TE OGH 2018/10/24 3Ob206/18t

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Veröffentlicht am 24.10.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.

 Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Roch und Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei S*****, vertreten durch Mag. Dr. Edwin Mächler, Rechtsanwalt in Graz, gegen die verpflichtete Partei Verlassenschaft nach K*****, vertreten durch die Verlassenschaftskuratorin I*****, diese vertreten durch Schmid & Horn Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 36.410,08 EUR, u?ber den Revisionsrekurs der betreibenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 29. Mai 2018, GZ 4 R 67/18d-10, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Graz-West vom 1. März 2018, GZ 409 E 112/14s-5, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die betreibende Partei ist schuldig, der verpflichteten Partei die mit 2.197,98 EUR (darin enthalten 366,33 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Am 15. Jänner 2014 bewilligte das Erstgericht der Betreibenden zur Hereinbringung ihrer vollstreckbaren Forderung von 36.410,08 EUR aufgrund des Bescheids der Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung vom 14. Oktober 2013 die zwangsweise Pfandrechtsbegru?ndung gegen die Verpflichtete ob deren Liegenschaftsanteilen.

Die Verpflichtete beantragte am 13. Februar 2018 die Einstellung des Exekutionsverfahrens und Lo?schung des zwangsweise einverleibten Pfandrechts unter Hinweis auf §§ 707a Abs 2 und 330a ASVG.

Die Betreibende sprach sich dagegen aus und berief sich darauf, bis 31. Dezember 2017 rechtskra?ftig abgeschlossene Kostenru?ckersatzverfahren fu?r bis dahin erbrachte Leistungen seien von den Regelungen der §§ 707a und 330a ASVG unangetastet geblieben und weiterhin vollstreckbar.

Das Erstgericht verwies die verpflichtete Partei mit ihrem Einstellungsantrag auf den Rechtsweg (§ 40 Abs 2 EO).

Das Rekursgericht änderte diesen Beschluss über Rekurs der Verpflichteten dahin ab, dass es die bewilligte zwangsweise Pfandrechtsbegründung über deren Antrag einstellte und die Anordnungen im Grundbuch dem Erstgericht überließ. Fu?r die Entscheidung u?ber den Einstellungsantrag seien nur Rechtsfragen zu lo?sen. Man müsse §§ 303a, 707a ASVG den Regelungszweck unterstellen, die Unzula?ssigkeit jeder weiteren Rechtsverfolgung anzuordnen, selbst wenn bereits ein vollstreckbarer Titel daru?ber bestehe. Nach dem 31. Dezember 2017 solle nichts mehr geltend gemacht oder durchgesetzt werden. Die Einstellungsanordnung des § 707a ASVG bezwecke die mo?glichst umfassende – auch ru?ckwirkende – verfahrensrechtliche Folge der nunmehrigen Unzula?ssigkeit der Geltendmachung von Pflegekostenru?ckersatz.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei mangels Rechtsprechung zu §§ 330a, 707a ASVG, insbesondere im Hinblick auf schon vor dem 1. Jänner 2018 rechtskra?ftig bewilligte Exekutionsverfahren, zulässig.

Die Betreibende beruft sich in ihrem Revisionsrekurs im Wesentlichen darauf, es sei nicht Intention des Gesetzgebers gewesen, bereits in der Vergangenheit begründete Rechte Privater abzuerkennen; die §§ 303a, 707a ASVG entfalteten daher auf den vorliegenden Sachverhalt keine Wirkung.

Die Verpflichtete erstattete eine Revisionsrekursbeantwortung, in der sie mit Hinweis auf eine jüngst ergangene Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs sowohl die Zulässigkeit als auch die Berechtigung des Revisionsrekurses bestreitet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Zunächst ist klarzustellen, dass auch eine Exekution durch zwangsweise Pfandrechtsbegründung mit der Eintragung des Pfandrechts als einzige Vollzugshandlung noch nicht beendet ist. Solange das exekutive Pfandrecht im Grundbuch einverleibt ist, ist eine Einstellung möglich (RIS-Justiz RS0001043; jüngst 3 Ob 206/15p mwN).

