TE Vfgh Erkenntnis 2018/9/24 E1034/2018 ua

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.09.2018
beobachten
merken

Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §8, §10

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Status des subsidiär Schutzberechtigten irakischer Staatsangehöriger mangels Länderberichte zur Verfolgung sunnitischer Muslime und illegaler Beschaffung von Dokumenten

Spruch

I. 1. Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Erkenntnisse, soweit damit ihre Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, die Nichtzuerkennung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung von Rückkehrentscheidungen, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen werden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerden abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern die jeweils mit € 1.002,8 (gesamt € 3.008,4) bestimmten Prozesskosten zu ungeteilten Handen ihrer Rechtsvertreter binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.        Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige des Iraks. Sie gehören der Volksgruppe der Araber an und sind sunnitische Muslime. Der Zweitbeschwerdeführer gehört zudem dem Stamm der Duleimi an, welcher das Regime von Saddam Hussein unterstützt hat. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind verheiratet und Eltern der Drittbeschwerdeführerin. Die Beschwerdeführer verließen ihr Heimatland am 1. September 2015 auf legalem Weg und stellten am 20. September 2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend führten die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer zu diesem Antrag im Wesentlichen Folgendes aus:

Die Erstbeschwerdeführerin habe sich u.a. wegen der Unruhen zwischen Schiiten und Sunniten nicht mehr wohl gefühlt. Sie gehöre einer berühmten sunnitischen Familie an, was die Milizen gewusst und sie dementsprechend behandelt hätten. Der Zweitbeschwerdeführer sei von 2009 bis drei Monate vor seiner Ausreise bei der Firma *********** tätig gewesen. Auf Grund seines Dienstausweises für das amerikanische Unternehmen sei der Zweitbeschwerdeführer von der Mehdi Miliz mitgenommen und in ein Büro gebracht worden. Dort habe man ihm gesagt, er solle nicht mehr für die Amerikaner arbeiten. Der Zweitbeschwerdeführer habe dem zwar zugestimmt, aber er habe dennoch für das Unternehmen weiter gearbeitet. Vor diesem Vorfall sei der Zweitbeschwerdeführer bereits einmal am 15. änner 2007 von Schiiten mitgenommen worden, die ihn zwei Tage lang verprügelt und mit Stromschlägen gefoltert, ihn an die Decke gehängt und mit scharfen Gegenständen in den Fuß gestochen und ihm die Nase gebrochen hätten. Der Zweitbeschwerdeführer habe mehrmals das Bewusstsein verloren und sei erst im Spital wieder aufgewacht.

Am 5. änner 2015 sei der Erstbeschwerdeführerin zu Hause von einem jungen Mann, der sie nach dem Zweitbeschwerdeführer gefragt habe, der Bauch aufgeschlitzt worden. Dieser Vorfall habe sich ereignet, nachdem der Zweitbeschwerdeführer zugesagt habe, nicht mehr für die Amerikaner zu arbeiten und es dennoch weiterhin getan habe. Die Erstbeschwerdeführerin sei mehrfach operiert worden. Nach diesen beiden Vorfällen seien die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer umgezogen und nicht mehr bedroht worden. Hinsichtlich der Drittbeschwerdeführerin gälten dieselben Fluchtgründe wie für die Erstbeschwerdeführerin.

2.       Mit Bescheiden vom 2. ugust 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 Asylgesetz 2005 (im Folgenden: AsylG 2005) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak ab. Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 und §55 AsylG 2005 wurden nicht erteilt. Zudem wurden gegen die Beschwerdeführer gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-Verfahrensgesetz (im Folgenden: BFA-VG) Rückkehrentscheidungen gemäß §52 Abs2 Z2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (im Folgenden: FPG 2005) erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in den Irak gemäß §46 FPG 2005 zulässig sei. Die Frist zur freiwilligen Ausreise wurde gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen festgelegt. Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dazu – zusammengefasst – aus, die Aussagen der Beschwerdeführer seien unglaubwürdig, sodass die behaupteten Fluchtgründe nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden könnten. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liege daher nicht vor. Zudem sei davon auszugehen, dass den Beschwerdeführern im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat Irak, konkret in die Autonome Kurdenzone des Nordiraks, keine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Europäischen Menschenrechtskonvention drohe. Eine Interessensabwägung ergebe, dass eine Rückkehrentscheidung zulässig sei.

3.       In den gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden brachten die Beschwerdeführer vor, dass die Aussagen der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers keinesfalls unglaubwürdig seien. Darüber hinaus verwiesen die Beschwerdeführer auf Länderberichte hinsichtlich der Bürgerkriegssituation und der prekären wirtschaftlichen Lage im Irak.

