgerichtshof gerichteter Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung einer Beschwerde gegen das genannte Erkenntnis wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom XXXX abgewiesen. Begründend führte der Verfassungsgerichtshof aus, unter Bedachtnahme auf die dem Verfassungsgerichtshof zur Verfügung stehenden Unterlagen bestehe kein Anhaltspunkt für die Annahme, dass die Entscheidung auf einer rechtswidrigen generellen Norm beruhe oder dass bei der Gesetzeshandhabung ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler unterlaufen wäre; es ergäben sich vielmehr ausschließlich Fragen der richtigen Rechtsanwendung, die jedoch nicht in den Zuständigkeitsbereich des Verfassungsgerichtshofes fallen würden. Eine Rechtsverfolgung durch Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erscheine somit als offenbar aussichtslos, zumal bei der gegebenen Lage sogar die Ablehnung der Beschwerdebehandlung zu gewärtigen wäre.

2. Erster Folgeantrag:

Am 21.03.2017 stellte der Antragsteller neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen der Befragung gab er zu den Gründen für seine erneute Antragstellung an, dass über die bisherigen Fluchtgründe hinaus sein Vater ihm geschworen habe, er werde ihn enthaupten. Da sein Vater auf Bildern gesehen habe, wie der BF in Österreich Alkohol getrunken und Zigaretten geraucht habe, sei er aus seiner Familie ausgestoßen worden, seine Familie wolle ihn nicht mehr lebend sehen. Seine Familie und die Freunde seiner Familie seien mit dem europäischen Lebensstil, den er jetzt führe, nicht einverstanden. Dies passe seinem Vater überhaupt nicht, weil er Koranschullehrer sei und diesen Lebensstil nicht akzeptiere.

In seiner Einvernahme vor der belangten Behörde am 23.05.2017 führte er ergänzend aus, sein Vater habe ihn auch verstoßen, weil er eine außereheliche Beziehung mit einer Österreicherin führe.

Mit Bescheid vom XXXX wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs 1 AVG zurück und erteilte dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005. Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen und es wurde weiters gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei. Gemäß § 55 Abs 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise.

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass der BF kein neues Vorbringen erstattet habe, sondern den gegenständlichen Folgeantrag mit einem schon im Verfahren über seinen früheren Antrag bestehenden Sachverhalt begründet habe. Dem (zweiten) Antrag stünde daher die Rechtskraft des Vorbescheides entgegen, weswegen das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu seiner Zurückweisung verpflichtet sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der BF am XXXX fristgerecht Beschwerde, in welcher der Bescheid zur Gänze wegen unschlüssiger Beweiswürdigung/rechtlicher Beurteilung und infolgedessen mangelhaften Ermittlungsverfahrens in Beschwerde gezogen wird.

Mit Erkenntnis vom XXXX bestätigte das Bundesverwaltungsgericht den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und führte im Wesentlichen begründend dazu aus, es liege eine entschiedene Sache vor, über welche nicht meritorisch entschieden werden könne, weil weder in der maßgeblichen Sachlage, und zwar im Hinblick auf jenen Sachverhalt, der in der Sphäre der BF liege und der vor dem XXXX (Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über den Erstantrag) bereits vorgelegen sei, noch auf jenen, welcher von Amts wegen aufzugreifen sei, noch in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten sei, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Anliegens nicht von vornherein als ausgeschlossen scheinen ließe.

2. Zweiter Folgeantrag:

Am 17.08.2017 stellte der BF den mittlerweile dritten Antrag auf internationalen Schutz.

In seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 17.08.2017 gab der BF zusammenfassend an, er sei Staatsbürger Afghanistans, gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an und sei in der Provinz Panjshir, in Afghanistan geboren. Er sei ledig und kinderlos. Zu den Gründen der neuerlichen Antragstellung befragt, gab der BF an, er sei in Afghanistan von anderen Afghanen wegen seiner sexuellen Neigung belästigt worden. Er habe in Afghanistan einen Freund, welcher inzwischen in England lebe, gehabt. Der BF sei unter anderem auch "ein bisschen" vor ihm geflüchtet. Die Familie des BF wisse nichts über seine sexuelle Neigung. In Österreich habe der BF einen Freund, welchen er bereits seit drei Jahren kenne.

In seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge kurz "belangte Behörde") am 07.09.2017 führte der BF im Wesentlichen aus, seine Eltern sowie seine drei Brüder und seine drei Schwestern seien nach wie vor in Afghanistan aufhältig. Er habe seit eineinhalb Jahren keinen Kontakt mehr zu ihnen. Im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan werde der BF wegen seiner Homosexualität gesteinigt und umgebracht. Der BF sei bereits in seinem Herkunftsstaat homosexuell gewesen, allerdings habe niemand davon gewusst. In Österreich sei er seit 2015 mit einem Mann namens XXXX zusammen, allerdings würden - abgesehen von den Familienangehörigen seines Partners - weder Freunde noch Bekannte etwas davon wissen. Er wohne mit seinem Partner seit zwei bis drei Monaten zusammen. Befragt zu seinen weiblichen Partnerinnen gab der BF an, er sei von 2014 bis 2016 mit XXXX und nach seinem Gefängnisaufenthalt 2017 zwei bis drei Monate mit XXXX zusammen gewesen. Mit beiden habe er Geschlechtsverkehr gehabt. Abschließend führte der BF aus, dass die in seinen Vorverfahren angegeben Fluchtgründe aufrecht bleiben würden.

