Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr.
Neumayr als Vorsitzenden und durch die Hofräte und Hofrätinnen Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann, Mag. Ziegelbauer und Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj L*****, geboren ***** 2011, vertreten durch das Land Wien als Kinder- und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt, Wiener Kinder- und Jugendhilfe, Rechtsvertretung Bezirke 1 und 4–9, 1060 Wien, Amerlingstraße 11), wegen Unterhaltsvorschuss, infolge Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 9. Mai 2018, GZ 42 R 69/18k-72, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Josefstadt vom 22. Dezember 2017, GZ 27 Pu 97/12w-63, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Gegenstand des Verfahren ist die Einbehaltung objektiv zu Unrecht ausgezahlter Unterhaltsvorschussbeträge in Höhe von 370 EUR von einem Nachzahlungsbetrag in Höhe von 1.295 EUR.
Dem 2011 geborenen Kind wurden zuletzt mit Beschluss des Erstgerichts vom 15. 12. 2017 Unterhaltsvorschüsse nach den §§ 3, 4 Z 1 UVG in der (früher schon gewährten) Höhe von monatlich 185 EUR rückwirkend ab 1. 6. 2017 bis 31. 5. 2022 zuerkannt. Davor, nämlich in den Monaten April und Mai 2017 waren dem Kind – objektiv zu Unrecht – für zwei Monate Unterhaltsvorschüsse von insgesamt 370 EUR geleistet worden. Im Zeitraum von Juni bis Dezember 2017 hat das Kind keine Unterhaltsvorschusszahlungen und – nach der Aktenlage – auch keine Unterhaltszahlungen oder sonstigen Einkünfte bezogen; erst aufgrund des Beschlusses vom 15. 12. 2017 kam es zu einer diesen Zeitraum bezogenen Nachzahlung.
Das Erstgericht gab dem Antrag des Bundes auf Einbehalt der 370 EUR von dem auf den Zeitraum Juni bis Dezember entfallenden Nachzahlungsbetrag in Höhe von 1.295 EUR statt und ersuchte den Präsidenten des Oberlandesgerichts um Einbehalt des Übergenusses. Rechtlich ging es davon aus, dass die Bedürfnisse des Kindes durch den Einbehalt nicht gefährdet wären.
Infolge Rekurses des Kindes änderte das Rekursgericht diesen Beschluss dahin ab, dass es den Antrag des Bundes auf Einbehalt abwies, denn durch den Einbehalt würden die Bedürfnisse des Kindes gefährdet; auch wenn der Einbehalt von einer Nachzahlung erfolge. Der Vorschussbetrag von 185 EUR monatlich liege deutlich unter dem Regelbedarf von anderen Kindern derselben Altersgruppe von derzeit 337 EUR monatlich, weshalb ein teilweiser Einbehalt von laufenden Zahlungen jedenfalls unzulässig wäre. Nichts anderes könne für den Einbehalt aus einer Nachzahlung gelten. Die Nachzahlung diene wirtschaftlich betrachtet sowohl einem Ausgleich für den Zeitraum von Juni bis Dezember 2017 als auch einem Ausgleich für danach liegende Unterhaltsperioden, weil diese Beträge erforderlich seien, um den Unterhalt des Kindes, auf mehrere Monate verteilt, den Regelbedarfssätzen ein wenig anzunähern.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei, weil infolge divergierender Entscheidungen der Rekursgerichte noch keine einheitliche Rechtsprechung dazu bestehe, ob ein Einbehalt von einer Nachzahlung möglich sei, wenn ein Vorschuss gewährt werde, dessen Höhe deutlich unter dem Regelbedarfssatz liege.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen diesem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Zulässigkeitsausspruch ist der Revisionsrekurs des Bundes mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig.
Der Revisionsrekurswerber nimmt den Standpunkt ein, bei Kindern, die Unterhaltsvorschüsse unterhalb des Regelbedarfs beziehen, sollten Nachzahlungsbeträge nicht dazu dienen, diesen monatelang (höhere) Unterhaltsbeträge im Bereich der Regelbedarfssätze zukommen zu lassen. Die minimale Bedarsfsdeckung des Kindes sei durch den Einbehalt nicht gefährdet.
In seiner Revisionsrekursbeantwortung beantragt das Kind, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.
Dazu ist auszuführen:
I. § 19 Abs 1 UVG sieht den Einbehalt objektiv zu Unrecht ausgezahlter Beträge unter den Voraussetzungen der Herabsetzung des Unterhaltsbeitrags oder des Eintritts eines Falls nach § 7 Abs 1 UVG vor, ohne dass es zur gänzlichen Versagung der Vorschüsse kommt. Davon, dass diese Voraussetzungen der Einbehaltung dem Grunde nach im vorliegenden Fall gegeben sind, gingen die Vorinstanzen in ihren Entscheidungen aus.
