Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Karl Frint und Dr. Johannes Pflug in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. H***** F*****, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Ö*****, vertreten durch Dr. Gustav Teicht, Dr. Gerhard Jöchl Kommandit Partnerschaft in Wien, wegen 15.487,32 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. April 2018, GZ 10 Ra 123/17g-17, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 22. August 2017, GZ 39 Cga 27/17a-13, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.094,07 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 182,34 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Der Kläger war bei der Beklagten seit 15. 6. 1994 als Arzt beschäftigt. Das Dienstverhältnis wurde mit Vereinbarung vom 6. 4. 2016 zum 30. 9. 2016 aufgrund der Pensionierung des Klägers einvernehmlich beendet. Die schriftliche Vereinbarung enthält auch eine Bestätigung, dass nach Abgeltung bestimmter namentlich genannter Ansprüche „keine offenen Forderungen“ des Klägers mehr bestehen.
Der Kläger begehrt in seiner am 8. 2. 2017 eingebrachten Klage offenes Mehr- und Überstundenentgelt für den Zeitraum vom 1. 1. 2009 bis 31. 12. 2014.
Dazu steht fest, dass der Angestelltenbetriebsrat der Beklagten bereits im Jahre 2008 an die Beklagte mit der Auffassung herangetreten war, dass die Mehr- bzw Überstunden der Mitarbeiter unter Anwendung unzulässiger Durchrechnungszeiträume unrichtig abgerechnet würden. Die Beklagte räumte nach einer Prüfung Fehler bei der Abrechnung ein und erklärte sich grundsätzlich zur Leistung von Nachzahlungen bereit, wegen des großen administrativen Aufwands strebte sie allerdings eine Pauschalabgeltung an.
In den Folgejahren wurden umfangreiche Verhandlungen und gerichtliche Musterverfahren über die Modalität der Nachverrechnung geführt. Am 10. 9. 2014 erklärte die Beklagte schließlich in einem Schreiben an alle Mitarbeiter, ihren (im Mai 2008 in einem E-Mail an den Betriebsrat erklärten) Verjährungsverzicht bezüglich der offenen Mehr- und Überstundendifferenzen mit sofortiger Wirkung zu widerrufen. Am 5. 12. 2014 scheiterten die auch nach diesem Schreiben noch weiter geführten Verhandlungen zwischen Beklagter, Betriebsrat und Gewerkschaft endgültig.
Am 30. 12. 2014 brachte der Angestelltenbetriebsrat der Beklagten einen Feststellungsantrag gemäß § 54 Abs 1 ASGG mit dem Begehren ein, „dass die als medizinisches Personal in der Blutspendezentrale für Wien, Niederösterreich und Burgenland beschäftigten Angestellten der beklagten Partei, deren Dienstverhältnis vor dem 1. 2. 2010 begründet wurde, ungeachtet einer von der beklagten Partei behaupteten Verjährung Anspruch auf Abgeltung sämtlicher von ihnen ab 1. 1. 2008 geleisteten Mehrstunden unter Zugrundelegung eines monatlichen Durchrechnungszeitraumes sowie sämtlicher im Zeitraum 1. 3. 2005 bis 30. 8. 2014 geleisteten Überstunden ohne Anwendung eines Durchrechnungszeitraumes, somit unter Zugrundelegung einer täglichen und wöchentlichen Betrachtungsweise“, hätten.
Das Erstgericht wies diesen Antrag mit der wesentlichen Begründung ab, es habe kein rechtsgültiger Verjährungsverzicht vorgelegen, die einzelnen betroffenen Mitarbeiter könnten sich aber auf einen von der Beklagten geschaffenen Vertrauenstatbestand berufen und der Einwendung der Verjährung die Replik der Arglist entgegenhalten. Das diese Entscheidung bestätigende Urteil des Berufungsgerichts wurde den Parteien am 11. 11. 2016 zugestellt.
Für den Kläger hätte sich ohne unrichtige Durchrechnung im Zeitraum vom 1. 1. 2009 bis 31. 12. 2014 ein zusätzlicher, nicht beglichener Anspruch an Mehr- und Überstundenentgelt ergeben, der – der Höhe nach unstrittig – Gegenstand des Klagebegehrens ist.