Nach Befragung des BF verkündete der Leiter der Amtshandlung mündlich den Bescheid, hob den faktischen Abschiebeschutz auf und führte begründend dazu aus, dass der neue Antrag auf internationalen Schutz voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein werde. Dies, weil sich der BF auf seine Fluchtgründe aus dem ersten und zweiten Antrag stütze, diese bereits abschlägig entschieden worden und keine wesentlichen Änderungen in der Sachlage gegeben seien. Das neue Vorbringen homosexuell zu sein sei nicht glaubhaft, weil der Antragsteller zwei sexuelle Beziehungen zu Frauen geführt habe, sich diese jedoch mit der sexuellen Beziehung mit dem Mann ca eineinhalb Jahre überschneiden würden. Auch die Altersdivergenz zum ca 50 Jahre alten Partner erscheine verdächtig. Dieser männliche Partner sei nicht in der Verhandlung des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.10.2015 erwähnt worden, obwohl damals die Beziehung schon bestanden habe.

Am XXXX informierte die belangte Behörde das Bundesverwaltungsgericht über die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes des BF. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX wurde ausgesprochen, dass die gemäß § 12a Abs 2 AsylG 2005 erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nicht rechtswidrig sei.

Mit Schreiben vom 11.10.2017 legte der BF Erklärungen von Herrn XXXX , Herrn XXXX und Herrn XXXX vor und beantragte seine Befragung und die Einholung eines länderkundlichen Sachverständigengutachtens zum Thema der prekären Sicherheitslage in seinem Heimatland. Es wurde zudem ersucht fremdenrechtliche Maßnahmen hintan zu halten.

Mit Bescheid vom XXXX wies die belangte Behörde den zweiten Folgeantrag des BF auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs 1 AVG zurück (Spruchpunkt I.). Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 57 AsylG 2005 kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt. Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen und es wurde weiters gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gemäß § 55 Abs 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt III.).

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde des BF vom 03.01.2018, in der er im Wesentlichen ausführte, dass er seine Homosexualität aus Angst verschwiegen habe. Der BF beabsichtige seinen Partner zu heiraten. In Afghanistan würde der BF mit der Tochter seiner Tante mütterlicherseits verehelicht werden, wobei er aufgrund seiner Homosexualität keine Beziehung zu einer Frau eingehen wolle. Abschließend beantragte der BF die Einvernahme seines angeblichen Partners und zweier gemeinsamer Bekannter als Zeugen.

Mit Beschluss vom XXXX erkannte das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde gemäß § 17 Abs 1 Z 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zu.

In der am 26.01.2018 hg durchgeführten mündlichen Verhandlung wurde der BF ausführlich zu seiner Homosexualität befragt. Weiters wurde Herr XXXX als Zeuge einvernommen und zur vermeintlichen Beziehung mit dem BF befragt.

Am 28.05.2018 fand eine weitere mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, in welcher Herr XXXX und Herr XXXX als Zeugen einvernommen wurden.

Dem BF wurde am 28.08.2018 wegen Zeitablauf das aktuelle Länderinformationsblatt zu Afghanistan übermittelt und ihm freigestellt, binnen 14 Tagen dazu Stellung zu nehmen. Der BF hat keine Stellungnahme eingebracht.

Beweise wurden aufgenommen durch Einvernahme des BF als Partei, Einvernahme der Zeugen XXXX (in Folge kurz "Z1"), XXXX (in Folge kurz "Z2") und XXXX (in Folge kurz "Z3") sowie Einsicht in die Verwaltungsakten des BF sowie in die folgenden Urkunden:

* Bestätigungsschreiben von Herrn XXXX vom 20.01.2018 (Beilage ./1),

* sechs Fotos, zeigend den BF mit Z1 und Z2, als Konvolut (Beilage ./2),

* Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Provinz Balkh, Mazar-e Sharif:

Organisationen zur Unterstützung von Homosexuellen, Vorfälle mit Homosexuellen, Verfolgung von Tätern vom 31.08.2017 (in Folge kurz "Anfragebeantwortung 31.08.2017"; Beilage ./I),

* Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 29.06.2018 (in Folge kurz "LIB"; Beilage ./II) und der

* Abfrage aus dem Zentralen Melderegister hinsichtlich des BF vom 09.01.2018 (in Folge kurz "ZMR-Abfrage").

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Der folgende Sachverhalt steht fest:

1.1. Zur individuellen Situation des BF:

Der unter Punkt I. geschilderte Verfahrensgang steht fest.

Der BF ist afghanischer Staatsbürger, ist am XXXX geboren und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Er ist sunnitischer Moslem und stammt aus einem Dorf in der Provinz Panjshir.

Der BF ist gesund, arbeitsfähig und verfügt über eine mehrjährige Schulbildung. Er spricht Dari als Muttersprache und hat bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan in der Landwirtschaft seines Vaters gearbeitet. Die Kernfamilie des BF besteht aus seinen Eltern, seinen drei Brüdern und seinen drei Schwestern, welche nach wie vor in Afghanistan, in Panjshir, aufhältig sind. Der Vater des BF finanziert seinen Lebensunterhalt als Landwirt. Ein Bruder des BF betreibt eine eigene Firma in Kabul und ist vermögend. Sein Onkel und seine Tante mütterlicherseits leben ebenfalls in Kabul. Zu seinen Verwandten steht der BF nach wie vor in Kontakt. In Österreich verfügt der BF über keine Verwandten.

