TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/10 W189 2120790-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.10.2018
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Entscheidungsdatum

10.10.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W189 2120785-1/9E

W189 2120790-1/10E

W189 2120789-1/10E

W189 2120786-1/8E

W189 2120787-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Irene RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX , 4.) XXXX , geb. XXXX und 5.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Ukraine, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 27.07.2018, Zlen. 1.) 1075271903-150746064, 2.) 1075272007-150746099, 3.) 1075272105-150746137, 4.) 1075272301-150746161 und 5.) 1075272203-150746145, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.09.2018, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerden werden gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, § 57 und § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG, §§ 52 Abs. 2 Z 2, 52 Abs. 9 FPG und § 46 FPG sowie § 55 Abs. 1 bis 3 FPG als unbegründet abgewiesen.

II. In Erledigung der Beschwerden wird die spruchgemäße Erledigung zu § 55 AsylG 2005 gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Das Vorbringen der Beschwerdeführer steht in einem derartigen Zusammenhang bzw. ist soweit miteinander verknüpft, dass die Entscheidung unter Berücksichtigung des Vorbringens aller Beschwerdeführer abzuhandeln war. Der Erstbeschwerdeführer (BF1) ist mit der Zweitbeschwerdeführerin (BF2) verheiratet und die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer sind ihre gemeinsamen minderjährigen Kinder (BF3, BF4 und BF5). Gemeinsam werden sie als die BF bezeichnet.

1. Die BF reisten gemeinsam am 26.06.2015 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten noch am selben Tag Anträge auf internationalen Schutz.

2. Im Zuge der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 28.06.2015 erklärte BF1, Staatsangehöriger der Ukraine, gebürtiger Armenier und verheiratet zu sein. Er spreche die Sprachen Armenisch, Russisch und Ukrainisch, bekenne sich zum orthodoxen Glauben und habe von 1981 bis 1991 die Grundschule, sowie von 1991 bis 1993 eine Berufsschule für Elektrotechnik besucht. Er habe zuletzt als Security gearbeitet. Zum Fluchtgrund gab BF1 zu Protokoll, dass er und BF2 am Abend vom 06.06.2015 in ihrem Geschäftslokal von fünf Männern aufgesucht und bedroht worden seien. Drei von ihnen seien draußen in Zivilkleidung gestanden und zwei seien uniformiert im Geschäft gewesen. Sie hätten zu ihnen gesagt, dass sie das Land verlassen müssen, weil BF1 aus Armenien sei. Am 09.06.2015 hätten sie im Stiegenhaus auf BF1 gewartet, ihn zusammengeschlagen und ihm nochmals gesagt, dass er das Land verlassen solle. In der Nacht vom 12.06.2015 sei schließlich sein Auto in Brand gesetzt worden und hätten sich die BF daraufhin dazu entschlossen, das Land zu verlassen.

BF2 gab in ihrer Erstbefragung an, Staatsangehörige der Ukraine und verheiratet zu sein. Sie bekenne sich zum orthodoxen Glauben, gehöre der Volksgruppe der Ukrainer an und spreche die Sprachen Ukrainisch sowie Russisch. BF2 habe von 1989 bis 1999 die Grundschule und von 1999 bis 2003 die Universität besucht. Zuletzt habe sie selbstständig ein Geschäft betrieben. Zu den Fluchtgründen befragt wiederholte BF2 den Vorfall im Geschäftslokal, sowie die Brandstiftung und gab weiters zu Protokoll, dass BF4 und BF5 dieselben Fluchtgründe hätten, wie sie selbst.

In seiner Erstbefragung gab BF3 zu Protokoll, Ukrainer und orthodoxen Glaubens zu sein. Er habe im Herkunftsstaat von 2008 bis 2015 die Schule besucht und beherrsche die Sprachen Armenisch, Ukrainisch und Russisch. Nach seinen Fluchtgründen befragt verwies BF3 auf jene von BF1 und BF2.

3. Nach Zulassung ihres Verfahrens wurden BF1, BF2 und BF3 am 07.12.2015 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen.

