TE OGH 2018/10/30 2Ob189/18k

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Veröffentlicht am 30.10.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. R***** J***** und 2. F***** J***** P*****, beide *****, beide vertreten durch Dr. Martin Neuwirth und Dr. Alexander Neurauter, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. C***** B*****, Italien, 2. V***** SpA, *****, Italien, beide vertreten durch Dr. Andreas Weinzierl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 280.960,22 EUR sA und Feststellung (Streitwert 11.000 EUR), über den Revisionsrekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 27. August 2018, GZ 11 R 86/18z-36, mit welchem der Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 25. Mai 2018, GZ 22 Cg 38/17i-30, bestätigt wurde, in nicht öffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der erstbeklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 3.176,46 EUR bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung (darin 529,41 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Kläger nehmen die in Italien ansässigen Beklagten auf Schadenersatz wegen eines Verkehrsunfalls in Italien in Anspruch. Sie bringen vor, die Erstbeklagte sei die Halterin des Beklagtenfahrzeugs, die Zweitbeklagte die Haftpflichtversicherung. Die Zuständigkeit der österreichischen Gerichte ergebe sich nach der Rechtsprechung des EuGH (C-463/06, Odenbreit) aus Art 11 Abs 2 iVm Art 9 Abs 1 lit b EuGVVO (wegen der Klageeinbringung nach dem 10. Jänner 2015 richtig Art 13 Abs 2 iVm Art 11 Abs 1 lit b EuGVVO 2012). Diese Bestimmungen begründeten auch die Zuständigkeit gegen die Erstbeklagte, da sonst Halter und Lenker gesondert im Unfall- oder Wohnsitzstaat geklagt werden müssten.

Die Erstbeklagte wendet internationale Unzuständigkeit ein. Art 13 Abs 2 iVm Art 11 Abs 1 lit b EuGVVO 2012 begründe nur die Zuständigkeit für eine Direktklage gegen eine Haftpflichtversicherung, hier also gegen die Zweitbeklagte. Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nach Art 8 Nr 1 EuGVVO 2012 sei nur anwendbar, wenn einer der Beklagten im Staat des angerufenen Gerichts ansässig sei. Das treffe hier nicht zu, weil auch der Sitz der Zweitbeklagten nicht in Österreich, sondern in Italien liege.

Das Erstgericht wies die gegen die Erstbeklagte erhobene Klage zurück. Der Klägergerichtsstand nach Art 13 Abs 2 iVm Art 11 Abs 1 lit b EuGVVO 2012 gelte nur für Direktklagen gegen einen Haftpflichtversicherer; der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nach Art 8 Nr 1 EuGVVO 2012 setze voraus, dass einer der Beklagten über einen Wohnsitz in Österreich verfüge. Die von den Klägern angestellten Zweckmäßigkeitserwägungen könnten an diesem eindeutigen Auslegungsergebnis nichts ändern.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu.

Die Rechtsansicht des Erstgerichts sei durch den Wortlaut der anwendbaren Bestimmungen der EuGVVO 2012 gedeckt; sie entspreche auch einer Entscheidung des deutschen Bundesgerichtshofs zu einem vergleichbaren Fall (VI ZR 279/14). Eine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung liege dennoch vor, weil sich der Oberste Gerichtshof bisher noch nicht mit dieser Frage befasst habe.

In ihrem Revisionsrekurs beantragen die Kläger, die Unzuständigkeitseinrede zu verwerfen und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens aufzutragen. Die Zuständigkeit der österreichischen Gerichte ergebe sich insbesondere aus Art 13 Abs 3 EuGVVO 2012, wonach dann, wenn das für die unmittelbare Klage maßgebende Recht die Streitverkündung gegen den Versicherungsnehmer oder Versicherten vorsehe, das Gericht am Wohnsitz des Geschädigten auch für Klagen gegen diese Personen zuständig sei.

