Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr.
Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Dr. Stefula sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug und Mag. Andrea Komar als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei O***** S*****, vertreten durch Brandstätter Scherbaum Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei Stadt Wien, 1082 Wien, Rathaus, vertreten durch Mag. Dieter Kieslinger, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, über die
außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. Juli 2018, GZ 8 Ra 10/18a-40, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die
außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO
zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).
Text
Begründung:
Der Kläger stand seit 1. 1. 1992 in einem unbefristeten Dienstverhältnis zur Beklagten, auf das die Wiener Vertragsbedienstetenordnung 1995 (VBO 1995) anzuwenden ist. Er wurde ursprünglich in die Bedienstetengruppe der Arbeiter der Verwendungsgruppe 4 eingereiht. Mit Wirksamkeit vom 1. 7. 2001 wurde er in die Bedienstetengruppe der Müllaufleger der Verwendungsgruppe 3 überstellt. Er ist seitdem bei der Magistratsabteilung 48 als Müllaufleger beschäftigt. Mit ihm am 17. 7. 2015 zugegangenem Schreiben vom 15. 7. 2015 kündigte die Beklagte das Dienstverhältnis zum 31. 12. 2015 unter Hinweis auf § 42 Abs 2 Z 2 VBO 1995.
Der Kläger unterzog sich nach 2005 und 2012 am 1. 4. 2015 zum dritten Mal einer Operation an der Lendenwirbelsäule. Er war am 17. 7. 2015 nicht in der Lage, die Tätigkeit eines Müllauflegers auszuüben und es war zu erwarten, dass er dazu auch in der Zukunft nicht in der Lage sein werde. Weiters war von künftigen Krankenständen im Ausmaß von etwa zwei Monaten pro Jahr auszugehen. Dem Kläger sind seit Herbst 2015 wieder leichte bis zumindest halbschichtig verteilt mittelschwere und gelegentlich darüber hinausgehende Tätigkeiten möglich. Er ist aufgrund seiner orthopädischen Einschränkungen aber auch ab Herbst 2015 nicht in der Lage, die Tätigkeit eines Müllauflegers auszuüben.
Der Kläger wurde im Jahr 2012 für einige Wochen sowie vom 22. 4. 2014 bis 10. 6. 2014 und ab 26. 1. 2015 vereinbarungsgemäß bis zur vollkommenen Genesung bei den sogenannten „Waste Watcher“ als „Waste Watcher Zeuge“ zugeteilt. Ab 9. 3. 2015 war er (erneut) im Krankenstand. „Waste Watcher“ sind Überwachungsorgane nach dem Wiener Reinhaltegesetz. Die Tätigkeit eines „Waste Watcher Zeugen“ wurde auf Ersuchen der Personalvertretung für Mitarbeiter eingeführt, die davor längere Zeit im Krankenstand waren und bei ihrer Rückkehr in den Dienst dort vorübergehend, in der Regel ca für zwei oder maximal drei Monate, eingesetzt werden, ehe sie wieder körperlich imstande sind, ihren üblichen Dienst zu verrichten. Ein „Waste Watcher“ Zeuge begleitet einen „Waste Watcher“ im Außendienst und entfaltet darüber hinaus keine eigene Tätigkeit. Er darf insbesondere nicht behördlich auftreten und keine Anzeigen oder Organstrafverfügungen ausstellen, sondern steht dem „Waste Watcher“ nur als Zeuge zur Verfügung. Den Dienstposten eines „Waste Watcher“ Zeugen gibt es nicht.
Das auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses lautende Klagebegehren blieb in beiden Vorinstanzen erfolglos.
Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche
Revision mangels einer Rechtsfrage von der im § 502 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG geforderten Qualität für nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
In seiner außerordentlichen Revision zeigt der Kläger keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO, die zu einer Abänderung des Berufungsurteils zu führen hätte, auf:
1.