BF1 gab dabei an, dass er seit dem Jahr 2000 mit BF2 standesamtlich verheiratet sei und sie drei gemeinsame Kinder, BF3, BF4 und BF5, hätten. Er sei gesund und nehme bei Bedarf Medikamente gegen hohem Blutdruck. BF1 sei in Armenien geboren worden, wo er die Schule besucht habe und sei sodann in ein Waisenhaus in die Ukraine gezogen, als seine Eltern bei einem Erdbeben ums Leben gekommen seien. Dort habe er die Mittelschule absolviert, eine Fachschule für Radioelektronik besucht und den Militärdienst abgeleistet. Er sei christlichen Glaubens. Die BF hätten bis zur Ausreise in einer Eigentumswohnung in XXXX gelebt und hätten ein Geschäft für Kinderbekleidung betrieben; sowohl die Wohnung, als auch das Geschäft gebe es noch, die BF hätten diese zugesperrt zurückgelassen. Das Geschäft hätten sie im Jahr 2000 gekauft, jedoch wisse BF1 nicht genau, wo es sich genau befunden habe. BF1 habe auch als Elektriker und Security gearbeitet - den BF sei es wirtschaftlich gut gegangen. BF3, BF4 und BF5 hätten im Herkunftsstaat in die Schule besucht. BF1 habe keine Angehörigen im Heimatland und würde nur BF2 mit ihrer Mutter in Kontakt stehen. BF1 habe keine Probleme aufgrund von Strafrechtsdelikten gehabt und gebe es auch keinen Haftbefehl gegen ihn. Zu den Fluchtgründen brachte BF1 vor, dass er am 06.06.2015 am Abend zu seiner Frau ins Geschäft gegangen sei, als zwei uniformierte Personen gekommen seien und den BF1 beschimpft hätten, weil er Armenier sei, da diese die Russen unterstützen würden. Sie seien vom rechten Sektor gewesen, weil sie Aufkleber auf dem Oberarm gehabt hätten. Dann hätten sie ihn herausgeholt, ihn weiter beschimpft, unter Druck gesetzt und schließlich von ihm verlangt, die Ukraine zu verlassen; andernfalls würde es seiner Familie schlecht gehen. Drei weitere Personen, die nicht mit reingekommen seien, hätten draußen in einem zweiten Auto gewartet. Aufgefordert, die Fluchtgründe konkret zu schildern, führte der Beschwerdeführer aus, dass sie ihn "unter Druck" gesetzt und ihm verboten hätten, zur Polizei zu gehen. Die BF seien zur Polizei gegangen und sei die Anzeige entgegengenommen worden, jedoch habe er keine diesbezügliche Bestätigung erhalten. Zwei Tage später hätten sie BF1 neben dem Lift in seinem Wohnhaus erwartet, als er beim Rückweg vom Lebensmitteleinkauf gewesen sei. Er sei am Kopf und Nacken geschlagen worden und hätten sie ihn getreten, als er am Boden gelegen sei. Sie hätten ihn davor gewarnt, zur Polizei zu gehen und sei dies die letzte Warnung gewesen. BF1 habe geblutet und sei ihm niemand zur Hilfe gekommen. Befragt erläuterte er, dass es sich dabei um zwei Personen gehandelt habe, die wahrscheinlich schwarze Masken getragen hätten. Er sei dann nachhause gegangen und hätten er und BF2 die Polizei angerufen, welche aber gesagt habe, dass sie beschäftigt sei und auch keinen Treibstoff habe. Er sei auch nicht ins Krankenhaus gegangen, weil er Angst gehabt habe, nachdem die Polizei nicht gekommen sei. Danach seien nachts immer wieder Personen gekommen und hätten an der Tür geklopft sowie geschrien, dass die BF das Land verlassen müssen. Nach drei bis vier Mal sei schließlich das Auto der BF in Brand gesetzt worden und hätten sie die Feuerwehr rufen müssen. Ein namentlich genannter Nachbar hätte den Brand gemeldet. Einen Bericht habe BF1 jedoch nicht erhalten und habe die Polizei auch in diesem Fall nichts unternommen. Befragt gab BF1 zu Protokoll, dass das Auto nicht versichert gewesen sei und könne er keinerlei Beweismittel über den Vorfall vorlegen. Weiters führte BF1 auf Nachfrage an, dass sie das Geschäft am 06.06.2015 zugesperrt und die Ware rausgebracht hätten. Aufgefordert, nochmals alle Ereignisse anzuführen gab BF1 den Vorfall im Geschäft, jenen im Stiegenhaus sowie den Brand an. Danach hätten ihre Verfolger auf die Türe getreten und seien die BF schließlich geflüchtet. Für den Fall einer Rückkehr fürchte BF1, dass man sie töten würde. Es sei keine Option gewesen, sich woanders in der Ukraine niederzulassen, weil die Nationalisten überall im Land seien.

BF2 gab vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl befragt an, dass sie Ukrainerin, christlichen Glaubens und mit BF1 verheiratet sei. Sie habe die Schule und sodann die Universität absolviert und als Lehrerin gearbeitet, bis sie und BF1 ein Geschäft geführt hätten. Im Herkunftsstaat würden sich die Eltern von BF2 befinden, die in einem Haus leben, und habe sie Kontakt zu ihrer Mutter. Den BF sei es wirtschaftlich gut gegangen. BF2 habe ab dem Jahr 2000 bis zur Ausreise im Herkunftsort gelebt, wo die BF eine Eigentumswohnung und das Geschäftslokal hätten. Zu den Fluchtgründen befragt wiederholte BF2 im Wesentlichen jene von BF1; weder seien sie, noch die Kinder jemals persönlich bedroht worden. Bei dem Vorfall im bzw. vor dem Geschäftslokal habe sie mitbekommen, dass die Männer "sehr grob" mit ihrem Mann gesprochen hätten. Zwei Männer hätten Uniformen getragen und drei andere seien in Zivil gewesen und neben ihrem Auto gestanden. Nach dem Vorfall hätten BF1 und BF2 die Polizei aufgesucht, jedoch seien sie nicht ernst genommen worden. Als ihr Mann im Stiegenhaus zusammengeschlagen worden sei, sei sein Gesicht ganz blutig gewesen und habe er sich nicht behandeln lassen. Er sei jedoch zur Polizei gegangen und sei wieder nichts passiert. Schließlich sei das Fahrzeug der BF in Brand gesetzt worden. Dieses sei nicht versichert gewesen und gebe es keine Beweismittel hierzu. Auch habe die Feuerwehr keinen Bericht ausgehändigt. Nochmals danach gefragt, ob BF1 zur Polizei gegangen sei, nachdem er zusammengeschlagen worden sei, gab BF2 zur Protokoll, dass er angerufen habe, die Polizei jedoch nicht gekommen sei, da sie bereits in der Vergangenheit aufgrund der Bedrohungen an der Wohnungstür da gewesen sei, aber niemanden gefunden habe. Deswegen wolle sie nichts mit den BF zu tun haben. Die BF hätten sich nicht woanders in der Ukraine niederlassen können, weil ihre Verfolger konkret gesagt hätten, sie sollen die Ukraine verlassen.

BF3 gab in seiner niederschriftlichen Befragung zu Protokoll, dass er von Geburt bis zur Ausreise gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern im Herkunftsort gelebt habe. Auch würden die Großeltern in der näheren Umgebung leben. BF3 sei Christ, in der Ukraine geboren worden und sei seine Muttersprache Armenisch. Er habe acht Jahre die Schule besucht und sei ledig und kinderlos. Finanziell sei alles in Ordnung gewesen. Zu den Fluchtgründen gab BF3 an, dass er mitbekommen habe, wie sein Vater zusammengeschlagen worden sei und die "Leute" an der Tür geklopft und sie bedroht hätten. Sie hätten gesagt, dass die BF die Ukraine verlassen müssen. BF3 wisse jedoch nicht, um wen es sich bei den Verfolgern handle und fürchte er für den Fall einer Rückkehr umgebracht zu werden.

