Entscheidungsdatum
04.10.2018Norm
AVG §38Spruch
W230 2134153-2/2Z
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch den Richter Mag. Philipp CEDE, LL.M., über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX, StA. Afghanistan, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.07.2018, Zl.XXXX, den Beschluss:
A)
Das Beschwerdeverfahren wird gemäß § 38 AVG iVm. § 17 VwGVG bis zur Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-720/17 ausgesetzt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang und - unstrittiger - Sachverhalt:
1. Dem Beschwerdeführer wurde mit mündlich verkündetem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.06.2017 (gekürzt ausgefertigt am 07.07.2017), W253 2134153-1, der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt. Die Frage der Zumutbarkeit einer Rückkehr prüfte das Gericht dabei vornehmlich hinsichtlich der Stadt Kabul, verneinte diese im Einzelfall jedoch. Dies begründete das Bundesverwaltungsgericht wie folgt (Zitat aus der Verhandlungsniederschrift vom 21.06.2017):
"Beim Beschwerdeführer handelt es sich zwar um einen arbeitsfähigen und gesunden jungen Mann, dem die Teilnahme am Erwerbsleben zwar grundsätzlich vorausgesetzt werden kann. Einer Rückkehr bzw. vielmehr einer Neuansiedelung des Beschwerdeführers in Afghanistan bzw. in Kabul steht allerdings neben seiner familiären Situation, auch seine fehlende Kenntnis der dortigen örtlichen Gegebenheiten entgegen. In Afghanistan wäre der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr auf sich alleine gestellt und gezwungen - wenn auch nur vorläufigen - Wohnraum zu suchen, ohne jedoch über ausreichende Kenntnisse der örtlichen und [infrastrukturellen] Gegebenheiten zu verfügen.
Die Neuansiedelung des Beschwerdeführers nach Afghanistan erscheint daher unter den dargelegten Umständen zurzeit als unzumutbar, da der Beschwerdeführer außer seiner Herkunft keinerlei Bezug zum Herkunftsstaat hat. Das BFA hat zu Unrecht den Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Ständige Judikatur des Bundesverwaltungsgerichts ist mittlerweile, dass eine Rückkehr nach Afghanistan allenfalls dann zumutbar ist, wenn der Betroffene vor Ort über ein ausreichendes soziales und wirtschaftliches Netz verfügt, welches zu der vertretbaren Annahme führt, dass dem Rückkehrer notwendige Unterstützung zuteil werden würde (BvWG 26.07.2016, W 123 2127665-1/4E; vgl. auch idS VfGH 06.06.2013, Zl. U 144/2013; vgl. auch Länderfeststellungen). Dass sich im Verfahren ergeben hat, dass derartiges in keiner Weise vorhanden ist, kann schon aus diesem Grund nicht mit erforderlicher Gewissheit ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan in eine ausweglose Lage geraten würde, die einer unmenschlichen Behandlung im Sinne Artikel 3 EMRK gleichzuhalten wäre. Eine weitere in der Person des BF gelegene und in Zusammenschau mit den bereits dargelegten Aspekten maßgebliche Erschwernis im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan ist, im Umstand gelegen, dass der BF einerseits aufgrund seines Aussehens erkennbar einer ethnischen und religiösen [Minderheit] in Afghanistan angehört, die Diskriminierungen ausgesetzt sind. Überdies wäre aufgrund seines zur Gänze außerhalb Afghanistans verbrachten Lebens, was durch seinen [hörbaren] [Farsi]-Akzent erkenntlich ist, gegenüber der autochtonen Bevölkerung als Fremder in eigenem Land exponiert und z.B. bei der Jobsuche diskriminiert. Ein wie von UNHCR in den o.a. Richtlinien für die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative sprechender gesicherter Zugang zu Unterkunft, wesentlichen Grundleistungen (z.B. sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsversorgung) und Erwerbsmöglichkeiten ist daher nicht ersichtlich; der Beschwerdeführer verfügt auch über keine sozialen bzw. familiären Anknüpfungspunkte in Afghanistan oder finanzielle Unterstützung. Die von UNHCR dargelegten "bestimmten Umstände", nach welchen es alleinstehenden leistungsfähigen Männern im berufsfähigen Alter ohne spezifische Vulnerabilitäten möglich sein kann, ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbaner Umgebung zu leben, sind im Falle des Beschwerdeführers aus den dargelegten Gründen daher nicht gegeben."
2. Mit dem angefochtenen Bescheid sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) aus, dass der dem Beschwerdeführer mit "Beschluss" (gemeint wohl: Erkenntnis) vom 21.06.2017 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten "gemäß § 9 Absatz 1 Ziffer 1 Asylgesetz 2005" von Amts wegen aberkannt wird (Spruchpunkt I.). Weiters wies es einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ab (Spruchpunkt II.), versagte einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), sprach aus, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und gewährte eine Frist zur freiwilligen Ausreise von zwei Wochen (Spruchpunkt VI.).
