Entscheidungsdatum
04.10.2018Norm
AsylG 2005 §5Spruch
W185 2185303-1/14E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard PRÜNSTER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXXalias XXXX, geb. XXXX, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.01.2018, Zl. 820426809-170936615, beschlossen:
A) Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz
BFA-Verfahrensgesetz idgF (BFA-VG) stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang
Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation, stellte am 10.04.2012 einen ersten Asylantrag in Österreich, welcher mit Bescheid des damaligen Bundesasylamtes vom 12.12.2012 gem. §§ 3, 8 AsylG abgewiesen wurde; zugleich wurde ausgesprochen, dass die Beschwerdeführerin gem. § 10 Abs. 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Russland ausgewiesen wird. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.08.2014 gem. §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 AsylG als unbegründet abgewiesen und gem. § 10 iVm § 75 Abs. 20 AsylG wurde das Verfahren insoweit zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Am 28.08.2014 reiste die Beschwerdeführerin unter Gewährung von Rückkehrhilfe aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Russland aus.
Am 09.08.2017 stellte die Beschwerdeführerin den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich und wurde am 10.08.2017 durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Hierbei gab die Beschwerdeführerin zusammengefasst an, bereits von 2012 bis 2014 in Österreich gewesen zu sein. Im Rahmen ihres damaligen Asylverfahrens, das negativ ausgegangen sei, sei im Jahr 2012 Brustkrebs diagnostiziert und in der Folge ihre linke Brust amputiert worden. Nachdem es keine weiteren Anzeichen für eine neuerliche Krebserkrankung gegeben habe und die Beschwerdeführerin einen negativen Asylbescheid erhalten habe, sei sie im Jahr 2014 freiwillig in ihre Heimat zurückgekehrt. Vor ungefähr zwei bis drei Monaten hätten die Ärzte in ihrer Heimat Metastasen in der Leber festgestellt und ihr gesagt, dass sie ihr nicht helfen könnten, weshalb sie Anfang Juli 2017 beschlossen habe, erneut nach Österreich zu kommen. Es gehe ihr nicht gut und sie benötige dringend ärztliche Hilfe. Sie sei mit einem Visum, welches ihr Onkel organisiert habe, über die Ukraine und ein in ihr unbekanntes Land nach Österreich gekommen; hier lebe auch ihr Bruder.
Aus der österreichischen Visa-Datenbank konnte erhoben werden, dass die Beschwerdeführerin im Besitz eines italienischen Visums mit einer Gültigkeitsdauer vom 15.07.2017 bis zum 13.08.2017 war.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl richtete am 23.08.2017 ein Wiederaufnahmegesuch gem. Art. Art. 12 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) an Italien.
Aus einem am 17.10.2017 beim Bundesamt eingelangte, vorläufigen Entlassungsbrief eines Krankenhauses, Medizinische Abteilung, vom 13.10.2017 ergeben sich folgende Diagnosen für die Beschwerdeführerin, welche vom 05.10.2017 bis zum 13.10.2017 stationär aufhältig war: "suspekte Raumforderung re hilär;
Bronchoskopie am 06.10.2017 - Histo ausständig; multiple hapatale Rundherde; CT-gezielte Leberpunktion am 10.10.2017 - Histo ausständig; suspekte axilläre LK rechts (tastbar); Vd a. ossäre SBL (Knochenscan vom 20.09.) - multiple Mehrspeicherungen; St.p. N mammae sin 2012; St.p. Ablatio + Axilladissektion sin 2012; Histo:
Invasiv ductales Mammacarcinom; ypT1c N2a MX - G2; Östrogenrezeptor 70% positiv; Progresteronrezeptor negativ; Ki67 positive Reaktion bei etwa 1-2% der Zellkerne des Tumors; Her2Neu negativ; die Resektion erfolgte im Gesunden; Tumorregression: Grad 3 nach Chavallier, Grad 1 nach Sinn"; es wurde eine entsprechende Medikation empfohlen
Mit Schreiben vom 24.10.2017 teilte die österreichische Dublin-Behörde Italien mit, dass auf Grund der nicht fristgerecht erfolgten Antwort gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO Verfristung eingetreten und Italien nunmehr für die Durchführung des gegenständlichen Asylverfahrens zuständig sei.
