TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/12 W103 2017377-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.10.2018
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Entscheidungsdatum

12.10.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs2 Z1

Spruch

W103 2017374-3/2E

W103 2017382-3/2E

W103 2017377-3/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. AUTTRIT als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) von XXXX , geb. XXXX ,

2.) XXXX , geb. XXXX , und 3.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Russische Föderation und vertreten durch die XXXX sowie den Verein

XXXX , gegen die Spruchpunkte IV. bis VI. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, jeweils vom 01.09.2018, Zln.

1.) 831716300-171315287, 2.) 831716409-171315265 und 3.) 831716605-171315180, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerden werden gemäß § 28 Abs. 2 Z. 1 VwGVG iVm § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 FPG 2005, § 52 Abs. 9 FPG, § 46 FPG, § 55 Abs. 1a FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die beschwerdeführenden Parteien sind Staatsangehörige der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet und Eltern der volljährigen Beschwerdeführerin zu W111 2017379-3 sowie des minderjährigen Drittbeschwerdeführers.

1. Erste Verfahren auf internationalen Schutz:

1.1. Die Beschwerdeführer stellten nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 21.11.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung am 21.11.2013 gab der Erstbeschwerdeführer vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes an, er habe vier Schlaganfälle und zwei Herzinfarkte gehabt und ein schlechtes Gedächtnis. Er verwies auf seine mit ihm in Österreich ebenfalls um Asyl ansuchenden Familienangehörigen, nämlich seine Ehefrau und die gemeinsamen minderjährigen Kinder (Sohn und Tochter), sowie auf seinen Sohn in Dänemark. Er habe sein Herkunftsland verlassen, weil er mit seiner Familie ständig vom Militär und von Beamten bedroht worden sei. Grund dafür sei gewesen, dass sein Sohn ihrem Verwandten - einem Freiheitskämpfer - geholfen habe. Bei einer Rückkehr befürchte er, ermordet zu werden.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab bei der Erstbefragung am 21.11.2013 an, sie könne der Einvernahme folgen, leide jedoch an psychischen Problemen und sei sehr gestresst. Sie und ihre Familie seien im Herkunftsstaat von den Behörden verfolgt worden, weil ihr Sohn einen Verwandten unterstützt habe. Bei einer Rückkehr befürchte sie, umgebracht zu werden. Ihr Sohn, der Drittbeschwerdeführer, habe keine eigenen Fluchtgründe. Die Erstbefragung wurde dann aufgrund gesundheitlicher Probleme der Zweitbeschwerdeführerin abgebrochen.

Bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 26.11.2013 gab die Zweitbeschwerdeführerin an, in ihrem Herkunftsstaat noch zwei Brüder und sieben Schwestern zu haben. Eine Schwägerin lebe in Österreich, diese sei verheiratet und österreichische Staatsbürgerin. Ihr Heimatland habe sie wegen Problemen in Zusammenhang mit dem Sohn des Cousins ihres Mannes verlassen. Dieser habe sich vor einigen Jahren in Tschetschenien den Widerstandskämpfern angeschlossen und vor ca. 2 Jahren ihren Sohn telefonisch ersucht, warme Sachen und SIM-Karten zu besorgen. Ihr Sohn sei dann noch zweimal von ihm gebeten worden, Sachen zu besorgen, bis ihr Sohn am Telefon erklärt habe, Probleme mit den Behörden aufgrund der Unterstützung von Widerstandskämpfern vermeiden zu wollen. Zu dieser Zeit hätten die Zweitbeschwerdeführerin und ihr Mann vom Kontakt ihres Sohnes zu den Widerstandskämpfern nicht Bescheid gewusst. Aus Angst um ihren Sohn hätte die Zweitbeschwerdeführerin ihm nach Erhalt der Ladung nicht erlaubt, zum Einvernahmetermin zu erscheinen. Drei bis vier Tage später seien mindestens 6 bewaffnete, maskierte Personen gekommen und hätten die Zweitbeschwerdeführerin und ihre Familie bedroht und ihren Sohn geschlagen und entführt. Als die Zweitbeschwerdeführerin ihrem Sohn habe helfen wollen, sei sie gegen die Wand geschleudert und bewusstlos geworden. Wieder bei Bewusstsein habe sie von ihren schreienden Kindern erfahren, dass ihr Sohn verschleppt worden sei. Sie seien am nächsten Tag auf dem Polizeirevier gewesen, wo ihnen schließlich ihr Sohn gegen ihr Versprechen, dass dieser zur nächsten Einvernahme erscheinen werde, übergeben worden sei. Ihr Sohn sei brutal misshandelt worden, habe kaum auf den Beinen stehen können und von der Zweitbeschwerdeführerin gefüttert werden müssen. Nach ca. fünf Tagen habe ihr Sohn wieder langsam selbständig essen und aufstehen können. Die Ladung für die nächste Einvernahme ihres Sohnes sei nach ein bis zwei Wochen eingelangt. Aus Angst um sein Leben hätten sie ihm nicht erlaubt, dorthin zu gehen. Die Zweitbeschwerdeführerin und ihr Ehemann hätten zusammen mit Verwandten und Freunden schließlich die Ausreise ihres Sohnes finanziert. Dieser sei nach Dänemark geflüchtet und nunmehr dort anerkannter Flüchtling. Da ihr Sohn nicht zum Ladungstermin erschienen sei, seien bewaffnete Männer wieder bei ihnen zu Hause aufgetaucht. Diese hätten nach ihrem Sohn gefragt und gedroht, ihre Tochter zu verschleppen. Aus Angst, getötet zu werden oder ihre Tochter könnte verschleppt werden, hätten sie sich ebenfalls zur Ausreise aus ihrem Heimatland entschlossen. Aus finanziellen Gründen sei ihnen jedoch eine sofortige Flucht nicht möglich gewesen, weshalb sie sich fast ein Jahr lang bei verschiedenen Verwandten versteckt gehalten und auf finanzielle Unterstützung durch ihre Verwandten gewartet hätten. Da sie von Nachbarn erfahren hätten, immer wieder von Männern gesucht zu werden, wären sie in Todesangst gewesen. Sie hätten nicht in einem anderen Teil ihres Herkunftslandes um Schutz gesucht, weil sie von den Sicherheitskräften überall gefunden worden wären. Für ihren 2001 geborenen Sohn würden dieselben Fluchtgründe wie für sie selbst gelten. Zu ihrer gesundheitlichen Situation gab sie an, sie habe oftmals Kopfschmerzen und psychische Probleme. Auch ihr Ehemann sei sehr krank. Er habe zwei Herzinfarkte und vier Schlaganfälle gehabt, habe Störungen beim Reden und Gedächtnisprobleme. Die Zweitbeschwerdeführerin und ihre beiden Kinder seien in Österreich in psychiatrischer Behandlung.