Gemäß § 42 Abs 1 VBO 1995 kann das auf unbestimmte Zeit eingegangene Dienstverhältnis von jedem Vertragsteil schriftlich gekündigt werden, wenn es bei Ausspruch der Kündigung mindestens drei Jahre gedauert hat, von der Gemeinde aber nur unter Angabe eines Grundes. Ein solcher liegt nach Abs 2 Z 2 leg cit vor, „wenn der Vertragsbedienstete für die Erfüllung seiner Dienstpflichten gesundheitlich ungeeignet ist“. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn er nicht mehr die für die Erfüllung seiner dienstlichen Aufgaben erforderliche gesundheitliche Eignung besitzt. Ob dies der Fall ist, ist eine Rechtsfrage (9 ObA
153/17s [Punkt 1]; 9 ObA 70/18m [Punkt 1 und 3]).
2. Zu 8 ObA 222/95 wurde ausgesprochen, dass der klare Wortlaut der Bestimmung des § 37 Abs 2 Z 2 Wiener VBO – dem nun § 42 Abs 2 Z 2 VBO 1995 entspricht – nur dahin zu verstehen ist, dass es auf die Erfüllung bzw Nichterfüllung der dem Vertragsbediensteten übertragenen Dienstpflichten und nicht auf die Möglichkeit ersprießlicher Arbeitsleistung auf irgendeinem anderen Dienstposten des Dienstgebers ankommt. In der Entscheidung 9 ObA 127/12k (mwN) = wbl 2013/121 (Mayer) wurde festgehalten, dass Dienstunfähigkeit iSd § 27 Z 2 AngG bzw Arbeitsunfähigkeit iSd § 82 lit b GewO 1859 bereits dann vorliegt, wenn der Arbeitnehmer zur Erbringung der vertraglich vereinbarten Arbeitsleistung gänzlich unfähig und daher für diese schlechthin unverwendbar ist. Für diese Beurteilung ist nach dieser Entscheidung allein der konkrete Arbeitsplatz maßgeblich; der Arbeitgeber ist daher auch im Rahmen seiner Fürsorgepflicht grundsätzlich nicht verpflichtet, den dauernd dienstunfähigen Arbeitnehmer in einer anderen als der arbeitsvertraglich geschuldeten Verwendung zu beschäftigen.
Ob die Voraussetzungen der „Dienstunfähigkeit“ iSd § 42 Abs 2 Z 2 VBO 1995 erfüllt sind, ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (
RIS-Justiz
RS0081880 [T9]). Wenn die Vorinstanzen dem Kläger Dienstunfähigkeit iSd § 42 Abs 2 Z 2 VBO 1995 attestieren, so vermögen die Argumente der Revision nicht darzustellen, inwieweit dies nicht jedenfalls vertretbar wäre.
3. Dass er „gesundheitlich nicht mehr in seiner eigentlichen Aufgabe als Müllaufleger verwendet werden kann“, gesteht der Kläger in seiner außerordentlichen Revision in Punkt 1.1. selbst zu. Er vertritt aber die Ansicht, dass ihm bereits eine andere Arbeit dienstlich zugeteilt und von ihm auch ausgeführt worden sei, nämlich jene eines „Waste Watcher“ Zeugen, sodass nur mehr eine „partielle Dienstunfähigkeit“ anzunehmen sei und in Folge dessen die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, ihm tunlichst auch leichtere Arbeit zuzuweisen. Die Beklagte habe im Verfahren bis zuletzt nicht vorgebracht, dass es bei ihr keine einzige Einsatzmöglichkeit mit leichteren, ihm noch gesundheitlich möglichen Arbeiten gegeben hätte.