4.       Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 15. März 2018 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerden – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung – als unbegründet ab. In der mündlichen Verhandlung verwiesen die Beschwerdeführer auf die Anhaltung des Zweitbeschwerdeführers im Dezember 2014, bei der dieser auch geschlagen worden sei, sowie auf den Vorfall im Jänner 2015, bei dem die Erstbeschwerdeführerin zu Hause mit einem Messer schwer verletzt worden sei. Die Erstbeschwerdeführerin habe aus Angst vor weiteren Attacken die Drittbeschwerdeführerin dazu gebracht, nicht mehr in die Schule zu gehen. Der Zweitbeschwerdeführer sei zunächst in der Arbeit geblieben und habe dann bei seiner Schwester, die Erstbeschwerdeführerin bei ihrem Bruder, gewohnt. Zur Untermauerung seines Vorbringens legte der Zweitbeschwerdeführer Fotos, Unterstützungsschreiben, Zeitungsartikel, eine Schulbesuchsbestätigung der Drittbeschwerdeführerin, Zertifikate und dgl. vor. Die Drittbeschwerdeführerin brachte vor, dass für sie die Gefahr der Zwangsverheiratung durch ihren Onkel bestehe. Auf Grund der Drohungen gegen den Zweitbeschwerdeführer habe sie Angst, entführt und als Geisel genommen zu werden.

5.       Das Bundesverwaltungsgericht schloss sich in seinem Erkenntnis den Ausführungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl an und kam ebenfalls zu dem Ergebnis, das Vorbringen der Beschwerdeführer sei unglaubwürdig, stelle aber auch wenn es wahr wäre keine asylrelevante Verfolgung dar. Das Vorbringen des Zweitbeschwerdeführers, dass er im Jahr 2007 gefoltert worden sei und davon Narben habe, könne mangels zeitlichen Zusammenhanges zwischen dem Vorfall und der Ausreise im Jahr 2015 nicht als asylrelevant gewertet werden. Hinsichtlich des Vorbringens der Erstbeschwerdeführerin, dass sie im Jänner 2015 bei einer Attacke mit einem Messer verletzt worden sei, sah das Bundesverwaltungsgericht ebenfalls keinen zeitlichen Zusammenhang mit der Ausreise im September 2015. Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, dass den Beschwerdeführern keine über die allgemeinen Gefahren der im Irak gebietsweise herrschenden bürgerkriegsähnlichen Situation hinausgehende Gruppenverfolgung drohe und berief sich diesbezüglich auf länderkundliche Feststellungen zur Lage im Irak und die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtes München.

6.       Gegen dieses Erkenntnis richten sich die vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof, wobei in der Beschwerde des Zweitbeschwerdeführers die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, im Verbot der Benachteiligung nach Art14 EMRK bzw, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung (Folter) unterworfen zu werden gemäß Art3 EMRK behauptet wird.

7.       Das Bundesverwaltungsgericht legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor und sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.      Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen – zulässigen – Beschwerden erwogen:

A. Die Beschwerden sind, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht betreffend die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten, die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, die Nichtzuerkennung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung von Rückkehrentscheidungen, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise richten, begründet:

1.       Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

1.1.    Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

1.2.    Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2.       Solche Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht im konkreten Fall unterlaufen:

2.1.    Gemäß §3 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art1 Abschnitt A Z2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht.