Bei der niederschriftlichen Einvernahme des Erstbeschwerdeführers am 05.08.2014, bei der seine in Österreich lebende Schwester als Vertrauensperson teilnahm, gab der Erstbeschwerdeführer an, außer seiner Ehefrau und seinen beiden Kindern noch eine Schwester in Österreich zu haben. Zu dieser bestehe kein Abhängigkeitsverhältnis. In seinem Herkunftsstaat habe er viele Verwandte. Manche von ihnen arbeiteten und hätten schulpflichtige Kinder. Der Erstbeschwerdeführer habe in seinem Herkunftsstaat Invaliditätspension bezogen. Er müsse regelmäßig Medikamente einnehmen und habe 2 Herzinfarkte und vier Schlaganfälle gehabt, weswegen er auch in seiner Heimat behandelt worden sei. Der Erstbeschwerdeführer legte diverse medizinische Unterlagen über seine ärztlichen Behandlungen in Österreich vor. Zu seinen Fluchtgründen gab der Erstbeschwerdeführer an, sein Sohn sei einmal mitgenommen worden, weil ihm vorgeworfen worden sei, einem Verwandten Lebensmittel gebracht zu haben. Dieser Verwandte sei inzwischen umgebracht worden. Befragt nach seiner Rückkehrbefürchtung gab er an, sich an die Details nicht mehr erinnern zu können.

Bei Einvernahme der Zweitbeschwerdeführerin am 05.08.2014 gab diese vor der belangen Behörde an, ihr Sohn habe mit einem verwandten Widerstandskämpfer Kontakt gehabt und ihm einige Male mit verschiedenen Sachen versorgt. Als sie davon erfahren hätten, hätten sie mit ihm geschimpft und ihm von einer weiteren Kontaktaufnahme zu ihm abgeraten, worauf der Sohn den Kontakt abgebrochen hätte. Einige Zeit später sei einer der Widerstandskämpfer von Kadyrov-Leuten erwischt und gefoltert worden, wobei der Name ihres Sohnes bekannt gegeben worden sei. Nachdem die Männer das Haus gestürmt hätten, sei ihr Sohn gepackt und mitgenommen worden - dies sei im Jahr 2012 oder 2013 gewesen. Nachdem ihr Sohn am Abend wieder frei gelassen worden sei, sei er drei Tage lang im Bett gewesen. Ins Krankenhaus sei er nicht gebracht worden, das sei zu gefährlich gewesen. Nachdem unterschrieben worden sei, dass ihr Sohn den Ladungen nachkommen werde, sei er freigelassen worden. Nachdem ihr Sohn einer Ladung nicht nachgekommen sei, seien bei ihnen zu Hause maskierte Männer aufgetaucht und hätten sie bedroht - auch mit der Entführung ihrer Tochter das nächste Mal. Sie befürchte, bei ihrer Rückkehr umgebracht zu werden. Auf den Vorhalt von Länderfeststellungen wurde verzichtet.

1.2. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.01.2015 wurden die Anträge auf internationalen Schutz vom 21.11.2013 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG) jeweils abgewiesen (Spruchpunkt I.). Weiters wurden die Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation jeweils abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den Beschwerdeführern gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde gegen die Beschwerdeführer jeweils eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt III.).

Begründend wurde ausgeführt, der Erstbeschwerdeführer habe aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung von etwaigen Vorfällen nur ansatzweise berichten können, weshalb auf die vorgebrachten Fluchtgründe seiner Ehegattin zurückgegriffen werden habe müssen. Diesen habe jedoch kein Glauben geschenkt werden können, weshalb auch den angeführten Fluchtgründen des Erstbeschwerdeführers nicht geglaubt werden habe können. Dass viele Familienangehörige und Verwandte der Beschwerdeführer weiterhin in Tschetschenien leben und einem geregelten Berufs- und Schulalltag nachgehen könnten, weise auf keine erkennbare Verfolgungsabsicht dort hin. Der Erstbeschwerdeführer könne zusammen mit seiner Familie in Tschetschenien zur Sicherung seiner elementaren Lebensbedürfnisse im Rahmen seines Familienverbandes eine ausreichende wirtschaftliche und soziale Unterstützung erwarten. Es gebe auch hinsichtlich der gesundheitlichen Beeinträchtigung des Erstbeschwerdeführers kein Abschiebungshindernis. Im Zuge des Familienverfahrens konnte keinem Familienangehörigen Asyl gewährt und bei keinem ein Abschiebungshindernis erkannt werden. Da die Beschwerdeführer zudem den Großteil ihres Lebens in der Russischen Föderation verbracht hätten, sei nicht erkennbar, inwiefern sie bei ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat bei der Wiedereingliederung in die russische bzw. tschetschenische Gesellschaft unüberwindbaren Hürden gegenüberstehen würden.

