TE Bvwg Erkenntnis 2018/7/10 W184 2159963-1

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Veröffentlicht am 10.07.2018
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Entscheidungsdatum

10.07.2018

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs5 Satz1
B-VG Art.133 Abs4
FPG §61

Spruch

W184 2159963-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Werner PIPAL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.05.2017, Zl. 1126993300/161151333, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 5 AsylG 2005, § 61 FPG und § 21 Abs. 5 BFA-VG als unbegründet abgewiesen. Es wird festgestellt, dass die Anordnung zur Außerlandesbringung zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides rechtmäßig war.

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die beschwerdeführende Partei, ein männlicher Staatsangehöriger Indiens, brachte nach der Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 21.08.2016 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz ein.

Eine EURODAC-Abfrage ergab keinen Treffer. Eine Abfrage des Visa-Informationssystems VIS führte zu dem Ergebnis, dass die beschwerdeführende Partei im Besitz eines litauischen Schengen-Visums der Kategorie C mit der Gültigkeit vom 17.08.2016 bis 25.08.2016 war.

Bei der Erstbefragung am 22.08.2016 gab die beschwerdeführende Partei im Wesentlichen an, er sei mit einem litauischen Visum von den Vereinigten Arabischen Emiraten aus über Frankreich, Deutschland sowie Litauen nach Österreich gereist. Er habe in keinem dieser Länder um Asyl angesucht und habe nunmehr kein bestimmtes Zielland. Über die Länder der Durchreise könne die beschwerdeführende Partei keine Angaben machen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl richtete am 20.10.2016 ein auf Art. 12 Abs. 2 Dublin III-Verordnung gestütztes Aufnahmegesuch an Litauen, und die litauische Dublin-Behörde stimmte dem Aufnahmegesuch mit einem am 03.01.2017 eingelangten Schreiben gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-Verordnung ausdrücklich zu.

Im Rahmen des Verfahrens wurden von der beschwerdeführenden Partei zahlreiche Befunde vorgelegt, darunter der Befund einer Universitätsklinik mit der Diagnose Hüftkopfnekrose (beidseitig). Am 09.02.2017 wurde die beschwerdeführende Partei in Österreich operiert.

Bei der Einvernahme durch das Bundesamt am 28.04.2017 gab die beschwerdeführende Partei im Wesentlichen an, dass es ihm gut gehe und er der Einvernahme folgen könne. Sein Körper schmerze jedoch und er habe Nasenbluten sowie Kopfschmerzen. Er habe keine Dokumente, die seine Identität bestätigen würden, und leide unter einer Hautkrankheit sowie beidseitigen Hüftbeschwerden, weswegen eine Therapie angeordnet worden sei. Er sei in Österreich am 07.02.2017 in einem Krankenhaus aufgenommen, am 09.02.2017 operiert und am 14.02.2017 entlassen worden. In Österreich habe die beschwerdeführende Partei keine Familienangehörigen oder Verwandten. Er sei im August 2016 nach Litauen gelangt und habe sich nach einem zweitägigen Aufenthalt auf dem Luftweg nach Österreich begeben. Nunmehr wolle er in Österreich bleiben, weil er in Österreich im Gegensatz zu Litauen eine adäquate ärztliche Versorgung erhalte. In Litauen habe es keine konkreten, die beschwerdeführende Partei betreffenden Vorfälle gegeben.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde I. der Antrag der beschwerdeführenden Partei auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Litauen gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-Verordnung zur Prüfung des Antrages zuständig ist, sowie II. die Außerlandesbringung der beschwerdeführenden Partei gemäß § 61 Abs. 1 FPG angeordnet und festgestellt, dass demzufolge die Abschiebung der beschwerdeführenden Partei nach Litauen gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig ist.

Dieser Bescheid legt in der Begründung insbesondere auch ausführlich dar, dass in dem zuständigen Mitgliedstaat die Praxis der asylrechtlichen und subsidiären Schutzgewährung sowie die Grund- und Gesundheitsversorgung unbedenklich sind und den Grundsätzen des Unionsrechts genügen. Im Einzelnen lauten die Länderfeststellungen folgendermaßen (unkorrigiert, gekürzt durch das Bundesverwaltungsgericht):

"Allgemeines zum Asylverfahren

Antragsteller 2013:

Litauen: 400

Die Daten werden auf die Endziffern 5 oder 0 auf- bzw. abgerundet. (Eurostat 24.3.2014)

Erstinstanzliche Entscheidungen 2013:

Gesamt: 175

Flüchtlingsstatus: 15

Subsidiärer Schutz: 40

Humanitäre Gründe: 0

Negativ: 120

Die Daten werden auf die Endziffern 5 oder 0 auf- bzw. abgerundet. (Eurostat 24.3.2014)

Antragsteller 2014:

Litauen: 430

Die Daten werden auf die Endziffern 5 oder 0 auf- bzw. abgerundet. (Eurostat 19.3.2015)

Erstinstanzliche Entscheidungen 2014:

Gesamt: 185

Flüchtlingsstatus: 15

Subsidiärer Schutz: 55

Humanitäre Gründe: 0

Negativ: 110

Die Daten werden auf die Endziffern 5 oder 0 auf- bzw. abgerundet. (Eurostat 19.3.2015)

Die Gesetze der Republik Litauen sehen die Gewährung von Asyl oder Flüchtlingsstatus vor.