BF4 und BF5 hätten keine eigenen Fluchtgründe.

Im Bundesgebiet würden BF1 und BF2 einen Deutschkurs besuchen. BF1 kommuniziere mit dem Personal in der Pension und helfe aus, wo er könne. BF2 beschäftige sich mit den Hausaufgaben der Kinder. Die BF leben von der Grundversorgung und besitzen kein Eigentum in Österreich. Sie seien nicht Mitglieder in Vereinen oder Organisationen. BF3 besuche die polytechnische Schule und mache die Ausbildung zum Koch, spiele Fußball und habe Kontakt zu seinen Mitschülern. BF4 und BF5 würden in die Schule gehen.

Am Ende der jeweiligen Einvernahme wurden die Länderberichte zur Lage im Herkunftsstaat ausgehändigt und wurde den BF die Möglichkeit gegeben, binnen drei Tagen hierzu Stellung zu nehmen.

Vorgelegt wurden:

* Inlandsreisepässe von BF1 und BF2;

* Ukrainischer Führerschein von BF1 in Original;

* Bestätigung über freiwillige Mitarbeit von BF1 der Caritas;

* Diplom der Nationaluniversität von Uzhgorod von BF2;

* Schreiben der Caritas für BF2;

* Geburtsurkunden in Original von BF4 und BF5;

4. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.01.2016, Zlen., 1.) 1075271903-150746064, 2.) 1075272007-150746099 und 3.) 1075272105-150746137, 4.) 1075272301-150746161 und 5.) 1075272203-150746145, wurden die Anträge auf internationalen Schutz der BF sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Unter Spruchpunkt III. wurden ihnen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57, 55 AsylG 2005 nicht erteilt und weiters wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 iVm § 9 BFA-VG gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen sowie gemäß § 46 FPG die Zulässigkeit ihrer Abschiebung in die Ukraine festgestellt. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.).

Rechtlich wurde zu Spruchpunkt I. insbesondere ausgeführt, dass die BF nicht in der Lage gewesen seien, eine Bedrohungssituation iSd. Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft darzulegen und hätten sie sich selbst bei Wahrunterstellung an die Behörden ihres Landes wenden können, zumal die BF keine staatliche Verfolgung vorgetragen hätten. Die Nichtzuerkennung subsidiären Schutzes wurde im Wesentlichen damit begründet, dass keine Verletzung von Art. 3 EMRK bei einer Rückkehr in die Ukraine erkannt werden könne. Es liege auch kein reales Risiko einer derart extremen Gefahrenlage vor, das einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 3 EMRK darstelle würde und somit einer Rückführung der BF in ihr Heimatland entgegenstehen würde. Schließlich bestünden im Bundesgebiet keine Hinweise auf weitere familiäre Anknüpfungspunkte oder eine außerordentliche Integration, weshalb das Vorliegen eines schützenswerten Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK nicht festgestellt werden könne. Die Frist für die freiwillige Ausreise von vierzehn Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die die BF bei der Regelung ihrer persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätten, nicht gegeben seien.

5. Gegen diese Bescheide wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und diese zur Gänze angefochten. Insbesondere wurde nach Wiedergabe der Fluchtgründe vorgebracht, dass die angeblichen Widersprüche in den Schilderungen von BF1 und BF2 aufgeklärt werden können und habe es sich dabei um Missverständnisse gehandelt. Weiters würde die ukrainische Regierung den rechten Sektor tolerieren, womit keinesfalls von einer Schutzfähigkeit bzw. Schutzwilligkeit der staatlichen Behörden, sondern - entgegen der Annahme der Behörde - sehr wohl von einer asylrelevanten Verfolgung auszugehen sei. Für den Fall einer Rückkehr der BF in die Ukraine bestehe eine reale Gefahr der Verletzung ihrer in Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte. Aufgrund der fortgeschrittenen Integration der BF würde die Rückkehrentscheidung ihre in Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechte verletzen. Beantragt wurde die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung. Der Beschwerde beigelegt wurden ein Empfehlungsschreiben für BF3, eine Bestätigung der Ableistung gemeinnütziger Arbeit von BF1 und BF2, sowie die Bestätigung über die Absolvierung einer Judoprüfung von BF4 und BF5.

6. Am 25.09.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Zuhilfenahme einer geeigneten Dolmetscherin für die Sprache Russisch statt, zu welcher die BF und die belangte Behörde ordnungsgemäß geladen wurden. Im Rahmen dessen wurde BF1, BF2 und BF3 Gelegenheit geboten, ausführlich zu ihren Fluchtgründen Stellung zu nehmen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verzichtete in der Beschwerdevorlage vom 03.02.2016 auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung und ist ein Vertreter der Behörde nicht erschienen. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht legten die BF weitere Integrationsunterlagen sowie Berichte über die Lage im Herkunftsstaat vor.

7. Mit Eingabe vom 03.10.2018 wurde zu den Länderberichten Stellung bezogen und wurde moniert, dass die Ukraine von Rassismus und Intoleranz geprägt sei. Überdies würden Korruption und Menschenrechtsverletzungen nicht nachgegangen werden bzw. von staatlichen Behörden ausgehen. Hingewiesen wurde auch auf die Integration der BF. Weiters wurden Zeitungsberichte über die Lage im Herkunftsstaat sowie weitere Integrationsunterlagen zur Vorlage gebracht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch den Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes der BF, beinhaltend ihre jeweiligen Erstbefragungen vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 28.06.2015 und die jeweiligen niederschriftlichen Einvernahmen von BF1, BF2 und BF3 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 07.12.2015 sowie der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 25.09.2018, und schließlich durch Einsicht in aktuelle Auszüge aus Strafregister, GVS und IZR sowie durch Einsichtnahme in das aktualisierte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Ukraine.