1.3. Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und beantragten u.a. die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Vorgebracht wurde zusammengefasst, der Sohn des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin sei anerkannter Flüchtling in Dänemark, was die belangte Behörde bei ihrer Entscheidung mitberücksichtigen hätte müssen. Vor dem Hintergrund von Länderberichten, wonach Familienangehörige von mutmaßlichen Aufständischen, die sich im Ausland befinden, von den Sicherheitskräften in Tschetschenien verfolgt würden, wäre den Beschwerdeführern Asyl zu gewähren gewesen. Die belangte Behörde habe bei ihrer Entscheidung die außerordentliche psychische Belastungssituation der Zweitbeschwerdeführerin, weswegen sogar ihre Erstbefragung unterbrochen werden habe müssen, außer Acht gelassen. Leicht divergierende Angaben der Zweitbeschwerdeführerin in den Einvernahmen könnten entgegen der Auffassung der belangten Behörde den Beschwerdeführern nicht ihre Glaubwürdigkeit absprechen. Die Ausführung der Behörde, Familienangehörige und Verwandte würden weiterhin unbehelligt in Tschetschenien leben können, sei zudem nicht zutreffend, das Elternhaus eines näher bezeichneten Verwandten sei in Brand gesetzt worden, weitere Verwandte seien nach Frankreich geflüchtet, andere würden sich in Haft befinden. Auch die Zweitbeschwerdeführerin habe in ihrer niederschriftlichen Einvernahme ausdrücklich angegeben, ihre Angehörigen würden in ihrem Herkunftsland bedroht werden. Zur Beurteilung einer Rückkehrgefährdung des Erstbeschwerdeführers wäre ein fachärztliches Gutachten zu seinem Gesundheitszustand einzuholen gewesen. Der Erstbeschwerdeführer sei aufgrund seiner erlittenen Schlaganfälle nicht imstande, für sich selbst sorgen. Er leide an einer Niereninsuffizienz, wobei eine dauerhafte Dialyse zu erwarten sei. Der Beschwerde waren zahlreiche Bescheinigungsmittel, insbesondere medizinische Befunde und Bestätigungen über den Besuch von Deutschkursen, beigegeben.

In regelmäßigen Abständen übermittelten die Beschwerdeführer diverse Unterlagen, insbesondere aktuelle medizinische Befunde, Krankenhausbestätigungen, Bestätigungen über den Besuch von Deutschkursen und Schulnachrichten der Kinder, an das Bundesverwaltungsgericht.

1.4. Mit Schreiben vom 15.06.2016 wurden die Beschwerdeführer vom erkennenden Gericht unter Hinweis auf die Mitwirkungspflicht von Parteien aufgefordert, eine Ausfertigung bzw. Kopie der Entscheidung über die behauptete Zuerkennung von Asyl an XXXX in Dänemark vorzulegen. Weiters werden Sie aufgefordert, das Geburtsdatum des Genannten und seinen Aufenthaltsort in Dänemark bekannt zu geben.

Am 07.07.2016 übermittelten die Beschwerdeführer eine Dänische "Residence Permit", ausgestellt auf XXXX , deren Übersetzung veranlasst wurde. Gleichzeitig wurden weitere Befunde betreffend den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin übermittelt.

Am 01.08.2016 richtete die im 1. Verfahren zuständige Richterin ein Anfrageersuchen an die Staatendokumentation betreffend Behandlungsmöglichkeiten der Erkrankungen des Erstbeschwerdeführers und Verfügbarkeit von Medikamenten in der Russischen Föderation, insbesondere Tschetschenien.

Mit Schreiben vom 02.08.2016 übermittelte die belangte Behörde Schriftstücke in Russischer Sprache, wobei es sich laut Begleitschreiben um die Bestätigung des Erhalts einer Invalidenrente für den Erstbeschwerdeführer handeln soll.

Die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 01.09.2016, wonach in der Russischen Föderation, insbesondere in Tschetschenien, die vom Erstbeschwerdeführer benötigten Medikamente mehrheitlich verfügbar und grundsätzlich kostenpflichtig seien, die Kosten nur bestimmter Medikamente und nur für Menschen mit anerkanntem Behindertenstatus von der staatlichen Krankenversicherung übernommen würden, und es Behandlungs- bzw. Kontrollmöglichkeiten für die Innenohrschwerhörigkeit und die Nierenerkrankung des Erstbeschwerdeführers und auch Behandlungsmöglichkeiten für seinen arteriellen Bluthochdruck und seinen erhöhten Cholesterinwert gibt, wurde dem Erstbeschwerdeführer bzw. seinem Rechtsvertreter zur Stellungnahme binnen zwei Wochen übermittelt.

1.5. Am 23.08.2016 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche Beschwerdeverhandlung im Beisein aller Beschwerdeführer sowie der Beschwerdeführerin zu W111 2017379-3, ihres Rechtsvertreters und eines geeigneten Dolmetschers für die russische Sprache statt, in der die Beschwerdeführer ausführlich zu ihren Fluchtgründen befragt wurden und Gelegenheit erhielten, zu den aufgetretenen Widersprüchen Stellung zu nehmen. Den Beschwerdeführern wurde auch mitgeteilt, dass bezüglich des Gesundheitszustandes bzw. Behandlungsmöglichkeiten des Erstbeschwerdeführers ein Anfrageersuchen an die Staatendokumentation gestellt wurde, die Anfragebeantwortung Ende August erwartet werde und diese ihm umgehend zur Stellungnahme binnen zwei Wochen übermittelt werde. Den Beschwerdeführern wurde auch Gelegenheit gegeben, zu den ihnen mit der Ladung übermittelten Länderberichten eine Stellungnahme abzugeben, was sie sich vorbehielten. Einer Ermächtigung zur Durchführung von Ermittlungen in ihrem Herkunftsstaat stimmten die Beschwerdeführer nicht zu, weil sie, wie insbesondere die Zweitbeschwerdeführerin angab, verhindern wollen, dass jemand von ihrem Aufenthalt in Österreich erfahre.

