TE Vwgh Erkenntnis 2018/11/27 Ra 2018/02/0278

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Veröffentlicht am 27.11.2018
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §58 Abs2;
AVG §60;
B-VG Art133 Abs6 Z1;
VStG §31 Abs2;
VwGG §25a Abs4 Z1;
VwGG §25a Abs4 Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §29 Abs4;
VwGVG 2014 §44 Abs1;
VwGVG 2014 §44 Abs2;
VwGVG 2014 §44 Abs3;
VwGVG 2014 §44 Abs4;
VwGVG 2014 §44 Abs5;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Harrer, LL.M., über die Revision des S in P, vertreten durch Dr. Patrick Ruth, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 30. Jänner 2018, Zl. LVwG-S-1839/001-2017, betreffend Übertretungen des ASchG (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Bürgermeister der Stadt St. Pölten), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe vom EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Revisionswerber schuldig erkannt, er habe es als Geschäftsführer des Unternehmens F zu verantworten, dass entgegen der näher angeführten gesetzlichen Verpflichtungen in einem bis zum 29. Jänner 2015 reichenden Tatzeitraum 1. keine Dokumentation betreffend die Ermittlung und Beurteilung der Gefahren im Betrieb erfolgt sei, 2. keine Bestellung einer Sicherheitsfachkraft erfolgt sei, 3. keine Bestellung eines Arbeitsmediziners erfolgt sei, 4. keine Unterweisung der Arbeitnehmer über Sicherheit und Gesundheitsschutz erfolgt sei, 5. keine wiederkehrende Prüfung über den ordnungsgemäßen Zustand der Elektroinstallation erfolgt sei und 6. die Arbeitsräume nicht natürlich belichtet seien. Daher wurde über ihn wegen der Übertretung von 1. § 4 Abs. 1 iVm § 130 Abs. 1 Z 5 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG), 2. § 73 Abs. 1 iVm § 130 Abs. 1 Z 27 ASchG, 3. § 79 Abs. 1 iVm § 130 Abs. 1 Z 27 ASchG, 4. § 14 Abs.1 iVm § 130 Abs. 1 Z 11 ASchG, 5. § 7 Abs. 1 Z 2 Elektroschutzverordnung 2012 iVm § 130 Abs. 1 Z 14 ASchG und 6. § 25 Abs. 1 Arbeitsstättenverordnung iVm § 130 Abs. 1 Z 15 ASchG jeweils eine Geldstrafe in der Höhe von je EUR 335,-- (Ersatzfreiheitsstrafe je 13 Stunden) verhängt. Die ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erklärt.

2 Dieses Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich wurde dem anwaltlich vertretenen Revisionswerber dem im Akt als Kopie einliegenden Rückschein zufolge am 31. Jänner 2018 zugestellt.

3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie auf die absolute Unzulässigkeit der Revision wegen Verletzung in Rechten gemäß § 25a Abs. 4 VwGG verwies.

4 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

5 In der Zulässigkeitsbegründung macht der Revisionswerber als Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG unter näherer Darlegung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einerseits die bereits eingetretene Strafbarkeitsverjährung gemäß § 31 Abs. 2 VStG und andererseits das Unterbleiben der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung trotz entsprechenden Parteienantrags geltend.

6 Aus beiden Gründen erweist sich die Revision als zulässig und berechtigt.

7 Gemäß § 31 Abs. 2 VStG tritt Strafbarkeitsverjährung ein, wenn das Straferkenntnis bzw. die dieses bestätigende Entscheidung erst nach Ablauf von drei Jahren, gerechnet ab dem in Abs. 1 genannten Zeitpunkt (Tatzeit), erlassen wird. Zudem ist nach der ständigen Rechtsprechung die Frist des § 31 Abs. 2 VStG nur dann gewahrt, wenn das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes innerhalb der dort genannten Frist gegenüber dem Beschuldigten rechtswirksam erlassen wurde. Die Erlassung gegenüber einer anderen Verfahrenspartei (etwa der Bezirkshauptmannschaft) ist nicht geeignet, diese Wirkung herbeizuführen (vgl. etwa VwGH 13.12.2016, Ra 2016/02/0199, mwN).

8 Da die Zustellung des angefochtenen Erkenntnisses an den Revisionswerber als (einer Tatbegehung, die bis zum 29. Jänner 2015 andauerte) Beschuldigten am 31. Jänner 2015 erst nach Ablauf der in § 31 Abs. 2 VStG geregelten Frist, und damit nach Eintritt der Strafbarkeitsverjährung, erfolgte, hat das Verwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.

9 Zudem lagen die Voraussetzungen für das Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht vor.

10 Das Verwaltungsgericht hat gemäß § 44 Abs. 1 VwGG in Verwaltungsstrafsachen grundsätzlich eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. In den Abs. 2 bis 5 leg. cit. finden sich zulässige Ausnahmen von der Verhandlungspflicht. Ein Absehen von der Verhandlung wäre nach dieser Bestimmung zu beurteilen und zu begründen gewesen (vgl. VwGH 8.3.2018, Ra 2017/02/0273, mwH).

11 Da im vorliegenden Fall der Revisionswerber in seiner Beschwerde an das Verwaltungsgericht ausdrücklich die Anberaumung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung beantragt hatte, konnte nur mehr nach § 44 Abs. 4 VwGVG von einer solchen abgesehen werden. Dass eine der dort genannten Voraussetzungen vorgelegen wären, hat das Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis weder begründet, noch ist dies ersichtlich. Das Verwaltungsgericht wäre daher verpflichtet gewesen, die beantragte öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen und hat durch das unbegründete Absehen von der Verhandlung das angefochtene Erkenntnis auch mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.

12 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen prävalierender Rechtswidrigkeit des Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

13 Ergänzend sei noch darauf hingewiesen, dass entgegen der in der Revisionsbeantwortung dargelegten Ansicht die Voraussetzungen des § 25a Abs. 4 VwGG nicht erfüllt sind, zumal es den dort angeführten Kriterien zufolge nicht nur auf die tatsächlich verhängte Geldstrafe (Z 1 leg. cit.), sondern kumulativ auch auf den Strafrahmen (Z 2 leg. cit.) ankommt (vgl. etwa VwGH 24.9.2014, Ra 2014/03/0014, mwN).

14 Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 27. November 2018

Schlagworte

Rechtsgrundsätze Verjährung im öffentlichen Recht VwRallg6/6Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelRechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5Verfahrensbestimmungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018020278.L00

Im RIS seit

12.12.2018

Zuletzt aktualisiert am

28.12.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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