Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 21. November 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der OKontr. Ponath als Schriftführerin im Verfahren zur Unterbringung des Helmut K***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 22. Juni 2018, GZ 173 Hv 12/18v-47, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.
Mit seiner Berufung wird der Betroffene auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde gemäß § 21 Abs 1 StGB die Unterbringung des Helmut K***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.
Danach hat er unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad, nämlich einer paranoiden Schizophrenie, beruht,
1) am 8. Juli 2016 Beamte mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich seiner Vorführung zum Amtsarzt nach § 9 UbG, zu hindern versucht, indem er den Polizeibeamten Michael P***** und Dominik S***** Schläge und Tritte versetzte,
2) durch die zu 1) beschriebenen Tathandlungen an den Beamten während oder wegen der Vollziehung ihrer Aufgaben eine Körperverletzung (§ 83 Abs 1 StGB) begangen, wobei
a) Michael P***** einen Bänder- und Kapseleinriss des Daumengelenks, somit eine an sich schwere Verletzung, erlitt, welche eine länger als 24 Tage dauernde Berufsunfähigkeit zur Folge hatte und
b) Dominik S***** eine Hautabschürfung am linken Ellenbogen sowie ein Hämatom am rechten Knie erlitt, weiters
3) am 8. November 2017 eine Beamtin, nämlich die nach §§ 3 und 5 GOG sowie zwecks Vollziehung der Hausordnung des Bezirksgerichts Graz-Ost einschreitende Sicherheitsbedienstete Sabine A*****, durch gefährliche Drohung mit einer erheblichen Verstümmelung (§ 106 Abs 1 Z 1 [richtig zweiter] Fall StGB), und zwar durch die Ankündigung, „Wenn Du mir in den Rucksack greifst, dann hacke ich Dir die Finger ab! Ich kann das, ich war Maurer!“, an einer Amtshandlung, nämlich der Durchsuchung des von ihm mitgeführten Rucksacks im Zuge der Sicherheitskontrolle vor Einlass in das Amtsgebäude, zu hindern versucht
und dadurch das Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Strafsatz StGB (1), „das Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 und 4 StGB“ (2/a), das Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB (2/b) und das Verbrechen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 zweiter Strafsatz StGB (3) begangen.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 5, 9 (richtig) lit a, 10 und 11 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen, der Berechtigung zukommt.
Zutreffend zeigt die Mängelrüge in Bezug auf die Anlasstaten zu 1 und 2 eine offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) der Feststellungen zur subjektiven Tatseite auf. Der alleinige Verweis auf die für glaubwürdig und nachvollziehbar befundenen Angaben von Zeugen (US 7) genügt insoweit nämlich nicht, weil Gegenstand von Zeugenaussagen nur objektive Wahrnehmungen, nicht aber Mutmaßungen über das Wissen oder das Wollen anderer Personen sein können (RIS-Justiz RS0128679 [T1]).
Dieser Mangel erfordert – im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die Aufhebung des angefochtenen Urteils im Ausspruch über die Begehung und die Subsumtion der zu 1 und 2 angeführten Anlasstaten schon bei nichtöffentlicher Beratung (§ 285e StPO). Bereits deshalb war auch die Unterbringungsanordnung nach § 21 Abs 1 StGB zu kassieren (RIS-Justiz RS0120576). Um dem Landesgericht für Strafsachen Graz im zweiten Rechtsgang eine umfassende Beurteilung der Einweisungsvoraussetzungen des § 21 Abs 1 StGB zu ermöglichen, sprach der Oberste Gerichtshof (darüber hinausgehend) die gänzliche Aufhebung der angefochtenen Entscheidung aus (§ 289 StPO). Ein Eingehen auf das weitere Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde erübrigt sich daher.
Hinzugefügt sei, dass § 84 Abs 2 StGB (angesichts des ausdrücklichen Verweises auf die Tatbestände des § 83 StGB als Grundtatbestände) eine unselbständige, § 84 Abs 4 StGB jedoch eine selbständige Qualifikation des § 83 Abs 1 StGB normiert (13 Os 136/16y [zu § 84 Abs 4 StGB]; anders und konträr zueinander Burgstaller/Fabrizy in WK² StGB § 84 Rz 2 f, wonach § 84 StGB – insgesamt – „selbstständige“, und Leukauf/Steininger/Nimmervoll, StGB4 § 83 Rz 1 und § 84 Rz 1 ff, wonach er „lediglich unselbstständige“ Qualifikationen zu § 83 StGB enthalte). Daher wird, wenn beide Qualifikationstatbestände erfüllt sind, auch im Fall von Tat- und Opferidentität nicht (bloß) eine (mehrfach qualifizierte) strafbare Handlung verwirklicht; eine solche Tat wäre vielmehr einem Verbrechen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB und einem – damit echt konkurrierenden (Burgstaller/Fabrizy in WK² StGB § 84 Rz 104; Leukauf/Steininger/Nimmervoll, StGB4 § 84 Rz 69) – Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB zu subsumieren (vgl 13 Os 64/18p; 13 Os 85/18a).
Mit seiner Berufung war der Betroffene auf die Aufhebung der Unterbringungsanordnung zu verweisen.
Textnummer
E123322European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0130OS00111.18Z.1121.000Im RIS seit
03.12.2018Zuletzt aktualisiert am
20.10.2020