TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/1 I404 2117393-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.10.2018
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Entscheidungsdatum

01.10.2018

Norm

AsylG 2005 §34 Abs4
AVG §68
BFA-VG §21 Abs3
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

I404 1419795-2/4E

I404 2117393-2/4E

I404 2204574-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Alexandra JUNKER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1. XXXX, StA. NIGERIA, 2. XXXX, Sta. Nigeria und 3. XXXX Sta. Nigeria, alle vertreten durch: DIAKONIE FLÜCHTLINGSDIENST gemeinnützige GmbH Volkshilfe Flüchtlings - und MigrantInnenbetreuung GmbH, gegen die Bescheide des BFA, Regionaldirektion Vorarlberg vom 08.08.2018, Zl. 541880804-171057628, Zl. 1053776204-171057601 und Zl. 1166529104-171035683 zu Recht erkannt:

A)

Den Beschwerden wird gemäß §21 Abs. 3 BFA-VG iVm § 34 Abs. 4 AsylG stattgegeben und die bekämpften Bescheide behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer stellte am 22.11.2010 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 27.05.2011, Zl. 10 10.935-BAI, hat das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers sowohl gem. §§ 3 Abs. 1 iVm 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 also auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria gem. §§ 8 Abs. 1 iVm 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen und den Erstbeschwerdeführer in Spruchpunkt III. gem. § 10 Abs. 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria ausgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 04.09.2012 zu Zl. A13 419.795-1/2011/9E als unbegründet abgewiesen.

2. Die Zweitbeschwerdeführerin stellte am 17.3.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.11.2015 wurde der Antrag der Zweitbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz abgewiesen (Spruchpunkt I.). Der Antrag wurde auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihr gemäß §§ 57 und 55 Asylgesetz nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 Asylgesetz iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Zweitbeschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.). Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 7.3.2016 zu Zl. I403 2117393-1/8E als unbegründet abgewiesen.

3. Am 10.8.2017 wurde die Drittbeschwerdeführerin geboren. Am 7.9.2017 stellte die Zweitbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin der Drittbeschwerdeführerin einen Antrag auf internationalen Schutz.

4. Am 13.9.2017 stellten der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin Folgeanträge, die sie unter anderem damit begründeten, dass sie sich im September 2015 kennengelernt hätten. Die Hochzeit habe im Februar 2017 nur kirchlich durchgeführt werden können, da sie keine Papiere für eine standesamtliche Trauung hätten vorlegen können. Am 10.8.2017 sei die gemeinsame Tochter, die Drittbeschwerdeführerin, geboren worden. Der Erstbeschwerdeführer habe nicht in die Geburtsurkunde eingetragen werden können, da er keine Asylkarte habe vorlegen können.

5. Die Zweitbeschwerdeführerin gab im Rahmen der Einvernahme am 06.03.2018 an, dass die Hebamme bei der Geburt der Drittbeschwerdeführerin gesehen habe, dass die Zweitbeschwerdeführerin genital verstümmelt sei. Sie meinte, dass es so etwas in Österreich nicht geben würde. In Nigeria sei dies aber Tradition. Bei einer Rückkehr wisse sie nicht, was mit der Drittbeschwerdeführerin passieren würde, vielleicht würde sie auch genital verstümmelt werden.

6. Mit Bescheiden vom 08.08.2018 wies die belangte Behörde die Anträge des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten sowie hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Nigeria gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkte I. und II.). Zugleich erteilte sie dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Nigeria gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde zudem ausgesprochen, dass eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht besteht (Spruchpunkt VI.). Im Sachverhalt wird unter anderem festgestellt, dass der Erstbeschwerdeführer seine Ehefrau, die Zweitbeschwerdeführerin in Österreich geheiratet und sie ein gemeinsames Kind, die Drittbeschwerdeführerin, hätten.

7. Mit Bescheid vom selben Tag wurde der Antrag der Drittbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt II.) als unbegründet abgewiesen. Zugleich erteilte sie der Drittbeschwerdeführerin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen die Drittbeschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung (IV.) und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.). Schließlich wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen eingeräumt (Spruchpunkt VI.). In der Begründung des Bescheides wurde ausgeführt, dass die gesetzliche Vertretung der Drittbeschwerdeführerin vorgebracht habe, dass die Drittbeschwerdeführerin einer Genitalverstümmelung zum Opfer fallen könnte. Weitere Feststellungen finden sich nicht zu diesem Fluchtvorbringen. In der Beweiswürdigung wurde lediglich auf die niederschriftlichen Angaben der gesetzlichen Vertretung verwiesen. In der rechtlichen Würdigung findet sich dann der Passus, dass der von der gesetzlichen Vertretung vorgebrachte Sachverhalt in seiner Gesamtheit als nicht glaubhaft zu beurteilen sei.