Der BF ist schlepperunterstützt und unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist. Er befindet sich seit Juli 2012 in Österreich. Von Anfang Oktober 2015 bis XXXX .2016 hat der BF seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von zumindest sieben Kilogramm Cannabiskraut bestritten. Aus diesem Grund wurde der BF am XXXX .2016 festgenommen und vom Landesgericht für Strafsachen Graz wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 1 2. Fall; § 28a Abs 1 5. Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 und § 27 Abs 1 Z 1 2. Fall, Abs 2 SMG rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Am XXXX .2017 wurde der BF aus der Freiheitsstrafe bedingt entlassen. Die Probezeit wurde mit drei Jahren festgelegt.

Während seines Aufenthaltes in Österreich ist der BF keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen. Der BF hat etwa drei bis vier Monate als freiwilliger Mitarbeiter beim Roten Kreuz gearbeitet. Seit April 2017 wird der BF im Rahmen der Bewährungshilfe von XXXX betreut. Der BF besucht nicht die Hauptschule und hat keine Lehrstelle.

Der BF hat von 29.08.2016 bis 22.12.2016 einen Deutschkurs (A1) besucht, versteht und spricht alltagstaugliches Deutsch.

Der BF ist ledig und hat keine Kinder. Er verfügt in Österreich über soziale Kontakte zu Einheimischen, nämlich zu Z1 und dessen Freundeskreis. Mit Z1 lebt der BF seit April/Mai 2017, der genaue Zeitpunkt ist nicht feststellbar, in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft, wobei sie ihr gemeinsames Leben über die Mindestsicherung des Z1 finanzieren. Der BF ist kein Mitglied in einem Verein. Der BF ist mit der afghanischen Tradition und Lebensweise vertraut.

Der BF ist weder homosexuell oder hat in Afghanistan oder/und in Österreich homosexuelle Handlungen vorgenommen noch glauben das Dritte in Afghanistan. Insbesondere wohnt der BF zwar seit XXXX 2017 gemeinsam mit Z1 in seiner Wohnung, er hat aber keine sexuelle Beziehung mit ihm.

1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat des BF:

1.2.1. Zur Sicherheitslage in Afghanistan im Allgemeinen und in der Provinz Panjshir:

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (LIB S 20). Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB S 24).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert; auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen. Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (LIB S 24).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben. Dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nichtziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (LIB S 30 f).

Im Jänner 2018 waren 56,3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14,5% der Distrikte kontrollierten bzw unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29,2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB S 31).

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte) zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (LIB S 34).

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören ua die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (LIB S 33).

Die afghanischen Sicherheitskräfte haben ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF; diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (LIB S 23).

Die Provinz Panjshir ist seit den 90ern zuerst eine Hochburg des Widerstandes gegen die Sowjetunion und dann gegen die Taliban gewesen. Die Infrastruktur ist limitiert: Dem Großteil der Provinz mangelt es an Elektrizität und Warmwasser; vor kurzem konnte das 3G-Mobilfunknetz in einigen Teilen der Provinz eingerichtet werden (LIB S 166).

Panjshir erstreckt sich entlang einer Straße nordöstlich von Kabul über Bagram. Die Strecke von Kabul nach Bazarak ist asphaltiert und die Entfernung zwischen den beiden Städten beträgt 150 Kilometer (LIB S 167).

Als "relativ stabile" Provinz dient Panjshir als Ausflugsziel bzw Zufluchtsort für Leute, die Ruhe vor den Kämpfen und Spannungen suchen, die die meisten anderen Provinzen durchdringen. Manchmal kommen an den Wochenenden die Bewohner/innen Kabuls nach Panjshir um zu picknicken. Panjshir möchte sich zu einer touristischen Region entwickeln. So fand in Panjshir im April 2017 ein Skiwettbewerb statt, an dem auch Skifahrer/innen aus Kabul und Bamyan teilnahmen. Einheimische wünschen sich mehr Besucher, in der Hoffnung, dass dies dem Arbeitsmarkt und den Einkommen zugutekäme (LIB S 167).

Im Jahr 2017 zählte Panjshir zu den Opium-freien Provinzen Afghanistans. Im Zeitraum 01.01.2017 bis 30.04.2018 wurde in der Provinz ein sicherheitsrelevanter Vorfall registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in Panjshir keine zivilen Opfer registriert. Panjshir gilt gemeinsam mit anderen Provinzen wie Bamyan, Daikundi sowie der Stadt Mazar-e Sharif als weniger gefährlich im Vergleich zu anderen Teilen des Landes (LIB S 167 f).

1.2.2. Zur Sicherheitslage in Kabul:

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen, die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben. Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen. Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt

1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (LIB S 46 f). Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB S 222).

1.2.3. Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge:

Wegen des Konflikts wurden im Jahr 2017 insgesamt 475.433 Menschen in Afghanistan neu zu Binnenvertriebenen (IDPs). Im Zeitraum 2012-2017 wurden insgesamt 1.728.157 Menschen im Land zu Binnenvertriebenen. Zwischen 1.1.2018 und 15.5.2018 wurden 101.000 IDPs registriert. 23% davon sind erwachsene Männer, 21% erwachsene Frauen und 55% minderjährige Kinder (LIB S 309).