1. Feststellungen:

1.1. Festgestellt wird, dass die BF Staatsangehörige der Ukraine sind. BF1 und BF2 sind miteinander verheiratet, BF3, BF4 und BF5 sind ihre gemeinsamen in der Ukraine geborenen minderjährigen Kinder. Die BF sprechen alle Ukrainisch und Russisch. BF1 beherrscht überdies Armenisch; er ist armenischen Ursprungs und im Kindesalter in die Ukraine gezogen, wo er die Schule sowie die Berufsschule für Elektrotechnik besuchte. BF2 gehört der Volksgruppe der Ukrainer an, sie besuchte im Herkunftsstaat die Schule und absolvierte sodann den Universitätslehrgang "Literatur und Deutsche Sprache". BF1 arbeitete im Herkunftsstaat als Elektriker und zuletzt als Security, BF2 arbeitete in der Vergangenheit als Lehrerin. Nicht festgestellt werden konnte, ob BF1 und BF2 ein Kinderkleidungsgeschäft betrieben haben. Aufgrund ihrer Angaben wird jedenfalls festgestellt, dass sie finanziell abgesichert lebten. BF3, BF4 und BF5 besuchten im Herkunftsstaat die Schule.

1.2. Die BF stellten nach illegaler Einreise am 26.06.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

Nicht festgestellt werden kann, dass den BF in der Ukraine eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität - oder eine sonstige Verfolgung maßgeblicher Intensität - in der Vergangenheit gedroht hat bzw. aktuell droht. Die BF können auch weiterhin im Herkunftsort leben, der weit entfernt von den von Unruhen betroffenen Gebieten in der Ukraine gelegen ist, oder auch in Kiew, und wo die Lage ebenfalls ruhig ist.

Nicht festgestellt werden kann, dass die BF im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wären.

Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass die BF im Falle ihrer Rückkehr in ihrem Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würden und ihnen die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

Die BF leiden an keiner lebensbedrohlichen Krankheit.

Die BF befinden sich seit Juni 2015 im Bundesgebiet, leben von Leistungen aus der Grundversorgung und sind nicht selbsterhaltungsfähig. BF1 ist Mitglied bei der freiwilligen Feuerwehr in XXXX und leistet gemeinnützige Tätigkeiten in der Unterkunft, BF2 besucht gelegentlich den Verein "Frauenzimmer" und hat für den Verein "Zurück ins Leben" unentgeltliche Übersetzungstätigkeiten durchgeführt. Auch leistet sie zwei Mal im Monat Haushaltshilfe. BF1 und BF2 haben Deutschkurse besucht. BF3 ist außerordentlicher Schüler eines Bundesrealgymnasiums und verfügt über Deutschkenntnisse des Niveaus B1. BF4 und BF5 besuchen ebenfalls die Schule. BF3, BF4 und BF5 pflegen den Kontakt zu ihren Mitschülern und sind sportlich aktiv. Die BF haben keine Verwandten oder sonstigen nahen Angehörigen in Österreich und konnte eine überdurchschnittliche Integration der BF im Bundesgebiet nicht festgestellt werden. Hingegen leben im Herkunftsstaat, wo die BF den überwiegenden Teil ihres Lebens verbracht haben, die Eltern von BF2, zu denen BF2 in Kontakt steht. Auch befinden sich weitere Verwandte von BF2 in der Ukraine, und zwar ein Onkel, eine Tante und Cousins. Ihre Verwandten leben finanziell abgesichert

Die BF1, BF2 und BF3 sind strafgerichtlich unbescholten und stehen im erwerbsfähigem Alter.

1.3. Zum Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt:

Länderspezifische Anmerkungen

Durch die Ereignisse der letzten Monate hat die momentane ukrainische Übergangsregierung de facto nicht die vollständige Kontrolle über ihr Staatsgebiet. Die Halbinsel Krim wird derzeit faktisch von Russland kontrolliert. Grundsätzliche Aussagen zur Ukraine gelten daher vorerst nicht für die Halbinsel Krim, außer es wird ausdrücklich anderes angemerkt!

Die Lage in der Ostukraine wird im LIB behandelt.

In den westlichen Landesteilen ist die Lage grundsätzlich ruhig.

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 22.5.2014, Binnenvertriebene (relevant für Abschnitt 3. Sicherheitslage)

UNHCR hat am 20.5.2014 veröffentlicht, dass seit Beginn der Spannungen in der Ukraine geschätzte 10.000 Zivilisten zu Binnenvertriebenen wurden.

Die Vertreibungen begannen vor dem Referendum auf der Krim im März und steigen seither allmählich an. Die meisten Betroffenen sind ethnische Krimtataren, wiewohl lokale Behörden von steigenden Zahlen von ethnischen Ukrainern, Russen und gemischten Familien berichten.

Etwa ein Drittel der Betroffenen sind Kinder. Die meisten IDPs (Internally Displaced People) ziehen in die Zentralukraine (45%) bzw. in die Westukraine (26%). Einige werden aber auch innerhalb der südlichen und östlichen Regionen umgesiedelt. Die Zahl der ukrainischen Asylwerber in anderen Staaten ist weiterhin niedrig.

Die Betroffenen berichten von direkten Drohungen und Furcht vor Unsicherheit oder Verfolgung aus Gründen der Ethnie oder Religion bzw. im Falle von Journalisten, Menschenrechtsaktivisten und Intellektuellen wegen ihrer Aktivitäten oder Berufe. Andere berichten, sie konnten ihre Geschäfte nicht länger offen halten.

Zu den größten Herausforderungen für IDPs zählen der Zugang zu sozialen Leistungen, langfristiger Unterkunft, Ummeldung (und damit Zugang zu Sozialleistungen), Dokumenten und einer Existenzgrundlage. Die Hilfe für die IDPs wird hauptsächlich von Regionalbehörden, Gemeindeorganisationen und freiwilligen Leistungen von Bürgern gewährleistet. Untergebracht werden sie in Einrichtungen der Lokalbehörden, Hotels bzw. in Privathäusern. UNHCR warnt, dass sich diese Kapazitäten langsam erschöpfen würden und mehr permanente Unterbringungs-, Jobmöglichkeiten etc. notwendig seien.