Personen, die sich nicht für den Flüchtlingsstatus qualifizieren, können subsidiären Schutz erhalten. Im Falle von Massenankünften von Fremden kann pauschal temporärer Schutz gewährt werden (USDOS 27.2.2014).

Das litauische Gesetz über den legalen Status von Fremden regelt Einreise, Ausreise, Aufenthalt, Asylgewährung, Beschwerde, Integration und andere Fragen betreffend den legalen Status von Fremden in der Republik Litauen. Seine Bestimmungen wurden mit EU-Recht harmonisiert (RoL 28.4.2015).

Asylanträge können an der Staatsgrenze, bei Bezirkspolizeibehörden oder im Registrationszentrum Pabrade gestellt werden. Bei illegaler Einreise ist eine unverzügliche Antragstellung vorgeschrieben (MD 8.10.2014). Nach Antragstellung werden Asylwerber von Spezialisten einem Interview unterzogen. Übersetzer, Rechtsberater oder medizinische Hilfe können in Anspruch genommen werden. Innerhalb von 48 Stunden ab Antragstellung entscheidet das Migrationsamt über die Zulassung zum Asylverfahren. Wer seinen Aufenthalt nicht selbst finanzieren kann oder illegal eingereist bzw. aufhältig ist, wird im Fremdenregistrationszentrum in Pabrade untergebracht. Ein Asylwerber (AW), der legal eingereist ist, kann in Absprache mit dem Migrationsamt seine Unterbringung selbst besorgen. Das Migrationsamt muss innerhalb von 3-6 Monaten über den Asylantrag entscheiden (MD 25.1.2014).

Asylwerber haben im Asylverfahren folgende Rechte: Monatliche Zuwendungen für kleinere Ausgaben; notwendige medizinische Versorgung; kostenlose Übersetzungen und Notariatsleistungen;

Kostenersatz für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel;

kostenlose rechtliche Hilfe; Recht auf Unterbringung im Zentrum Pabrade. Dafür müssen AW die Gesetze der Republik Litauen befolgen, verpflichtende medizinische Untersuchungen zulassen, alle verfügbaren Dokumente, wahrheitsgetreue Angaben über Identität und Asylgründe sowie über die Umstände der Einreise nach Litauen bereitstellen und über ihre Mittel in freier Form Auskunft geben (MD 27.1.2014).

Beschleunigtes Verfahren

Das Migrationsamt entscheidet grundsätzlich innerhalb von 48 Stunden über die Zulassung zum Asylverfahren. Kommt ein AW aus einem sicheren Herkunftsland oder ist der Asylantrag offensichtlich unbegründet, gibt es die Möglichkeit, die Zulassungsfrist auf 72 Stunden zu verlängern. Dann wird der Asylantrag abgelehnt und die Abschiebung aus Litauen verfügt. Das beschleunigte Verfahren wird nicht bei unbegleiteten Minderjährigen angewendet (MD 13.3.2015).

Beschwerden

Gegen Nichtzulassung zum Asylverfahren ist binnen 14 Tagen Beschwerde vor dem Verwaltungsgericht Wilna möglich. Gegen negative Entscheidungen im inhaltlichen Verfahren ist binnen 14 Tagen Beschwerde vor dem Verwaltungsgericht Wilna möglich. Ein kostenloser Rechtsbeistand wird für das Beschwerdeverfahren zur Verfügung gestellt (MD 25.1.2014).

Die Artikel 136 bis 140 des Gesetzes über den legalen Status von Fremden beschäftigen sich mit den Beschwerderechten von AW. Alle Entscheidungen können innerhalb von 14 Tagen vor dem zuständigen Verwaltungsgericht beeinsprucht werden. Die Beschwerde hat aufschiebende Wirkung bei:

1. Beschwerden gegen eine Aufhebung der Aufenthaltsbewilligung;

2. Beschwerden wegen Verweigerung des temporären territorialen Asyls (= Zulassung zum Verfahren);

3. Beschwerden gegen Verweigerung des Asyls;

4. Beschwerden gegen die Abschiebung aus Litauen, außer bei Gefahr für die öffentliche Sicherheit.

In allen anderen Fällen kann die aufschiebende Wirkung durch das zuständige Verwaltungsgericht zugesprochen werden. Gegen eine Entscheidung des zuständigen Verwaltungsgerichts kann innerhalb von 14 Tagen beim Obersten Verwaltungsgericht Beschwerde eingelegt werden. (RoL 28.4.2015)