II.1 Zur Einbehaltung der Höhe nach ergibt sich aus § 19 Abs 1 UVG letzter Halbsatz UVG, dass das Gericht den Einbehalt zu Unrecht ausgezahlter Beträge von künftig fällig werdenden Vorschüssen unter Berücksichtigung der Bedürfnisse des Kindes, soweit notwendig in Teilbeträgen, anzuordnen hat. Es handelt sich um eine Ermessensentscheidung, die nach einer Interessensabwägung zwischen den Bedürfnissen des Kindes und den berechtigten Interessen des Bundes an der Rückzahlung rechtsgrundlos ausgezahlter Unterhaltsvorschüsse im jeweiligen Einzelfall zu erfolgen hat und einen gewissen Beurteilungsspielraum eröffnet (RIS-Justiz RS0008288). Der – nicht zwingende – Einbehalt hat möglichst schonend zu erfolgen und darf nicht zu einer Gefährdung des notwendigen Unterhalts führen (Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB4, § 19 UVG 10 f).
II.2 Eine Gefährdung des notwendigen Unterhalts wird im Wesentlichen dann angenommen, wenn der reduzierte Unterhaltsvorschuss den Regelbedarfssatz auf nicht nur kurze Zeit nicht nur unwesentlich unterschreitet, selbst wenn nur ein verhältnismäßig geringer Vorschussbetrag einzubehalten wäre. Orientierungshilfe bei der Entscheidung über den Einbehalt ist, dass der Durchschnittsbedarf eines gleichaltrigen Kindes gesichert ist. Ist dies nicht der Fall, ist in aller Regel der Einbehalt dem Grunde nach unzulässig (RIS-Justiz RS0076729). Welche monatliche Einbehaltungsrate angemessen ist, kann nur einzelfallbezogen beantwortet werden.
II.3.1 Zum Einbehalt von noch nicht ausgezahlten Nachzahlungsbeträgen bzw von durch Innehaltung angesammelten Beträgen:
§ 19 Abs 1, Schlussteil, UVG behandelt den Einbehalt aus zukünftig fällig werdenden Vorschussbeträgen und nimmt auf die Möglichkeit, über Nachzahlungsbeträge bzw innegehaltene Beträge zu verfügen, nicht Bedacht (RIS-Justiz RS0076694). Ein Einbehalt von den durch die Innehaltung angesammelten Beträgen (Nachzahlungsbeträgen) wird daher idR als zulässig angesehen, weil es nicht im Sinn des Gesetzes sein kann, ungerechtfertigte Vorschüsse auszuzahlen, nur um sie wieder zurückzufordern. Dadurch wird es zumeist nicht zu einer Gefährdung des notwendigen Unterhalts des Kindes kommen, weil der laufende Vorschuss nicht geschmälert wird.
II.3.2 Bei niedriger Vorschusshöhe wurde aber auch ein Einbehalt aus Nachzahlungsbeträgen abgelehnt. In der Entscheidung 1 Ob 145/06i sah der Oberste Gerichtshof einen derartigen Einbehalt dann als unzulässig an, wenn schon die ursprünglichen Titelvorschüsse weit unter dem Durchschnittsbedarf gelegen sind und den Aufwand für den notwendigen Unterhalt bei weitem nicht abgedeckt haben. Der Oberste Gerichtshof führte aus, die Nachzahlungsbeträge wären erforderlich, um den Unterhalt der Kinder – auf mehrere Monate verteilt – den Regelbedarfssätzen ein wenig anzunähern. Jeder Abzug von den durch den Bund zu leistenden Nachzahlungen würde die prekäre Unterhaltslage prolongieren. Maßgebend sei ferner, dass auch in Zukunft die laufenden Unterhaltsvorschüsse (in der ursprünglichen Höhe) erheblich unter den Regelbedarfssätzen lägen (1 Ob 145/06i; zustimmend Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 19 UVG Rz 11 zustimmend auch. Neuhauser in Deixler-Hübner, Handbuch Familienrecht [2015] 449).
II.4 Die Entscheidung des Rekursgerichts hält sich im Rahmen der vom Obersten Gerichtshof dargelegten Grundsätze. Wenn das Rekursgericht davon ausging, dass auch im vorliegenden Fall die Höhe der bisher und zukünftig gewährten Unterhaltsvorschussbeträge erheblich (nämlich um 152 EUR) unter dem Regelbedarfssatz gleichaltriger Kinder liegt und diese Unterhaltslage durch einen Abzug vom Nachzahlungsbetrag weiter verschärft würde, wodurch es zu einer Gefährdung des notwendigen Unterhalts des Kindes käme, stellt dies keine Überschreitung des Beurteilungsspielraums dar. Eröffnet die Beurteilung des Einbehalts von Nachzahlungsbeträgen einen Ermessensspielraum, können die Rekursgerichte innerhalb dessen Grenzen vertretbar zu unterschiedlichen Lösungen gelangen. In solchen Fällen würde eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG nur dann aufgeworfen, wenn die Entscheidung auf einer gravierenden Fehlbeurteilung beruht (RIS-Justiz RS0116241). Eine solche ist nicht zu erkennen.
Da im Revisionsrekurs auch sonst keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG angesprochen wird, ist er als unzulässig zurückzuweisen.
Textnummer
E123360European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0100OB00071.18S.1023.000Im RIS seit
05.12.2018Zuletzt aktualisiert am
21.05.2019