Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Tarmann-Prentner, Mag. Korn, Dr. Stefula und Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V***** Inc., *****, vertreten durch die Viehböck Breiter Schenk & Nau Rechtsanwälte OG in Mödling, gegen die beklagte Partei F***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Horst Bruckner Rechtsanwalt in Leibnitz, wegen 70.000 EUR, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 21. Dezember 2017, GZ 2 R 128/17m-29, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Die Parteien haben die Anwendbarkeit österreichischen Rechts vereinbart. Nicht strittig ist, dass das Vertragsverhältnis den Bestimmungen des HVertrG unterliegt.
2. Die Richtigkeit von Feststellungen kann vom Obersten Gerichthof, der keine Tatsacheninstanz ist, nicht überprüft werden (RIS-Justiz RS0042903 [T5]). Eine bloß mangelhafte und unzureichende Beweiswürdigung kann im Revisionsverfahren nicht angefochten werden (RIS-Justiz RS0043371). Die Entscheidung des Berufungsgerichts über eine Beweisrüge ist mängelfrei, wenn es sich mit dieser überhaupt befasst, die Beweiswürdigung des Erstgerichts überprüft und nachvollziehbare Überlegungen über die Beweiswürdigung anstellt und in seinem Urteil festhält (RIS-Justiz RS0043150).
Soweit die Beklagte Feststellungen zum konkreten Umfang der von der Klägerin erbrachten Leistungen vermisst, übergeht sie, dass das Erstgericht zu diesem Thema – wenn auch in etwas allgemein gehaltener Formulierung – Feststellungen getroffen hat, die zu den von ihr gewünschten Ersatzfeststellungen in Widerspruch stehen. Insoweit macht sie keine zusätzlichen Feststellungen geltend, sondern erhebt eine unzulässige Beweisrüge.
3. Nach § 22 HVertrG kann der Vertretungsvertrag jederzeit ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist aus wichtigem Grund gelöst werden.
Zur Wirksamkeit einer solchen Kündigung genügt es, dass diese dem Vertragspartner gegenüber ausdrücklich ausgesprochen wurde und die Auflösungsgründe erst im Rechtsstreit vorgetragen werden; es muss jedoch aus der Auflösungserklärung deutlich hervorgehen, dass es sich um eine außerordentliche Auflösung des Vertragsverhältnisses und nicht um eine normale Kündigung handelt (RIS-Justiz RS0029327).
Die Auflösungserklärung ist so zu beurteilen, wie sie der Empfänger nach ihrem Wortlaut und dem Geschäftszweck unter Berücksichtigung der gegebenen Umstände bei objektiver Betrachtungsweise verstehen konnte; auf eine davon abweichende subjektive Auffassung des Erklärenden kommt es dabei nicht an (RIS-Justiz RS0028612). Diese Beurteilung ist typisch von den Umständen des Einzelfalls abhängig und begründet im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0028612 [T9, T10]).
Die Rechtsmeinung der Vorinstanzen, dass die Kündigung vom 28. 4. 2014, die ausdrücklich auf das vertraglich vereinbarte Sonderkündigungsrecht (Vereinbarung zusätzlicher Kündigungstermine) und die Einhaltung der vereinbarten Kündigungsfrist Bezug nimmt, von einem redlichen Erklärungsempfänger in der Situation der Klägerin nicht als Vertragsauflösung aus wichtigem Grund, sondern nur als (fristwidrige) Ausübung des vereinbarten Kündigungsrechts verstanden werden konnte, ist nicht zu beanstanden. Darauf, ob zu diesem Zeitpunkt ein wichtiger Grund zur Vertragsauflösung vorlag, kommt es daher nicht an.
4. Wurden bei der Kündigung die vereinbarten Fristen und Termine nicht eingehalten, kann der Vertragspartner nach § 23 Abs 1 iVm § 21 HVertrG die Erfüllung des Vertrags oder Ersatz des ihm verursachten Schadens verlangen. Die Klägerin hat auch unverzüglich der Kündigung widersprochen und mitgeteilt, dass sie weiter für die Beklagte tätig sein wird. Sie hat auch tatsächlich weiter Leistungen erbracht, die von der Beklagten auch angenommen wurden. Wieso sie damit nicht ausreichend deutlich zum Ausdruck gebracht haben soll, auf Erfüllung des Vertrags zu bestehen, vermag die Revision nicht überzeugend darzulegen.