Zur Begründung des Spruchpunktes I. führte die belangte Behörde in den Feststellungen aus, dass sich die "subjektive Lage" des Beschwerdeführers im Vergleich zum Zeitpunkt der Gewährung von internationalem Schutz "geändert" habe, nunmehr eine "taugliche innerstaatliche Fluchtalternative" bestehe und der Beschwerdeführer seinen "Lebensunterhalt in Kabul bestreiten" könne. Konkrete Feststellungen dazu, durch welche Umstände sich die "subjektive Lage" des Beschwerdeführers geändert habe, sind dem Bescheid nicht zu entnehmen. Zur Lage in Afghanistan traf die belangte Behörde Feststellungen durch wörtliche Wiedergabe relevanter Passagen des Länderinformationsblattes der BFA-Staatendokumentation vom 29.06.2018. Als Beweismittel zitiert der Bescheid weiters eine "Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 01.02.2018". In der Beweiswürdigung begründet die belangte Behörde ihre Annahmen unter anderem damit, dass sich aus der genannten Anfragebeantwortung ergebe, dass eine Reihe von Organisationen vor Ort Hilfe leisten würden, so dass Umstände wie eine anfängliche Ortunkenntnis und Orientierungslosigkeit in Kabul nicht zur Unzumutbarkeit der Niederlassung in dieser Stadt führen würden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zu A) Zur Aussetzung des Verfahrens
1. Mit Beschluss vom 14.12.2017, Ra 2016/20/0038, hat der Verwaltungsgerichtshof folgende Frage der Auslegung von Unionsrecht an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet:
"Stehen die unionsrechtlichen Bestimmungen, insbesondere Art. 19 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (Statusrichtlinie) einer nationalen Bestimmung eines Mitgliedstaates betreffend die Möglichkeit der Aberkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten entgegen, wonach auf Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erkannt werden kann, ohne dass sich die für die Zuerkennung relevanten Tatsachenumstände selbst geändert haben, sondern nur der diesbezügliche Kenntnisstand der Behörde eine Änderung erfahren hat und dabei weder eine falsche Darstellung noch das Verschweigen von Tatsachen seitens des Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus ausschlaggebend waren?"
2. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des vorliegenden Aberkennungsbescheides ist die Frage relevant, ob die vom Bundesverwaltungsgericht im Erkenntnis vom 21.06.2017 (gekürzt ausgefertigt am 07.07.2017), W253 2134153-1, als unzumutbar qualifizierte Rückkehr für den Beschwerdeführer zumutbar ist oder nicht. Die belangte Behörde hat ihren Bescheid in rechtlicher Hinsicht damit begründet, dass die "Gründe, die zur Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten geführt haben, nicht mehr vorliegen". Soweit sich die Behörde dabei auf eine Änderung der seit der rechtskräftigen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes eingetretenen Tatsachen stützt, ist zu beachten, dass eine Änderung dieser Tatsachen ausreichend tragfähig sein muss und Feststellungen zu einer nachhaltigen Änderung der subjektiven Umstände des Beschwerdeführers nicht ersichtlich sind, sondern der Bescheid in erster Linie mit den objektiven Gegebenheiten im Land Afghanistan (wie zB Unterstützungsmöglichkeiten etc) argumentiert. Dafür zog die belangte Behörde als wesentliches Begründungselement neue Informationsquellen heran, die nicht auf eine Änderung der Umstände hinweisen, sondern eher darauf hindeuten, dass die Behörde (auch) über bereits am 21.06.2017 vorhandene Umstände ihren Wissensstand erweitert hat und aufgrund dieser Basis nunmehr zu einer geänderten Einschätzung der Lage gelangt.
3. Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative (oder hier: der Zumutbarkeit einer Rückkehr im Lichte von Art. 3 EMRK) sprechen zu können, muss es möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet (...) getroffen werden muss (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001).
4. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass die von der Behörde angenommenen Umstände zur Frage der Arbeits- und Niederlassungsmöglichkeiten des Beschwerdeführers in Kabul, im Rahmen der erforderlichen Einzelfallbeurteilung nur gesamthaft beurteilt werden können. Die Behörde stützte sich dabei vor allem auf die Berichtslage jüngeren Datums. Damit wird für den Beschwerdefall die vom Verwaltungsgerichtshof im eingangs zitierten Vorabentscheidungsersuchen gestellte Frage relevant, ob eine Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten richtlinienkonform nur auf eine Änderung der Umstände oder aber auch darauf gestützt werden darf, dass "der diesbezügliche Kenntnisstand der Behörde eine Änderung erfahren hat".
5. § 38 AVG ist gemäß § 17 VwGVG auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren anwendbar und hat folgenden Wortlaut:
"Sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, ist die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird."
Der VwGH sieht sowohl die Verwaltungsbehörden (VwGH 19.09.2001, 2001/16/0439; 31.01.2003, 2002/02/0158; 19. 12. 2000, 99/12/0286) als auch sich selbst als berechtigt an, das Verfahren gemäß § 38 letzter Satz AVG auszusetzen, wenn die betreffende Frage auf Grund eines Vorabentscheidungsersuchens - etwa des VwGH selbst - in einem gleich gelagerten Fall bereits beim EuGH anhängig ist (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 38 Rz 18 [Stand 1.7.2005, rdb.at]). Gleiches gilt gemäß § 17 VwGVG für die Verwaltungsgerichte (zB VwGH 20.05.2015, Ra 2015/10/0023).
6. Die im eingangs zitierten Vorabentscheidungsersuchen gestellte Frage ist - wie dargelegt - für das vorliegende Verfahren präjudiziell. Ein Zuwarten bis zum Bekanntwerden der Entscheidung des EuGH liegt im vorliegenden Beschwerdeverfahren im Interesse der Prozessökonomie, weil die Durchführung eines ergänzenden Ermittlungsverfahrens mit hoher Wahrscheinlichkeit einen frustrierten Aufwand bedeuten würde, wenn der EuGH die gestellte Frage im verneinenden Sinn beantwortet. Dazu kommt die vom Verwaltungsgericht zu beachtende Entscheidungsfrist. Diese Aspekte lassen es dem Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Ermessensübung angezeigt erscheinen, das vorliegende Verfahren förmlich auszusetzen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (vgl. die in Pkt. II.5. zitierte Rechtsprechung), noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Aussetzung, EuGHEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W230.2134153.2.00Zuletzt aktualisiert am
10.12.2018