Im Rahmen der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 28.11.2017 gab die Beschwerdeführerin - nach durchgeführter Rechtsberatung und in Anwesenheit eines Rechtsberaters - an, sich psychisch und physisch in der Lage zu fühlen, die Befragung zu absolvieren, falls diese nicht zu lange dauern würde. Die Beschwerdeführerin habe Metastasen an den Knochen, den Bronchien und der Leber und sei in ärztlicher Behandlung. Seit zwei Monaten nehme sie Medikamente; es sei eine Art Chemotherapie. Sie habe dauernd Kopfschmerzen und ihr werde immer schwindlig; ihre Beine und Hände würden schmerzen. Sie leide an Müdigkeit und habe auch das Gefühl, Depressionen zu haben. In Österreich lebe ihr Bruder mit seiner Familie und ihre Tante mit ihrer Familie. Ihr Bruder sei bereits seit 2003 in Österreich und habe einen positiven Asylbescheid erhalten; er und dessen Frau würden die Beschwerdeführerin im Krankenhaus oder im Lager besuchen und Essen bringen; manchmal bekomme sie auch eine finanzielle Unterstützung von den Genannten. Die Schwägerin helfe der Beschwerdeführerin auch manchmal beim Dolmetschen in Krankenhäusern. Ihre Tante würde sie ebenfalls im Lager besuchen und ihr etwas zu essen bringen. Über Vorhalt der beabsichtigten Überstellung nach Italien gab die Beschwerdeführerin an, nach Österreich gekommen zu sein, weil sie gehofft habe, dass ihr die Ärzte hier helfen könnten. Sie vertraue den österreichischen Ärzten und wolle hier behandelt werden. Zudem habe sie in Österreich moralische Unterstützung durch ihren Bruder. In Italien hingegen habe sie niemanden. Sie sei mittlerweile geschieden und wolle daher wieder ihren Mädchennamen führen.
Im Zuge der Einvernahme legte die Beschwerdeführerin ein Konvolut an ärztlichen Unterlagen vor (AS 135 bis 209). Es handelt sich hierbei um
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eine Bestätigung über eine stationäre Behandlung vom 05.10.2017 bis 13.10.2017
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eine Terminbestätigung und ein Aufklärungsblatt über die geplante Knochenszintigraphie
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eine Computertomographie des Thorax und des Abdomens vom 05.09.2017; diesem zufolge würden sich in der Leber zahlreiche Sekundärblastome finden; im Brustbein seien Veränderungen nach Bestrahlung sichtbar - Sekundärblastome seien durchwegs möglich
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einen nuklearmedizinischen Befund vom 20.09.2017 mit folgender Beurteilung: "Pathologische Ganzkörperknochenszintigraphie mit multiplen Mehrspeicherungen im gesamten knöchernen Skelett"
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einen Laborbefund vom 25.09.2017 und einen weiteren undatierten Laborbefund
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einen Befundbericht vom 25.09.2017 mit folgenden Diagnosen: "N. mammae sin operata, vaginale Blutung unter Tamoxifen"
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ein Schreiben der Lungenambulanz vom 26.09.2017, wonach in einem am 05.09.2017 durchgeführten CT der dringende Verdacht auf Lymphknotenmetastasen axillär recht, in der Leber und auch pulmonal aufgekommen sei; es seien weitere Untersuchungen und eine Biopsie geplant
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eine fachärztliche Begutachtung vom 29.09.2017 mit folgendem Ergebnis: "Tumormarker CA 15-3 hoch positiv, NSE mit 36% auch erhöht, sodass weiterhin die Genese der Lebermetastasen und Knochenmetastasen und des Lymphknotens axillär rechts auf Höhe des Lungenherdes nicht geklärt sei"
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eine fachärztliche Begutachtung durch die Lungenambulanz vom 17.10.2017 mit folgendem Ergebnis der Bronchoskopie: "gutartiges Zellbild" und folgendem Ergebnis der Leberbiopsie: "Infiltration durch das bekannte invasive duktale Carcinom der Mamma"
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einen Entlassungsbrief vom 25.10.2017 über den stationären Aufenthalt vom 05.10.2017 bis zum 13.10.2017 mit den bekannten Diagnosen; die BF habe am 13.10.2017 in die häusliche Pflege entlassen werden können; zudem sei ein Termin in der Brustambulanz vereinbart worden.