2. Zu prüfen ist, ob § 330a iVm § 707a Abs 2 ASVG die beantragte Einstellung des Exekutionsverfahrens trägt, oder ob diese auf eine analoge Anwendung eines Einstellungsgrundes nach § 39 EO gestützt werden kann.

2.1. Mit dem Sozialversicherungs-Zuordnungsgesetz (SV-ZG), BGBl I 2017/125, wurde § 330a in das ASVG eingefügt. Diese Bestimmung trägt die Überschrift „Verbot des Pflegeregresses“ und steht im Verfassungsrang. Sie hat folgenden Wortlaut:

„(Verfassungsbestimmung) Ein Zugriff auf das Vermögen von in stationären Pflegeeinrichtungen aufgenommenen Personen, deren Angehörigen, Erben/Erbinnen und Geschenknehmer/inne/n im Rahmen der Sozialhilfe zur Abdeckung der Pflegekosten ist unzulässig.“

2.2. Nach den Materialien (Begründung des Abänderungsantrags im Nationalrat, AA-225 25. GP 3) soll mit dieser Bestimmung der Pflegeregress verboten werden. Ihr Inkrafttreten regelt folgende, ebenfalls mit dem SV-ZG eingefügte Verfassungsbestimmung des § 707a Abs 2 ASVG:

„(Verfassungsbestimmung) § 330a samt Überschrift in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 125/2017 tritt mit 1. Jänner 2018 in Kraft. Ab diesem Zeitpunkt dürfen Ersatzansprüche nicht mehr geltend gemacht werden, laufende Verfahren sind einzustellen. Insoweit Landesgesetze dem entgegenstehen, treten die betreffenden Bestimmungen zu diesem Zeitpunkt außer Kraft. Nähere Bestimmungen über den Übergang zur neuen Rechtslage können bundesgesetzlich getroffen werden. [...].“

2.3. Nach den Materialien (Begründung des Abänderungsantrags im Nationalrat, AA-225 25. GP 3) soll mit dieser Übergangsregelung sichergestellt werden, dass ab dem Inkrafttreten sowohl laufende gerichtliche als auch verwaltungsbehördliche Verfahren eingestellt werden. Auch neue Rückzahlungsverpflichtungen sollen demnach nicht mehr auferlegt werden dürfen. Weiters wird angemerkt, dass die entgegenstehenden landesgesetzlichen Bestimmungen nur insoweit außer Kraft treten sollen, als sie sich auf den Zugriff auf das Vermögen von in stationären Pflegeeinrichtungen aufgenommenen Personen und ihrer Erben/Erbinnen und Geschenknehmer zur Abdeckung der Pflegekosten beziehen.

2.4. Die von der Betreibenden angesprochene Entscheidung 1 Ob 62/18a (ÖZPR 2018/78 [Pfeil] = EF-Z 2018/113 [A. Tschugguel]) ist im vorliegenden Fall nicht (unmittelbar) einschlägig, weil sie kein Exekutionsverfahren, sondern einen Zivilprozess betraf, in dem ein Pflegeregress geltend gemacht wurde. In dieser Entscheidung hielt der 1. Senat fest, dass das Verbot des Pflegeregresses nach § 330a ASVG auch vor dem 1. Jänner 2018 verwirklichte Sachverhalte erfasst und die (nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz) geänderte Rechtslage von Amts wegen auch noch im Rechtsmittelverfahren anzuwenden ist, was die Abweisung des Klagebegehrens nach sich zog, weil dem Regressbegehren nachträglich die materiell-rechtliche Grundlage entzogen wurde.

