TE OGH 2018/9/24 8Ob99/18v

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Veröffentlicht am 24.09.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Schuldenregulierungssache der Schuldnerin R***** H*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Reinisch und Mag. Jörg Grössbauer, Rechtsanwälte in Leibnitz, über den Revisionsrekurs der Schuldnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben als Rekursgericht vom 11. Juni 2018, GZ 32 R 24/18a-55, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Leoben vom 21. März 2018, GZ 15 S 3/13x-49, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Text

Begründung:

Über das Vermögen der Schuldnerin wurde mit Beschluss des Erstgerichts vom 20. 3. 2013 das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet und am 4. 7. 2013 nach Scheitern des angebotenen Zahlungsplans das Abschöpfungsverfahren eingeleitet. Die Schuldnerin leistete regelmäßige Zahlungen auf das Treuhandkonto. Am 6. 3. 2018 teilte die bestellte Treuhänderin mit, dass bereits eine Quote von 50 % im Sinne des § 213 Abs 1 Z 1 IO idF vor dem IRÄG 2017 (aF) erreicht worden sei.

Mit Beschluss vom 21. 3. 2018 erklärte das Erstgericht daraufhin das Abschöpfungsverfahren für beendet, erteilte der Schuldnerin die Restschuldbefreiung und sprach aus, dass mit Rechtskraft seines Beschlusses die Wirksamkeit der Abtretungserklärung und das Amt des Treuhänders ende.

Das Rekursgericht gab dem von einer Insolvenzgläubigerin erhobenen Rechtsmittel mit dem angefochtenen Beschluss Folge, behob die Entscheidung des Erstgerichts ersatzlos und trug ihm die Fortsetzung des Abschöpfungsverfahrens auf.

In seiner Begründung führte das Rekursgericht aus, dass in der Literatur unterschiedliche Ansichten zur Frage, ob eine vorzeitige Restschuldbefreiung nach § 213 Abs 1 Z 1 IO aF nach dem Inkrafttreten des § 213 IO idF des IRÄG 2017 in bereits anhängigen Verfahren noch möglich sei, vertreten würden. Nach § 5 ABGB seien im Zweifel nur die nach dem Inkrafttreten eines Gesetzes verwirklichten Sachverhalte nach dem neuen Gesetz zu beurteilen, vorher Geschehenes und vorher entstandene Rechte seien weiterhin dem alten Gesetz zu unterwerfen. Bei Dauersachverhalten seien hingegen die Rechtsfolgen des neuen Gesetzes ab seinem Inkrafttreten auf den in den zeitlichen Geltungsbereich des neuen Rechts reichenden Teil anzuwenden. Da das IRÄG 2017 keine Übergangsregelung für die Bestimmung des § 213 Abs 1 Z 1 IO aF enthalte, sei diese Bestimmung per 31. 10. 2017 aus dem Rechtsbestand ausgeschieden. Da die Schuldnerin an diesem Stichtag noch keine Quote von 50 % erfüllt habe, sei der Sachverhalt ausschließlich nach § 213 IO nF zu beurteilen, ein Vorgehen im Sinne des § 213 IO aF komme nicht mehr in Betracht.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Frage einer Anwendung des § 213 Abs 1 Z 1 IO nF in einem am 1. 11. 2017 anhängigen Abschöpfungsverfahren noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Schuldnerin ist aus den vom Rekursgericht dargelegten Gründen zulässig, zumal der strittigen Rechtsfrage über den Anlassfall hinaus Bedeutung zukommt. Der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.

1. Nach § 279 Abs 1 IO traten die §§ 183, 184 Abs 1, §§ 193, 194 Abs 1, § 199 Abs 2, § 201 Abs 1, § 203 Abs 1, §§ 213 und 257 Abs 3 in der Fassung des IRÄG 2017 mit 1. 11. 2017 in Kraft. Die Bestimmungen sind, soweit die folgenden Absätze (des § 279 IO) nichts anderes bestimmen, auf Insolvenzverfahren anzuwenden, die nach dem 31. 10. 2017 eröffnet werden.

Nach § 279 Abs 3 IO ist § 213 IO nF dann auch in einem bereits anhängigen Verfahren anzuwenden, wenn der Antrag auf Durchführung des Abschöpfungsverfahrens nach dem 31. 10. 2017 bei Gericht eingelangt ist.