3.1. In der Entscheidung 9 ObA 43/13h, auf welche sich der Kläger maßgeblich stützt, war eine bei der Stadt Wien beschäftigte Straßenbahnfahrerin aufgrund einer Reizdarmsymptomatik und immer wieder auftretendem Durchfall nicht mehr in der Lage, Straßenbahnen zu fahren. Sie wurde daraufhin ab 3. 8. 2009 bis zu ihrer mit Schreiben vom 22. 10. 2010 gemäß § 42 Abs 2 Z 2 VBO 1995 zum 31. 3. 2011 erfolgten Kündigung als Bürohelferin im Innendienst eingesetzt. Der Oberste Gerichtshof sprach aus, dass es zur Beurteilung der Frage, ob die Klägerin im Kündigungszeitpunkt zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten gesundheitlich ungeeignet war, keine Rolle spiele, für welche Dauer die Dienstzuweisung gedacht gewesen sei, denn gleich, ob man annehme, dass ihre Tätigkeit im Bürohilfsdienst ohnehin noch vom ursprünglichen Arbeitsvertrag gedeckt gewesen sei und daher innerhalb der Diskretionsgewalt der Beklagten gelegen sei oder ob man davon ausgehe, dass ihre vertragliche Verwendung als Straßenbahnfahrerin einer (vorübergehenden) Vertragsänderung unterlegen sei, habe die Klägerin in jedem Fall auch mit ihrer Tätigkeit im Bürohilfsdienst – allenfalls vorübergehende – Dienstpflichten erfüllt. Danach könne aber nur eine partielle Dienstunfähigkeit der Klägerin angenommen werden, weil sie zwar nicht mehr im Straßenbahnfahrdienst einsetzbar sei, jedoch Bürohilfsdienste versehen könne.
3.2. Anders als in jenem Fall, in welchem der Klägerin die Tätigkeit einer Bürohelferin zugewiesen wurde, welche an sich auch durchaus unbefristet – im Prinzip bis zur Pensionierung – ausgeübt werden kann, war hier die zugewiesene Tätigkeit eine solche, die allein geschaffen wurde, um für maximal drei Monate die Zeit bis zur Wiedererlangung der Gesundheit, die der jeweilige Dienstnehmer benötigt, um den üblichen Dienst zu verrichten, zu überbrücken.
Die Fürsorgepflicht des Dienstgebers geht nach ständiger Rechtsprechung nicht so weit, für den dauernd und nicht nur krankheitshalber vorübergehend nicht voll einsatzfähigen Vertragsbediensteten durch eine neue Arbeitsverteilung einen dem Rest seiner Arbeitskraft entsprechenden neuen Posten auf Dauer schaffen zu müssen (RIS-Justiz RS0031393). Es handelt sich bei der Zuweisung der Tätigkeit eines „Waste Watcher“ Zeugen offenkundig – und auch für den Kläger erkennbar – allein um eine soziale Maßnahme der Stadt Wien, sodass aus der Zuweisung des Klägers zu dieser Tätigkeit keine Änderung seiner Dienstpflicht (Müllaufleger) und damit aus seiner Eignung, der Tätigkeit eines „Waste Watcher“ Zeugen nachzukommen, auch keine bloß partielle Dienstunfähigkeit abgeleitet werden kann.
Dass nach der Rechtsprechung den Arbeitgeber keine Verpflichtung trifft, einen Arbeitnehmer, der seine dienstvertraglich vereinbarte Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann, außerhalb der vertraglichen vereinbarten Tätigkeit weiterzubeschäftigen (9 ObA 165/13z = DRdA 2015/14 [krit Auer-Mayer] = EvBl 2014/144 [Gerhartl] = RIS-Justiz RS0129453 [T2]), und dass eine Krankheit allein auch keinen Diskriminierungstatbestand erfüllt (8 ObA 62/15y = DRdA 2016/27 [A. Mair]), stellt der Kläger in der außerordentlichen Revision nicht in Frage. Ausgehend davon, dass der Kläger unstrittig dauerhaft seiner insoweit in ihrem Umfang auch nicht in Zweifel gezogenen vertraglichen Dienstpflicht – als Müllaufleger – nicht mehr nachkommen kann, ist die Abweisung seiner Klage nicht korrekurbedürftig.
Im Übrigen hat das Erstgericht umfangreiche Feststellungen zu den Vermittlungsbemühungen der Beklagten getroffen, auf die sich die Beklagte in ihrer Berufungsbeantwortung auch gestützt hat (§ 63 ASGG).
4. Mangels einer entscheidungsrelevanten Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers daher zurückzuweisen.
Textnummer
E123362European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:008OBA00056.18W.1024.000Im RIS seit
05.12.2018Zuletzt aktualisiert am
12.12.2019