UNHCR arbeitet bei der Hilfeleistung für die Betroffenen eng mit den lokalen Behörden, anderen UN-Organisationen und NGOs zusammen. Die Hilfe umfasst Rechtsberatung, Integrationsbeihilfen für 150 Familien, finanzielle Unterstützung für 2.000 Personen und Unterbringung für 50 Familien.

UNHCR begrüßt die jüngste Verabschiedung eines Gesetzes über die Rechte Binnenvertriebener von der Krim, das Bestimmungen zur Bewegungsfreiheit im Rest der Ukraine, zum Ersatz von Ausweisdokumenten und zum Wahlrecht vorsieht. (UNHCR 20.5.2014)

Quellen:

UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (20.5.2014): UNHCR says internal displacement affects some 10,000 people in Ukraine, http://www.unhcr.org/537b24536.html, Zugriff 22.5.2014

Politische Lage

Nach den gewaltsamen Zusammenstößen vom 18.-20.02.2014 befindet sich die Ukraine in einer Zeit des Umbruchs. Die Werchowna Rada, das ukrainische Parlament, hat vorgezogene Präsidentschaftswahlen für den 25. Mai 2014 angesetzt. Viktor Janukowitsch ist abgesetzt. Bis dahin nimmt der neu gewählte proeuropäische Parlamentspräsident Olexander Turtschinow auf Beschluss des ukrainischen Parlaments übergangsweise auch die Funktionen des amtierenden Präsidenten wahr. Vorrangige Aufgaben sind die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und die Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage. Regierungschef ist seit 27.02.2014 Ministerpräsident Arseni Jazenjuk, ebenfalls ein Vertreter des pro-europäischen Lagers. (AA 04.2014)

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (04.2014): Ukraine, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Ukraine_node.html, Zugriff 24.4.2014

Sicherheitslage

Die Halbinsel Krim gehört völkerrechtlich weiterhin zur Ukraine, wird aber derzeit faktisch von Russland kontrolliert. Die Lage in der östlichen Ukraine ist angespannt. Es mehren sich Fälle bewaffneter Besetzungen staatlicher Einrichtungen durch bewaffnete pro-russische Gruppen. In Kiew ist es nach den Unruhen im Februar 2014 wieder ruhig geworden. (AA 23.4.2014)

In Genf Krisengipfel wurde am 17. April zwischen der Ukraine, Russland, EU und USA ein Friedensfahrplan für die Ukraine beschlossen, der die Entwaffnung illegaler Kräfte vorsieht. Demnach müssen die prorussischen Separatisten im Osten der Ukraine ihre Waffen abgeben und besetzte Gebäude verlassen. Die Grundsatzerklärung fordert alle Seiten zum Verzicht auf Gewalt und jegliche Provokationen auf. Den Beteiligten an bewaffneten Aktionen und Besetzern staatlicher Gebäude in der Ostukraine soll eine Amnestie gewährt werden, außer in Fällen von Kapitalverbrechen. Eine Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) soll die Umsetzung der Vereinbarung begleiten und überprüfen.

Im Osten der Ukraine haben sich pro-russische Separatisten jedoch geweigert, ein besetztes Regierungsgebäude in Donezk zu räumen.

Auch auf dem Maidan-Platz in Kiew, haben Gruppen, die am Sturz der pro-russischen Regierung von Ex-Präsident Viktor Janukowitsch beteiligt waren nach wie vor Barrikaden. Viele Demonstranten haben erklärt, sie wollten dort ausharren, bis sie ihre Forderungen nach der Präsidentenwahl am 25. Mai erfüllt sähen.

Im Vorfeld war es auch zu Schusswechseln zwischen Sicherheitskräften und pro-russischen Gruppen gekommen, so etwa in Mariupol, Slawjansk und Kramatorsk. Es soll Verletzte und auch Tote gegeben haben. (Standard 17.4.2014)

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (23.4.2014): Ukraine: Reise- und Sicherheitshinweise,

http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/UkraineSicherheit_node.html, Zugriff 24.4.2014

-

Der Standard (17.4.2014): Ukraine-Gipfel in Genf: Einigung auf Entwaffnung illegaler Gruppen,

http://derstandard.at/1397520853199/Ukraine-Angespannte-Lage-vor-Treffen-in-Genf, Zugriff 24.4.2014

Krimhalbinsel

Die Halbinsel Krim gehört völkerrechtlich weiterhin zur Ukraine, wird aber derzeit faktisch von Russland kontrolliert. (AA 23.4.2014)

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (23.4.2014): Ukraine: Reise- und Sicherheitshinweise,

http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/UkraineSicherheit_node.html, Zugriff 24.4.2014

Ostukraine

In den östlichen und südlichen Landesteilen gehen die Bürger weitestgehend ihren normalen Alltagsgeschäften nach. Die aus den Medien bekannten Unruheherde existieren parallel zum normalen Umfeld. Eine Verschlechterung der allgemeinen Sicherheitslage bedingt durch die Handlungsunfähigkeit bzw. -unwilligkeit der regulären Rechtsschutzorgane wird glaubhaft aus den Städten Slovyansk und Kramatorsk in der Ostukraine berichtet.

Die Bewegungsfreiheit kann dort durch Kontrollposten bzw. durch die Blockade/Besetzung öffentlicher Gebäude durch Separatisten eingeschränkt sein. Das Meiden dieser Konfliktpunkte erscheint angezeigt.

Aus den westlichen Landesteilen ist keine Verschlechterung der grundsätzlich ruhigen Lage bekannt geworden. (VB 23.4.2014)

Quellen:

-

VB des BM.I Ukraine (23.4.2014): Auskunft des VB, per Email

Rechtsschutz/Justizwesen

Die Beherrschung der Judikative durch die Exekutive hat ein seit den Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts nicht gekanntes Ausmaß erreicht. Die Staatsmacht hat es in der Präsidentschaft Janukowitsch verstanden, die wichtigsten Organe der Rechtsprechung durch die Besetzung der Schlüsselstellen mit loyalen Parteigängern unter ihre Kontrolle zu bringen.

