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19/05 Menschenrechte;Norm
AVG §45 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Amstetten gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 8. August 2018, Zl. LVwG-AV-781/001-2018, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung (mitbeteiligte Partei: M H in H, vertreten durch die Dr. Wolfgang Schimek Rechtsanwalt GmbH in 3300 Amstetten, Graben 42), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Vorstellungsbescheid der belangten Behörde (nunmehrige Revisionswerberin) vom 22. Juni 2018 wurde, in Bestätigung eines auf § 26 Abs. 2 Z 3 FSG gestützten Mandatsbescheides, die Lenkberechtigung des Mitbeteiligten für die Klassen AM und B bis einschließlich 7. Oktober 2018 (acht Monate ab der vorläufigen Abnahme des Führerscheines) entzogen, eine Nachschulung angeordnet und die aufschiebende Wirkung einer dagegen allfällig erhobenen Beschwerde aberkannt.
Dies wurde damit begründet, dass der Mitbeteiligte (dessen Lenkberechtigung bereits mit Bescheid vom 28. März 2013 wegen Übertretung des § 99 Abs. 1 StVO 1960 - Verweigerung des Alkotests am 21. Februar 2013 - für die Dauer von sechs Monaten entzogen worden sei) am 7. Februar 2018 gegen 20:14 Uhr ein Kraftfahrzeug auf einer näher bezeichneten Strecke in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (Atemluftalkoholgehalt 0,45 mg/l) gelenkt habe (somit wiederholte Begehung eines Alkoholdeliktes iSd § 26 Abs. 2 Z 3 FSG). Die Rechtfertigung des Mitbeteiligten betreffend einen Nachtrunk (und somit "keine relevante Alkoholisierung zum Zeitpunkt des Lenkens"; vgl. die Stellungnahme des Mitbeteiligten vom 9. Mai 2018) wurde als nicht glaubhaft gewertet.
2 In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt und in der Sache zusammengefasst vorgebracht, dass beim Mitbeteiligten "keine relevante Alkoholisierung zum Zeitpunkt des Lenkens" vorgelegen sei, weil einerseits der behauptete Nachtrunk hätte berücksichtigt werden müssen und andererseits die korrekte Durchführung der Messung mittels Alkomat bestritten werde.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Beschwerde Folge gegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben. Gleichzeitig wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
4 In der Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, der Mitbeteiligte sei nach der Aktenlage (Anzeige) am 7. Februar 2018 nicht beim Lenken des Kraftfahrzeuges betreten worden. Vielmehr habe sich der Verdacht des Lenkens in alkoholisiertem Zustand durch eine anonyme telefonische Anzeige, der Mitbeteiligte werde in Kürze eine Gaststätte in alkoholisiertem Zustand verlassen, ergeben. Dies habe dazu geführt, dass der Alkoholtest am 7. Februar 2018 beim Mitbeteiligten zu Hause (wo er nach der Aktenlage von der Polizei später angetroffen wurde) mit positivem Ergebnis durchgeführt worden sei.
5 Im Beschwerdeverfahren habe der Mitbeteiligte "seine Verteidigungsposition, gar nicht Fahrzeuglenker gewesen zu sein, durch die eidesstattliche Erklärung der damaligen Lenkerin, Frau (B.M.), definitiv unter Beweis gestellt." Dieses Vorbringen erscheine nach Ansicht des Verwaltungsgerichts durchaus glaubwürdig, zumal es durch die eidesstattliche Erklärung gestützt werde und keine gegenteilige Wahrnehmung vorliege. Da im Verwaltungsverfahren zudem der Grundsatz "in dubio pro reo" gelte (Hinweis auf VwGH 22.3.1985, 85/18/0198) sei nicht erweislich, dass der Mitbeteiligte am 7. Februar 2018 das Kraftfahrzeug in einem alkoholisierten Zustand gelenkt habe.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision, zu welcher der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattete.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
8 Die Revision ist schon deshalb zulässig, weil, wie von ihr zu Recht vorgebracht wird, das Verwaltungsgericht von der hg. Rechtsprechung betreffend die erforderliche Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgewichen ist. Die Revision ist deshalb auch begründet.
9 Gegenständlich ist von der (mit der Aktenlage und dem Revisionsvorbringen übereinstimmenden) Feststellung des Verwaltungsgerichts auszugehen, es habe keine eigene Wahrnehmung der anzeigelegenden Polizeiorgane betreffend das Lenken eines Kraftfahrzeuges durch den Mitbeteiligten gegeben (nach dem Inhalt der Anzeige wurde der Mitbeteiligte nicht unmittelbar beim Lenken eines Kraftfahrzeuges betreten, sondern an seiner Wohnadresse, an welcher die Polizeiorgane dessen Kraftfahrzeug beim zweiten Vorbeifahren nach der anonymen Anzeige plötzlich wahrgenommen hatten, angetroffen und zum Alkomattest aufgefordert). Der Mitbeteiligte, der sich dem Alkomattest unterzog, hat weder im Verfahren vor der belangten Behörde noch in der Beschwerde seine Lenkereigenschaft konkret bestritten, sondern diese durch sein Vorbringen ("keine relevante Alkoholisierung zum Zeitpunkt des Lenkens") vielmehr implizit bestätigt.