Vertriebene Bevölkerungsgruppen befinden sich häufig in schwer zugänglichen und unsicheren Gebieten, was die afghanischen Regierungsbehörden und Hilfsorganisationen bei der Beurteilung der Lage bzw bei Hilfeleistungen behindert. Ungefähr 30% der 2018 vertriebenen Personen waren mit Stand 21.3.2018 in schwer zugänglichen Gebieten angesiedelt (LIB S 310). Mit Stand Dezember 2017 lebten 54% der Binnenvertriebenen in den afghanischen Provinzhauptstädten. Dies führte zu weiterem Druck auf die bereits überlasteten Dienstleistungen sowie die Infrastruktur sowie zu einem zunehmenden Kampf um die Ressourcen zwischen den Neuankömmlingen und der einheimischen Bevölkerung (LIB S 311).

Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Die Unterstützungsfähigkeit der afghanischen Regierung gegenüber vulnerablen Personen - inklusive Rückkehrern aus Pakistan und Iran - ist beschränkt und auf die Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen. Die Regierung hat einen Exekutivausschuss für Vertriebene und Rückkehrer sowie einen politischen Rahmen und einen Aktionsplan eingerichtet, um die erfolgreiche Integration von Rückkehrern und Binnenvertriebenen zu fördern. Im Rahmen der humanitären Hilfe wurden IDPs je nach Region und klimatischen Bedingungen unterschiedlich unterstützt, darunter Nahrungspakete, Non-Food-Items (NFI), grundlegende Gesundheitsdienstleistungen, Hygienekits usw (LIB S 311 f).

1.2.4. Grundversorgung und Wirtschaft:

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu. Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich 6% prognostiziert. Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1,4% aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3,4% bzw 1,8%. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3% zurückgingen und die Importe um 8% stiegen (LIB S 314).

Die afghanische Zentralbank kann Überweisungen und andere Bankdienstleistungen in allen Provinzen in Afghanistan gewährleisten (das dem bekämpften Bescheid zu Grunde gelegte Länderinformationsblatt zu Afghanistan, OZ 1 S 354).

1.2.5. Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit:

In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80% davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner) (LIB S 314 f).

1.2.6. Projekte der afghanischen Regierung:

Im Laufe des Jahres 2017 hat die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen unternommen, um die Rechenschaftspflicht bei der Umsetzung ihrer Entwicklungsprioritäten durch die hohen Entwicklungsräte zu fördern. Darunter fällt ua der fünfjährige (2017 - 2020) Nationale Rahmen für Frieden und Entwicklung in Afghanistan (The Afghanistan National Peace and Development Framework, ANPDF) zur Erreichung der Selbständigkeit. Ziele dieses strategischen Plans sind ua der Aufbau von Institutionen, die Förderung von privaten Investitionen, Wirtschaftswachstum, die Korruptionsbekämpfung, Personalentwicklung usw. Im Rahmen der Umsetzung dieses Projekts hat die Regierung die zehn prioritären nationalen Programme mithilfe der Beratung durch die hohen Entwicklungsräte weiterentwickelt. Die Implementierung zweier dieser Projekte, des "Citizens' Charter National Priority Program" und des "Women's Economic Empowerment National Priority Program" ist vorangekommen. Die restlichen acht befinden sich in verschiedenen Entwicklungsstadien. Das "Citizens' Charter National Priority Program" zB hat die Armutsreduktion und die Erhöhung des Lebensstandards zum Ziel, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden sollen (LIB S 315).

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant (LIB S 316).

1.2.7. Medizinische Versorgung:

Gemäß Artikel 52 der afghanischen Verfassung muss der Staat allen Bürgern kostenfreie primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen gewährleisten; gleichzeitig sind im Grundgesetz die Förderung und der Schutz privater Gesundheitseinrichtungen vorgesehen. Allerdings ist die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal (va Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. Berichten zufolge haben rund 10 Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Behandlung stark einkommensabhängig. Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung (LIB S 318).

In den letzten zehn Jahren hat die Flächendeckung der primären Gesundheitsversorgung in Afghanistan stetig zugenommen. Das afghanische Gesundheitssystem hat in dieser Zeit ansehnliche Fortschritte gemacht. Gründe dafür waren ua eine solide öffentliche Gesundheitspolitik, innovative Servicebereitstellung, Entwicklungshilfen usw. Einer Umfrage der Asia Foundation (AF) zufolge hat sich 2017 die Qualität der afghanischen Ernährung sowie der Gesundheitszustand in den afghanischen Familien im Vergleich zu 2016 gebessert.

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Strategieplan für den Gesundheitssektor (2011 bis 2015) und eine nationale Gesundheitspolicy (2012 bis 2020) entwickelt, um dem Großteil der afghanischen Bevölkerung die grundlegende Gesundheitsversorgung zu garantieren.

Trotz signifikanter Verbesserungen im Bereich des Deckungsgrades und der Qualität der Gesundheitsversorgung wie auch einer Reduzierung der Sterberate von Müttern, Säuglingen und Kindern unter fünf Jahren liegen die afghanischen Gesundheitsindikatoren weiterhin unter dem Durchschnitt der einkommensschwachen Länder. Des Weiteren hat Afghanistan eine der höchsten Unterernährungsraten der Welt. Etwa 41% der Kinder unter fünf Jahren leiden unter chronischer Unterernährung. Sowohl Frauen als auch Kinder leiden an Vitamin- und Mineralstoffmangel. In den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen: Während die Müttersterblichkeit früher bei 1.600 Todesfällen pro 100.000 Geburten lag, belief sie sich im Jahr 2015 auf 324 Todesfälle pro 100.000 Geburten. Allerdings wird von einer deutlich höheren Dunkelziffer berichtet. Bei Säuglingen liegt die Sterblichkeitsrate mittlerweile bei 45 Kindern pro 100.000 Geburten und bei Kindern unter fünf Jahren sank die Rate im Zeitraum 1990 bis 2016 von 177 auf 55 Sterbefälle pro 1.000 Kindern. Trotz der Fortschritte sind diese Zahlen weiterhin kritisch und liegen deutlich über dem regionalen Durchschnitt. Weltweit sind Afghanistan und Pakistan die einzigen Länder, die im Jahr 2017 Poliomyelitis-Fälle zu verzeichnen hatten; nichtsdestotrotz ist deren Anzahl bedeutend gesunken. Impfärzte können Impfkampagnen sogar in Gegenden umsetzen, die von den Taliban kontrolliert werden. In jenen neun Provinzen, in denen UNICEF aktiv ist, sind jährlich vier Polio-Impfkampagnen angesetzt. In besonders von Polio gefährdeten Provinzen wie Kunduz, Faryab und Baglan wurden zusätzliche Kampagnen durchgeführt (LIB S 318 f).