Quellen

Eurostat (24.3.2014): Pressemitteilung 46/2014 ...;

Eurostat (19.3.2015): Data in focus 3/2015 ...;

MD - Migracijos Departamentas (8.10.2014): Where to apply? ...;

MD - Migracijos Departamentas (25.1.2014): Examining an Application

...;

MD - Migracijos Departamentas (27.1.2014): Rights and Duties during the Examining of an Application ...;

MD - Migracijos Departamentas (13.3.2015): Asylum procedure in details ...;

RoL - Republic of Lithuania (28.4.2015): Law on the Legal Status of Aliens No. IX-2206, 29.4.2004 (Version valid from 28 April 2015)

...;

USDOS - US Department of State (27.2.2014): Country Report on Human Rights Practices 2013 - Lithuania ...

Dublin-Rückkehrer

Nach Art. 72 (3) des litauischen Gesetzes über den legalen Status von Fremden muss Litauen einen Asylantrag inhaltlich prüfen, wenn es für die Abwicklung des Asylverfahrens zuständig ist. Gemäß Artikel 76 (2) ist Asylwerbern, die im Rahmen des Dublin-Abkommens nach Litauen zurückgeschickt werden, weil Litauen für deren Verfahren zuständig ist, temporäres territoriales Asyl zuzusprechen (= für das Verfahren) (RoL 28.4.2015).

Quellen

RoL - Republic of Lithuania (28.4.2015): Law on the Legal Status of Aliens No. IX-2206, 29.4.2004 (Version valid from 28 April 2015) ...

Non-Refoulement

Die litauischen Behörden erlauben Asylwerbern, die aus sicheren Transitländern kommen, nicht den Zutritt zum Territorium. Stattdessen werden sie ohne inhaltliche Überprüfung des Vorbringens in das Transitland zurückgeschickt. Nach Angaben der Migrationsbehörde verfügt Litauen über keine Liste sicherer Staaten, sondern definiert sie als solche, in denen das Leben oder die Freiheit einer Person nicht wegen der Konventionsgründe bedroht ist und von denen aus die Person auch nicht in ein anderes Land weitergeschoben wird, wo eine Bedrohung wegen der Konventionsgründe droht (USDOS 27.2.2014).

Quellen

USDOS - US Department of State (27.2.2014): Country Report on Human Rights Practices 2013 - Lithuania ...

Versorgung

Unterbringung

AW, die ihren Aufenthalt nicht selbst finanzieren können oder illegal eingereist bzw. aufhältig sind, werden im Fremdenregistrationszentrum in Pabrade untergebracht. Ein AW, der legal eingereist ist, kann in Absprache mit dem Migrationsamt seine Unterbringung selbst besorgen (MD 25.1.2014).

In Litauen gibt es zwei Zentren zur Unterbringung von Fremden, in Pabrade und Rukla. Das Fremdenregistrierungszentrum in Pabrade verfügt über zwei Bereiche: einen offenen Teil für Asylwerber im Asylverfahren und einen geschlossenen Teil für illegale Migranten. Unbegleitete minderjährige Asylwerber (UMA) werden im Flüchtlingsaufnahmezentrum Rukla untergebracht (EMN 2014), ebenso wie anerkannte Flüchtlinge im Integrationsprozess (w2eu o.D.).

Unbegleitete Minderjährige sind im Einvernehmen mit ihrem Vormund und unter Rücksichtnahme auf ihre Wünsche und ihre Reife bei ihrem Vormund oder in einem Flüchtlingsunterbringungszentrum unterzubringen, es sei denn, der gesetzliche Vertreter entscheidet anderes. Das Fremdenregistrationszentrum dient auch der geschlossenen Unterbringung von Fremden zur Identitätsfeststellung, Feststellung der Reiseroute und auch zur Außerlandesbringung. Das Flüchtlingsunterbringungszentrum dient der Unterbringung und sozialen Integration anerkannter Flüchtlinge und unbegleiteter Minderjähriger (RoL 28.4.2015, Art. 79).

Das Flüchtlingsaufnahmezentrum Rukla ist für die Unterbringung von Schutzberechtigten sowie von unbegleiteten minderjährigen Asylwerbern (UMA) während ihres Asylverfahrens gedacht. Es untersteht dem litauischen Arbeits- und Sozialministerium. Das Zentrum besteht aus 5 Abteilungen und verfügt über 29 Mitarbeiter (RPPC o.D.).

UMA werden in einem eigenen Sektor untergebracht. Ein Vormund vertritt ihre Rechte, es gibt Sozialarbeiter und die UMA erhalten soziale, psychologische, medizinische und schulische Hilfe. Die Jugendlichen lernen Litauisch und besuchen Schulen im Bezirk Jonava. Das Zentrum arbeitet mit dem Children's Rights Protection Service Jonava und den Schulen in Jonava und Rukla zusammen (RPPC o.D.a).

