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10/07 Verfassungs- und VerwaltungsgerichtsbarkeitNorm
VfGG §35, §82Leitsatz
Stattgabe eines Wiedereinsetzungsantrags gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde auf Grund von Gesundheitsproblemen des Parteienvertreters; Ablehnung der BeschwerdebehandlungSpruch
I. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird stattgegeben.
II. Die Behandlung der Beschwerde wird abgelehnt.
Begründung
Begründung
1. Mit am 2. Mai 2018 im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachtem Schriftsatz begehrt der Antragsteller die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde und erhebt unter einem Beschwerde gegen eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes.
2. Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrages führt er im Wesentlichen aus, dass der im Wege eines ständigen Substitutionsvollmachtsverhältnisses tätige Rechtsvertreter am Tag der Beauftragung mit der vorliegenden Rechtssache von in der Früh an unter starken Schwindelgefühlen und Kreislaufproblemen gelitten habe. Da sich der Zustand nicht verbessert habe, sei er zunächst nach Hause und dann zu einem Arzt gegangen. Am Abend habe er von zu Hause aus seinen Emailverkehr überprüft und u.a. die Übernahme der vorliegenden Rechtssache bestätigt. Allerdings sei ihm dabei auf Grund seines "prekären gesundheitlichen Zustandes" ein Fehler unterlaufen, weil er die Beschwerde- und Wiedervorlagefrist versehentlich einen Monat zu spät eingetragen habe. Es handle sich dabei um ein erst- und einmaliges Versehen, welches auf die Kreislaufbeschwerden und Schwindelgefühle zurückzuführen sei. Der unterlaufene Fehler sei daher als Nachlässigkeit zu qualifizieren, die gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begehe und damit auf einem minderen Grad des Versehens beruhe.
3. An Bescheinigungsmitteln wurden der Befund des behandelnden Internisten vom 28. Februar 2018 sowie "eidesstattliche Erklärungen" des Verfahrenshelfers und dessen Substituten, dass die bezüglich des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemachte Sachverhaltsdarstellung der Wahrheit entspreche, angeboten und dem Antrag beigelegt.
4. Da das VfGG die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht selbst regelt, sind nach §35 VfGG die entsprechenden Bestimmungen der §§146 ff. ZPO sinngemäß anzuwenden.
5. Nach §146 ZPO ist einer Partei, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozesshandlung zur Folge hatte. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
6. Unter einem "minderen Grad des Versehens" ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes leichte Fahrlässigkeit zu verstehen, die dann vorliegt, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (s etwa VfSlg 9817/1983, 14.639/1996, 15.913/2000 und 16.325/2001 mwN).
7. Aus §39 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG ergibt sich, dass das Verschulden des Bevollmächtigten eines Beschwerdeführers einem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten ist.
8. Der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung muss gemäß §148 Abs2 ZPO innerhalb von vierzehn Tagen gestellt werden. Diese Frist beginnt mit dem Tage, an welchem das Hindernis, welches die Versäumung verursachte, weggefallen ist; sie kann nicht verlängert werden. Zugleich mit dem Antrag ist dem §149 Abs1 ZPO zufolge auch die versäumte Prozesshandlung nachzuholen.
9. Das Hindernis für die rechtzeitige Einbringung der Beschwerde fiel am 19. April 2018 weg. Mit dem am 2. Mai 2018 im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde daher diese Frist gewahrt.
10. Nach dem glaubhaften Vorbringen des Antragstellers kann nicht angenommen werden, dass seinen Bevollmächtigten ein leichte Fahrlässigkeit übersteigender Verschuldensgrad trifft. Wenngleich nämlich für rechtskundige Parteienvertreter ein strenger Maßstab anzulegen ist, kann bei der besonderen Konstellation des vorliegenden Falles nicht davon gesprochen werden, dass nicht auch einem sorgfältigen Menschen eine derartige Fehlleistung gelegentlich unterlaufen kann (VfSlg 10.382/1985, 10.771/1986).
11. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist daher zu bewilligen, was gemäß §149 Abs2 ZPO, §35 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden konnte.
12. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (Art144 Abs2 B-VG).
13. Die Beschwerde behauptet die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) und des Verbots von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung (Art3 EMRK).
14. Der Verfassungsgerichtshof geht in Übereinstimmung mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (s etwa EGMR 7.7.1989, Fall Soering, EuGRZ1989, 314 [319]; 30.10.1991, Fall Vilvarajah ua, ÖJZ1992, 309 [309]; 6.3.2001, Fall Hilal, ÖJZ2002, 436 [436 f.]) davon aus, dass die Entscheidung eines Vertragsstaates, einen Fremden in welcher Form immer außer Landes zu schaffen, unter dem Blickwinkel des Art3 EMRK erheblich werden und demnach die Verantwortlichkeit des Staates nach der EMRK begründen kann, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden sind, dass der Fremde konkret Gefahr liefe, in dem Land, in das er gebracht werden soll, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (vgl VfSlg 13.837/1994, 14.119/1995, 14.998/1997).
15. Das Bundesverwaltungsgericht hat weder eine grundrechtswidrige Gesetzesauslegung vorgenommen noch sind ihm grobe Verfahrensfehler unterlaufen, die eine vom Verfassungsgerichtshof aufzugreifende Verletzung des genannten Grundrechtes darstellen (vgl VfSlg 13.897/1994, 15.026/1997, 15.372/1998, 16.384/2001, 17.586/2005). Ob ihm sonstige Fehler bei der Rechtsanwendung unterlaufen sind, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen.
16. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg 17.340/2004 ausgeführt hat, darf eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nicht verfügt werden, wenn dadurch das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens des Betroffenen verletzt würde. Bei der Beurteilung nach Art8 EMRK ist eine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl die in VfSlg 18.223/2007 und 18.224/2007 wiedergegebene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte).
17. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich mit der Frage der Gefährdung der beschwerdeführenden Partei in ihren Rechten auseinandergesetzt. Ihm kann unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegengetreten werden, wenn es auf Grund der Umstände des vorliegenden Falles davon ausgeht, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts von Fremden ohne Aufenthaltstitel das Interesse am Verbleib im Bundesgebiet aus Gründen des Art8 EMRK überwiegt (vgl VfSlg 19.086/2010).
18. Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).
19. Damit erübrigt sich auch ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Schlagworte
VfGH / Wiedereinsetzung, VfGH / FristenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2018:E2878.2017Zuletzt aktualisiert am
10.12.2018