Die Beklagte wandte Verjährung der Klagsforderung ein. Das Feststellungsverfahren habe mangels Identität des Streitgegenstands keine Fristhemmung bewirkt, es habe nur die Verjährungsfrage zum Gegenstand gehabt. Die Ansprüche des Klägers seien teilweise schon bei Erhebung der Feststellungsklage verjährt gewesen. Schlussendlich seien mit der Beendigungsvereinbarung alle dann noch bestehenden Ansprüche verglichen worden.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.
Der Kläger habe bis zum endgültigen Scheitern der Vergleichsverhandlungen am 5. 12. 2014 damit rechnen können, dass seinen gesamten Ansprüchen kein Verjährungseinwand entgegengehalten werde. Die Verjährungsfrist für die bei Klagseinbringung am 8. 2. 2017 bereits länger als drei Jahre fälligen Ansprüche sei durch das Feststellungsverfahren gehemmt worden.
Die individuelle Beendigungsvereinbarung enthalte nur eine bloße Wissenserklärung. Sie sei nicht als Vergleich zu qualifizieren, weil darin keine strittigen oder zweifelhaften Ansprüche bereinigt wurden.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil die behandelten Rechtsfragen über den Einzelfall hinaus von Bedeutung seien.
Die von der klagenden Partei beantwortete Revision der Beklagten ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts – nicht zulässig, weil sie keine Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO anspricht.
Rechtliche Beurteilung
1. Der Oberste Gerichtshof hatte sich mit den zentralen Argumenten der Revisionswerberin bereits jüngst in der Entscheidung im Verfahren einer anderen betroffenen Mitarbeiterin zu befassen, dem ein gleichartiger Sachverhalt zugrundelag, in dem die erhobenen Forderungen ebenfalls in Zeiträume vor Dezember 2011 zurückreichten und die Klage erst im Februar 2017 eingebracht worden war (9 ObA 60/18s).
In dieser Entscheidung wurde insbesondere klargestellt, dass schon aufgrund der für alle Betroffenen geführten Verhandlungen über eine gütliche Lösung und der nach dem Abbruch der Gespräche unverzüglich eingebrachten Feststellungsklage keine Verjährung von Ansprüchen mit Fälligkeit vor dem 30. 12. 2011 eingetreten ist. Auf die vom Revisionswerber bekämpfte Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass sich die Hemmung „aller“ Fristen aufgrund der Feststellungsklage auch auf die angemessene Frist zur Klagseinbringung nach Widerruf eines Verjährungsverzichts (bzw nach Wegfall des berechtigten Vertrauens auf die Nichteinwendung der Verjährung) erstreckt, komme es daher nicht an (9 ObA 60/18s).
Der erkennende Senat sieht keine Veranlassung, diese Beurteilung im vorliegenden Verfahren in Zweifel zu ziehen.
Geklärt ist aber auch, dass die Fristhemmung nach § 54 Abs 5 ASGG den vom Feststellungsverfahren betroffenen Arbeitnehmern ungeachtet dessen zugute kommt, dass der Feststellungsantrag abgewiesen wurde (RIS-Justiz RS0085749).
Hauptfrage des Feststellungsverfahrens war das Bestehen der Leistungspflicht der Beklagten für solche Ansprüche, wie sie auch die hier klagende Partei geltend macht (9 ObA 48/18a). Die in der Revision geäußerten Zweifel an der Zulässigkeit und Zweckmäßigkeit des Feststellungsantrags, insbesondere weil sein Inhalt nur gelautet habe „Verjährung könne nicht eintreten“, sind feststellungsfremd, es kommt darauf für die Frage der Unterbrechungswirkung auch nicht an.
Auf die in den Vorinstanzen noch erhobene Einwendung des Vergleichs im Zuge der Beendigungsvereinbarung der Streitteile kommt die Revision nicht mehr zurück.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 2 ASGG, §§ 41 und 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
Textnummer
E123432European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:008OBA00040.18T.1024.000Im RIS seit
10.12.2018Zuletzt aktualisiert am
12.12.2018