Das litauische Rote Kreuz arbeitet seit 1996 mit Asylwerbern und anerkannten Flüchtlingen. Es bietet rechtliche, soziale, humanitäre und psychologische Hilfe und setzt Projekte der öffentlichen Bewusstseinsbildung um. Die Menschen erhalten Hilfe vom ersten Tag ihrer Ankunft im Land bis zum Ende ihrer erfolgreichen Integration. In Zusammenarbeit mit verschiedenen NGOs und Regierungsbehörden setzt das litauische Rote Kreuz Programme und Projekte zur Verbesserung der Unterbringungsbedingungen für Asylwerber um. Der Schwerpunkt liegt bei sozialer Hilfe; humanitärer Unterstützung mit Kleidung und Toilettartikeln; Hilfe bei der Arbeitssuche; medizinischer Versorgung; sowie juristischer Unterstützung bei der Antragsstellung, Vertretung vor Behörden und Gerichten. Asylwerber im Zentrum Pabrade und im Tageszentrum Kulturu Ikalne werden vom Roten Kreuz unterstützt, ebenso anerkannte Flüchtlinge im Zentrum Rukla. 2010 schlossen das litauische Rote Kreuz, UNHCR und die litauische Grenzwache ein Kooperationsabkommen, das es Beobachtern des RK erlaubt, die Asylantragstellung an der Grenze und im Registrierungszentrum Pabrade und die Unterbringungsbedingungen für Asylwerber zu überwachen (LRK o.D.).

Der UNHCR unterstützt Asylwerber in Litauen vor allem mit Informationen (RPPC 2013).

Quellen

EMN - European Migration Network (2014): EMN Focussed Study 2014. The Use of Detention and Alternatives to Detention in Lithuania ...;

LRK - Litauisches Rotes Kreuz (o.D.): Refugees, asylum-seekers ...;

MD - Migracijos Departamentas (25.1.2014): Examining an Application

...;

RoL - Republic of Lithuania (28.4.2015): Law on the Legal Status of Aliens No. IX-2206, 29.4.2004 (Version valid from 28 April 2015)

...;

RPPC - Homepage des Flüchtlingsaufnahmezentrums Rukla (2013): THE

LIFE OF REFUGEES IN LITHUANIA: IMPRESSIONS OF THE COUNTRY, ASPECTS

OF INTEGRATION AND FUTURE PLANS ...;

RPPC - Homepage des Flüchtlingsaufnahmezentrums Rukla (o.D.):

General information about Centre ...;

RPPC - Homepage des Flüchtlingsaufnahmezentrums Rukla (o.D.a):

Activity with unaccompanied minors ...;

w2eu - welcome to Europe. Independent information for refugees and migrants coming to Europe (o.D.): Overview Lithuania ...

Medizinische Versorgung

Asylwerber haben im Asylverfahren u. a. das Recht auf notwendige medizinische Versorgung (MD 27.1.2014).

Gemäß Gesetz haben Asylwerber das Recht auf kostenlose medizinische Nothilfe und soziale Leistungen in Pabrade und Rukla. Weitere Bestimmungen legen fest, dass in Pabrade Inhaftierte auch außerhalb behandelt werden können, wenn die nötige Behandlung im Zentrum nicht möglich ist. (JRS 21.3.2011)

Quellen

JRS - Jesuit Refugee Service (21.3.2011): Detention in Europe - Lithuania ...;

MD - Migracijos Departamentas (27.1.2014): Rights and Duties during the Examining of an Application ..."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher im Wesentlichen vorgebracht wurde, dass sich in der Beweiswürdigung ausschließlich generelle Überlegungen zur Lage von Asylwerbern in Litauen finden würden. Inwiefern das konkrete Vorbringen der beschwerdeführenden Partei in die Erwägungen einbezogen worden sei, gehe aus dem rein textbausteinartigen, schablonenhaften Bescheid nicht hervor. Insbesondere scheine das Bundesamt auf die aktuellen Ereignisse rund um die Behandlung von Asylwerbern in Litauen nicht eingegangen zu sein. Es entstehe der Eindruck, das Bundesamt habe überhaupt kein Interesse daran gehabt, den Sachverhalt aufzuklären. Auf die Mängel der Betreuung von Asylwerbern im litauischen Asylverfahren gehe das Bundesamt nicht in konkreter Weise ein, sondern meine bloß, dass Litauen ein Rechtsstaat sei und europäischen Vorschriften folgen würde. Eine Beurteilung, ob im Einzelfall ein Mangel in der Betreuung vorliege, der einen Selbsteintritt Österreichs geboten erscheinen lassen würde, sei jedoch unterblieben, obwohl äußerst fraglich sei, ob die beschwerdeführende Partei in Litauen Unterstützung irgendeiner Art erhalten würde, zumal er gerade dies in der Einvernahme auch glaubwürdig vorgebracht habe. Die belangte Behörde übersehe, dass im gegenständlichen Fall im Sinn der gesetzlichen Bestimmungen keine zurückweisende Entscheidung gemäß § 5 AsylG 2005 zu treffen sei. Die vorgehaltenen Länderfeststellungen würden sich in allgemeinen Ausführungen erschöpfen. Zum konkreten, persönlichen Vorbringen und den höchstpersönlichen Befürchtungen bestehe kein Zusammenhang, ein solcher werde seitens des Bundesamtes nicht einmal behauptet. Auch hinsichtlich des Privat- und Familienlebens der beschwerdeführenden Partei sei nur eine unzureichende Behandlung seines Vorbringens erfolgt.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.06.2017 wurde die Beschwerde gemäß § 16 Abs. 1 BFA-VG als verspätet zurückgewiesen.