In einer Befundbewertung (ohne Patientenkontakt) einer allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen vom 12.12.2017 wurde festgehalten, dass bei der Beschwerdeführerin eine bösartige Erkrankung der Brust vorliege. In einer Untersuchung sei der Verdacht auf Knochenmetastasen (Mehrspeicherung im Knochen-Scan) erhoben worden; in weiterer Folge sei in den Befunden nicht mehr darauf eingegangen worden. Es könne daher nicht gesagt werden, ob diese vorliegen würden oder nicht. Die Gewebeproben aus der Lunge hätten keine Absiedelungen der bösartigen Erkrankung ergeben. Tatsache sei aber, dass Metastasen in der Leber vorliegen würden bzw. eine weit fortgeschrittene Krebserkrankung der linken Brust bestehe. Das weitere Procedere sei aus den vorliegenden Befunden nicht ersichtlich. Derzeit nehme die Beschwerdeführerin Tamoxifen (ein Medikament für östrogenpositiven Brustkrebs), welches weitergenommen werden müsse. Sonstige Maßnahmen seien nicht bekannt und aus den vorliegenden Befunden nicht erkennbar.
Im Akt liegt noch eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum Thema "Behandlung von Brustkrebs in Italien" vom Juli 2017 auf, worin mitgeteilt wurde, dass in Italien eine Brustoperation möglich sei und alle genannten Medikamente erhältlich seien.
Mit Bescheid vom 09.01.2018 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Asylantrages gemäß Art. 12 Abs. 2 iVm Art. 22 Abs. 7 der Dublin-III-VO Italien zuständig sei. Gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF wurde in Spruchpunkt II. gegen die Beschwerdeführerin die Außerlandesbringung angeordnet. Demzufolge sei gem. § 61 Abs. 2 FPG ihre Abschiebung nach Italien zulässig.
Zusammengefasst wurde im Bescheid ausgeführt, dass aus den Angaben der Beschwerdeführerin keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden seien, dass diese tatsächlich konkret Gefahr liefe, in Italien Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass dieser eine Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte dadurch drohen könnte. Die Beschwerdeführerin könne in Italien jedenfalls ein rechtskonformes Asylverfahren führen; dies bei gleichzeitig bestehender und ausreichender Versorgung und Unterbringung, einschließlich der medizinischen Versorgung. Die Beschwerdeführerin leide an einer Krebserkrankung der linken Brust, jedoch würde sich aus dem gesamten vorliegenden Sachverhalt kein Anhaltspunkt dafür ergeben, dass es sich bei ihr um einen lebensgefährlich Erkrankten handeln würde und daher eine Überstellung nach Italien von vornherein als unzulässig angesehen werden müsste. Es handle sich um eine weit fortgeschrittene Krebserkrankung und würden auch Metastasen in der Leber bestehen. Aus dem vorliegenden Sachverhalt ergebe sich kein Hinweis auf anstehende dringliche ärztliche Behandlungen, etwa in Form von Operationen. Die Erkrankung sei auch in Italien behandelbar. Die unerlässliche medizinische Versorgung sei in Italien jedenfalls gewährleistet. Dass der Beschwerdeführerin der Zugang zu allenfalls erforderlichen Behandlungen in Italien verwehrt wäre, habe sich im Verfahren nicht ergeben. Die Beschwerdeführerin werde zwar emotional, finanziell und im Alltag von ihrem Bruder, ihrer Schwägerin und eingeschränkt auch von ihrer Tante unterstützt, jedoch würden weder ein gemeinsamer Haushalt mit den angeführten Personen noch gegenseitige qualifizierte Abhängigkeiten, beispielsweise in Form einer Pflegebedürftigkeit, bestehen. Die Beschwerdeführerin habe - wenn auch in eingeschränkter Form - die Möglichkeit, den Kontakt auch von Italien aus, beispielsweise auf telefonischer Basis, sozialen Netzwerken und durch Brief- oder E-Mail Verkehr beizubehalten. Ebenso sei hervorzuheben, dass der Bruder die Beschwerdeführerin auch durch Banküberweisungen finanziell unterstützen könne. Insgesamt sei davon auszugehen, dass die Anordnung der Außerlandesbringung nicht zu einer Verletzung der Dublin-III-VO sowie von Art. 7 GRC bzw. Art. 8 EMRK führe und die Zurückweisungsentscheidung daher unter diesen Aspekten zulässig sei. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG habe bei Abwägung aller Umstände nicht erschüttert werden können. Es habe sich kein zwingender Anlass für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts des Art. 17 Abs. 1 der Dublin-III-VO ergeben.
Am 25.01.2018 langte eine Terminbestätigung eines Krankenhauses für die Beschwerdeführerin, eine Radiologie-Anforderung sowie ein allgemeiner "Dekurs" vom 24.01.2018 beim Bundesamt ein. In Letzterem sind als Diagnosen "Z.n. N mammae, sec in hep, sec in pulm, sec in ossibus" und die laufende Therapie mit den entsprechenden Medikamenten angeführt. Zudem wurde darin festgehalten, dass aus medizinischer, aber auch aus menschlicher Sicht eine Abschiebung der Beschwerdeführerin in ein Land mit unklarer medizinischer Versorgung strengstens untersagt wäre. Die laufende Medikation sei in ihrer Heimat dezidiert nicht erhältlich; dies würde die Beschwerdeführerin einem unnötigen Risiko aussetzen.