8. Gegen diese Bescheide haben die Beschwerdeführer rechtzeitig und zulässig Beschwerde erhoben.

9. Am 30.8.2018 wurden die Beschwerden samt Akten dem BVWG zur Entscheidung vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind die Eltern der minderjährigen im Bundesgebiet geborenen Drittbeschwerdeführerin.

Die Asylanträge des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin wurden wegen entschiedener Sache nach § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen, während der Antrag der Drittbeschwerdeführerin nach den §§ 3 und 8 AsylG abgewiesen wurde.

2. Beweiswürdigung:

Dass die Zweitbeschwerdeführerin die Mutter der Drittbeschwerdeführerin ist, ergibt sich aus der im Akt befindlichen Geburtsurkunde. Dass der Erstbeschwerdeführer der Vater ist, wurde von der belangten Behörde festgestellt und ist somit ebenfalls unstrittig.

Die Feststellungen zu den Anträgen der Beschwerdeführer und den dazu ergangenen Bescheiden ergibt sich aus den vorgelegten Akten der belangten Behörde.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchpunkt A) Aufhebung des bekämpften Bescheides:

3.1.1. Die hier anzuwenden Bestimmungen §§ 2 Abs. 1 Z. 22 und 34 AsylG sowie § 21 BFA-VG lauten auszugsweise wie folgt:

Begriffsbestimmungen

§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

22. Familienangehöriger: wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise bestanden hat;

dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat;

Sonderbestimmungen für das Familienverfahren

Familienverfahren im Inland

§ 34. (1) Stellt ein Familienangehöriger von

1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder

3. einem Asylwerber einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

....

(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht

§ 21. (1) Zu Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht ist das Bundesamt zu laden; diesem kommt das Recht zu, Anträge und Fragen zu stellen.

(2) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt über Beschwerden gegen Entscheidungen, mit denen ein Antrag im Zulassungsverfahren zurückgewiesen wurde, binnen acht Wochen, soweit der Beschwerde die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt wurde.

...

(3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

...

3.1.2. Die belangte Behörde hat den Asylantrag des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, während der Antrag der Drittbeschwerdeführerin inhaltlich geprüft und in der Folge abgewiesen wurde.

Die Bestimmung des § 34 Abs. 4 AsylG 2005, wonach alle Familienangehörigen entweder den gleichen Schutzumfang erhalten oder alle Anträge "als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen" sind, ist dahingehend zu verstehen, dass im Familienverfahren gegenüber allen Familienangehörigen dieselbe Art der Erledigung zu treffen ist. Ist daher der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, so sind entweder alle Anträge zurückzuweisen oder alle Anträge abzuweisen (VwGH vom 16.08.2016, Ra 2016/01/0039).

Zwar erging diese Rechtsprechung in Zusammenhang mit einem Dublin-Verfahren, jedoch kann bei einer Entscheidung, ob ein Verfahren gemäß § 68 ASVG zuzulassen ist, nichts Anderes gelten.

Unter Zugrundelegung der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist es der belangten Behörde letztlich verwehrt, angesichts der Sachentscheidung betreffend des Antrages der Drittbeschwerdeführerin die Anträge der Eltern im Familienverfahren wegen entschiedener Sache nach § 68 AVG zurückzuweisen. Dem Bundesverwaltungsgericht ist es wiederum verwehrt, über den Antrag des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin selbst meritorisch zu entscheiden, zumal Sache des Beschwerdeverfahrens diesbezüglich die Zurückweisung der Anträge durch die Vorinstanz ist (vgl. VwGH 25.11.2009, Zl. 2007/01/1153).

Der Umstand, dass ein Erkenntnis eines Familienangehörigen aufgehoben wird, schlägt im Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 auch auf die übrigen Familienmitglieder durch und führt zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit der sie betreffenden Entscheidungen (vgl. VwGH vom 22.02.2018, Ra 2017/18/0357).

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass sich im Bescheid der Drittbeschwerdeführerin keinerlei Feststellungen hinsichtlich der behaupteten Verfolgung (Genitalverstümmelung) finden. Lediglich in der rechtlichen Würdigung wird angeführt, dass der von der gesetzlichen Vertretung vorgebrachte Sachverhalt nicht glaubhaft sei. Das Bundesamt wird daher im Bescheid diesbezügliche Feststellungen zu treffen haben und in der Beweiswürdigung darzulegen haben, warum die Feststellungen getroffen wurden. Der Verweis auf die niederschriftlichen Angaben kann keinesfalls eine Beweiswürdigung ersetzen, insbesondere dann nicht, wenn den Angaben nicht gefolgt wird.

3.1.3. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von amtswegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 Z. 1 leg. cit. kann eine Verhandlung entfallen, wenn unter anderem bereits aufgrund der Aktenlage feststeht dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben.

Es war daher ohne mündliche Verhandlung den Beschwerden stattzugeben und die bekämpften Bescheide zu beheben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Familieneinheit, Familienverfahren,
Folgeantrag, meritorische Entscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:I404.2117393.2.00

Zuletzt aktualisiert am

06.12.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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