In der Folge war die beschwerdeführende Partei flüchtig und das Bundesamt teilte der litauischen Dublin-Behörde mit, dass sich aus diesem Grund die Überstellungsfrist auf 18 Monate verlängere.

Am 28.08.2017 wurde die beschwerdeführende Partei nach Litauen abgeschoben.

Der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.06.2017 wurde mit Erkenntnis des VfGH vom 11.06.2018, E 2752/2017, wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung aufgehoben. Begründend wurde ausgeführt, der Verfassungsgerichtshof habe mit Erkenntnis vom 26.09.2017, G 134/2017, die Wortfolge "2, 4 und" sowie den zweiten Satz in § 16 Abs. 1 BFA-VG (betreffend die zweiwöchige Beschwerdefrist) als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass die aufgehobene Bestimmung nicht mehr anzuwenden sei. Der Ausspruch, dass die aufgehobene Bestimmung nicht mehr anzuwenden sei, habe auch für den VfGH die Wirkung, dass er die betreffende Bestimmung nicht mehr anzuwenden habe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die beschwerdeführende Partei reiste im August 2016 mit einem gültigen litauischen Schengen-Visum nach Österreich ein und brachte am 21.08.2016 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz ein. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl richtete am 20.10.2016 ein auf Art. 12 Abs. 2 Dublin III-Verordnung gestütztes Aufnahmegesuch an Litauen, und mit Schreiben vom 03.01.2017 stimmte dieser Mitgliedstaat dem Aufnahmegesuch gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-Verordnung ausdrücklich zu.

Ein Sachverhalt, der die Zuständigkeit Litauens wieder beendet hätte, liegt nicht vor. Die beschwerdeführende Partei war zeitweise flüchtig und wurde am 28.08.2017 nach Litauen abgeschoben.

Besondere, in der Person der beschwerdeführenden Partei gelegene Gründe, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung in Litauen sprechen, liegen nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den Feststellungen des angefochtenen Bescheides zur Lage im Mitgliedstaat an.

Zum Gesundheitszustand der beschwerdeführenden Partei wird festgestellt, dass dieser wegen einer beidseitigen Hüftkopfnekrose am 09.02.2017 operiert wurde. Es wurde eine Physiotherapie und eine Kontrolluntersuchung vereinbart.

Es bestehen keine beachtlichen familiären, beruflichen oder privaten Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet.

Es liegen noch keine konkreten Schritte der beschwerdeführenden Partei zur Integration in die österreichische Gesellschaft vor, wie etwa eine Deutschprüfung oder eine ausreichende Erwerbstätigkeit. Die beschwerdeführende Partei bezog während des Aufenthaltes in Österreich Leistungen der Grundversorgung, unter anderem in Form der Krankenversicherung.

2. Beweiswürdigung:

Die festgestellten Tatsachen ergeben sich aus dem Akt des Bundesamtes, insbesondere den Niederschriften.

Die Gesamtsituation des Asylwesens im zuständigen Mitgliedstaat ergibt sich aus den umfangreichen und durch aktuelle Quellen belegten Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides, die auf alle entscheidungswesentlichen Fragen eingehen.

Der Gesundheitszustand sowie das Privat- und Familienleben der beschwerdeführenden Partei ergeben sich aus deren eigenen Angaben und den vorgelegten Befunden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

Das Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ist im vorliegenden Fall in der Fassung nach dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 145/2017 anzuwenden. Die maßgeblichen Bestimmungen lauten:

"§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

...

(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet."

§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

...

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird."

§ 9 Abs. 1 und 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idF BGBl. I Nr. 145/2017 lautet:

"§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist."

§ 61 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idF BGBl. I Nr. 145/2017 lautet:

"§ 61 (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder

2. ...

(2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.

(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird."

Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-Verordnung) lauten:

Art. 3:

"(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.

Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.

(3) ..."

Art. 7 Abs. 1 und 2:

"(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.

(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt."