Die Erstbeklagte beantragt in der Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben. Art 13 Abs 3 EuGVVO 2012 regle nur die (in der deutschen Fassung als Streitverkündung bezeichnete) Interventionsklage des Versicherers gegen den Versicherungsnehmer oder Versicherten und begründe daher keinen (weiteren) Klägergerichtsstand des Geschädigten.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

1. Die Kläger hatten sich in ihrer Klage auf die Zuständigkeitsbestimmungen der EuGVVO 2001 gestützt. Da sie die Klage nach dem 10. Jänner 2015 eingebracht hatten, sind nach Art 66 Abs 1 EuGVVO 2012 richtigerweise schon die Bestimmungen dieser neuen Verordnung anzuwenden. Allerdings kann auf Rechtsprechung und Lehre zu den Vorgängerbestimmungen zurückgegriffen werden, weil die relevanten Regelungen unverändert geblieben sind.

2. Aus der Rechtsprechung des EuGH ergibt sich, dass der Geschädigte den Haftpflichtversicherer nach (nunmehr) Art 13 Abs 2 iVm Art 11 Abs 1 lit b EuGVVO 2012 an seinem Wohnsitz klagen kann, wenn eine solche Direktklage zulässig ist (C-463/06, Odenbreit; zur Klagebefugnis mittelbar Geschädigter zuletzt C-340/16, KABEG; 2 Ob 149/17a). Art 13 Abs 2 EuGVVO begründet aber schon nach seinem Wortlaut nur einen Gerichtsstand für Klagen gegen den Versicherer. Das entspricht dem vom EuGH betonten Zweck der besonderen Vorschriften in Versicherungssachen, die dem (jeweiligen) Gegner des Versicherers als typischerweise schwächerer Partei besonderen zuständigkeitsrechtlichen Schutz gewähren (C-412/98, Groupe Josi, Rz 64; C-463/06, Odenbreit, Rz 28; C-340/16, KABEG, Rz 28). Weder Wortlaut noch Zweck dieser Bestimmungen erfasst die Klage gegen den Lenker oder Halter eines Kraftfahrzeugs (BGH VI ZR 279/14 mwN).

3. Auf den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nach Art 8 Nr 1 EuGVVO 2012 können sich die Kläger schon deswegen nicht stützen, weil dessen Anwendung nach dem eindeutigen Wortlaut der Bestimmung den Wohnsitz eines der Beklagten im Staat des angerufenen Gerichts voraussetzt (EuGH C-51/97, Réunion européenne SA; für einen mit dem vorliegenden vergleichbaren Sachverhalt BGH VI ZR 279/14 mwN; Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR [2016] Art 8 Brüssel Ia-VO Rz 18; Wittwer in Mayr, Europäisches Zivilverfahrensrecht [2017] Rz 3.363). Das bloße Interesse an einer einheitlichen Entscheidung kann die Anwendung von Art 8 Nr 1 EuGVVO 2012 bei Fehlen eines Wohnsitzes im Gerichtsstaat nicht rechtfertigen; auch die Regelung zu konnexen Verfahren (nunmehr Art 30 EuGVVO 2012) begründet keinen allgemeinen Gerichtsstand des Sachzusammenhangs (EuGH Rs 150/80, Elefanten Schuh; C-51/97, Réunion européenne SA; Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR Art 30 Brüssel Ia-VO Rz 1 mwN).

4. Auch der im Revisionsrekurs ausführlich erörterte Art 13 Abs 3 EuGVVO 2013 führt zu keiner anderen Beurteilung.

4.1. Der bereits zitierte Art 13 Abs 2 EuGVVO 2012 sieht vor, dass die Art 10, 11 und 12 EuGVVO 2012 auch auf eine „unmittelbare Klage“ des Geschädigten gegen den Versicherer anzuwenden sind. Daran anschließend lautet Art 13 Abs 3 EuGVVO 2012 wie folgt:

Sieht das für die unmittelbare Klage maßgebliche Recht die Streitverkündung gegen den Versicherungsnehmer oder den Versicherten vor, so ist dasselbe Gericht auch für diese Personen zuständig.

Si la loi relative à cette action directe prévoit la mise en cause du preneur d’assurance ou de l’assuré, la même juridiction sera aussi compétente à leur égard.

If the law governing such direct actions provides that the policyholder or the insured may be joined as a party to the action, the same court shall have jurisdiction over them.