2.5. Das Schrifttum verneint überwiegend ein „Verbot des Pflegeregresses“ nach § 330a ASVG für bereits titulierte Forderungen bzw eine Anwendung der „Einstellungsanordnung“ des § 707a ASVG im Exekutionsverfahren. Dabei werden allerdings die beiden Fragen, ob sich ein Titelschuldner erfolgreich gegen einen Regress zur Wehr setzen kann und ob er verfahrensrechtlich dabei nur im eigentlichen Exekutionsverfahren handeln muss, nicht immer exakt getrennt.

2.5.1. Müllner vertritt die Ansicht, rechtskräftig abgeschlossene Kostenersatzverfahren würden von §§ 330a, 707a ASVG nicht angetastet (Müllner, Von der Abschaffung des Pflegeregresses und was darauf folgt, JRP 2017, 182 [191]). Die Verfassung verbiete die Geltendmachung neuer Ersatzansprüche nicht.

2.5.2. Nach Wetsch handle es sich bei einem vollstreckbaren Titel nicht mehr um ein laufendes Verfahren; eine (erfolgreiche) Geltendmachung vor 2017 wirke daher auch über 2018 hinaus (Wetsch, Zivilrechtliches zur Abschaffung des Pflegeregresses, Zak 2017, 364 [366]). Als Begründung führt sie ua den Zweck der Legisvakanz an, die den Ländern die Möglichkeit biete, angelaufene Forderungen noch geltend zu machen (Wetsch, Zak 2017, 365).

2.5.3. Pfeil geht davon aus, dass die Neuregelung im Fall eines exekutionsfähigen Titels ohne Auswirkung bleibe, und erwähnt auch bereits vor 2018 grundbücherlich sichergestellte Forderungen (Pfeil, Umsetzungsfragen für das „Verbot des Pflegeregresses“, ÖZPR 2017/109, 184 [185]; ders, Erste Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zur Reichweite des Verbots des Pflegeregresses, ÖZPR 2018, 125). Hier sei weder eine „Geltendmachung“ erforderlich noch liege ein „laufendes Verfahren“ vor. Als Begründung führt er ua die erst ab 1. Jänner 2018 zugesagte Ausgleichszahlung des Bundes an (Pfeil, ÖZPR 2018, 124 [125]).

2.5.4. Hiesel kommt zum gleichen Ergebnis, indem er verfassungsrechtlich argumentiert: Der Begriff „laufendes Verfahren“ in § 707a Abs 2 Satz 2 ASVG sei dahin auszulegen, dass das dieser Regelung immanente Spannungsverhältnis zum Gleichheitssatz minimiert und nicht maximiert werde. Dieses Ziel könne nur erreicht werden, wenn der Begriff im Sinn einer Beschränkung auf Verfahren zur Feststellung der Ersatzpflicht als solche, somit möglichst restriktiv verstanden werde (Hiesel, Pflegeregress – Ist eine restriktive Auslegung der Übergangsbestimmung verfassungsrechtlich geboten? ÖZPR 2018, 94). Nach rechtskräftiger Vorschreibung liege kein laufendes Verfahren im Sinn des § 707a Abs 2 Satz 2 ASVG vor. Ein neues Verfahren zur Durchsetzung der rechtskräftig festgestellten Verpflichtungen könne daher auch weiterhin eingeleitet werden (Hiesel, ÖZPR 2018, 95).

2.5.5. Demgegenüber muss nach Fucik/Mondel den §§ 330a, 707a ASVG der Regelungszweck unterstellt werden, die Unzulässigkeit jeder weiteren Rechtsverfolgung anzuordnen, selbst wenn bereits ein vollstreckbarer Titel darüber besteht. „Geltendmachung“ sei also in einem weiteren Sinn zu verstehen und nicht bloß auf ein Erkenntnisverfahren zu beziehen, sondern ebenso auf die Durchsetzung bereits zu Recht erkannter Ansprüche. Für die Berücksichtigung nachträglicher Unzulässigkeit sprächen sowohl der erkennbare Gesetzeszweck, die bisherige Regressbelastung so weitreichend wie möglich zu beseitigen, als auch die Überlegung, dass eine titulierte Forderung verjähren und danach nicht mehr in Exekution gezogen werden könne. Es solle nach dem 31. Dezember 2017 eben nichts mehr geltend gemacht oder durchgesetzt werden können. Nach dem 31. Dezember 2017 gestellte Anträge auf Exekution eines Pflegekostenersatzanspruchs seien daher zurückzuweisen und zu diesem Zeitpunkt schon bewilligte Exekutionen (von Amts wegen) einzustellen (Fucik/Mondel, Was bedeutet die Abschaffung des „Pflegeregresses“ für zivilgerichtliche Verfahren? SWK 2017, 1561 [1565]; siehe auch Fucik/Mondel, Abschaffung des „Pflegeregresses“ und Zivilverfahren – Eine gangbare Lösung für die Praxis, iFamZ 2017, 382 [385]).