1.2.8. Krankenkassen und Gesundheitsversicherung:

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) bietet zwei Grundversorgungsmöglichkeiten an: das "Essential Package of Health Services" (EPHS) und das "Basic Package of Health Services" (BPHS), die im Jahr 2003 eingerichtet wurden. Beide Programme sollen standardisierte Behandlungsmöglichkeiten in gesundheitlichen Einrichtungen und Krankenhäusern garantieren. Die im BPHS vorgesehenen Gesundheitsdienstleistungen und einige medizinische Versorgungsmöglichkeiten des EPHS sind kostenfrei. Jedoch zahlen Afghanen und Afghaninnen oft aus eigener Tasche, weil sie private medizinische Versorgungsmöglichkeiten bevorzugen, oder weil die öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen die Kosten nicht ausreichend decken. Es gibt keine staatliche Unterstützung für den Erwerb von Medikamenten. Die Kosten dafür müssen von den Patienten getragen werden. Nur privat versicherten Patienten können die Medikamentenkosten zurückerstattet werden.

Medizinische Versorgung wird in Afghanistan auf drei Ebenen gewährleistet: Gesundheitsposten (HP) und Gesundheitsarbeiter (CHWs) bieten ihre Dienste auf Gemeinde- oder Dorfebene an; Grundversorgungszentren (BHCs), allgemeine Gesundheitszentren (CHCs) und Bezirkskrankenhäuser operieren in den größeren Dörfern und Gemeinschaften der Distrikte. Die dritte Ebene der medizinischen Versorgung wird von Provinz- und Regionalkrankenhäusern getragen. In urbanen Gegenden bieten städtische Kliniken, Krankenhäuser und Sonderkrankenanstalten jene Dienstleistungen an, die HPs, BHCs und CHCs in ländlichen Gebieten erbringen. 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden dennoch nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB S 319 f).

1.2.9. Krankenhäuser in Afghanistan:

Theoretisch ist die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern kostenlos. Dennoch ist es üblich, dass Patienten Ärzte und Krankenschwestern bestechen, um bessere bzw schnellere medizinische Versorgung zu bekommen. Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. Für den Zugang zur medizinischen Versorgung sind der Besitz der afghanischen Staatsbürgerschaft und die Mitnahme eines gültigen Ausweises bzw der Tazkira erforderlich. In öffentlichen Krankenhäusern in den größeren Städten Afghanistans können leichte und saisonbedingte Krankheiten sowie medizinische Notfälle behandelt werden. Es besteht die Möglichkeit, dass Beeinträchtigungen wie Herz-, Nieren-, Leber- und Bauchspeicheldrüsenerkrankungen, die eine komplexe, fortgeschrittene Behandlung erfordern, wegen mangelnder technischer bzw fachlicher Expertise nicht behandelt werden können. Chirurgische Eingriffe können nur in bestimmten Orten geboten werden, die meist einen Mangel an Ausstattung und Personal aufweisen. Wenn eine bestimmte medizinische Behandlung in Afghanistan nicht möglich ist, sehen sich Patienten gezwungen ins Ausland, meistens nach Indien, in den Iran, nach Pakistan und in die Türkei zu reisen. Da die medizinische Behandlung im Ausland kostenintensiv ist, haben zahlreiche Patienten, die es sich nicht leisten können, keinen Zugang zu einer angemessenen medizinischen Behandlung (LIB S 321 f).

1.2.10. Homosexuelle:

Die afghanische Verfassung kennt kein Verbot der Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung. Entsprechende Forderungen im Rahmen des Universal Periodic Review-Verfahrens im Jänner 2014 in Genf, gleichgeschlechtliche Paare zu schützen und nicht zu diskriminieren, wies die afghanische Vertretung (als eine der wenigen nicht akzeptierten Forderungen) zurück (LIB S 305).

Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, verbietet in den Artikeln 645 und 649 die Praktiken des Tafkhez, [Geschlechtsverkehr zwischen zwei Männern, Anm.], und der Mosahiqah, [Geschlechtsverkehr zwischen zwei Frauen, Anm]. Neben der sozialen Ächtung von Bisexuellen, Homosexuellen und Transsexuellen verstärken Bestimmungen und Auslegung des islamischen Rechts (der Scharia, die zT von noch konservativeren vorislamischen Stammestraditionen beeinflusst wird) mit Androhungen von Strafen bis hin zur Todesstrafe den Druck auf die Betroffenen. Homosexualität wird weitverbreitet tabuisiert und als unanständig betrachtet. Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle) haben keinen Zugang zu bestimmten gesundheitlichen Dienstleistungen und können wegen ihrer sexuellen Orientierung ihre Arbeit verlieren. Organisationen, die sich für die Rechte von LGBTI-Personen einsetzen, agieren im Untergrund und sind nicht registriert. Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft werden auch weiterhin diskriminiert, misshandelt, vergewaltigt und verhaftet (LIB S 305; Anfragebeantwortung 31.08.2017 S 3).