Am 04.02.2018 langte fristgerecht eine Beschwerde gegen den oben dargestellten Bescheid ein. Zusammengefasst wurde darin vorgebracht, dass die Beschwerdeführerin an Brustkrebs mit Metastasen in der Leber (und möglicherweise auch anderen Körperteilen) erkrankt sei. Das Bundesamt habe im angefochtenen Bescheid behauptet, dass sich keine Hinweise ergeben hätten, dass die Beschwerdeführerin an einer schweren körperlichen Krankheit oder an einer schweren psychischen Störung leiden würde - das sei als ein willkürliches Verhalten zu qualifizieren. Das Bundesamt behaupte zudem eine Zuständigkeit Italiens, gehe aber dabei auf die massiven Mängel im italienischen Asylverfahren sowie die konkreten von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Befürchtungen bezüglich einer Abschiebung und ihre persönliche Situation in Österreich nicht nachvollziehbar ein. Es sei fraglich, ob die Beschwerdeführerin in Italien eine Unterstützung irgendeiner Art bzw. eine unverzügliche medizinische Behandlung erhalten würde. Ein die Beschwerdeführerin behandelnder Arzt habe sich vehement gegen deren Abschiebung ausgesprochen. Es stehe jedenfalls fest, dass eine kontinuierliche psychiatrische und medizinische Behandlung - wie sie die Beschwerdeführerin dringend benötige - nicht gegeben sein könne, wenn diese nach Italien abgeschoben würde. Auch in der Entscheidung des EGMR Tarakhel gegen die Schweiz vom 04.11.2014 sei festgestellt worden, dass eine Überstellung gemäß der Dublin-Verordnung nicht zulässig sei, wenn eine adäquate Versorgung nicht garantiert werde. Dies hätte vom Bundesamt auf die spezifische Person der Beschwerdeführerin bezogen untersucht werden müssen. Die Beschwerdeführerin habe einen Bruder und dessen Familie als auch eine Tante und deren Familie in Österreich. Ein familiäres Netzwerk zur Unterstützung während der medizinischen Behandlung sei essenziell. Ein solches habe die Beschwerdeführerin in Italien nicht. Aufgrund der dargestellten Tatsachen sei festzustellen, dass eine Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Italien eine Verletzung von Art. 2, 3 und auch 8 EMRK darstellen würde. Der Beschwerde sind einige, bereits bekannte ärztliche Schreiben und ein am 29.01.2018 erhobener allgemeiner "Dekurs" beigefügt, in welchem der behandelnde Arzt ausspricht, dass die laufende Medikation der Beschwerdeführerin nicht in allen europäischen Ländern erhältlich bzw refundiert sei und ihre kontinuierliche Betreuung an einem onkologischen Zentrum - im Wissen der Vorbefunde - absolut indiziert sei (AS 333).
Mit Schreiben vom 05.02.2018 langte eine Beschwerdeergänzung beim Bundesverwaltungsgericht ein, worin zunächst erneut auf die gesundheitlichen Probleme der Beschwerdeführerin verwiesen wird, auf Grund welcher sie auf die Unterstützung und Begleitung ihrer in Österreich aufhältigen Familienangehörigen angewiesen sei. Zusätzlich zu ihrem Krebsleiden, welches mittels Chemotherapie durch die Einnahme von Tabletten behandelt werde, klage die Beschwerdeführerin zudem über Depressionen bzw. eine schlechte psychische Verfassung. Sodann wurden die mangelhaften Feststellungen zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin, die fehlende Einholung einer Einzelfallzusicherung von den italienischen Behörden bezüglich ihrer Unterbringung und Versorgung und die der Entscheidung zugrunde gelegten Länderfeststellungen bemängelt. Die Behörde habe es unterlassen, Italien über die schwere Erkrankung der Beschwerdeführerin und deren familiären Bezug in Österreich zu informieren, was eine Mangelhaftigkeit des Konsultationsverfahrens darstelle. In Kenntnis dessen hätte Italien die Anfrage wohl abgelehnt. Die belangte Behörde komme trotz vorliegender umfangreicher ärztlicher Befunde und der Befundbeurteilung durch eine Gutachterin fälschlicherweise zu dem Schluss, dass sich keine Hinweise dafür ergeben hätten, dass die Beschwerdeführerin an einer schweren körperlichen oder schweren psychischen Störung leiden würde. Die Behörde habe den psychischen Zustand der Beschwerdeführerin ignoriert und ein entsprechendes psychiatrisches Gutachten einzuholen, was hiemit beantragt werde. Trotz der vorliegenden umfangreichen Befunde und der Befundbeurteilung einer Allgemeinmedizinerin, komme die Behörde zu dem falschen Schluss, dass keine schwere körperliche Erkrankung bzw keine