5. Unstrittig wurde mit Schreiben vom 9. 12. 2014 eine Kündigung aus wichtigem Grund erklärt. Die Beklagte wirft der Klägerin vor, bei ihrer Tätigkeit in Umfang und Intensität die Interessen der Klägerin nicht mit der zu erwartenden Sorgfalt wahrgenommen zu haben.
Ob ein Verhalten eines Handelsvertreters einen wichtigen Grund im Sinne des § 22 Abs 1 HVertrG verwirklicht, kann nur anhand des Einzelfalls beurteilt werden (RIS-Justiz RS0108379 [T1]). Als Richtschnur sind die in § 22 HVertrG demonstrativ aufgezählten Gründe maßgeblich, die einzelvertraglich erweitert bzw ergänzt werden können (8 Ob 70/07p).
Nach den Feststellungen war ein konkreter Leistungsumfang nicht vereinbart. Der Beklagten war bekannt, dass die Klägerin auch weitere Unternehmen auf dem amerikanischen Markt vertritt, also nicht ausschließlich für die Beklagte tätig ist. Beide Parteien gingen davon aus, dass es durchaus längere Zeit dauern könne, um bei einem größeren amerikanischen Kunden als Lieferant unterzukommen und ein Geschäft abzuschließen. Weiters ist festgestellt, dass sich die Klägerin bis Anfang Jänner 2015 laufend um Kundenkontakte bei diversen Unternehmen bemühte, davon der Beklagten regelmäßig berichtete und mit ihr Kontakt hatte, auch um sich mit ihr abzustimmen oder technische oder sonstige Fragen im Zusammenhang mit potentiellen Kunden zu klären. Sie organisierte zwei geschäftliche Besuche von Vertretern großer und für die Beklagte besonders interessanter amerikanischer Firmen in Österreich, mit dem Ergebnis, dass die Beklagte bei einer dieser Firmen als potentieller Lieferant gelistet wurde. Der Geschäftsführer der Klägerin und der damalige Prokurist der Beklagten unternahmen zwei mehrtägige Reisen in Amerika, die – wie auch die Termine bei den zu besuchenden Unternehmen – von der Klägerin organisiert wurden und dazu dienen sollten, potentielle Kunden aufzusuchen und das Unternehmen der Beklagten bei diversen Unternehmen in Amerika zu präsentieren.
Wenn die Vorinstanzen vor diesem Hintergrund davon ausgehen, dass der geltend gemachte Auflösungsgrund nicht verwirklicht wurde, liegt darin keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung.
6. Die Klägerin kann demnach, da sie in diesem Fall nicht auf die Erfüllung des Vertrags bestand, gemäß § 23 Abs 1 HVertrG den Ersatz des ihr verursachten Schadens verlangen. Als Bemessungsgrundlage dient dabei jener Verdienstentgang, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bis zu jenem Zeitpunkt zu erwarten war, zu dem das Vertragsverhältnis ordnungsgemäß hätte beendet werden können (3 Ob 166/09x mwN). Bei einer Fixprovision ist daher von diesem Betrag auszugehen. Dass die Klägerin sich durch das Unterbleiben einer weiteren Tätigkeit Aufwendungen erspart hat, wäre von der Beklagten zu behaupten und zu beweisen gewesen, die dazu aber in erster Instanz kein konkretes Vorbringen erstattet hat.
7. Ob im Hinblick auf den Inhalt der Prozessbehauptungen eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist, ist eine Frage des Einzelfalls, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung keine erhebliche Bedeutung zukommt. Auch ob das bisher erstattete Vorbringen so weit spezifiziert ist, dass es als Anspruchsgrundlage hinreicht beziehungsweise wie weit ein bestimmtes Vorbringen einer Konkretisierung zugänglich ist, ist eine Frage des Einzelfalls (RIS-Justiz RS0042828).
Inwiefern daher das Vorbringen der Beklagten zu einer arglistigen Täuschung ausreichend konkretisiert war, um eine Irrtumsanfechtung zu begründen bzw das der Klägerin, um als Geltendmachung der Garantieprovision als Schadenersatz angesehen zu werden, stellt daher keine Rechtsfrage iSd des § 502 Abs 1 ZPO dar.
8. Die außerordentliche Revision ist daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
9. Die ohne Zustellung einer Mitteilung nach § 508a Abs 2 erster Satz ZPO erstattete Revisionsbeantwortung ist als nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig nicht zu honorieren (RIS-Justiz RS0043690 [T6, T7]).
Textnummer
E123431European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0080OB00023.18T.1024.000Im RIS seit
10.12.2018Zuletzt aktualisiert am
20.05.2019