Am 25.08.2016 wurde an die für die Auszahlung der Grundversorgung an die Beschwerdeführer zuständige Behörde ein Amtshilfeersuchen gestellt. Die Behörde wurde um Übermittlung vorhandener Unterlagen zur Beurteilung des Sachverhalts betreffend den allfälligen Bezug von Invaliditätspension sowie um Mitteilung des Verfahrensstandes ersucht.

Mit E-Mail vom 05.09.2016 wurden dem Bundesverwaltungsgericht vom zuständigen Amt der Landesregierung eine beglaubigte, am 13.07.2016 ausgestellte, Übersetzung eines Dokuments bezeichnet als "Gewährung und Auszahlung einer Invalidenrente der russischen Föderation" und eine Kopie eines "russischen Ausweises", ausgestellt am 01.06.2014, übermittelt. Mitgeteilt wurde, dass das Verfahren derzeit nicht abgeschlossen werden könne, weil der Erstbeschwerdeführer angebe, diese Unterlagen, die bei ihm zu Hause fotografiert und an das Amt der Landesregierung übermittelt worden seien, nicht zu kennen. Derzeit könne die Grundversorgung nur eingeschränkt gewährt werden.

Vom Rechtsvertreter der Beschwerdeführer wurde eine Übersicht des Kontos der Zweitbeschwerdeführerin für den Ausgabezeitraum von 01.03.2016 bis 30.08.2016 übermittelt. Danach langten am Konto der Zweitbeschwerdeführerin nur Zahlungen der Caritas ein.

Am 12.10.2016 übermittelten die Beschwerdeführer eine Stellungnahme zur Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 01.09.2016 sowie zum Verfahren insgesamt. Es wurde u.a. auf den schlechten Gesundheitszustand des Erstbeschwerdeführers und die gute Integration der Beschwerdeführer in Österreich verwiesen.

1.6. Mit Erkenntnissen vom 27.10.2016, Zln. W231 2017374-1/30E, W231 2017382-1/23E, W231 2017377-1/20E und W231 2017379-1/20E, wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerden der beschwerdeführenden Parteien und der volljährigen Tochter des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin vollinhaltlich ab.

Das Bundesverwaltungsgericht legte seiner Entscheidung zunächst die Folgenden Feststellungen zugrunde:

(Drittbeschwerdeführerin=nunmehrige Beschwerdeführerin zu W111

2017379-3; Viertbeschwerdeführer=nunmehriger Drittbeschwerdeführer)

"II.1.1. Die Beschwerdeführer führen die im Spruch genannten Namen, sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, Moslems und gehören der tschetschenischen Volksgruppe an. Ihre Identität steht fest. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind miteinander verheiratet; die Ehe wurde bereits im Herkunftsstaat geschlossen und legalisiert. Sie haben die gemeinsam mit ihnen ins österreichische Bundesgebiet eingereisten Kinder (Drittbeschwerdeführerin und Viertbeschwerdeführer). Festzuhalten ist, dass die Drittbeschwerdeführerin am XXXX geboren ist. Ein weiterer Sohn des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin hat in Dänemark eine Aufenthaltsgenehmigung als Konventionsflüchtling erlangt.

II.1.2. Die zur Entscheidung berufene Richterin des Bundesverwaltungsgerichtes geht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und aufgrund ihres persönlichen Eindrucks von den Beschwerdeführern davon aus, dass das Vorbringen der Beschwerdeführer zu den angeblichen Gründen für ihre Ausreise aus ihrem Herkunftsstaat unglaubwürdig ist. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Falle ihrer Rückkehr in die Russische Föderation einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sein würden.

II.1.3. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Fall ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe oder sonst einer konkreten individuellen Gefahr ausgesetzt sein würden.

II.1.5. Der Erstbeschwerdeführer hatte bereits im Herkunftsland zwei Herzinfarkte und vier Schlaganfälle, weswegen er bereits im Herkunftsstaat behandelt wurde, hat einen erhöhten Cholesterinwert und eine Nierenerkrankung infolge von arteriellem Bluthochdruck. Seit ca. 15 Jahren leidet er an einer Niereninsuffizienz. Aktuell bedarf er noch keiner Dialyse, diese mag künftig zu erwarten sein. Zur Behandlung seiner Erkrankungen nimmt er die Medikamente Simvastatin 40 mg, Dilatrend 25 mg, Amlodipin 10 mg, Thrombo Ass 100 mg, Oleovit D3, Cipralex 10 mg, Torasemid 10 mg, Novalgin-Tropfen, Nephrotrans 840 mg ein. Seine Erkrankungen sind im Herkunftsstaat, insbesondere Tschetschenien, behandelbar.

Dort kann auch eine allenfalls erforderliche Dialyse durchgeführt werden. Die benötigten Medikamente sind großteils verfügbar (siehe dazu näher noch unter II.1.11., Medizinische Versorgung).

II.1.6. Die Zweitbeschwerdeführerin behandelte ihre Probleme mit dem Bewegungsapparat mittels Physiotherapie und wurde auch wegen ihrer psychischen Probleme und Kopfschmerzen (medikamentös) behandelt.

II.1.7. Die Drittbeschwerdeführerin wurde in Österreich mehrfach wegen bakteriell bedingter Bauchschmerzen untersucht und behandelt. Beim Viertbeschwerdeführer wurde in Österreich eine Mandeloperation durchgeführt. Darüber hinaus liegen bei ihnen keine aktuell bestehenden gesundheitlichen Probleme vor.

II.1.8. Sowohl der Erstbeschwerdeführer als auch die Zweitbeschwerdeführerin waren in ihrer Heimat erwerbstätig und führten Bau- bzw. Hilfsarbeiten aus. Der Erstbeschwerdeführer bezog nach seinen Herzinfarkten und Schlaganfällen in seinem Herkunftsstaat Invaliditätspension.