10 Wenn daher das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung nunmehr die (vom Mitbeteiligten im Beschwerdeverfahren mit E-Mail vom 7. August 2018 übermittelte) eidesstättige Erklärung der Frau B.M. (in welcher diese bestätigt, sie habe das gegenständliche Kraftfahrzeug am 7. Februar 2018 zwischen 19:15 und 19:30 Uhr gelenkt) zugrunde legte, so handelte es sich dabei um ein neues Tatsachensubstrat, zu welchem der belangten Behörde als Partei des Beschwerdeverfahrens (§ 18 VwGVG) jedenfalls das Parteiengehör hätte eingeräumt werden müssen (vgl. zur Rechtsposition der belangten Behörde VwGH 29.5.2018, Ra 2018/03/0018, und den dort verwiesenen Beschluss VwGH 6.4.2016, Fr 2015/03/0011).
11 Abgesehen davon verkennt das Verwaltungsgericht, wenn es - ohne weitere Ermittlungen - die Nichterweisbarkeit der Tat annimmt, die Rechtslage auch hinsichtlich seiner in § 24 VwGVG normierten Verhandlungspflicht. Ein Absehen von dieser kam weder gemäß Abs. 2 leg. cit. in Betracht (zumal die den Entziehungsbescheid aufhebende Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht auf die Aktenlage, sondern vielmehr auf die erst im Beschwerdeverfahren vorgelegte eidesstättige Erklärung gestützt wurde) noch angesichts des Verhandlungsantrages in der Beschwerde gemäß Abs. 3 leg. cit. 12 Die Entziehung der Lenkberechtigung stellt vielmehr eine Entscheidung über "civil rights" iSd Art. 6 Abs. 1 EMRK dar (vgl. zuletzt VwGH 11. Juni 2018, Ra 2018/11/0080, mit Verweis auf hg. Vorjudikatur und das Urteil des EGMR vom 11. Juni 2015, Becker gegen Österreich), sodass ein Absehen von der Verhandlung nur bei außergewöhnlichen Umständen (so bei ausschließlichen Rechtsfragen oder bei Fragen bloß technischer Natur; vgl. etwa VwGH 12.9.2013, 2013/04/0005, und VwGH 27.4.2015, Ra 2015/11/0004, jeweils mit Hinweisen auf die Judikatur des EGMR) in Betracht käme. Ein solcher Ausnahmefall liegt gegenständlich offensichtlich nicht vor, sodass - schon von daher - § 24 Abs. 4 VwGVG nicht erfüllt ist.
13 Im Übrigen ist gegenständlich - anders als das Verwaltungsgericht meint - auch die zweite der gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG für das Absehen von der Verhandlung (kumulativ) erforderlichen Voraussetzungen ("dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt") nicht erfüllt.
Gerade in einem Fall wie dem vorliegenden, in welchem der Mitbeteiligte das Lenken eines Kraftfahrzeuges - erstmals - im Beschwerdeverfahren in Zweifel gezogen hat (aber selbst hier sein Lenken nicht konkret bestritten hat, weil weder im Begleitschreiben der eidesstättigen Erklärung noch in dieser ausdrücklich vorgebracht wurde, dass der Mitbeteiligte das Kraftfahrzeug - zum hier maßgebenden Zeitpunkt - nicht gelenkt habe), liegt es gleichsam auf der Hand, dass gerade durch die mündliche Erörterung - einerseits vor allem der Frage, weshalb der Mitbeteiligte die Lenkereigenschaft erst im Beschwerdeverfahren in Abrede gestellt hat und andererseits auch der Frage, wie weit der in der eidesstättigen Erklärung angegebene Zeitpunkt des Lenkens des Kraftfahrzeuges durch M.B. überhaupt den Tatverdacht entkräften kann - eine Klärung der Sache zu erwarten ist, die es dem Verwaltungsgericht erst ermöglicht, die Frage der Lenkereigenschaft schlüssig (für den Verwaltungsgerichtshof nachvollziehbar) zu beantworten.
14 Vor diesem Hintergrund erweist sich die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Verwaltungsübertretung (hier: § 99 Abs. 1b StVO 1960) könne nicht erwiesen werden, als rechtswidrig.
15 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 14. November 2018
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018110199.L00Im RIS seit
11.12.2018Zuletzt aktualisiert am
17.12.2018