Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 21. November 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der FOI Bayer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Thomas H***** wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 28. Mai 2018, GZ 52 Hv 38/17p-63, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch B./II./ und demgemäß im Strafausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Thomas H***** der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (A./), der Vergehen der pornographischen Darstellungen mit Unmündigen nach § 207a Abs 1 StGB idF BGBl I 2002/134 (B./I./), „der Vergehen der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 3 erster und zweiter Satz StGB“ (B./II./1./ und 2./) und der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (C./) schuldig erkannt.
Danach hat er in W***** und P*****
A./ von 1. Oktober 1998 bis Mitte 2003 mit einer unmündigen Person, nämlich seiner am 10. August 1992 geborenen Tochter J***** H*****, eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, indem er sie in mehrfachen Angriffen mit einem Finger vaginal und anal penetrierte;
B./I./ von 1. Oktober 1998 bis Mitte 2003 in mehrfachen Angriffen eine bildliche Darstellung einer geschlechtlichen Handlung einer unmündigen Person an sich selbst, deren Betrachtung nach den Umständen den Eindruck vermittelt, dass es bei ihrer Herstellung zu einer solchen geschlechtlichen Handlung gekommen ist, hergestellt, indem er seine am 10. August 1992 geborene Tochter J***** H***** aufforderte, an den Schamlippen zu kitzeln bzw zu spielen, und sie so fotografierte;
B./II./ von 23. März 2007 bis 18. Juli 2008 sich pornographische Darstellungen verschafft und besessen, und zwar
1./ einer unmündigen Person, nämlich
a./ 46 Dateien mit wirklichkeitsnahen Abbildungen einer geschlechtlichen Handlung an einer unmündigen Person oder einer unmündigen Person an einer anderen Person, nämlich Vaginal- und Analverkehr an unter 14-jährigen Mädchen, vaginale und anale Penetration mit einem Finger oder einem Gegenstand von unter 14-jährigen Mädchen sowie Oralverkehr von unter 14-jährigen Mädchen an Erwachsenen;
b./ elf Dateien mit wirklichkeitsnahen, reißerisch verzerrten, auf sich selbst reduzierten und von anderen Lebensäußerungen losgelösten Abbildungen, die der sexuellen Erregung des Betrachters dienen, nämlich der Schamgegend von unter 14-jährigen Mädchen;
2./ einer mündigen minderjährigen Person, nämlich
a./ drei Dateien mit wirklichkeitsnahen Abbildungen einer geschlechtlichen Handlung an einer mündigen minderjährigen Person, nämlich vaginale Penetration mit einem Finger von Mädchen über 14 Jahren;
b./ vier Dateien mit wirklichkeitsnahen, reißerisch verzerrten, auf sich selbst reduzierten und von anderen Lebensäußerungen losgelösten Abbildungen, die der sexuellen Erregung des Betrachters dienen, nämlich der Schamgegend von Mädchen über 14 Jahren;
C./ durch die unter A./ genannten Taten mit einer mit ihm in absteigender Linie verwandten minderjährigen Person, nämlich seiner am 10. August 1992 geborenen Tochter J***** H*****, geschlechtliche Handlungen vorgenommen.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 3, 5 und 5a StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.
Die Verfahrensrüge (Z 3) behauptet zu A./, B./1./ und C./ eine Verletzung des § 260 Abs 1 Z 1 StPO, legt aber nicht dar, weshalb die im Spruch vorgenommene Darstellung der durch Anführung des Deliktszeitraums samt den Tatorten, der Art der wiederholten Tathandlungen und durch namentliche Bezeichnung des Tatopfers zu einer gleichartigen Verbrechensmenge zusammengefassten Taten keine ausreichende Individualisierung bewirken sollte (vgl RIS-Justiz RS0119552; Lendl, WK-StPO § 260 Rz 24).
In Bezug auf die entscheidenden Sachverhaltskomponenten erfolgte ein anklagekonformer Schuldspruch (vgl ON 31), sodass – entgegen dem Vorwurf eines Verstoßes gegen das Überraschungsverbot (Z 5a) – von eine Warnpflicht des Erstgerichts begründenden überraschenden Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen nicht die Rede sein kann.
Indem die Schuldspruchfakten A./, B./I./ und C./ jeweils eine gleichartige Verbrechensmenge nur pauschal individualisierter Taten betreffen, spricht die Undeutlichkeit der Feststellungen zu Zeit, Ort, Häufigkeit und „näheren Umstände“ der einzelnen Tathandlungen relevierende Mängelrüge (Z 5 erster Fall) keine für die Lösung der Schuld- oder Subsumtionsfrage entscheidenden Tatsachen an (RIS-Justiz RS0116736 [insbesondere T2, T8]).