Art. 12:

"(1) Besitzt der Antragsteller einen gültigen Aufenthaltstitel, so ist der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel ausgestellt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

(2) Besitzt der Antragsteller ein gültiges Visum, so ist der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, es sei denn, dass das Visum im Auftrag eines anderen Mitgliedstaats im Rahmen einer Vertretungsvereinbarung gemäß Art. 8 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft erteilt wurde. In diesem Fall ist der vertretene Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

(3) ...

(4) Besitzt der Antragsteller nur einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die weniger als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit weniger als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, so sind die Abs. 1, 2 und 3 anwendbar, solange der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen hat.

Besitzt der Antragsteller einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die mehr als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit mehr als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, und hat er die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten nicht verlassen, so ist der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird.

(5) Der Umstand, dass der Aufenthaltstitel oder das Visum aufgrund einer falschen oder missbräuchlich verwendeten Identität oder nach Vorlage von gefälschten, falschen oder ungültigen Dokumenten erteilt wurde, hindert nicht daran, dem Mitgliedstaat, der den Titel oder das Visum erteilt hat, die Zuständigkeit zuzuweisen. Der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel oder das Visum ausgestellt hat, ist nicht zuständig, wenn nachgewiesen werden kann, dass nach Ausstellung des Titels oder des Visums eine betrügerische Handlung vorgenommen wurde."

Art. 17 Abs. 1:

"(1) Abweichend von Art. 3 Abs. 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Art. 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.

Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt."

Art. 29 Abs. 2:

"(2) Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist."

Zur Frage der Unzuständigkeit Österreichs für die Durchführung des gegenständlichen Asylverfahrens pflichtet das Bundesverwaltungsgericht dem Bundesamt bei, dass sich aus dem festgestellten Sachverhalt die Zuständigkeit Litauens ergibt. Dies folgt aus der Bestimmung des Art. 12 Abs. 2 Dublin III-Verordnung.

Zu einer Verpflichtung Österreichs, vom Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung Gebrauch zu machen, wird bemerkt:

Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage betreffend das Fremdenrechtspaket 2005 führen zu der damals geschaffenen Bestimmung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 Folgendes aus (952 BlgNR, 22. GP):

"Es ist davon auszugehen, dass diese Staaten Asylwerbern ein faires, den rechtsstaatlichen und völkerrechtlichen Vorschriften entsprechendes Asylverfahren einräumen. Im zweiten Erwägungsgrund der Präambel zur Dublin-Verordnung ist ausdrücklich festgehalten, dass sich die Mitgliedstaaten als "sichere Staaten" - insbesondere die Grundsätze des Non-Refoulements beachtend - für Drittstaatsangehörige ansehen. Daher normiert Abs. 3 eine Beweisregel, nach der der Asylwerber besondere Gründe vorbringen muss, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes sprechen. Unter realer Gefahr ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (vgl. etwa VwGH 19.02.2004, 99/20/0573, mwN auf die Judikatur des EGMR). Im Erkenntnis des VwGH vom 31.03.2005, 2002/20/0582, führt dieser - noch zum AsylG 1997 - aus, dass es für die Frage der Zulässigkeit einer Abschiebung in einen anderen Mitgliedstaat aufgrund des Dublin-Übereinkommens nicht darauf ankommt, dass dieser Mitgliedstaat dem Asylwerber alle Verfahrensrechte nach Art. 13 EMRK einräumt. Verlangt sei statt einer detaillierten Bewertung der diesbezüglichen Rechtslage des anderen Mitgliedstaats lediglich eine ganzheitliche Bewertung der möglichen Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch Österreich durch die Überstellung. Dabei ist auf die "real risk"-Judikatur des EGMR abzustellen. Die Gefahrenprognose hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen zu beziehen. Dies wird durch die neue Beweisregel des Abs. 3 für Verfahren nach § 5 hervorgehoben, wobei der Gesetzgeber davon ausgeht, dass die Behörde entweder notorisch von solchen Umständen - die nur nach einer entscheidenden Änderung zum jetzigen Zustand im jeweiligen Staat vorliegen können - weiß oder diese vom Asylwerber glaubhaft gemacht werden müssen."

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (z. B. VfGH 17.06.2005, B 336/05; 15.10.2004, G 237/03) und des Verwaltungsgerichtshofes (z. B. VwGH 17.11.2015, Ra 2015/01/0114; 23.01.2007, 2006/01/0949; 25.04.2006, 2006/19/0673) ist aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen das Selbsteintrittsrecht zwingend auszuüben, sollte die innerstaatliche Überprüfung der Auswirkungen einer Überstellung ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers bedroht wären, etwa durch eine Kettenabschiebung.