Der deutsche Wortlaut dieser Bestimmung stellt auf eine „Streitverkündung“ ab, worunter im österreichischen und deutschen Verfahrensrecht die Verständigung eines Dritten von der Anhängigkeit eines Rechtsstreits verstanden wird, die unter Umständen zu einer Bindung des Dritten an die Ergebnisse des Prozesses führt (1 Ob 2123/96d SZ 70/60 [verst Senat]; RIS-Justiz RS0107338; im deutschen Recht ausdrücklich angeordnet in § 74 Abs 3 iVm § 68 dZPO). Ein vollstreckbarer Titel wird gegen den Dritten allerdings nicht geschaffen. Damit unterscheidet sich die Streitverkündung von einer Interventions- oder Gewährleistungsklage iSv Art 8 Nr 2 EuGVVO, mit der (typischerweise) der Beklagte am Gerichtsstand des Hauptprozesses einen möglichen Regressanspruch gegen einen Dritten klagsweise geltend macht (Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR [2016] Art 8 Brüssel Ia-VO Rz 27; Wittwer in Mayr, Europäisches Zivilverfahrensrecht Rz 3.375; beide mwN).

4.2. In Teilen des Schrifttums wird allerdings zutreffend aufgezeigt, dass die deutsche Fassung von Art 13 Abs 3 EuGVVO 2012 missverständlich ist. Denn jedenfalls die englische und französische Fassung erfassen auch (und zwar sogar primär) Interventionsklagen iSv Art 8 Nr 2 EuGVVO 2012 (Schlosser/Hess, EU-Zivilprozessrecht4 [2015] Art 13 EuGVVO Rz 2; zur parallelen Regelung im LGVÜ Oetiker/Jenny, Basler Kommentar zum LGVÜ2 [2016] Art 11 Rz 36: „Streitverkündungsklage“ nach Art 81 f schwZPO). Diese Auslegung wird auch dadurch gestützt, dass Art 14 Abs 1 EuGVVO 2012, der für Klagen des Versicherers grundsätzlich die Zuständigkeit des Wohnsitzstaates des jeweils Beklagten vorsieht, einen Vorbehalt zugunsten Art 13 Abs 3 EuGVVO 2012 enthält. Daraus folgt, dass (auch) die letztgenannte Bestimmung die Zuständigkeit für eine – auf Schaffung eines vollstreckbaren Titels gerichtete – Klage begründen kann. Allerdings setzt das schon nach dem Wortlaut der Bestimmung voraus, dass das „für die Direktklage maßgebliche Recht“ eine solche Vorgangsweise vorsieht.

4.3. Im Schrifttum ist strittig, ob das „für die Direktklage maßgebliche Recht“ die lex fori des angerufenen Gerichts oder die lex causae des geltend gemachten Anspruchs ist (Nachweise bei Simotta in Fasching/Konecny2 Art 11 EuGVVO Rz 25, und Staudinger in Rauscher, EuZPR/EuIPR Art 13 Brüssel Ia-VO Rz 12). Darauf kommt es hier aber nicht an, weil Art 13 Abs 3 EuGVVO 2012 jedenfalls nur Streitverkündungen oder Klagen des Versicherers erfasst.

(a) Der Zweck von Art 13 Abs 3 EuGVVO 2012 liegt darin, dem nach Art 13 Abs 2 EuGVVO 2012 mit Direktklage in Anspruch genommenen Versicherer zu ermöglichen, durch Streitverkündung für allfällige Regressansprüche gegen den Versicherten oder Versicherungsnehmer eine Bindungswirkung zu schaffen (ausführlich Staudinger in Rauscher, EuZPR/EuIPR Art 13 Brüssel Ia-VO Rz 13a; Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht9 [2011] Art 11 EuGVVO Rz 5; ebenso ua Gottwald in MüKo ZPO5 [2017] Art 13 Brüssel Ia-VO Rz 8; Simotta in Fasching/Konecny2 Art 11 EuGVVO Rz 24; Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht3 [2012] Art 11 EuGVVO Rz 22; zum LGVÜ Schnyder in Dasser/Oberhammer, Lugano-Übereinkommen2 [2011] Art 11 Rz 16) oder insofern – soweit nach dem „maßgeblichen“ Recht möglich – schon im Rahmen des Hauptprozesses mit Interventionsklage einen vollstreckbaren Titel zu erwirken (Schlosser/Hess, EU-Zivilprozessrecht4 Art 13 EuGVVO Rz 2; Oetiker/Jenny, Basler Kommentar zum LGVÜ2 Art 11 Rz 36). Beides dient dazu, einander widersprechende Entscheidungen über die Haupt- und die Regressforderung zu vermeiden. Dieser Regelungszweck wird schon im Bericht von Jenard zu Art 10 Abs 3 EuGVÜ 1968 (nunmehr Art 13 Abs 3 EuGVVO 2012) genannt (ABl C 1979/59, 32). Auch nach Jenard erfasst die nun in Art 13 Abs 3 EuGVVO 2012 enthaltene Regelung nur die Rechtsverfolgung durch den mit Direktklage in Anspruch genommenen Versicherer.