schwere psychische Störung vorliegen würden. Ebenso habe die belangte Behörde auch das Familien- und Privatleben der Beschwerdeführerin unrichtig beurteilt. Bei der Beschwerdeführerin handle es sich um eine alleinstehende, schwer kranke Frau; aufgrund der besonderen Vulnerabilität hätte die Behörde eine Einzelfallzusicherung hinsichtlich Unterbringung und Versorgung einholen müssen. Zudem hätte überprüft werden müssen, ob davon abgesehen auch die Fortsetzung der Krebsbehandlung und der Zugang zu psychologischer/psychiatrischer Behandlung gewährleistet sei. Aufgrund der besonderen Umstände des Falles würde eine Überstellung der Beschwerdeführerin nach Italien die reale Gefahr einer Verletzung von durch die EMRK geschützten Rechten mit sich bringen. Die belangte Behörde hätte somit von der Ermessensklausel nach Art 16 Dublin III-VO bzw vom Selbsteintrittsrecht nach Art 17 Abs 2 Dublin III-VO Gebrauch machen müssen. Der Beschwerde ist der am 29.01.2018 erhobene allgemeine Dekurs beigefügt.
Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.02.2018 wurde der Beschwerde gem. § 17 Abs. 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Mit Eingabe vom 19.02.2018 langte - neben einer Terminbestätigung - ein Computertomographie-Befund vom 08.02.2018 mit folgender Beurteilung ein: "Polyzyklisch konfigurierte Formationen im Anschluss an den unteren Hilus rechts mit Einengung der Unterlappenbronchus und konsekutiver Atelektase in superioren Unterlappen rechts. Lymphadenopathie? RF anderer Genese? Metastasenleber. Soweit nativ beurteilbar die größte Läsion im Segment VI mit einem DM von 22mm. V.a. Lymphadenopathie im Leberhilus. Pathologische Knochenumbauprozesse an der LWS, den Rippen sowie der WS."
Mit Eingabe vom 12.04.2018 langten eine Radiologie-Anforderung vom 11.04.2018, eine Terminbestätigung für den 23.05.2018 sowie ein allgemeiner Dekurs vom 11.04.2018 ein, worin die Übersiedlung der Beschwerdeführerin in kleinere Räumlichkeiten angeraten und festgehalten wurde, dass aufgrund ihrer Krankengeschichte die derzeitige Situation eine übermäßige Belastung darstelle.
Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.06.2018 wurde die Beschwerdeführerin aufgefordert, binnen 14 Tagen nach Erhalt des Schreibens zu ihrem aktuellen Gesundheitszustand Stellung zu nehmen und allfällige neue Befunde bzw. Arztschreiben in Vorlage zu bringen.
In Entsprechung langten am 03.07.2018, am 27.07.2018 sowie am 31.08.2018 ärztliche Unterlagen hinsichtlich beim erkennenden Gericht ein. Neben Termin- und Aufenthaltsbestätigungen und einigen bereits bekannten ärztlichen Schreiben, handelt es sich hierbei u.a. um einen Computertomographie-Befund vom 11.05.2018, einen ärztlichen Entlassungsbrief vom 06.03.2018 (mit den Diagnosen "Neutropen, Fieber bei lfd. Chemotherapie bei metastasiertem N. mammea, St.p. Ablatio mammae sin., multiple Lebermetastasen und Knochenmetastasen"), ein weiteres ärztliches Schreiben vom 06.03.2018 (mit dem Ergebnis: "unauffälliger Herzgefäßschatten, keine Pleuraergüsse, keine pulmonalvenösen Stauungszeichen, keine pneumonischen Konsolidierungen, Status post Mastektomie links, Port-a-Cath links pektoral"), eine Ambulanzkartei der Brustambulanz, ein Tumorboard vom 27.02.2018, eine fachärztliche Begutachtung durch die Lungenambulanz vom 01.06.2018 (wonach "sich in der durchgeführten Thorax-CT längerfristig eine deutliche Rückbildung des Gewebeplus und der Gefäße im Bereich des rechten unteren Hiluspols und der infracarinalen Lymphknoten zeige; derzeit seien im CT vom 11.05.2018 keine suspekten Lymphknoten mehr erkennbar; auch keine Infiltrate pulmonal oder suspekte Herdbildungen"), einen ärztlichen Entlassungsbrief vom 24.07.2018 mit folgenden Diagnosen bei der Entlassung: "Pneumonie re; Metastas, N. mammae sin. (invasives ductales Mammaca, pT1c N2a Mx G2); St.p. Ablatio mammae sin. + Axilladis; St.p. CT gezielte Leberpunktion am 10.10.2017;
suspekte axillare LKN re; V.a. ossäre SKBL; suspekte RF re hillär;
St.p. Bronchoskopie am 06.10.2017, Zyto: gutartiges Zellbild");
Laborbefunde vom Juli 2018 sowie eine Radiologie Anforderung vom 21.08.2018.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zu A) Stattgebung der Beschwerde:
Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) lauten:
§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.