Mit der Frage, ab welchem Ausmaß von festgestellten Mängeln im Asylsystem des zuständigen Mitgliedstaates der Union ein Asylwerber von einem anderen Aufenthaltsstaat nicht mehr auf die Inanspruchnahme des Rechtsschutzes durch die innerstaatlichen Gerichte im zuständigen Mitgliedstaat und letztlich den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zur Wahrnehmung seiner Rechte verwiesen werden darf, sondern vielmehr vom Aufenthaltsstaat zwingend das Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung auszuüben ist, hat sich der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 21.12.2011, C-411/10 und C-493/10, N.S./Vereinigtes Königreich, befasst und, ausgehend von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in der Entscheidung vom 02.12.2008, 32733/08, K.R.S./Vereinigtes Königreich, sowie deren Präzisierung mit der Entscheidung des EGMR vom 21.01.2011, 30696/09, M.S.S./Belgien und Griechenland, ausdrücklich ausgesprochen, dass nicht jede Verletzung eines Grundrechtes durch den zuständigen Mitgliedstaat (Rn. 82 bis 85), sondern erst systemische Mängel im Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat die Ausübung des Selbsteintrittsrechtes durch den Aufenthaltsstaat gebieten (Rn. 86).

Zu einer möglichen Verletzung von Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK wurde im vorliegenden Fall Folgendes erwogen:

Gemäß Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK haben die Vertragsstaaten der EMRK aufgrund eines allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsatzes - vorbehaltlich ihrer vertraglichen Verpflichtungen einschließlich der EMRK - das Recht, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu regeln. Jedoch kann die Ausweisung eines Fremden durch einen Vertragsstaat ein Problem nach Art. 3 EMRK aufwerfen und damit die Verantwortlichkeit dieses Staates nach der EMRK auslösen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen, dass die betreffende Person im Fall ihrer Abschiebung mit einer realen Gefahr rechnen muss, im Zielstaat einer dem Art. 3 widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden. Unter diesen Umständen beinhaltet Art. 3 die Verpflichtung, die betreffende Person nicht in diesen Staat abzuschieben (z. B. EGMR, Große Kammer, 27.05.2008, 26565/05, N., Rn. 30; Große Kammer, 28.02.2008, 37201/06, Saadi, Rn. 124-125).

Es ist auch ständige Rechtsprechung des EGMR, dass die verbotene Behandlung ein Mindestmaß an Schwere erreichen muss, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu fallen. Die Festsetzung dieses Mindestmaßes ist naturgemäß relativ; es hängt von allen Umständen des Einzelfalles ab, wie etwa der Dauer der verbotenen Behandlung, ihren physischen oder psychischen Auswirkungen und in manchen Fällen vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers, etc. Das Leid, das sich aus einer natürlich auftretenden Krankheit ergibt, kann von Art. 3 EMRK erfasst sein, wenn es durch eine Behandlung - seien es Haftbedingungen, eine Ausweisung oder sonstige Maßnahmen - verschlimmert wird, für welche die Behörden verantwortlich gemacht werden können (z. B. EGMR, Große Kammer, 27.05.2008, 26565/05, N., Rn. 29; Große Kammer, 28.02.2008, 37201/06, Saadi, Rn. 134).

Nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR im Zusammenhang mit der Abschiebung von kranken Personen können von einer Ausweisung betroffene Ausländer grundsätzlich kein Bleiberecht in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates beanspruchen, um weiterhin in den Genuss von dessen medizinischer, sozialer oder sonstiger Unterstützung oder Dienstleistungen zu kommen. Die Tatsache, dass die Lebensverhältnisse einer Person einschließlich ihrer Lebenserwartung im Fall ihrer Abschiebung deutlich reduziert würden, reicht allein nicht aus, um zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK zu führen. Die Entscheidung, einen an einer schweren psychischen oder physischen Krankheit leidenden Ausländer in ein Land rückzuführen, in dem die Einrichtungen für die Behandlung dieser Krankheit schlechter als im Vertragsstaat sind, kann ein Problem nach Art. 3 EMRK aufwerfen, aber nur in einem ganz außergewöhnlichen Fall, in dem die gegen die Rückführung sprechenden humanitären Gründe zwingend sind ("a very exceptional case, where the humanitarian grounds against the removal are compelling"). Im Fall D./Vereinigtes Königreich ("St. Kitts"), EGMR 02.05.1997, 30240/96, lagen die ganz außergewöhnlichen Umstände darin, dass der Beschwerdeführer schwerkrank war und dem Tod nahe schien, für ihn in seinem Herkunftsstaat eine Pflege oder medizinische Versorgung nicht gewährleistet werden konnte und er dort keine Familie hatte, die ihn pflegen oder auch nur mit einem Mindestmaß an Lebensmitteln, Unterkunft oder sozialer Unterstützung versorgen hätte können (z. B. EGMR 30.06.2015, 39350/13, A.S., Rn. 31; 26.02.2015, 1412/12, M.T., Rn. 47; Große Kammer, 27.05.2008, 26565/05, N., Rn. 42).