II.1.9. Die Beschwerdeführer halten sich seit ihrer Einreise im November 2013 durchgehend im österreichischen Bundesgebiet auf. Für die Dauer ihres Asylverfahrens waren sie im österreichischen Bundesgebiet stets nur vorläufig aufenthaltsberechtigt. Über die von den Beschwerdeführern gestellten Asylanträge sind negative Entscheidungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ergangen.

II.1.10. Die Beschwerdeführer haben in ihrem Herkunftsstaat verbliebene Verwandte. Der Erstbeschwerdeführer hat zwei Brüder und zwei Schwestern, die Zweitbeschwerdeführerin zwei Brüder und sechs Schwestern. Zu diesen halten sie beide regelmäßigen - wenn auch nur gelegentlichen - Kontakt aufrecht.

II.1.11. Die Beschwerdeführer sind strafrechtlich unbescholten und gehen in Österreich keiner Beschäftigung nach, sie sind nicht selbsterhaltungsfähig. Ihre Grundversorgung wird ihnen aktuell nur eingeschränkt gewährt, weil die zuständige Behörde derzeit ein Verfahren zur Klärung der Frage führt, ob der Erstbeschwerdeführer nach wie vor seine Invaliditätspension aus dem Herkunftsstaat bezieht.

II.1.12. Sowohl der Erstbeschwerdeführer als auch die Zweitbeschwerdeführerin sind beide arbeitswillig und jedenfalls die Zweitbeschwerdeführerin auch arbeitsfähig. Der Erstbeschwerdeführer kann gesundheitlich bedingt keine körperlich anstrengenden Arbeiten durchführen. Der Erstbeschwerdeführer hat in Österreich bislang aus gesundheitlichen Gründen noch keinen Sprachkurs besucht und weist keine Deutschkenntnisse auf. Die Zweitbeschwerdeführerin hat zwei Deutschkurse besucht, spricht aber nur rudimentär Deutsch. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin sind in Österreich auch sozial nicht verfestigt integriert.

II.1.12. Die Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführer wurden in Tschetschenien geboren, dort bis zu ihrer Ausreise vor knapp drei Jahren gelebt und haben dort die Schule besucht. Sie sprechen Tschetschenisch und verfügen über hinreichende Kenntnisse der Russischen Sprache. In Österreich besuchen sie ebenfalls die Schule, der Viertbeschwerdeführer eine Neue Mittelschule mit nur mäßigem Schulerfolg, die Drittbeschwerdeführerin eine Fachschule für wirtschaftliche Berufe, in der sie derzeit noch nicht benotet wird. Die Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführer haben sich insbesondere durch ihr schulisches Umfeld und ihren Freundeskreis sowie den Besuch von Deutschkursen Deutschkenntnisse angeeignet. Sie haben über die Schule bzw. der Viertbeschwerdeführer über seine sportliche Betätigung - er spielt Fußball und Tennis - Freunde gefunden.

II.1.13. Der Erstbeschwerdeführer hat noch eine Schwester in Österreich, mit der die Familie des Beschwerdeführers nicht zusammenlebt und zu welcher kein Kontakt aufrecht gehalten wird.

Desweiteren traf das Bundesverwaltungsgericht umfangreiche Feststellungen zur Situation in der Russischen Föderation respektive Tschetschenien, welche sich auszugsweise wie folgt darstellen:

...

Allgemeine Menschenrechtslage

Die Verfassung der Russischen Föderation vom Dezember 1993 orientiert sich an westeuropäischen Vorbildern. Sie postuliert, dass die Russische Föderation ein "demokratischer, föderativer Rechtsstaat mit republikanischer Regierungsform" ist. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach "sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems." Russland ist an folgende VN-Übereinkommen gebunden:

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Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (1969)

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Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte (1973) und erstes Zusatzprotokoll (1991)

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Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1973)

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Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1981) und Zusatzprotokoll (2004)

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Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (1987)

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Kinderrechtskonvention (1990), deren erstes Zusatzprotokoll gezeichnet (2001)

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Behindertenrechtskonvention (ratifiziert am 25.09.2012) (AA 5.1.2016)

Der Europarat äußerte sich mehrmals kritisch zur Menschenrechtslage in der Russischen Föderation. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) waren, so der Jahresbericht 2014, 14,3% der anhängigen Fälle (10.000 Einzelfälle) Russland zuzurechnen. 2014 hat der EGMR 129 Urteile in Klagen gegen Russland gesprochen. Damit führt Russland die Liste der gesprochenen Urteile an (gefolgt von 101 Urteilen 2014 gegen die Türkei). Ein großer Teil der EGMR-Entscheidungen fällt dabei zugunsten der Kläger aus und konstatiert mehr oder weniger gravierende Menschenrechtsverletzungen. Die Umsetzung der Entscheidungen erfolgt vielfach nur mangelhaft: Zwar erbringt Russland in der Regel die Kompensationszahlungen an die Kläger bzw. Opfer; in der Sache selbst wird aber wenig unternommen. Ein russischer Gesetzentwurf, der die Urteile des EGMR unter einen Prüfvorbehalt stellen würde, ist nach deutlicher Kritik aus dem Ausland im Sommer 2011 gestoppt worden. In einem Urteil des russischen Verfassungsgerichts hat sich dieses am 6. Dezember 2013 jedoch die Entscheidung vorbehalten, wie EGMR-Urteile bei einem Widerspruch zur eigenen Auslegung der Grundrechte umgesetzt werden können. Am 14.7.2015 hat das Verfassungsgericht zudem eine grundlegende Entscheidung zum Verhältnis der russischen Verfassung zur EMRK getroffen: Die Umsetzung von Urteilen des EGMR kann danach im Falle eines vermeintlichen Konflikts mit der russischen Verfassung einer weiteren Überprüfung durch das Verfassungsgericht unterzogen werden. Neu ist dabei, dass künftig auch Präsident und Regierung das Verfassungsgericht mit dem Ziel anrufen können, die Nichtanwendung eines EGMR-Urteils in Russland aufgrund des Vorrangs der russischen Verfassung festzustellen (AA 5.1.2016).