...
(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.
...
§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idgF lautet:
§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes
im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen.
Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.
Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-Verordnung) lauten:
Art. 3 Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz
(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.
(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.
Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.
(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.
Art. 7 Rangfolge der Kriterien
(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.
(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.
(3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.
Art. 12 Ausstellung von Aufenthaltstiteln oder Visa
(1) Besitzt der Antragsteller einen gültigen Aufenthaltstitel, so ist der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel ausgestellt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.
(2) Besitzt der Antragsteller ein gültiges Visum, so ist der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, es sei denn, dass das Visum im Auftrag eines anderen Mitgliedstaats im Rahmen einer Vertretungsvereinbarung gemäß Artikel 8 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft erteilt wurde. In diesem Fall ist der vertretene Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.
(3) Besitzt der Antragsteller mehrere gültige Aufenthaltstitel oder Visa verschiedener Mitgliedstaaten, so sind die Mitgliedstaaten für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz in folgender Reihenfolge zuständig:
a) der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der den zuletzt ablaufenden Aufenthaltstitel erteilt hat;
b) der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat, wenn es sich um gleichartige Visa handelt;
c) bei nicht gleichartigen Visa der Mitgliedstaat, der das Visum mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat.
(4) Besitzt der Antragsteller nur einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die weniger als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit weniger als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, so sind die Absätze 1, 2 und 3 anwendbar, solange der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen hat.
Besitzt der Antragsteller einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die mehr als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit mehr als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, und hat er die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten nicht verlassen, so ist der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird.
(5) Der Umstand, dass der Aufenthaltstitel oder das Visum aufgrund einer falschen oder missbräuchlich verwendeten Identität oder nach Vorlage von gefälschten, falschen oder ungültigen Dokumenten erteilt wurde, hindert nicht daran, dem Mitgliedstaat, der den Titel oder das Visum erteilt hat, die Zuständigkeit zuzuweisen. Der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel oder das Visum ausgestellt hat, ist nicht zuständig, wenn nachgewiesen werden kann, dass nach Ausstellung des Titels oder des Visums eine betrügerische Handlung vorgenommen wurde.
Art. 16 Abhängige Personen
(1) Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung seines Kindes, eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen oder ist sein Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, auf die Unterstützung des Antragstellers angewiesen, so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen bzw. sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben.
(2) Hält sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil im Sinne des Absatzes 1 rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat als der Antragsteller auf, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil rechtmäßig aufhält, zuständiger Mitgliedstaat, sofern der Gesundheitszustand des Antragstellers diesen nicht längerfristig daran hindert, in diesen Mitgliedstaat zu reisen. In diesem Fall, ist der Mitgliedstaat, in dem sich der Antragsteller aufhält, zuständiger Mitgliedstaat. Dieser Mitgliedstaat kann nicht zum Gegenstand der Verpflichtung gemacht werden, das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil in sein Hoheitsgebiet zu verbringen.
(3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses zu berücksichtigen sind, in Bezug auf die Kriterien zur Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung, in Bezug auf die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit der betreffenden Person zur Sorge für die abhängige Person und in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung einer längerfristigen Reiseunfähigkeit zu berücksichtigen sind, delegierte Rechtsakte zu erlassen.
(4) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.
Art. 17 Ermessensklauseln
(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.
Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.
Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.
(2) Der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat kann, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betroffenen Personen müssen dem schriftlich zustimmen.
Das Aufnahmegesuch umfasst alle Unterlagen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um dem ersuchten Mitgliedstaat die Beurteilung des Falles zu ermöglichen.
Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt alle erforderlichen Überprüfungen vor, um zu prüfen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen, und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen.
Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen.
Art 22
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(7) Wird innerhalb der Frist von zwei Monaten gemäß Absatz 1 bzw der Frist von einem Monat gemäß Absatz 6 keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.
Im gegenständlichen Beschwerdefall ging das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zwar zutreffend davon aus, dass in materieller Hinsicht die Zuständigkeit Italiens zur Prüfung des in Rede stehenden Antrages auf internationalen Schutz in Art. 12 Abs. 2 iVm Art. 22 Abs. 7 der Dublin III-VO begründet ist, da die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung im Besitz eines gültigen Visums war und die italienischen Behörden das Aufnahmegesuch des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nicht fristgerecht beantwortet haben. Anhaltspunkte dafür, dass die Zuständigkeit Italiens in der Zwischenzeit untergegangen sein könnte, bestehen nicht.
Angesichts der Erkrankungen der Beschwerdeführerin und der familiären und verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte in Österreich, wird im Falle der Wahrnehmung der Unzuständigkeit Österreichs eine mögliche Verletzung von Bestimmungen der EMRK in den Raum gestellt.
Die gegenständliche Entscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ist auf der Grundlage eines ergänzungsbedürftigen Verfahrens ergangen, weshalb, wie im Folgenden näher dargelegt wird, eine Behebung nach § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG zu erfolgen hatte.
Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach Italien nicht zulässig wäre, wenn durch die Überstellung eine existenzbedrohende Situation drohte und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin VO zwingend auszuüben wäre: In diesem Zusammenhang ist vorerst auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9) zu verweisen, welches die damals relevante Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK festhält (D. v. the United Kingdom, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997,93;
Bensaid, EGMR 06.02.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001,26;
Ndangoya, EGMR 22.06.2004, Appl. 17.868/03; Salkic and others, EGMR 29.06.2004, Appl. 7702/04; Ovdienko, EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04;
Hukic, EGMR 29.09.2005, Appl. 17.416/05; EGMR Ayegh, 07.11.2006;
Appl. 4701/05; EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, Appl. 31.246/06).
Zusammenfassend führte der VfGH aus, dass sich aus den erwähnten Entscheidungen des EGMR ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D. v. the United Kingdom).
Aus den Judikaturlinien des EGMR ergibt sich der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab. In seiner rezenten Entscheidung im Fall "Paposhvili vs. Belgium" hat der EGMR am 13.12.2016 seine Rechtsprechung dahingehend präzisiert, dass ein Betroffener auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben muss und auch die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks zu berücksichtigen sind. "Außergewöhnliche Umstände" würden bereits auch dann vorliegen, wenn stichhaltige Gründe dargelegt würden, dass eine schwer kranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung, einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führen würde.
Die Beschwerdeführerin leidet unter den oben festgestellten gesundheitlichen Beschwerden (Anm: Brustkrebs im fortgeschrittenen Stadium mit Metastasenbildung in der Leber) und somit an einer zweifellos schweren, lebensbedrohlichen Erkrankung. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat im angefochtenen Bescheid zur gesundheitlichen Situation der Beschwerdeführerin demgegenüber ausgeführt, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um keine lebensgefährlich erkrankte Person handeln würde und sich aus dem gesamten vorliegenden Sachverhalt auch kein Hinweis auf anstehende und dringliche ärztliche Behandlungen, beispielsweise in Form von Operationen oder sonstigen unaufschiebbaren ärztlichen Behandlungen ergeben hätte. Es habe nicht festgestellt werden können, dass schwere körperliche Erkrankungen oder schwere psychische Störungen vorliegen würden. Wie die Behörde zu dieser (verfehlten) Einschätzung gelangt, ist dem erkennenden Gericht nicht nachvollziehbar, zumal auch die herangezogene Allgemeinmedizinerin in einer Befundbeurteilung zu dem Ergebnis gelangte, dass es sich um eine weit fortgeschrittene Krebserkrankung mit Metastasenbildung und somit um eine schwere Erkrankung handelt. Nach den vorliegenden Befunden/Arztschreiben durchläuft die Beschwerdeführerin eine Therapie mit Medikamenten (Chemotherapie). Es waren auch mehrere stationäre Aufenthalte erforderlich.