(b) Dieses Ergebnis folgt auch aus systematischen Erwägungen: Eine Regressklage des Versicherers gegen den Versicherungsnehmer oder Versicherten und damit auch eine insofern erfolgende Streitverkündung beruht auf dem Versicherungsvertrag und ist daher jedenfalls eine Versicherungssache iSd Art 10 ff EuGVVO 2012. Damit ist Art 13 Abs 3 EuGVVO 2012 jedenfalls anwendbar. Hingegen beruhen der Anspruch des Geschädigten gegen den gegnerischen Halter und Lenker ausschließlich auf dem allgemeinen Schadenersatzrecht. Der Umstand, dass diese Personen typischerweise zugleich Versicherte einer (Pflicht-)Haftpflichtversicherung sind, macht diesen Anspruch nicht zu einer Versicherungssache. Es wäre daher systemwidrig, ihn dennoch dem Regime von Art 13 Abs 3 EuGVVO 2012 zu unterstellen. Zudem verkehrte sich dadurch der Schutzzweck der Art 10 ff EuGVVO in sein Gegenteil: Grundsätzlich können Versicherungsnehmer, Versicherte und Begünstigte als schwächere Parteien nur in ihrem eigenen Wohnsitzstaat geklagt werden (Art 14 EuGVVO 2012). Sieht das anwendbare Recht aber eine Direktklage gegen ihren Haftpflichtversicherer vor, müssten sie gerade wegen des Bestehens dieser Haftpflichtversicherung damit rechnen, nach Art 13 Abs 3 EuGVVO 2012 auch bei einem Inlandsunfall in allen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf Schadenersatz in Anspruch genommen zu werden. Die besonderen Zuständigkeitsregeln in Versicherungssachen führten daher in diesem Fall zu einer deutlichen Verschlechterung ihrer zivilprozessualen Stellung. Dieses Ergebnis kann dem europäischen Gesetzgeber nicht zugesonnen werden.

(c) Auch wertungsmäßig ist kein Grund erkennbar, weshalb (auch) Halter und Lenker wegen ihrer Eigenschaft als Versicherte im Wohnsitzstaat des Geschädigten gerichtspflichtig werden sollten. Das Interesse des Geschädigten an einer einfachen Schadensabwicklung ist regelmäßig durch die nach der Rechtsprechung des EuGH unter Art 13 Abs 2 EuGVVO 2012 fallende Direktklage gegen den Haftpflichtversicherer gewahrt. Dem Versicherer kann wegen seiner wirtschaftlichen Stärke die Rechtsverteidigung im Ausland zugemutet werden; Lenker und Halter hingegen typischerweise nicht. Die im Revisionsrekurs angesprochene Möglichkeit, dass der Versicherer insolvent werden könnte, rechtfertigt es nicht, die Zuständigkeit der Gerichte am Wohnsitz des Geschädigten auch auf dessen außervertraglichen Schadenersatzanspruch gegen haftpflichtige Personen (als Versicherte) zu erstrecken.

(d) Das Interesse an der Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen kann ein solches Verständnis von Art 13 Abs 3 EuGVVO 2012 ebenfalls nicht tragen. Dieses Interesse rechtfertigt zwar die Möglichkeit des Versicherers, den Versicherungsnehmer oder Versicherten im Fall eines kranken Versicherungsverhältnisses – also bei Leistungspflicht gegenüber dem Geschädigten trotz fehlender Deckungspflicht gegenüber dem Versicherungsnehmer oder Versicherten – nach Art 13 Abs 3 EuGVVO 2012 beim Gericht des Hauptprozesses mit Streitverkündung oder Interventionsklage zu belangen. Selbst hier wird jedoch im Schrifttum die Meinung vertreten, dass eine teleologische Reduktion auf für den Versicherungsnehmer oder Versicherten vorhersehbare Gerichtsstände erforderlich sei, was jedenfalls den Klägergerichtsstand des Geschädigten nach Art 13 Abs 2 iVm Art 11 Abs 1 lit b EuGVVO 2012 ausschließe (Fuchs, Internationale Zuständigkeit für Direktklagen, IPRax 2008, 104 [107]; Staudinger in Rauscher, EuZPR/EuIPR [2016] Art 13 Brüssel Ia-VO Rz 13b). Zudem ist das Interesse an der Verhinderung einander widersprechender Entscheidungen über Ansprüche, die der Geschädigte einerseits gegen den Haftpflichtversicherer und andererseits gegen nach allgemeinem Zivilrecht Haftende erhebt, deutlich geringer als im Fall eines kranken Versicherungsverhältnisses, da der Geschädigte ohnehin alle Schuldner am Ort der Schadenszufügung (Art 7 Nr 2 und Art 12 EuGVVO 2012) oder an einem der Beklagtenwohnsitze (Art 8 Nr 1 EuGVVO 2012) klagen kann. Die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen im – zudem unwahrscheinlichen – Fall einer weiteren Klage gegen den zivilrechtlich Haftenden entsteht also allein durch die prozessuale Disposition des Klägers, gegen den Haftpflichtversicherer die Zuständigkeit nach Art 13 Abs 2 iVm Art 11 Abs 1 lit b EuGVVO 2012 in Anspruch zu nehmen.

5. Ein Vorabentscheidungsersuchen ist in diesem Zusammenhang nicht erforderlich.

(a) Die Unanwendbarkeit von Art 8 Nr 1 EuGVVO 2012 ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut dieser Bestimmung, sondern auch aus der Rechtsprechung des EuGH (oben Punkt 3). In Bezug auf Art 13 Abs 2 und Abs 3 EuGVVO 2012 ist die Rechtslage so eindeutig (oben Punkte 2 und 4), dass kein vernünftiger Zweifel an der richtigen Auslegung besteht (zu diesem Kriterium für die Vorlagepflicht C-495/03, Intermodal Transport, und C-379/15, Association France Nature Environnement).

(b) Zwar hat der englische Court of Appeal (Civil Division) in Gerhard Maher and Daniela Maher v. Groupama Grand Est (2009 EWCA Civ 1191) die Auffassung vertreten, das Interesse an Entscheidungseinklang sei ein „strong argument“ dafür, dass auch der Geschädigte den Versicherten nach Art 13 Abs 3 EuGVVO 2012 an seinem Wohnsitz klagen könne (Rz 21). Dabei handelte es sich jedoch um ein – zudem nicht weiter begründetes – obiter dictum, da die Klage im konkreten Fall nur gegen den Versicherer gerichtet war; zudem bezeichnete auch das Gericht diese Frage in weiterer Folge als „irrelevant in this case“ (Rz 22). Nicht tragende und vor allem nicht näher begründete Ausführungen eines zweitinstanzlichen Gerichts aus einem anderen Mitgliedstaat können aber bei sonst eindeutiger Rechtslage nicht zu einer Vorlagepflicht führen (vgl C-495/03, Intermodal Transport, zu einer von der eindeutigen Rechtslage abweichenden Auffassung der Verwaltungsbehörde eines anderen Mitgliedstaates).

6. Aus diesen Gründen muss der Revisionsrekurs scheitern. Die diese Entscheidung tragenden Erwägungen können wie folgt zusammengefasst werden:

Art 13 Abs 2 iVm Art 11 Abs 1 lit b EuGVVO 2012 begründet nur die Zuständigkeit des Gerichts am Wohnsitz des Geschädigten für eine nach dem anwendbaren Recht zulässige Direktklage gegen den Haftpflichtversicherer. Weder aus dieser Bestimmung noch aus Art 8 Nr 1 oder Art 13 Abs 3 EuGVVO 2012 kann abgeleitet werden, dass dieses Gericht auch für eine Klage des Geschädigten gegen den für den Schaden haftenden Versicherungsnehmer oder Versicherten zuständig wäre.

7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

Textnummer

E123406

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0020OB00189.18K.1030.000

Im RIS seit

07.12.2018

Zuletzt aktualisiert am

19.03.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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