Im Nordkaukasus finden die schwersten Menschenrechtsverletzungen in der Russischen Föderation statt. Hierzu sind seit 2005 auch zahlreiche Urteile des EGMR gegen Russland ergangen, der insbesondere Verstöße gegen das Recht auf Leben festgestellt hat. Am 14.01.2014 urteilte der EGMR zugunsten der Familien von 36 zwischen 2000 und 2006 verschwundenen Tschetschenen und sprach ihnen 1,9 Mio. Euro Entschädigung zu (AA 5.1.2016).

Die Rechte auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit waren 2015 weiterhin stark beschnitten. Staatliche Stellen herrschten über Presse, Rundfunk und Fernsehen und weiteten die Kontrolle über das Internet aus. NGOs waren aufgrund des sogenannten Agentengesetzes nach wie vor Schikanen und Repressalien ausgesetzt. Ihre Möglichkeiten, finanzielle Mittel aus dem Ausland zu erhalten, wurden durch ein neues Gesetz zum Verbot "unerwünschter" Organisationen drastisch eingeschränkt. Eine steigende Anzahl von Bürgern wurde inhaftiert und angeklagt, weil man ihnen vorwarf, die offizielle Politik kritisiert oder Materialien besessen bzw. in der Öffentlichkeit verbreitet zu haben, die gemäß vage formulierter Sicherheitsgesetze als extremistisch eingestuft wurden oder aus anderen Gründen als rechtswidrig galten. Auf der Grundlage eines Gesetzes aus dem Jahr 2014, das wiederholte Verstöße gegen das Gesetz über öffentliche Versammlungen als Straftat definiert, sahen sich 2015 vier Personen mit Strafverfolgungsmaßnahmen konfrontiert. In mehreren aufsehenerregenden Prozessen traten einmal mehr die gravierenden Mängel des Justizwesens zutage. Flüchtlinge mussten zahlreiche Hürden überwinden, um anerkannt zu werden (AI 24.2.2016).

Menschenrechtsverteidiger beklagen Defizite bei der Umsetzung der in der Verfassung verankerten Rechte. Beklagt werden vor allem die mangelhafte Unabhängigkeit von Justiz und Gerichten, zunehmende Einschränkungen von Presse- und Versammlungsfreiheit, die weiterhin verbreitete Korruption sowie der stetig schwindende Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft. Besonders schwere Menschenrechtsverletzungen werden aus dem Nordkaukasus gemeldet (AA 3.2016a).

Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs. Menschenrechtler beklagen staatlichen Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung sind autoritäre, die Grundrechte einschränkende Tendenzen zu beobachten (GIZ 4.2016a).

Der Freiraum für die russische Zivilgesellschaft ist in den letzten Jahren schrittweise eingeschränkt worden. Sowohl im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit als auch in der Pressefreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet, die einen negativen Einfluss auf die Entwicklung einer freien und unabhängigen Zivilgesellschaft ausübten. Inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt und erleben in manchen Fällen sogar reale Bedrohungen für Leib und Leben. Im Zuge der illegalen Annexion der Krim im März 2014 und der Krise in der Ostukraine wurde die Gesellschaft v.a. durch staatliche Propaganda nicht nur gegen den Westen mobilisiert, sondern auch gegen die sog. "fünfte Kolonne" innerhalb Russlands. Der Menschenrechtsdialog der EU mit Russland findet derzeit aufgrund prozeduraler Unstimmigkeiten nicht statt (ÖB Moskau 10.2015).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

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AA - Auswärtiges Amt (3.2016a): Staatsaufbau/Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html, Zugriff 7.4.2016

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AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, http://www.ecoi.net/local_link/319681/458907_de.html, Zugriff 7.4.2016

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GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (4.2016a): Russland, Geschichte, Staat und Politik, http://liportal.giz.de/russland/geschichte-staat/#c17900, Zugriff 7.4.2016

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ÖB Moskau (10.2015): Asylländerbericht Russische Föderation

Tschetschenien

NGOs beklagen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen zumeist Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten. So geriet zum Beispiel die sog. "joint mobile defence group", die von der NGO "Komitee gegen Folter" koordiniert wird, in letzter Zeit vermehrt in die Zielscheibe von pro-Kadyrov-Anhängern. 2014 wurde das Büro der Gruppe in Grozny niedergebrannt und im Juni 2015 erneut von einer Gruppe maskierter Personen angegriffen. Der Leiter der NGO "Komitee gegen Folter" Igor Kalyapin wurde von Kadyrov der Zusammenarbeit mit amerikanischen Geheimdiensten und der Kollaboration mit Extremisten beschuldigt. Im Juli 2015 erklärte das Komitee nach Androhung der Eintragung in das Register der ausländischen Agenten durch das Justizministerium seine Auflösung; der Leiter des Komitees Kalyapin kündigte jedoch an, dass man die Arbeit in anderer Form fortsetzen werde (ÖB Moskau 10.2015, vgl. AI 25.2.2015).

Nach dem Angriff auf Grosny im Dezember 2014 verfügte Ramzan Kadyrow, dass die Häuser der Familien von Terroristen niedergebrannt werden und die Angehörigen des Landes verwiesen werden (Tagesspiegel 19.12.2014, vgl. HRW 28.1.2016).