Zwar übersieht das erkennende Gericht nicht und ist den Feststellungen der Behörde grundsätzlich zuzustimmen, dass in Italien eine entsprechende medizinische Behandlung (inklusive einer Operation) möglich ist und auch eine Therapie fortgesetzt werden kann. Dennoch ist es dem Bundesverwaltungsgericht zum Entscheidungszeitpunkt nicht möglich, auf Grundlage der vorliegenden medizinischen Unterlagen abschließend zu beurteilen, ob fallgegenständlich außergewöhnliche Umstände vorliegen, die bei einer Überstellung zu einer Verletzung der durch Art 3 EMRK geschützten Rechte führen könnten.
So hat sich etwa der behandelnde Brustkrebsspezialist in einem "Dekurs" vehement gegen eine Überstellung der Beschwerdeführerin und für eine kontinuierliche Betreuung an einem onkologischen Zentrum - im Wissen um die Vorbefunde - ausgesprochen bzw dies als absolut indiziert angesehen. Zudem hat die Gutachterin in der Befundbewertung vom 12.12.2017 angeführt, allein aus den vorliegenden Befunden kein weitergehendes medizinisches Procedere ableiten zu können; sonstige geplante Maßnahmen seien ihr nicht bekannt bzw seien aus den vorliegenden Befunden nicht erkennbar. Auch daraus ist abzuleiten, dass gegenständlich noch eine Reihe von Unklarheiten bestanden bzw weiterhin bestehen, welche abzuklären wären; dazu gehört auch eine Abklärung des psychischen Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin, welche über massive psychische Probleme berichtet hat.
Nach dem Gesagten bedarf es aktueller Feststellungen zum physischen und psychischen Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin, um beurteilen zu können, ob diese überstellungsfähig ist.
Vor diesem Hintergrund ist die belangte Behörde gehalten, im fortgesetzten Verfahren ein Gutachten eines Facharztes für Innere Medizin bzw für Onkologie einzuholen, um valide Feststellungen zum aktuellen Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin, zu den Auswirkungen einer Überstellung aus medizinischer Sicht und zu den Auswirkungen einer möglichen Unterbrechung der (Chemo-)Therapie sowie der Transportfähigkeit zu treffen. Dies unter der persönlichen Einbeziehung und Untersuchung der Beschwerdeführerin (im Gegensatz zu einer reinen Befundbewertung, wie dies im Dezember 2017 erfolgt ist).
Um allfällige Risiken zu minimieren, wäre auch abzuklären, ob bei einer Überstellung der Beschwerdeführerin nach Italien dort die Weiterführung ihrer Behandlung bzw. Therapie sowie die kontinuierliche fachärztliche Betreuung und Unterstützung sowie eine adäquate Unterbringung sichergestellt sind.
Da es im bisherigen Verfahren gänzlich verabsäumt wurde, sich mit dem psychischen Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin auseinander zu setzen, werden hiezu im fortgesetzten Verfahren Ermittlungen zu führen und entsprechende Feststellungen zu treffen sein. Dies etwa unter Hinzuziehung eines klinischen Gesundheitspsychologen bzw einer Allgemeinmedizinerin mit ÖAK-Diplom für psychosomatische und psychotherapeutische Medizin. Dies va. auch in Hinblick auf die Auswirkungen einer mit einer Überstellung verbundenen Trennung der Beschwerdeführerin von ihrem stabilen Umfeld (Anm: von ihren hier als anerkannte Flüchtlinge aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen bzw. Verwandte).
Nach dem Gesagten kann zum jetzigen Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichts nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass durch die Außerlandesbringung der Beschwerdeführerin kein Eingriff in die durch Art 3 und 8 EMRK gewährleisteten Rechte erfolgt. Das Bundesamt wird in weiterer Folge auch Erwägungen hinsichtlich einer allfälligen Anwendbarkeit des Art 16 Abs 1 Dublin III-VO bzw hinsichtlich eines Selbsteintritts Österreichs zu treffen und die entsprechenden Erwägungen darzulegen haben.
Im Übrigen wird die Behörde die Beschwerdeführerin mit den aktuellsten Länderfeststellungen zu Italien zu konfrontieren und dieser die Möglichkeit einzuräumen haben, hiezu Stellung zu nehmen.
Wie dargelegt ist im gegenständlichen Verfahren der entscheidungsrelevante Sachverhalt gegenwärtig nicht abschließend abgeklärt, weshalb gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG zwingend mit einer Behebung des Bescheides vorzugehen war.
Eine mündliche Verhandlung konnte gem. § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG idgF unterbleiben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Im Übrigen trifft § 21 Abs. 3 BFA-VG eine klare, im Sinne einer eindeutigen, Regelung (vgl. OGH 22.03.1992, 5Ob105/90), weshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, gesundheitlicheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W185.2185303.1.01Zuletzt aktualisiert am
07.12.2018