Richter haben in der Ukraine eine fünfjährige Probezeit zu durchlaufen, bevor sie auf Lebenszeit ernannt werden. Die erstmalige Ernennung zum Richter erfolgt durch den Staatspräsidenten auf Vorschlag des Obersten Justizrats, die Ernennung zum Richter auf Lebenszeit durch das Parlament. Die Disziplinarbefugnisse des Obersten Justizrats (der von Mitgliedern kontrolliert wird, die der Präsidentenadministration nahestehen) wurden von der Exekutive wiederholt dazu genützt, Gerichtsentscheide zu beeinflussen. Angesichts dessen ist die politische Abhängigkeit von Richtern zumindest während ihrer Probezeit evident.

Ende 2012 wurde die Präsidialadministration mit einem Entwurf einer Verfassungsänderung zur Stärkung der richterlichen Unabhängigkeit vorstellig, die von der Venedig-Kommission des Europarats vom Juni 2013 grundsätzlich positiv aufgenommen wurde. Vor allem die darin vorgeschlagene Reform des Obersten Justizrats wurde positiv vermerkt. Gleichzeitig riefen die weiterhin vorgesehenen Einflussmöglichkeiten des Staatspräsidenten auf die Bestellung, Versetzung und Disziplinierung von Richtern sowie die nach wie vor avisierte Mitgliedschaft des Generalstaatsanwalts im Obersten Justizrat Kritik hervor.

Eine während der Präsidentschaft Janukowitsch verstärkt zu beobachtende Entwicklung, die gegen das Prinzip der Gewaltenteilung gerichtet war, stellte der Missbrauch der Justiz als Hilfsmittel gegen politische Mitbewerber und kritische Mitglieder der Zivilgesellschaft dar. Prominentestes Beispiel war die ehemalige Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, die im Zuge der Umwälzungen nach den Maidan-Protesten mittlerweile wieder in Freiheit ist.

Als ermutigendes Zeichen ist die in enger Kooperation mit Experten des Europarats entworfene Neufassung der ukrainischen Strafprozessordnung zu werten, die im November 2012 Gesetzeskraft erlangte und bereits positive Wirkungen entfaltet.

Mit der Reform der ukrainischen Strafprozessordnung eng einhergehend ist die Umsetzung des im Jänner 2013 in Kraft getretenen Gesetzes über den unentgeltlichen Rechtsbeistand, welches die Liste der potenziellen Nutznießer bedeutend ausweitet und einen umgehenden Rechtsbeistand nach Inhaftierung nach besten europäischen Standards gewährleistet. Seit Inkrafttreten des Gesetzes stehen dafür über 3.000 auf Basis eines Auswahlverfahrens rekrutierte Rechtsanwälte zur Verfügung. Problematisch könnte sich die Unterdotierung des unentgeltlichen Rechtsbeistands im ukrainischen Budget erweisen.

Eine Überarbeitung des ukrainischen Strafgesetzbuchs an Haupt und Gliedern, insbesondere, was die Kompatibilität mit der neuen Strafprozessordnung betrifft, ist ausständig.

Spätestens seit dem Beitritt der Ukraine zum Europarat 1995 ist die Reform der nach sowjetischer Machart mit exzessiven Kompetenzen ausgestatteten und von politischer Einflussnahme geprägten Staatsanwaltschaft ein Dauerthema. Auch die Neufassung der ukrainischen Strafprozessordnung wird ihre volle Wirkung erst in Verbindung mit der Neufassung eines Gesetzes über die Arbeitsweisen der ukrainischen Staatsanwaltschaft entfalten können.

Ende 2011 legte die von Präsident Janukowitsch eingerichtete Kommission zur Stärkung der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit einen ersten Gesetzesentwurf zur Reform der Staatsanwaltschaft vor, der von der Venedig-Kommission des Europarats in seiner Stellungnahme vom Oktober 2012 als wichtiger Schritt in die richtige Richtung qualifiziert wurde. Mitte April 2013 diskutierte das zuständige Komitee des ukrainischen Parlaments vorbereitende Schritte für die zweite Lesung des entsprechenden Gesetzesentwurfs. (ÖB 4.9.2013)

Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, in der Praxis war diese jedoch Gegenstand von politischem Druck, Korruption, Ineffizienz und Mangel an Vertrauen der Öffentlichkeit. In manchen Fällen wirkte der Ausgang von Prozessen vorbestimmt.

Korruption ist in Exekutive, Legislative und Judikative und in der Gesellschaft allgegenwärtig.

Richter beschwerten sich weiterhin über Verschlechterungen bei der Gewaltenteilung, einige beklagten Druck durch hochrangige Politiker.

Lange Verfahrensdauern, speziell vor Verwaltungsgerichten, unzureichende Finanzierung, Mängel bei der Rechtsberatung und die Unfähigkeit der Gerichte Urteile durchzusetzten, waren ebenfalls ein Problem.

Die neue Strafprozessordnung vom November 2012 schränkte die Verwendung der Untersuchungshaft ein, reduzierte die Anreize zum Erzwingen von Geständnissen und gab der Verteidigung mehr Verfahrensrechte. Beobachter meinten, dass weitere Reformen erforderlich seien, um die Macht der Generalstaatsanwaltschaft zu begrenzen und eine unparteiische und unabhängige Strafjustiz im Einklang mit den internationalen Verpflichtungen des Landes zu etablieren.

Während des Jahres gelang es nicht, die Befugnisse der Generalstaatsanwaltschaft gesetzlich einzuschränken.

Verfassung und Gesetze garantieren das Recht auf Regress für Fälle von Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Organe. Allerdings behindert eine ineffiziente und korrupte Justiz die Ausübung dieses Rechts. Einzelpersonen können sich an den parlamentarischen Ombudsmann für Menschenrechte wenden.