2015 wurden aus dem Nordkaukasus weniger Angriffe bewaffneter Gruppen gemeldet als in den Vorjahren. Die Strafverfolgungsbehörden setzten bei der Bekämpfung bewaffneter Gruppen weiterhin vor allem auf Operationen der Sicherheitskräfte. Es bestand nach wie vor der Verdacht, dass diese mit rechtswidrigen Inhaftierungen, Folter und anderen Misshandlungen von Häftlingen sowie Verschwindenlassen einhergingen. Es gab deutlich weniger Informationen über die Menschenrechtslage in dem Gebiet, weil die Behörden mit aller Härte gegen Menschenrechtsverteidiger und unabhängige Journalisten vorgingen. Die Betreffenden wurden ständig schikaniert, bedroht und tätlich angegriffen, zum Teil von Ordnungskräften und regierungstreuen Gruppen. In der tschetschenischen Hauptstadt Grosny wurde am 3. Juni 2015 das Gebäude, in dem die Menschenrechtsorganisation Joint Mobile Group ihren Sitz hat, von einer aggressiven Menschenmenge umstellt. Vermummte Männer drangen gewaltsam in die Büroräume ein, zerstörten das Mobiliar und zwangen die Mitarbeiter, das Gebäude zu verlassen. Bis zum Jahresende war noch kein Tatverdächtiger ermittelt worden (AI 24.2.2016, vgl. HRW 27.1.2016).

Quellen:

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AI - Amnesty International (25.2.2015): Amnesty International Report 2014/15 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation,

https://www.amnesty.de/jahresbericht/2015/russische-foederation, Zugriff 24.5.2016

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AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, http://www.ecoi.net/local_link/319681/458907_de.html, Zugriff 24.5.2016

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HRW - Human Rights Watch (27.1.2016): World Report 2016 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/318397/457400_de.html, Zugriff 24.5.2016

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HRW - Human Rights Watch (28.1.2016): Human Rights Violations in Russia's North Caucasus,

http://www.ecoi.net/local_link/318631/457682_de.html, Zugriff 24.5.2016

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ÖB Moskau (10.2015): Asylländerbericht Russische Föderation

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Tagesspiegel (19.12.2014): Wladimir Putin legt Russland an die Kette,

http://www.tagesspiegel.de/meinung/jahrespressekonferenz-des-kremlchefs-wladimir-putin-legt-russland-an-die-kette/11140502.html, Zugriff 24.5.2016

Rebellentätigkeit / Unterstützung von Rebellen

Im August 2014 meldete der Inlandsgeheimdienst FSB Erfolge bei der Bekämpfung von Terrorismus im Nordkaukasus, was in Expertenkreisen jedoch auf Zweifel stieß. Die Rede war von 328 potentiellen Terroristen, die im ersten Halbjahr 2014 verhaftet wurden. Da die Sicherheitskräfte im Nordkaukasus aber nach dem Prinzip kollektiver Bestrafung vorgehen, handelte es sich hierbei möglicherweise weniger um aktive Untergrundkämpfer als um Personen aus deren sozialem und verwandtschaftlichem Umfeld. Im Januar 2015 berichtete das russische Innenministerium, 2014 sind 259 Rebellen, darunter 36 Kommandeure, von Sicherheitskräften getötet und 421 Untergrundkämpfer verhaftet worden (SWP 4.2015).

Die Anzahl der Rebellen in Tschetschenien ist schwer zu konkretisieren, Schätzungen gehen von einem Dutzend bis ca. 120 Personen aus. Die Anzahl der tschetschenischen Rebellen ist sicherlich geringer, als jene z.B. in Dagestan, wo der islamistische Widerstand seinen Hotspot hat. Sie verstecken sich in den bergigen und bewaldeten Gebieten Tschetscheniens. Sie bewegen sich hauptsächlich zwischen Tschetschenien und Dagestan, weniger oft auch zwischen Tschetschenien und Inguschetien. Kidnappings werden von tschetschenischen Sicherheitskräften begangen. In Tschetschenien selbst ist also der Widerstand nicht sehr aktiv, sondern hauptsächlich in Dagestan und auch in Inguschetien. Die Kämpfer würden auch nie einen Fremden um Vorräte, Nahrung, Medizin oder Unterstützung im Allgemeinen bitten, sondern immer nur Personen fragen, denen sie auch wirklich vertrauen, so beispielsweise Verwandte, Freunde oder Bekannte (DIS 1.2015).

Im November 2013 wurden in Russland neue Gesetze verabschiedet, welche die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen vorsehen. Sie legalisieren Kollektivbestrafungen, welche bereits in mehreren Republiken des Nordkaukasus als Form des Kampfs gegen den Aufstand praktiziert werden. Die Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, welche durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Das Gesetz sieht vor, dass Familienangehörige und Verwandte von Terrorverdächtigen belegen müssen, dass ihre Vermögenswerte, Immobilien und weitere Besitztümer nicht durch "terroristische Aktivitäten" erworben wurden. Wenn nicht bewiesen werden kann, dass die Vermögenswerte legal erworben wurden, kann der Staat sie beschlagnahmen. Auch Personen, welche Terrorverdächtigen nahestehen, können mit dem Gesetz belangt werden. Nach Einschätzung von Experten wird das Gesetz weitgehend zur Diskriminierung der Angehörigen Terrorismusverdächtiger führen. Weiter kritisieren Experten, dass das Gesetz durch die unklare Verwendung der Begriffe "Verwandte" und "nahestehende Personen" sich gegen ganze Familienclans in den muslimischen Republiken des Nordkaukasus richten könne. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina werden Familienangehörige von Terrorverdächtigen oft beschuldigt, sie unterstützten auch illegale bewaffnete Gruppierungen auf verschiedenste Art und Weise. Insbesondere kritisiert die Menschenrechtsaktivistin, dass bereits der bloße Verdacht für eine Anschuldigung reiche und kein Beweis notwendig sei. Die Verfolgung von Verwandten und Freunden von Aufständischen ist seit 2008 im Nordkaukasus weit verbreitet und geht oft mit der Zerstörung des Besitzes und Hauses einher. Nach übereinstimmenden Angaben verschiedener Quellen kommt es zu Übergriffen und Kollektivstrafen durch Sicherheitskräfte, die gegen Familien von vermuteten Terroristen gerichtet sind (SFH 25.7.2014).