Die unter dem Aspekt der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) ins Treffen geführten Angaben des Angeklagten und des Zeugen Walter B***** wie auch der Umstand der erst im Jahr 2016 erfolgten Anzeigeerstattung wurden
– entgegen dem Beschwerdevorbringen – ohnehin erörtert (US 8 f, 12 f, 15 f).
Mit dem Einwand, die den Schuldspruchfakten A./ und B./I./ zugrunde liegenden Feststellungen seien offenbar unzureichend begründet (Z 5 vierter Fall), weil das Urteil „keine Feststellung“ dazu enthalte, aufgrund welcher Tatsachen und Erwägungen die angelasteten Taten im Zeitraum von 1. Oktober 1998 bis Mitte 2013 als erwiesen angenommen wurden, hinsichtlich des Zeitraums von Mitte 1997 bis Ende September 1998 jedoch eine Negativfeststellung getroffen wurde, wird kein Begründungsmangel aufgezeigt. Denn die auf den Angaben der als glaubwürdig erachteten Zeugin J***** H***** bei gleichzeitiger Verwerfung der Verantwortung des Angeklagten basierende Beweiswürdigung des Erstgerichts zur objektiven Tatseite (US 8 ff) steht sowohl mit den Kriterien folgerichtigen Denkens als auch grundlegenden Erfahrungssätzen im Einklang und ist solcherart aus dem Blickwinkel der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS-Justiz RS0116732). Zur Differenzierung zwischen den angeführten Tatzeiträumen wurde im Übrigen auf die der Zeugin nicht mehr mögliche exakte zeitliche Einordenbarkeit des Beginns der sexuellen Übergriffe verwiesen (US 12) und der Tatzeitraum im Zweifel zugunsten des Angeklagten eingeschränkt.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zurückzuweisen.
Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof davon, dass dem Schuldspruch B./II./ eine vom Beschwerdeführer nicht geltend gemachte, sich zu seinem Nachteil auswirkende Nichtigkeit anhaftet (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO).
Nach den insoweit wesentlichen Urteilsfeststellungen speicherte der Angeklagte im Zeitraum von 23. März 2007 bis 18. Juli 2008 insgesamt 64 aus dem Internet bezogene Dateien mit pornographischen Darstellungen mündiger und unmündiger Minderjähriger auf CDs, DVDs und Videokassetten (US 8). Auf dieser Feststellungsbasis endete die zufolge der Strafdrohung des zweiten Strafsatzes des § 207a Abs 3 StGB fünfjährige Verjährungsfrist (§ 57 Abs 3 StGB) zu B./II./ mit Ablauf des 18. Juli 2013.
Da das Erstgericht den (solcherart indizierten) Strafaufhebungsgrund der Verjährung nicht annahm, ohne aber diesbezügliche Konstatierungen zu treffen (vgl dazu etwa die Aussage der Suzana H***** [ON 4 S 17 f; ON 56 S 3 ff], wonach die – für den Beginn der Verjährungsfrist maßgebliche [RIS-Justiz RS0090573] – Beendigung des angelasteten Besitzes erst im Juli 2016 erfolgte), leidet der Schuldspruch zu B./II./ an Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO.
Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass auch die Feststellungen zu B./II./2./a./ (US 8 iVm US 3) mangels Konstatierung, dass es sich auch hier (wie bei B./II./2./b./) um reißerisch verzerrte, auf sich selbst reduzierte und von anderen Lebensäußerungen losgelöste Abbildungen handelt, die der sexuellen Erregung des Betrachters dienen (Philipp in WK² StGB § 207a Rz 12), eine Subsumtion unter § 207a Abs 3 erster Satz (iVm Abs 4 Z 3 lit a) StGB nicht zu tragen vermögen.
Insoweit war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – das Urteil wie aus dem Spruch ersichtlich aufzuheben und die Strafsache an das Erstgericht zu verweisen (§ 285e StPO).
Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
Bleibt anzumerken, dass zu B./I./ zufolge des gemäß § 61 StGB anzustellenden Günstigkeitsvergleichs in Ansehung der vor dem 1. Oktober 2002 begangenen Taten ein Schuldspruch nach § 207a Abs 1 StGB idF BGBl 1996/762 hätte erfolgen müssen.
Die Subsumtion aller von B./I./ umfassten Taten nach § 207a Abs 1 StGB idF BGBl I 2002/134 bietet
– mangels eines darin gelegenen konkreten Nachteils für den Angeklagten – jedoch keinen Anlass zu amtswegigem Vorgehen. Insoweit ist das Erstgericht nämlich bei Fällung seines Urteils im zweiten Rechtsgang an seinen eigenen Ausspruch über das anzuwendende Strafgesetz nicht gebunden (RIS-Justiz RS0129614 [T1]).
Textnummer
E123348European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0150OS00117.18X.1121.000Im RIS seit
05.12.2018Zuletzt aktualisiert am
05.12.2018