2. Mit diesem eindeutigen Gesetzeswortlaut ist die rechtliche Beurteilung des Rekursgerichts nicht vereinbar.

Abschöpfungsverfahren, die zum Stichtag 1. 11. 2017 bereits anhängig waren, unterliegen nicht dem neuen Recht, sondern weiterhin den bis dahin geltenden Bestimmungen der IO. Hinzugetreten ist für diese Verfahren lediglich die Option eines Antrags gemäß § 280 IO auf Restschuldbefreiung ohne Mindestquote (vgl Kodek, Privatkonkurs „neu“ – Das Insolvenzrechtsänderungs-
gesetz 2017, Zak 2018/73 [45]; auch: Konecny, Voraussetzungen für die Restschuldbefreiung in alten Abschöpfungsverfahren, ZIK 2018, 50 [51]; vgl auch: 8 Ob 6/18t).

3. Die vom Rekursgericht zitierten Ausführungen von Mohr (Neuerungen im Privatinsolvenzrecht – IRÄG 2017, 97 [102]), denen zu entnehmen wäre, dass nach dem 1. 11. 2017 keine Restschuldbefreiung nach Ablauf von drei Jahren und Erreichen einer Quote von 50 % mehr möglich sei, weil es diese Variante nach der Reform nicht mehr gebe, beziehen sich, wenngleich die Formulierung eine solche Auslegung zulässt, nicht unbedingt auf zum Stichtag anhängige Verfahren. Unter Beachtung des Inkrafttretens nach § 279 Abs 1 IO liegt eher die Vermutung nahe, dass der Autor nur die nach dem Stichtag eingeleiteten Abschöpfungsverfahren gemeint hat, für die nach der neuen Rechtslage eine solche vorzeitige Beendigung tatsächlich nicht mehr vorgesehen ist (zu einem „Altfall“ siehe dagegen Mohr, Privatinsolvenz3 Rz 637).

4. Nach der weiteren in diesem Zusammenhang vom Rekursgericht erwähnten Literaturstelle (Senoner/Weber-Wilfert, IRÄG 2017 – Änderungen des (Privat-) Insolvenzrechts, RZ 9/2017, 174 ff) soll gemäß § 280 IO („... § 213 Abs 1 zweiter bis vierter Satz in der vor dem Insolvenzrechtsänderungsgesetz 2017 vorgesehenen Fassung sind anzuwenden“) die Möglichkeit der vorzeitigen Beendigung bei Erreichen der 50 %-Quote in der vor dem IRÄG 2107 geltenden Fassung auf anhängige Abschöpfungsverfahren anzuwenden sein, nicht anzuwenden sei aber die Bestimmung, wonach der Schuldner bei Erreichen von 50 % nach 3 Jahren der Abtretung die Restschuldbefreiung erhält.

5. Schlepnik (Judikaturüberblick zur Anwendung des § 280 IO, ZIK 2018/64, 68) meint, eine vorzeitige Restschuldbefreiung nach § 213 Abs 1 Z 1 IO aF sei nach dem Inkrafttreten des als lex specialis zu wertenden § 280 IO mit 1. 8. 2017 nicht mehr statthaft, weil diese Bestimmung keine Beendigung nach § 213 IO aF bei Erreichen der 50 % mehr vorsehe. Unschwer sei der „Abtausch“ dieser für die Gläubiger eindeutig nachteiligen Bestimmung gegen die Auflassung der Mindestquote für alle anhängigen Abschöpfungsverfahren zu erkennen, weshalb diese Interpretation auch als gerecht angesehen werden könne. Ein solcher – dem auf Erleichterung der Entschuldung gerichteten Gesetzeszweck widerstreitender – „Abtausch“ lässt sich den Gesetzesmaterialien gerade nicht entnehmen (ErlRV 1588 BlgNR 25. GP 1, 12).

6. All die einschränkenden Ausführungen sind für den hier vorliegenden „Altfall“ nicht nachvollziehbar. Ordnet doch § 279 IO klar an, dass für diese weiterhin die alten Bestimmungen der IO anzuwenden sind und räumt § 280 IO dem Schuldner nur eine Option („Antrag“) ein.

7. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass ein vor dem 1. 11. 2017 eingeleitetes Abschöpfungsverfahren bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 213 Abs 1 Z 1 IO aF auch weiterhin nach dieser Gesetzesstelle zu beenden ist.

Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben und die dem Gesetz entsprechende Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

Textnummer

E123335

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0080OB00099.18V.0924.000

Im RIS seit

12.12.2018

Zuletzt aktualisiert am

19.03.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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