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10/07 Verfassungs- und VerwaltungsgerichtsbarkeitNorm
VfGG §35, §82Leitsatz
Stattgabe des Wiedereinsetzungsantrags gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde durch irrtümliche Auswahl eines falschen Adressaten im elektronischen Rechtsverkehr; Ablehnung der BeschwerdebehandlungSpruch
I. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird stattgegeben.
II. Die Behandlung der Beschwerde wird abgelehnt.
Begründung
Begründung
1. Der Antragsteller brachte gegen das oben bezeichnete Erkenntnis eine an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerde mittels elektronischen Rechtsverkehrs beim Verwaltungsgerichtshof ein. Diese langte am letzten Tag der Beschwerdefrist, am Freitag, dem 7. September 2018, beim Verwaltungsgerichtshof ein und wurde von diesem im Wege der Ämterabfertigung an den Verfassungsgerichtshof weitergeleitet, wo sie am Montag, dem 10. September 2018, einlangte. Da sie erst nach Ablauf der Beschwerdefrist beim Verfassungsgerichtshof einlangte und auch nicht vor Ablauf der Frist an ihn zur Post gegeben wurde, gilt sie als verspätet erhoben (vgl etwa VfSlg 12.805/1991, 14.350/1995).
2. Mit Schriftsatz vom 24. September 2018, eingelangt an eben diesem Tage, begehrt der Antragsteller die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §§33 und 35 VfGG iVm §§146 ff ZPO wegen Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde gemäß Art144 B-VG an den Verfassungsgerichtshof und bringt die Beschwerde einschließlich des Antrags auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung neuerlich ein.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages wird im Wesentlichen ausgeführt, dass eine sonst tüchtige und verlässliche Kanzleiangestellte des Beschwerdeführervertreters die Beschwerde, die auf der ersten Seite an den Verfassungsgerichtshof adressiert sei, versehentlich an den Verwaltungsgerichtshof elektronisch übermittelt habe, was sich aus der Gestaltung der Maske des elektronischen Rechtsverkehrs erklären lasse. Das der Kanzleiangestellten unterlaufene Versehen sei ein geringes. Auch dem Rechtsvertreter sei kein verschuldetes Versehen anzulasten.
3. Der – rechtzeitig eingebrachte – Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde gemäß Art144 B-VG ist begründet.
3.1. Gemäß §33 VfGG kann in den Fällen des Art144 B-VG wegen Versäumung einer Frist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattfinden. Da das VfGG die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht selbst regelt, sind nach §35 VfGG die entsprechenden Bestimmungen der §§146 ff. ZPO sinngemäß anzuwenden.
3.1.1. Nach §146 ZPO ist einer Partei, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozesshandlung zur Folge hatte. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Unter einem "minderen Grad des Versehens" ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes leichte Fahrlässigkeit zu verstehen. Diese liegt vor, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (s etwa VfSlg 9817/1983, 14.639/1996, 15.913/2000 und 16.325/2001 mwN).
Aus §39 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG ergibt sich, dass das Verschulden des Bevollmächtigten eines Beschwerdeführers einem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten ist.
3.1.2. Der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung muss gemäß §148 Abs2 ZPO innerhalb von vierzehn Tagen gestellt werden. Diese Frist beginnt mit dem Tage, an welchem das Hindernis, welches die Versäumung verursachte, weggefallen ist; sie kann nicht verlängert werden. Zugleich mit dem Antrag ist dem §149 Abs1 ZPO zufolge auch die versäumte Prozesshandlung nachzuholen. Da man nur etwas "nachholen" kann, was noch nicht vorliegt, ist nur eine noch nicht gesetzte Prozesshandlung nachzuholen, keinesfalls aber eine bloß verspätet gesetzte zu wiederholen.
3.2. Nach dem glaubhaften Vorbringen des Beschwerdeführers kann nicht angenommen werden, dass seinen Bevollmächtigten ein leichte Fahrlässigkeit übersteigender Verschuldensgrad trifft:
Der Verfassungsgerichtshof sieht im vorliegenden Fall keinen Grund, das Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag in Zweifel zu ziehen, dass die Versäumung der Beschwerdefrist auf eine irrtümliche Auswahl des Verwaltungsgerichtshofes als Adressaten auf der Eingabemaske im elektronischen Rechtsverkehr zurückzuführen ist, zumal die übermittelte Beschwerde auf der ersten Seite den Verfassungsgerichtshof als Adressaten bezeichnet. Unter den vorliegenden Umständen kann nicht davon gesprochen werden, dass nicht auch einem sorgfältig arbeitenden Menschen eine derartige Fehlleistung gelegentlich unterlaufen kann (vgl VfSlg 10.771/1986 und insb. 12.372/1990).
Da der Beschwerdeführer, als er den Antrag auf Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Beschwerdefrist stellte, die versäumte Prozesshandlung, nämlich die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, bereits gesetzt hatte, musste er diese Prozesshandlung nicht "nachholen" bzw nicht wiederholen. Es erübrigt sich eine gesonderte Behandlung der mit dem Wiedereinsetzungsantrag neuerlich eingebrachten Beschwerde (vgl dazu VfSlg 7935/1976).
Da sohin sämtliche Voraussetzungen vorliegen, war die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – gemäß §33 VfGG in nichtöffentlicher Sitzung – zu bewilligen.
4. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
Die vorliegende Beschwerde behauptet die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander und – der Sache nach – im Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen zu werden.
Der Verfassungsgerichtshof geht in Übereinstimmung mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (s etwa EGMR 7.7.1989, Fall Soering, EuGRZ1989, 314 [319]; 30.10.1991, Fall Vilvarajah ua, ÖJZ1992, 309 [309]; 6.3.2001, Fall Hilal, ÖJZ2002, 436 [436 f.]) davon aus, dass die Entscheidung eines Vertragsstaates, einen Fremden in welcher Form immer außer Landes zu schaffen, unter dem Blickwinkel des Art3 EMRK erheblich werden und demnach die Verantwortlichkeit des Staates nach der EMRK begründen kann, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden sind, dass der Fremde konkret Gefahr liefe, in dem Land, in das er gebracht werden soll, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (vgl VfSlg 13.837/1994, 14.119/1995, 14.998/1997).
Das Bundesverwaltungsgericht hat weder eine grundrechtswidrige Gesetzesauslegung vorgenommen noch sind ihm grobe Verfahrensfehler unterlaufen, die eine vom Verfassungsgerichtshof aufzugreifende Verletzung des genannten Grundrechtes darstellen (vgl VfSlg 13.897/1994, 15.026/1997, 15.372/1998, 16.384/2001, 17.586/2005). Ob ihm sonstige Fehler bei der Rechtsanwendung unterlaufen sind, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen.
Die im Übrigen gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.
Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).
5. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Schlagworte
VfGH / Wiedereinsetzung, Rechtsverkehr elektronischerEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2018:E3649.2018Zuletzt aktualisiert am
10.12.2018