Eine systematische Verfolgung durch staatliche Organe kann nicht nachgewiesen werden, was allerdings an der vollkommenen Tabuisierung des Themas liegt. Es wird jedoch von gewalttätigen Übergriffen bis hin zu Vergewaltigungen homosexueller Männer durch die afghanische Polizei berichtet. Vor allem aufgrund der starken Geschlechtertrennung kommt es immer wieder zu freiwilligen oder erzwungenen homosexuellen Handlungen zwischen heterosexuellen Männern. Auch existieren zahlreiche traditionelle Praktiken, die zwar nicht offiziell anerkannt sind, jedoch teilweise im Stillen geduldet werden. Beispiele dafür sind die Bacha Push [Anm: auch Bacha Posh; "Bacha" heißt auf Dari "Kinder"], junge Mädchen, die sich als Jungen ausgeben, um bestimmten, den Frauen vorenthaltenen Tätigkeiten nachzugehen und die Bacha Bazi [Anm.: auch Bacha Baazi], Buben oder transsexuelle Kinder, die sexuellem Missbrauch und/oder dem Zwang, bei öffentlichen oder privaten Ereignissen zu tanzen, ausgesetzt sind (LIB S 305).

1.2.11. Rückkehrer:

Im Jahr 2018 kehrten mit Stand 21.3. 1.052 Personen aus angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (759 davon kamen aus Pakistan). Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (LIB S 327).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (zB IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (zB IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Hierfür stand bislang das Jangalak-Aufnahmezentrum zur Verfügung, das sich direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand und wo Rückkehrende für die Dauer von bis zu zwei Wochen untergebracht werden konnten. Im Jangalak Aufnahmezentrum befanden sich 24 Zimmer, mit jeweils 2-3 Betten. Jedes Zimmer war mit einem Kühlschrank, Fernseher, einer Klimaanlage und einem Kleiderschrank ausgestattet. Seit September 2017 nutzt IOM nicht mehr das Jangalak-Aufnahmezentrum, sondern das Spinzar Hotel in Kabul als temporäre Unterbringungsmöglichkeit. Auch hier können Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden (LIB S 328 f).

2. Die Feststellungen ergeben sich aus der folgenden Beweiswürdigung:

2.1. Allgemeines:

Die Feststellungen zum Verfahrensgang ergeben sich aus den unbedenklichen Verwaltungsakten und dem unbedenklichen Gerichtsakt.

Die Feststellungen zu den persönlichen Daten, seiner Lebenssituation in Afghanistan, seiner Familie und seiner Ausreise nach Europa ergeben sich aus im Wesentlichen gleichbleibenden, übereinstimmenden und schlüssigen Aussagen des BF in den behördlichen und gerichtlichen Verfahren. Dass der BF mit seiner Familie nach wie vor in Kontakt steht, gründet in den Aussagen des BF in der hg mündlichen Verhandlung am 16.10.2014, in der er ausführte, einmal im Monat mit seiner Familie in Afghanistan zu telefonieren (S 5 des Verhandlungsprotokolls vom 16.10.2014), sowie in den Aussagen des BF in der mündlichen Verhandlung am 21.10.2015, in der er die Frage nach dem derzeitigen Wohlbefinden seines Vaters problemlos beantworten konnte und dem erkennenden Richter darüber hinaus sogar mitteilte, dass sein Vater weiße Haare bekommen habe (S 10 des Verhandlungsprotokolls vom 21.10.2015). Zwar begründete der BF seinen ersten Folgeantrag damit, dass der Kontakt zu seinem Vater abgebrochen sei und ihn sein Vater im November 2015 mit dem Umbringen bedroht habe, weil sein Vater den westlichen Lebensstil des BF nicht gutheiße, allerdings führte das Bundesverwaltungsgericht in seinem Erkenntnis vom XXXX beweiswürdigend aus, dass diesem Asylgrund keine Glaubwürdigkeit zukommt. Vor diesem Hintergrund - und auf Grund der mangelnden Glaubwürdigkeit des BF (siehe dazu Punkt II.2.2.) - ist auch die Aussage des BF in seiner Einvernahme im gegenständlichen Verfahren vor der belangten Behörde vom 07.09.2017, wonach er seit eineinhalb Jahren keinen Kontakt mehr mit seiner Familie habe, nicht glaubhaft.

Dass der BF gesund ist, ergibt sich aus seiner Einvernahme im Beschwerdeverfahren (OZ 6 S 3) sowie der Tatsache, dass in den gesamten Verfahren nichts Gegenteiliges hervorgekommen ist. Seine Arbeitsfähigkeit ergibt sich aus seinem Alter und seinem allgemein guten Gesundheitszustand.

Die Feststellungen zum Suchtgifthandel, der anschließenden rechtskräftigen Verurteilung und dem Gefängnisaufenthalt des BF ergeben sich aus dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom XXXX zur AZ XXXX (OZ 1 S 193 ff) sowie dem Strafregisterauszug.