Kollektivstrafen wie das Niederbrennen von Häusern von Personen, die man verdächtigt, Kontakte zum terroristischen Widerstand zu haben, werden weitergeführt (Caucasian Knot 9.12.2014). Nach der Terrorattacke auf Grosny am 4.12.2014, hat Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow die Verwandten der Attentäter in Sippenhaft genommen. Kadyrow verlautbarte auf Instagram kurz nach der Tat, dass wenn ein Kämpfer in Tschetschenien einen Mitarbeiter der Polizei oder einen anderen Menschen töte, die Familie des Kämpfers sofort ohne Rückkehrrecht aus Tschetschenien ausgewiesen werde. Ihr Haus werde zugleich bis auf das Fundament abgerissen. Tatsächlich beklagte einige Tage später der Leiter der tschetschenischen Filiale des "Komitees gegen Folter" Igor Kaljapin, dass den Angehörigen der mutmaßlichen Täter die Häuser niedergebrannt worden seien (Standard 14.12.2014).

Quellen:

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Caucasian Knot (9.12.2014): "Memorial" confirmed information of "Caucasian Knot" about burnt-down houses of relatives of militants killed in attack on Grozny,

http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/30180/, Zugriff 30.5.2016

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DIS - Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf, Zugriff 30.5.2016

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SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (25.7.2014): Russland:

Verfolgung von Verwandten dagestanischer Terrorverdächtiger außerhalb Dagestans,

http://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/europa/russland/russland-verfolgung-von-verwandten-dagestanischer-terrorverdaechtiger-ausserhalb-dagestans.pdf, Zugriff 30.5.2016

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Der Standard (14.12.2014): Tschetschenien: NGO-Büro in Grosny angezündet,

http://derstandard.at/2000009372041/Tschetschenien-NGO-Buero-in-Grosny-abgefackelt, Zugriff 30.5.2016

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SWP (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 25.5.2016

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Grundversorgung/Wirtschaft

Nordkaukasus

Die nordkaukasischen Republiken ragen unter den Föderationssubjekten Russlands durch einen überdurchschnittlichen Grad der Verarmung und der Abhängigkeit vom föderalen Haushalt hervor. Die Haushalte Dagestans, Inguschetiens und Tschetscheniens werden zu über 80% von Moskau finanziert (GIZ 4.2016a).

Trotz der Versuche Moskaus, die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen des föderalen Zentrums abhängig. Im Mai 2014 wurde ein neues Ministerium für die Angelegenheiten des Nordkaukasus geschaffen und der bevollmächtigte Vertreter des Präsidenten im Nordkaukasischen Föderalbezirk Alexander Chloponin, durch den früheren Oberbefehlshaber der Vereinigten Truppen des Innenministeriums im Nordkaukasus, Generalleutnant Sergej Melikov, ersetzt (ÖB Moskau 10.2015).

Der Kreml verfolgt seit einigen Jahren einen Ansatz, der auf regionale wirtschaftliche Entwicklung setzt und viele der Republiken im Nordkaukasus - allen voran Tschetschenien - haben durch zahlreiche Verwaltungs- und Finanzreformen heute mehr Unabhängigkeit als Anfang der 1990er Jahre jemals anzunehmen gewesen wäre. Auch der Tourismus soll in der landschaftlich attraktiven Region helfen, die Spirale aus Armut und Gewalt zu durchbrechen, wie insbesondere in der Entscheidung, die olympischen Winterspiele 2014 im unweit der Krisenregion gelegenen Sotschi auszutragen, deutlich wird. Zudem profitieren einige Teilrepubliken von Rohstoffvorkommen und so lassen sich auch einige sichtbare Zeichen von wirtschaftlichem Aufschwung und Wiederaufbau im Nordkaukasus ausmachen. Als beispielhaft dafür steht unter anderem die tschetschenische Hauptstadt Grosny, die nach ihrer fast völligen Zerstörung heute durchaus auflebt. Die schlechte Sicherheitslage und ein weit gestricktes Netzwerk aus Korruption, die zu einem wesentlichen Teil von den Geldern des russischen Zentralstaats lebt, blockieren aber eine umfassende und nachhaltige Entwicklung des Nordkaukasus. Das grundlegende Problem liegt in der russischen Strategie, den Konflikt durch die Übertragung der Verantwortung an lokale Machtpersonen mit zweifelhaftem Ruf zu entmilitarisieren. Deren Loyalität zu Moskau aber basiert fast ausschließlich auf erheblichen finanziellen Zuwendungen und dem Versprechen der russischen Behörden, angesichts massiver Verstrickungen in Strukturen organisierter Kriminalität beide Augen zuzudrücken. Ein wirksames Aufbrechen dieses Bereicherungssystems jedoch würde wiederum die relative Stabilität gefährden. Nachhaltige Entwicklungsfortschritte bleiben deshalb bislang weitgehend aus und insbesondere die hohe regionale Arbeitslosigkeit bildet einen Nährboden für neue Radikalisierung. Um dem zu begegnen und den islamistischen Militanten den ideologischen Nährboden zu entziehen, hat die russische Regierung Initiativen in Medien gestartet und in Zusammenarbeit mit lokalen Behörden Programme zur De-Radikalisierung und zum interkulturellen Dialog entwickelt. Der langfristige Erfolg solcher Maßnahmen bleibt dabei abzuwarten, in jedem Fall aber wird seitens Moskau versucht dem Nordkaukasus eine Perspektive zu schaffen (Zenithonline 10.2.2014).

Quellen:

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GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (3.2015a): Russland, Geschichte, Sta

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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