Nach Ausschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe steht auch der Weg zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) offen. In den ersten 11 Monaten 2013, erließ der EGMR 60 Urteile gegen die Ukraine. Die meisten betrafen Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren, unangemessen lange Verfahren, Verletzung des Rechts auf Freiheit und Sicherheit, sowie unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. (USDOS 27.2.2014)

Um das Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnen zu können, unternahm die Ukraine einige Anstrengungen zur Umsetzung europäischer Standards. Aber vieles bleibt noch zu tun, u.a. auch bezüglich Korruption in der Justiz. Trotzdem gab es auf dem Gebiet der Justizreform auch positive Entwicklungen, wie das Inkrafttreten der neuen Strafprozessordnung, neue Gesetzgebung zur Anwaltskammer usw. Die neue Strafprozessordnung wurde in enger Zusammenarbeit mit dem Europarat ausgearbeitet und soll faire Verfahren und Gleichheit zwischen Anklage und Verteidigung bringen. Das Büro des Generalstaatsanwalts bedarf weiterer Reform und Gesetze über die Polizei und eine Neufassung des Strafgesetzbuches stehen noch aus.

Das Vertrauen in die ukrainische Justiz wurde durch Verfahren unterminiert, die internationale Standards nicht erfüllten und die den Eindruck selektiver Justiz gegen Oppositionsführer und Mitglieder der ehemaligen Regierung erweckten. Die ukrainischen Richter unterliegen der Einmischung der Exekutive. (EK 20.3.2013)

Im September 2013 hat das ukrainische Parlament Teile der Gesetze verabschiedet, die eine Voraussetzung für die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU auf dem Gipfeltreffen zur Östlichen Partnerschaft in Vilnius am 28./29. November 2013 sind.

Seit dem Beginn der Herbstperiode im September hat das ukrainische Parlament sehr effektiv gehandelt, und "europäische" Projekte sind mit überwältigenden Mehrheiten verabschiedet worden. Das Parlament hat einen Fahrplan zur Umsetzung der vom EGMR erlassenen Urteile beschlossen und versprochen, im Oktober weitere Gesetze für eine grundlegende Reform der Strafverfolgung und der Polizei zu verabschieden. Das Verfassungsgericht stimmte dem Gesetzesentwurf zur Stärkung der verfassungsmäßigen Garantie der richterlichen Unabhängigkeit innerhalb von zwei Wochen zu - dieser beinhaltet unter anderem die lebenslange Ernennung von Richtern und entzieht dem Parlament das Recht, Richter aufzustellen (was den Einfluss der Regierung auf die Justiz verringert). Das könnte bedeuten, dass das Gesetz bald verabschiedet wird, obwohl die Verfassung vorsieht, dass dies frühestens im Februar 2015 geschehen kann. Derselbe Gesetzesentwurf für die Verfassung sieht vor, dass der Generalstaatsanwalt nicht mehr für einen gewissen Zeitraum ernannt wird, was die Unabhängigkeit dieser Position stärkt. Das neue Gesetz zum Anwaltsberuf wurde bereits 2012 verabschiedet, seine Umsetzung war mit großen Schwierigkeiten behaftet, etwa mit den im Mai 2013 verabschiedeten Richtlinien für Strafverfahren. Nichtsdestotrotz haben diese beiden Gesetze die ukrainischen Verfahren europäischen Standards nähergebracht. (UA 8.10.2013)

Quellen:

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EK - Europäische Kommission (20.3.2013): Implementation Of The European Neighbourhood Policy In Ukraine, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1364374550_2013-progress-report-ukraine-en.pdf, Zugriff 24.4.2014

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ÖB - Österreichische Botschaften (4.9.2013): Asylländerbericht Ukraine,

http://www.ecoi.net/file_upload/1729_1381913826_ukra-baa-infos-2013-09-asylber-ob.pdf, Zugriff 24.4.2014

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UA - Ukraine Analysen (8.10.2013): Das ukrainische Parlament führt Teile der europäischen Gesetze ein, http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen121.pdf, Zugriff 24.4.2014

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USDOS - US Department of State (27.2.2014): Country Report on Human Rights Practices 2013 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/270738/399509_de.html, Zugriff 24.4.2014

Sicherheitsbehörden

Die Sicherheitsbehörden unterstehen ziviler Kontrolle.

Die Sicherheitsbehörden der Ukraine begingen Menschenrechtsverletzungen. Vertreter der Sicherheitsbehörden wurden dafür aber generell nicht strafverfolgt, vor allem, wenn Gefangene betroffen waren. Straflosigkeit war ein Problem. Die Bereitschaftspolizei "Berkut" ging besonders brutal gegen Demonstranten auf dem Unabhängigkeitsplatz (Maidan) in Kiew vor. (USDOS 27.2.2014)

Wegen ihres gewaltsamen Vorgehens gegen die Proteste auf dem Maidan ist die "Berkut" mittlerweile aufgelöst worden. Die Spezialeinheiten sind bei den Gegnern der Regierung des mittlerweile abgesetzten Präsidenten Viktor Janukowitsch wegen ihrer Rolle bei den Straßenkämpfen in Kiew verhasst. Dabei waren 82 Menschen getötet und Hunderte verletzt worden. Berkut-Polizisten waren gefilmt worden, wie sie mit scharfer Munition auf die Menge schossen. (Welt 26.2.2014)

Quellen:

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Die Welt (26.2.2014): Ukraine löst Berkut-Bereitschaftspolizei auf,

http://www.welt.de/politik/ausland/article125210559/Ukraine-loest-Berkut-Bereitschaftspolizei-auf.html, Zugriff 24.4.2014

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USDOS - US Department of State (27.2.2014): Country Report on Human Rights Practices 2013 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/270738/399509_de.html, Zugriff 24.4.2014

Folter und unmenschliche Behandlung

Ukraine hat den Ombudsmann als Nationalen Präventiven Mechanismus (NPM) gegen Folter im Sinne des UN- Fakultativprotokolls zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe installiert. Zusammen mit der neuen Strafprozessordnung, das die Gründung eines unabhängigen Untersuchungsbüros für Folterfälle vorsieht, sollte das die Fälle von Folter erheblich reduzieren. (EK 20.3.2013; vgl. auch Amnesty 23.5.2013)

Folter wird von der Verfassung verboten. Nach der neuen Strafprozessordnung dürfen unter Folter erzwungene Geständnisse auch nicht mehr als Beweis im Verfahren verwendet werden. Es gibt aber Berichte, dass weiterhin Beamte solcherart Geständnisse erpressen.