Dass der BF keiner Erwerbstätigkeit nachgeht ergibt sich aus seiner diesbezüglichen unbedenklichen Angabe des BF in seiner Einvernahme vor der belangten Behörde (OZ 1 S 64). Die Feststellung, wonach der BF freiwillig für das Rote Kreuz gearbeitet hat, ergibt sich ebenfalls aus seinen glaubhaften Angaben vor der belangten Behörde (OZ 1 S 63). Dass der BF seit seiner bedingten Entlassung aus der Haft vom Verein XXXX betreut wird ergibt sich aus der von der Bewährungshelferin vorgelegten Bestellungsurkunde vom XXXX (OZ 15) sowie dem Bericht der Bewährungshilfe vom XXXX (Verwaltungsakt des zweiten Antrags, S 199). Dem Vorbringen des BF in seiner Einvernahme vor der belangten Behörde am 07.09.2017, er mache beim WIFI die Hauptschule und habe eine Lehrstelle, konnte aufgrund fehlender Nachweise und der mangelnden Glaubwürdigkeit des BF (siehe Punkt II.2.2.) nicht gefolgt werden.

Die Feststellungen zu den Deutschkenntnissen des BF stützen sich auf seine Einvernahme vor der belangten Behörde im gegenständlichen Verfahren, in der er Fragen immer wieder in passablen Deutsch beantwortet hat (zB OZ 1 S 64 und 67). Dass der BF erst einen Deutschkurs besucht hat, ergibt sich aus der vorgelegten Kursbestätigung im Zweitverfahren (Verwaltungsakt des zweiten Antrags, S 193).

Dass der BF mit den afghanischen Traditionen und Lebensweisen vertraut ist ergibt sich daraus, dass der BF in Afghanistan aufgewachsen ist und sozialisiert wurde und bis zu seiner Ausreise nach Europa sein gesamtes Leben in Afghanistan verbracht hat.

Die Feststellungen zur allgemeinen Lage in Afghanistan ergeben sich aus den bei den jeweiligen Feststellungen angeführten Quellen, die sich auf mehrere, im Wesentlichen übereinstimmende Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen gründen.

2.2. Zur sexuellen Orientierung des BF und zum gemeinsamen Leben des BF mit Z1:

Der BF brachte in seinem nunmehr dritten Asylverfahren erstmals vor, homosexuell und deswegen in Afghanistan asylrelevant verfolgt zu sein. Dem konnte nicht gefolgt werden.

Erstens widerspricht dieses Vorbringen seinen Angaben in seinen bisherigen Asylverfahren und seine Angaben sind auch im gegenständlichen Verfahren widersprüchlich. So gab der BF in den Vorverfahren mehrfach an, zwei feste Beziehungen mit Frauen geführt zu haben. Noch in seiner Einvernahme im Rahmen seines Zweitverfahren am 23.05.2017 gab er an, mit seiner Freundin zusammenziehen zu wollen (Verwaltungsakt des zweiten Antrags, S 184) und er führte sogar noch im gegenständlichen Verfahren vor der belangten Behörde aus, mit jeweils beiden seiner Freundinnen Geschlechtsverkehr gehabt zu haben (OZ 1 S 68). Warum er mit ihnen Geschlechtsverkehr haben sollte, obwohl er Frauen - wie der BF in derselben Einvernahme erklärt - eigentlich nicht möge (OZ 1 S 68), die Beziehungen nur zum Schein geführt habe und seine zweite Freundin eigentlich keine richtige Freundin war, weil sie in einer weiblichen Beziehung gelebt habe (OZ 6 S 9), ist dabei nicht nachvollziehbar.

Die sinngemäße Rechtfertigung des BF, er habe sich durch die Vortäuschung von Beziehungen mit anderen Frauen vor unangenehmen Fragen homophober Dritter schützen wollen (OZ 6 S 8), vermag nicht zu überzeugen, weil sie nicht erklärt, wieso der BF deswegen die Asylbehörden mehrfach belügen musste; insbesondere brachte der BF auch ohne konkrete Frage - dh aus Eigenem und ohne Not - im behördlichen Verfahren vor, dass er eine Freundin habe (so in seiner Einvernahme vom 21.03.2017, OZ 1 S 13). Für einen Protokollfehler, wie der BF sinngemäß vermeint (OZ 6 S 8), gibt es keine Hinweise.

Auch eine etwaige Bisexualität des BF kann nicht angenommen werden, weil er sein Interesse an Männern in seinen zwei bisherigen Asylverfahren nicht einmal ansatzweise thematisiert hat. So führte er noch in seiner Beschwerde vom 05.07.2017 aus, eine Freundin zu haben. Es ist nicht nachvollziehbar, dass ein Asylwerber eine sich bietende Gelegenheit, zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten, ungenützt vorübergehen lässt, insbesondere im Falle des BF, der bereits vor dem gegenständlichen Verfahren in zwei Erstbefragungen, in zwei Einvernahmen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie in drei Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht insgesamt fünf Jahre lang die Möglichkeit hatte seine angebliche Homosexualität vorzubringen. Seiner Rechtfertigung, wonach er Angst hatte, der afghanische Dolmetscher könnte etwas weitererzählen (OZ 6 S 6) war nicht zu folgen, weil er nicht ein einziges Mal versucht hat, einen anderen Dolmetscher, bspw aus dem Iran, zu bekommen. Hätte der BF tatsächlich Angst, auf Grund seiner sexuellen Orientierung in Afghanistan verfolgt zu werden, hätte er wohl zumindest versucht, bei seinen Einvernahmen einen für ihn vertrauenswürdigen Dolmetscher zu bekommen, wobei ihn die dem BF amtswegig beigegebenen Rechtsberater unterstützen hätten können.