2.5.6. In seiner Glosse zur Entscheidung 1 Ob 62/18a kritisiert A. Tschugguel die mit der „allzu lapidaren und unklaren Übergangsbestimmung“ verbundene Rechtsunsicherheit, äußert sich aber nicht zur Rechtslage bei einem vollstreckbaren Titel. Offen bleibe die Frage, wie das neue (regressfreie) Recht in Bezug auf bereits pfandrechtlich sichergestellte Pflegeforderungen auszulegen sei (A. Tschugguel, EF-Z 2018/113, 238).

2.6. Der Verfassungsgerichtshof hat jüngst in seiner Entscheidung vom 10. Oktober 2018, E 229/2018, Folgendes ausgesprochen:

„Dessen ungeachtet ist gemäß § 330a ASVG ein Zugriff auf das Vermögen von in stationären Pflegeeinrichtungen aufgenommenen Personen, deren Angehörigen, Erben/Erbinnen und Geschenknehmer/inne/n im Rahmen der Sozialhilfe zur Abdeckung der Pflegekosten
– selbst bei Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung, die vor dem 1. Jänner 2018 ergangen ist – jedenfalls unzulässig.“

Diese (wenn auch obiter und ohne weitere Begründung vertretene, jedoch unmissverständliche) Rechtsansicht bezieht auch titelmäßige Regressforderungen in das Verbot des Pflegeregresses ein. Diese Entscheidung trifft aber keine Aussage dazu, dass ein anhängiges Exekutionsverfahren (ohne weiteres Verfahren außerhalb der Exekution) einzustellen ist.

3. Zwar ist die rein verfahrensrechtliche Frage, ob das Rekursgericht die beantragte Einstellung der Exekution zu Recht ausgesprochen hat, von der inhaltlichen Problematik zu trennen, ob ein „Pflegeregress“ (Vermögenszugriff, Geltendmachung von Ersatzansprüchen) auch aufgrund eines vor 2018 entstandenen Exekutionstitels nicht mehr möglich ist. Die vom Verfassungsgerichtshof vorgenommene Auslegung der außergewöhnlichen Verfassungsbestimmung des § 330a ASVG lässt es aber konsequent erscheinen, in der Anordnung in § 707a ASVG, dass laufende Verfahren einzustellen sind, (auch) die Schaffung eines selbständigen, von den in der EO normierten unabhängigen Exekutionseinstellungsgrund zu erblicken, der mit einem Antragsrecht des Verpflichteten einhergeht.

Es ist unstrittig, dass der betriebene Anspruch Ersatzansprüche im Sinn des § 330a ASVG betrifft, daran anknüpfend sind die erforderlichen Voraussetzungen für die Einstellung nach § 707a ASVG gegeben. Der Verpflichteten war es im Titelverfahren (wegen der erst später erfolgten Rechtsänderung) naturgemäß nicht möglich, das Verbot des Pflegeregresses geltend zu machen.

Die Einstellung des Exekutionsverfahrens durch das Rekursgericht erfolgte daher zu Recht.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 78 EO iVm §§ 41 und 50 ZPO.

Textnummer

E123405

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0030OB00206.18T.1024.000

Im RIS seit

07.12.2018

Zuletzt aktualisiert am

11.12.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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