2.2.    Die Beschwerdeführer brachten im Laufe des Verfahrens wiederholt vor, dass sie Sunniten seien und ihnen Verfolgung durch die schiitische Miliz – vor allem auf Grund der behaupteten beruflichen Tätigkeit des Zweitbeschwerdeführers für ein amerikanisches Unternehmen – drohe. Zudem verwiesen sie auf Länderberichte hinsichtlich der Bürgerkriegssituation und der prekären wirtschaftlichen Lage im Irak. Das Bundesverwaltungsgericht führte dazu aus, dass nach dem durchgeführten Ermittlungsverfahren keine Hinweise vorlägen, wonach die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat einer maßgeblich wahrscheinlichen Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt seien. Im Rahmen der Prüfung stellte das Bundesverwaltungsgericht weiters fest, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass den Beschwerdeführern eine über die allgemeine Gefahr der im Irak gebietsweise herrschenden bürgerkriegsähnlichen Situation hinausgehenden Gruppenverfolgung drohe. Dass im Irak eine generelle und systematische Verfolgung von Muslimen sunnitischer Glaubensrichtung stattfinde, könne aus den länderkundlichen Feststellungen zur Lage im Irak nicht abgeleitet werden. Zudem lebten nach wie vor Verwandte der Beschwerdeführer in Bagdad bzw außerhalb Bagdads, sodass sie auf Grund ihrer sunnitischen Glaubensrichtung eine individuell gegen ihre Person gerichtete Verfolgung nicht zu befürchten hätten. Als Beweis dafür zitierte das Bundesverwaltungsgericht auch das deutsche Verwaltungsgericht München, welches nicht von einer Gruppenverfolgung von Sunniten im Irak ausgehe, weil die erforderliche Gefahrendichte nicht vorliege (vgl VG München, Urteil vom 22. Mai 2015, M 4 K 16.35780, Rz 18 und Urteil vom 28. März 2017, M 4 K 16.32031). Der Zweitbeschwerdeführer legte dem Bundesverwaltungsgericht (abgelaufene) Ausweise – die auf verschiedenen Namen lauteten – vor, um seine frühere Tätigkeit für ein amerikanisches Unternehmen zu beweisen. Seine erheblichen Zweifel an der Echtheit der Dokumente begründete das Bundesverwaltungsgericht damit, dass Länderfeststellungen berichteten, im Irak sei es möglich, jedes Dokument – ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt – gegen Bezahlung zu beschaffen.

2.3.    Der Verfassungsgerichtshof hat bereits darauf hingewiesen, dass es ein Unterlassen der Ermittlungstätigkeit darstellt, wenn Länderberichte zu einer bestimmten Frage keine Sachverhaltsdarstellung enthalten (vgl VfGH 13.12.2017, E2497/2016 ua). Zudem kam der Verfassungsgerichtshof zu dem Schluss, dass eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes aufzuheben ist, wenn das Bundesverwaltungsgericht zu einem Ergebnis kommt, welches nicht aus einschlägigen (Passagen in) Länderberichten in tatsächlicher Hinsicht ableitbar ist (vgl VfGH 11.10.2017, E1803/2017 ua).

2.4.    Vor diesem Hintergrund enthält das angefochtene Erkenntnis keine hinreichende Feststellung zur Lage der Sunniten im Irak, vor allem im Hinblick auf eine mögliche Rückkehr in den Herkunftsstaat. Das Bundesverwaltungsgericht beruft sich bei der Verneinung einer generellen und systematischen Verfolgung von Muslimen sunnitischer Glaubensrichtung auf Länderberichte, die hinsichtlich dieser Fragestellung keinerlei Aussagen treffen. Auch findet sich in den vom Bundesverwaltungsgericht angeführten Länderberichten kein Hinweis darauf, dass es im Irak möglich sei, Dokumente illegal zu beschaffen.

2.5.    Aus diesem Grund ist dem Verfassungsgerichtshof eine nachprüfende Kontrolle des angefochtenen Erkenntnisses in den relevanten Fragen nicht möglich.

3.       Folglich ist das angefochtene Erkenntnis in den genannten Punkten mit Willkür belastet.

4.       Gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 (vgl auch §52 Abs2 FPG) ist eine Entscheidung nach dem AsylG 2005 mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden, wenn der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt wird sowie kein Fall der §§8 Abs3a oder 9 Abs2 AsylG 2005 vorliegt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige. Gemäß §52 Abs9 FPG 2005 ist mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß §46 FPG 2005 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei. Gemäß §55 Abs1 FPG 2005 wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß §52 FPG 2005 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Durch die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten liegen die genannten Voraussetzungen nicht länger vor. Da die Aufhebung des entsprechenden Spruchpunktes auf den Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung zurückwirkt, entbehren auch die Erlassung der Rückkehrentscheidungen, die Nichtzuerkennung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise ihrer Rechtsgrundlage; auch diese Spruchpunkte sind daher aufzuheben (vgl VfGH 27.9.2014, E54/2014; 19.11.2015, E707/2015 zu Spruchpunkten betreffend die Zurückverweisung des Verfahrens zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung).

B. Die Behandlung der Beschwerden wird, soweit damit die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten bekämpft wird, aus folgenden Gründen abgelehnt:

1.1.    Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

1.2. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

III.    Ergebnis

1.       Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, die Nichtzuerkennung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung von Rückkehrentscheidungen, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung der Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen werden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2.       Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

3.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist ein Streitgenossenzuschlag in Höhe von € 327,– sowie Umsatzsteuer in der Höhe von € 501,40 enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Rückkehrentscheidung, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:E1034.2018

Zuletzt aktualisiert am

10.12.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten