TE Vfgh Erkenntnis 2018/9/25 E57/2018 ua

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Veröffentlicht am 25.09.2018
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §10
FPG §46, §52, §55

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Erlassung von Rückkehrentscheidungen gegen kosovarische Staatsangehörige auf Grund inhaltlicher Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichtes betreffend eine – rechtsgültig erfolgte – Obsorgeübertragung

Spruch

I. Die Beschwerdeführerinnen sind durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. bis V. des vor dem Bundesverwaltungsgericht bekämpften Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführerinnen zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.877,60 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Die Beschwerdeführerinnen sind Staatsangehörige des Kosovo und stellten am 14. Februar 2015 in Österreich Anträge auf internationalen Schutz. Die Zweitbeschwerdeführerin ist die Tochter der Erstbeschwerdeführerin, die zunächst auch für jene mit der Obsorge betraut war. Mit Beschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 25. August 2015 wurde der Erstbeschwerdeführerin die Obsorge für die Zweitbeschwerdeführerin entzogen und der in Österreich aufenthaltsberechtigten (Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt – Familie") Halbschwester der Zweitbeschwerdeführerin übertragen.

2.       Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) wies die Anträge der Beschwerdeführerinnen auf internationalen Schutz mit Bescheiden vom 18. Mai 2017 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab. Es erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen die Beschwerdeführerinnen Rückkehrentscheidungen und stellte die Zulässigkeit der Abschiebung in den Kosovo fest (Spruchpunkt III.). Weiters sprach es aus, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt IV.) und erkannte einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt V.).

3.       Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführerinnen fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Diese Beschwerde wies es mit angefochtener Entscheidung vom 5. Dezember 2017 ab. Zur Begründung der Beschwerdeabweisung hinsichtlich der Spruchpunkte III. bis V. der Bescheide des BFA vom 18. Mai 2017 führt das Bundesverwaltungsgericht wörtlich u.a. Folgendes aus:

"Die BF2 ist in einem anpassungsfähigen Alter und hat ihre grundsätzliche Sozialisierung bereits im Herkunftsland erfahren, was eine Wiedereingliederung jedenfalls zumutbar erscheinen lässt […]. Wenn auch allgemein von einer schnelleren Verwurzelung minderjähriger Kinder im Aufnahmestaat auszugehen ist […] und die BF2 durch den Schulbesuch eine soziale Anbindung erfahren hat, hat sie doch den weitaus überwiegenden Teil ihres Lebens im Kosovo [verbracht]. Die BF1 war bis August 2015 mit der Obsorge für die BF2 betraut und gefährdete deren Wohl nicht. Eine Rückübertragung der Obsorge an die BF1 ist problemlos möglich, zumal die Obsorge nur deshalb an [die Obsorgeberechtigte] übertragen wurde, um der BF2 einen Aufenthalt in Österreich zu ermöglichen. Die BF1 und die BF2 lebten auch nach der Obsorgeübertragung in einem gemeinsamen Haushalt. Die BF sollen durch die Rückkehrentscheidung nicht getrennt werden, sondern gemeinsam in ihr Herkunftsland zurückkehren. Kontakte der BF zu den anderen Kindern der BF1, insbesondere zu [der Obsorgeberechtigten], bleiben im Rahmen von Besuchen, Telefonaten und anderen Kommunikationsmitteln möglich."

4.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.

5.       Das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl haben die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt. Eine Gegenschrift wurde nicht erstattet.

II.      Erwägungen

1.       Die – zulässige – Beschwerde ist hinsichtlich der Abweisung der beim Bundesverwaltungsgericht eingebrachten Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. bis V. des damit angefochtenen Bescheides des BFA begründet.

1.1.    Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

1.2.    Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

Das Bundesverwaltungsgericht geht in seiner Entscheidung von der Prämisse aus, dass das Bezirksgericht Floridsdorf die Obsorge an die gegenwärtig Obsorgeberechtigte "nur deshalb" übertragen habe, um der Zweitbeschwerdeführerin "einen Aufenthalt in Österreich" zu ermöglichen. Eine "Rückübertragung der Obsorge" für die Zweitbeschwerdeführerin an die Erstbeschwerdeführerin sei "problemlos möglich" und die Kontakte zur jetzigen Obsorgeberechtigten seien ohnehin mit anderen Kommunikationsmitteln möglich.

Damit legt das Bundesverwaltungsgericht seiner Entscheidung eine von ihm nicht zu beurteilende Annahme zugrunde, anstatt sich an die rechtlichen Gegebenheiten des konkreten Falles – hier das gerichtlich übertragene Sorgerecht an die Halbschwester der Zweitbeschwerdeführerin – zu halten. Schon dadurch, dass dies nicht erfolgte und daher darauf basierend die Beurteilung zu rechtswidrigen Ergebnissen (auch hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin, vgl VfSlg 19.612/2011) führte, hat das Bundesverwaltungsgericht die angefochtene Entscheidung mit Willkür belastet.

2.       Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

2.1.    Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art144 B-VG ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

2.2.    Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der insoweit aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen. Demgemäß wurde beschlossen, diesbezüglich von einer Behandlung der Beschwerde (soweit sie sich also gegen die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz richtet) abzusehen und sie gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).

III.    Ergebnis

1.       Die Beschwerdeführerinnen sind durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit die Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. bis V. des vor dem Bundesverwaltungsgericht bekämpften Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben.

2.       Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

3.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. Da die Beschwerdeführerinnen gemeinsam durch einen Rechtsanwalt vertreten sind, war der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen Streitgenossenzuschlag von 10 vH des Pauschalsatzes, zuzusprechen (s zB VfSlg 18.836/2009). In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 479,60 enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Rückkehrentscheidung, Entscheidungsbegründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:E57.2018

Zuletzt aktualisiert am

07.12.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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