Nach Angaben des ukrainischen Innenministeriums gab es 2013 bis August, also noch unter der Präsidentschaft Janukowitsch, 9.878 Beschwerden wegen Folter und unerlaubter Gewaltanwendung durch Polizisten. Die Behörden untersuchten demnach 231 dieser Fälle und es gab bis November 5 Verurteilungen von Polizisten wegen Folter und disziplinäre Maßnahmen gegen 45 weitere.

Laut Büro des Generalstaatsanwalts gab es 2013 bis Oktober 2.857 offene Verfahren wegen Folter durch Polizisten. 820 Misshandlungsfälle (950 Beamte betreffend) wurden den Gerichten übergeben, davon 54 ausdrückliche Folter-Vorwürfe.

Folter ist vor allem in Gefängnissen ein Problem. (USDOS 27.2.2014)

Quellen:

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Amnesty International (23.5.2013): Amnesty International Report 2013 - Zur weltweiten Lage der Menschenrechte - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/248072/374321_de.html, Zugriff 24.4.2014

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EK - Europäische Kommission (20.3.2013): Implementation Of The European Neighbourhood Policy In Ukraine, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1364374550_2013-progress-report-ukraine-en.pdf, Zugriff 24.4.2014

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USDOS - US Department of State (27.2.2014): Country Report on Human Rights Practices 2013 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/270738/399509_de.html, Zugriff 24.4.2014

Korruption

Korruption ist weiterhin ein Problem, ihre Bekämpfung mangelhaft und bei der Budgettransparenz gab es sogar Rückschritte. (EK 20.3.2013)

Die Ukraine liegt im 2013 Corruption Perceptions Index von Transparency International mit einer Bewertung von 25 (von 100) (0=highly corrupt, 100=very clean) auf Platz 144 (von 177). 2012 lag das Land mit Bewertung 26 auf Platz 144 (von 176). (TI 2013 / TI 2012)

Korruption ist in Exekutive, Legislative und Judikative und in der Gesellschaft allgegenwärtig. Obwohl Korruption öffentlich Bediensteter strafbar ist, werden die Gesetze nicht effektiv umgesetzt und korrupte Beamte bleiben oft straflos. Trotzdem gab es 2013 Schritte der Regierung zur Stärkung der Antikorruptionsgesetzgebung. Kritiker meinen aber, diesen Gesetzen fehle es an Durchsetzungsmechanismen. Die Offenlegungspflicht für das Einkommen von Regierungsvertretern sieht keine Strafen bei Nichtbefolgung vor. Gesetzesänderungen aus dem Jahre 2012 machten außerdem öffentliche Beschaffungsprozesse intransparenter.

Bis Juni 2013 hatte der Generalstaatsanwalt Korruptionsanklagen gegen 340 niedere Beamte an die Gerichte weitergeleitet. Vorwürfe gegen höhere Regierungsbeamte wurden hingegen nicht untersucht, obwohl Korruption höherer Ebenen gemeinhin als großes Problem empfunden wird, speziell im Beschaffungswesen. Bis Juni 2013 hatte der Generalstaatsanwalt Korruptionsanklagen gegen 11 Richter an die Gerichte weitergeleitet. (USDOS 27.2.2014; vgl. auch: FH 23.1.2014)

Quellen:

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EK - Europäische Kommission (20.3.2013): Implementation Of The European Neighbourhood Policy In Ukraine, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1364374550_2013-progress-report-ukraine-en.pdf, Zugriff 24.4.2014

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FH - Freedom House (23.1.2014): Freedom in the World 2014 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/268013/395597_de.html, Zugriff 24.4.2014

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TI - Transparency International (2013): Corruption Perceptions Index, http://cpi.transparency.org/cpi2013/in_detail/, Zugriff 24.4.2014

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TI - Transparency International (2012): Corruption Perceptions Index, http://www.transparency.org/cpi2012/results, Zugriff 24.4.2014

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USDOS - US Department of State (27.2.2014): Country Report on Human Rights Practices 2013 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/270738/399509_de.html, Zugriff 24.4.2014

Nichtregierungsorganisationen (NGOs)

Die Bürgergesellschaft entwickelte sich nach der "Orangenen Revolution" deutlich lebendiger als zuvor. Es entstand außerdem eine pluralistische Medienlandschaft, die allerdings unter der Präsidentschaft von Janukowytsch zunehmenden Einschränkungen ausgesetzt war. (AA 04.2014a)

Das neue Gesetz über zivile Organisationen trat am 1.1.2013 in Kraft und ist ein wichtiger Schritt nach vorne für die Vereinigungsfreiheit. Wenn es gut umgesetzt wird, wird es NGOs die Registrierung erleichtern und Probleme wie Gebietsbeschränkungen ihrer Tätigkeit angehen. (EK 20.3.2013)

Erhöhter Druck auf die Zivilgesellschaft, NGOs und Aktivisten war ein Problem, zumindest unter der Präsidentschaft Janukowitschs. Verfassung und Gesetze garantieren jedenfalls Vereinigungsfreiheit. Die Regierung respektierte dieses Recht generell, es blieben aber Einschränkungen. Es existieren Registrierungsauflagen, aber es liegen keine Berichte vor, dass die Regierung sie benutzt hätte um bestehende Organisationen aufzulösen oder die Bildung neuer zu verhindern. Das neue Gesetz über zivile Organisationen trat am 1.1.2013 in Kraft. Es vereinfacht die Registrierung und hebt Beschränkungen ihrer Tätigkeit auf. (USDOS 27.2.2014)

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (04.2014a): Ukraine. Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 24.4.2014

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EK - Europäische Kommission (20.3.2013): Implementation Of The European Neighbourhood Policy In Ukraine, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1364374550_2013-progress-report-ukraine

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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