Zweitens blieben die Aussagen des BF zu seiner angeblichen homosexuellen Beziehung in Afghanistan und mit Z1 zum Teil widersprüchlich und in zentralen Aspekten vage und oberflächlich; rein freundschaftliche Aktivitäten mit Z1 konnte er jedoch detailliert schildern (zB Fahrradtour nach XXXX ; OZ 6 S 6).

So konnte er zur Dauer seiner homosexuellen Beziehung in Afghanistan ("ein, zwei oder drei Jahre") und zum Beginn der Beziehung keine genauen Angaben machen (OZ 1 S 67). Hätte es sich tatsächlich um eine der ersten Lieben des BF gehandelt, wäre er nach der allgemeinen Lebenserfahrung in der Lage gewesen, konkrete Angaben zu dieser angeblichen Beziehung zu tätigen. Schließlich vermochte der BF ja auch in seinen ersten beiden Verfahren genaue Angaben zu den Beziehungen mit seinen österreichischen Freundinnen zu tätigen (" XXXX war 2014 bis 2016 und XXXX von 2017 weg, als ich aus dem Gefängnis kam"; OZ 1 S 68).

Es ist für das erkennende Gericht auch nicht nachvollziehbar, warum der BF trotz mehrfacher Rückfrage nicht in der Lage war, seine Gefühle oder die näheren Umstände zu zentralen Erlebnissen seiner angeblichen Liebesbeziehung mit Z1, wie dem "Zusammenkommen" und dem ersten Kuss, zu beschreiben. Seine Angaben blieben emotionslos und beschränkten sich auf vage Angaben oder Floskeln ("[...] haben wir uns langsam lieben gelernt. [...] Es ist weiter gegangen und es hat zugenommen [...]", "Der erste Kuss geschah vor acht Monaten. Ich höre verschiedene Musik und ich kann mich an die Musik zur Zeit unseres ersten Kusses nicht erinnern", "Ich kann mich an meine Freude, an dem Moment an dem ich ihn das erste Mal geküsst habe, erinnern. Es hat mir eine enorme Freude bereitet. Und seitdem bin ich glücklich."; OZ 1 S 4 f).

Letztlich zeigt sich durch die plumpe Lüge des BF in seinen Schlussworten der Beschwerdeverhandlung, wonach er - trotz seiner aktenkundigen Vorstrafe (zwei Jahre Freiheitsstrafe als junger Erwachsener wegen diverser Drogendelikte) - vorbrachte, er habe seit er in Österreich aufhältig sei, kein einziges Mal das Gesetz gebrochen (OZ 6 S 15), dass er bereit ist, all das auszusagen, was für eine Erreichung einer Aufenthaltsberechtigung in Österreich erforderlich ist. Ihm ist daher jegliche Glaubwürdigkeit abzusprechen und aus seinen Aussagen ist nichts zu gewinnen.

Auch den Aussagen des Zeugen Z1 zur Homosexualität des BF und ihrem intimen Zusammenleben konnte nicht gefolgt werden. So konnte auch der Z1, trotz seiner sonst weitläufigen Schilderungen, zu den Schlüsselerlebnissen in seiner Beziehung mit dem BF nur vage Angaben tätigen. So gab er befragt zum Kennenlernen des BF lediglich an, dass er jetzt nicht alles so offen machen wolle, weil er auch nicht in der Öffentlichkeit unbedingt Händchen halten müsse. Wie es zwischen dem BF und ihm gefunkt habe, könne er gar nicht so beschreiben, es habe sich dann ergeben (OZ 6 S 10). Dazu kommt, dass der Z1 dadurch, dass er den BF vor dem Zugriff der vermeintlichen Fremdenpolizei versteckt hat (OZ 6 S 12), zeigt, dass er gewillt ist, für den Schutz des BF auch das Gesetz zu brechen; seine Glaubwürdigkeit ist daher ebenfalls reduziert.

Die emotionale Betroffenheit des Z1 über einen etwaigen Verlust des BF durch Abschiebung, die Entfernung eines Fussels von der Jacke des Z1 durch den BF (OZ 6 S 14) und die übereinstimmenden detaillierten Schilderungen des BF und des Z1 zu gemeinsamen Freizeit-Aktivitäten sowie zur gemeinsamen Haushaltsführung zeugen zwar von einem vertrauten Verhältnis und einer Wirtschaftsgemeinschaft zwischen BF und Z1, können aber letztlich die behauptete intime Beziehung nicht glaubhaft machen.

Auch die Aussagen des Z2 und Z3 vermochten das Vorbringen des BF nicht zu untermauern, zumal sie als außenstehende Dritte nicht in der Lage waren, über die vermeintliche Geschlechtsgemeinschaft konkrete Angaben zu tätigen. Die Aussagen des Z2 und Z3, wonach der BF und Z1 Händchen halten würden (OZ 16 S 4) stehen überdies im Widerspruch mit der Aussage des Z1, wonach er in der Öffentlichkeit nicht unbedingt Händchen halten müsse (OZ 6 S 10). Auch stehen die Angaben des Z3 zum Beginn der Beziehung zwischen BF und Z1 im Widerspruch zu den Angaben des BF, des Z1 und des Z2. Während BF, Z1 und Z2 den Beginn der Beziehung mit etwa April/Mai 2017 ansetzen, sollen sie nach Z2 bereits im Jahr 2015 zusammengekommen sein (OZ 16 S 5). Letztlich ist auch nicht nachvollziehbar, war

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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