Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** S*****, vertreten durch die Aigner Rechtsanwalts-GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei B***** PLC, *****, vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, wegen 35.232,96 EUR sA und Rechnungslegung (Streitwert 5.000 EUR), über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 28. November 2016, GZ 5 R 154/16b-20, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 18. Juli 2016, GZ 55 Cg 45/12x-12, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Das Verfahren wird fortgesetzt.
II. Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.
1. Die Zurückweisung der Klage wird bestätigt, soweit die klagende Partei Rechnungslegung begehrt und ihr Zahlungsbegehren auf vertragliche Ansprüche stützt.
2. Im Übrigen werden die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abgeändert, dass die von der beklagten Partei erhobene Einrede der mangelnden internationalen Zuständigkeit verworfen wird. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zurückverwiesen, dem insofern die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen wird.
3. Die Kosten des Zwischenstreits über die internationale Zuständigkeit werden gegeneinander aufgehoben.
Text
Begründung:
I. Das Revisionsrekursverfahren ist am 16. Mai 2017 zu 2 Ob 28/17g bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Obersten Gerichtshof am 10. Mai 2017 zu 3 Ob 28/17i gestellten Antrag auf
Vorabentscheidung nach Art 267 AEUV unterbrochen worden. Nunmehr hat der EuGH mit Urteil vom 12. September 2018, C-304/17, Löber, über diesen Antrag entschieden. Das Revisionsrekursverfahren ist daher von Amts wegen fortzusetzen.
II. Der Kläger ist Anleger mit Wohnsitz in Wien. Er hat am 22. 11. 2006 über den Sekundärmarkt in Österreich um 28.914,97 EUR insgesamt 18,165 Anteile des „X***** Zertifikat“ (in der Folge: das Zertifikat) erworben, dessen Emittentin die Beklagte ist.
Die abwickelnde Clearingstelle dieses Erwerbs war eine AG mit Sitz in F*****. Dort ist auch die Globalurkunde des Zertifikats hinterlegt. Die Gelder sind großteils verloren, das Zertifikat ist wertlos.
Der Kläger begehrt Zahlung von 35.232,96 EUR sA Zug um Zug gegen Übergabe von 18,165 Anteilen des Zertifikats, hilfsweise die Feststellung der Haftung der Beklagten für den Schaden, der ihm aus der getätigten Investition in dieses Wertpapier entstanden und noch nicht bezifferbar sei oder in Zukunft entstehen werde, sowie Rechnungslegung. Er stützt sich auf vertragliche und deliktische (Schadenersatz-)Ansprüche, insbesondere Prospekthaftung. Zur internationalen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts berief er sich auf die Gerichtsstände der Art 15 EuGVVO 2001, hilfsweise Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001, sowie Art 5 Nr 1 lit a EuGVVO 2001.
Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens und wandte die internationale Unzuständigkeit des Erstgerichts ein.
Das Erstgericht wies die Klage zurück. Der Kläger könne die Zuständigkeit weder auf Art 15 Abs 1 noch auf Art 5 Nr 1 lit a EuGVVO 2001 stützen.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge. Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ es angesichts der Vielzahl gleich oder ähnlich gelagerter Fälle im Hinblick auf die Wahrung der Rechtseinheit und Rechtssicherheit zu.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig und teilweise berechtigt.
Inhaltlich wird auf die ausführlichen Begründungen in den jüngst ergangenen, zwei gleichgelagerte Fälle betreffenden und auf dem Urteil des EuGH, C-304/17, Löber, beruhenden Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs zu 3 Ob 185/18d und 4 Ob 185/18m verwiesen.
Die Vorinstanzen haben daher aus den dort genannten Gründen die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts für die geltend gemachten vertraglichen Ansprüche und das Rechnungslegungsbegehren zu Recht verneint, weshalb insofern der angefochtene Beschluss zu bestätigen ist.
Dagegen ist das Erstgericht für die aus Delikt abgeleiteten Ansprüche nach Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 international zuständig, sodass die Entscheidung des Rekursgerichts insoweit im Sinne der Verwerfung der erhobenen Einrede abzuändern ist. Das Erstgericht wird daher das gesetzmäßige Verfahren über diese Ansprüche zu führen haben.
Zur Frage der internationalen Zuständigkeit liegt ein Zwischenstreit vor (RIS-Justiz RS0109078 [T15]). Angesichts des Umstands, dass beide Parteien jeweils in Ansehung eines der beiden tragenden Rechtsgründe als unterlegen anzusehen sind, ist die Kostenaufhebung nach § 43 Abs 1 erster Fall ZPO für das erstinstanzliche Verfahren und
– nach §§ 50, 43 Abs 1 erster Fall ZPO – für das Rechtsmittelverfahren sachgerecht.
Textnummer
E123338European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0020OB00183.18B.1030.000Im RIS seit
04.12.2018Zuletzt aktualisiert am
04.12.2018