Der EGMR schloss nicht aus, dass es "andere ganz außergewöhnliche Fälle" geben kann, in denen die humanitären Erwägungen ähnlich zwingend sind. Er hielt es jedoch für geboten, die im Fall D./Vereinigtes Königreich festgelegte und in der späteren Rechtsprechung angewendete hohe Schwelle beizubehalten. Er erachtete diese Schwelle für richtig, weil der behauptete drohende Schaden nicht aus den absichtlichen Handlungen oder Unterlassungen staatlicher Behörden oder nichtstaatlicher Akteure resultiert, sondern aus einer natürlich auftretenden Krankheit und dem Fehlen ausreichender Ressourcen für ihre Behandlung im Zielstaat. Wenn die Behandlung im Zielstaat nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver als im Aufenthaltsstaat ist, dann ist dies unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt (z. B. EGMR, Große Kammer, 27.05.2008, 26565/05, N., Rn. 43; 22.06.2004, 17868/03, Ndangoya; 06.02.2001, 44599/98, Bensaid, Rn. 38; vgl. auch VfGH 06.03.2008, B 2400/07, und EuGH 16.02.2017, C-578/16, PPU, CK u. a./Slowenien).

Zu diesen "anderen ganz außergewöhnlichen Fällen" präzisierte der EGMR seine Rechtsprechung im Fall Paposhvili (EGMR, Große Kammer, 13.12.2016, 41738/10, Rn. 183-192), in dem es um die beabsichtigte Abschiebung eines an einer lebensbedrohlichen Erkrankung, nämlich an chronischer lymphatischer Leukämie, leidenden Mannes von Belgien nach Georgien ging, folgendermaßen:

"183. Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass die "anderen ganz außergewöhnlichen Fälle" im Sinn des Urteils N. gegen das Vereinigte Königreich, Rn. 43, die ein Problem nach Art. 3 EMRK aufwerfen können, derart verstanden werden sollten, dass es dabei um Situationen im Zusammenhang mit der Abschiebung eines schwer kranken Menschen geht, in denen gewichtige Gründe für die Annahme vorliegen, dass dieser, auch wenn er sich nicht in unmittelbarer Lebensgefahr befindet, einer realen Gefahr ausgesetzt wäre, wegen des Fehlens einer geeigneten Heilbehandlung im Zielstaat oder des mangelnden Zugangs zu einer solchen Heilbehandlung eine ernste, schnelle und irreversible Verschlechterung des Gesundheitszustandes, die ein starkes Leid zur Folge hat, oder eine erhebliche Verringerung der Lebenserwartung zu erfahren. Der Gerichtshof betont, dass diese Situationen im Einklang stehen mit der hohen Eingriffsschwelle des Art. 3 EMRK in Fällen der Abschiebung schwer kranker Ausländer.

184. Was die Frage betrifft, ob die genannten Bedingungen in einer bestimmten Situation erfüllt sind, hält der Gerichtshof fest, dass er in Fällen der Abschiebung von Ausländern nicht selbst die Asylanträge prüft oder die Art und Weise, wie Staaten die Einreise, den Aufenthalt und die Abschiebung von Ausländern kontrollieren, überprüft. Nach Art. 1 EMRK liegt die Hauptverantwortung für die Umsetzung und Durchsetzung der verbürgten Rechte und Freiheiten bei den nationalen Behörden, die somit verpflichtet sind, im Lichte des Art. 3 EMRK die Befürchtungen der Beschwerdeführer zu prüfen und die Gefahren einzuschätzen, denen diese im Fall der Abschiebung in den Zielstaat ausgesetzt wären. Der Mechanismus der Beschwerde an den Gerichtshof ist subsidiär zu den nationalen Systemen zur Wahrung der Menschenrechte. Dieser subsidiäre Charakter ist in Art. 13 und Art. 35 Abs. 1 EMRK geregelt (siehe EGMR, Große Kammer, 21.01.2011, 30696/09, M.S.S., Rn. 286 f; Große Kammer, 23.03.2016, 43611/11, F.G., Rn. 117 f).

185. Folglich wird in derartigen Fällen die Verpflichtung der Behörden gemäß Art. 3 EMRK zum Schutz der Unversehrtheit der betroffenen Personen in erster Linie durch geeignete Verfahren, die eine derartige Prüfung ermöglichen, erfüllt (siehe sinngemäß EGMR, Große Kammer, 13.12.2012, 39630/09, El-Masri, Rn. 182; Große Kammer, 04.11.2014, 29217/12, Tarakhel, Rn. 104; Große Kammer, 23.03.2016, 43611/11, F.G., Rn. 117).

186. Im Rahmen dieser Verfahren ist es Sache der Beschwerdeführer, geeignete Beweise dafür vorzulegen, dass es gewichtige Gründe für die Annahme gibt, sie wären im Fall der Umsetzung der in Beschwerde gezogenen Maßnahme der realen Gefahr einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt (EGMR, Große Kammer, 28.02.2008, 37201/06, Saadi, Rn. 129; Große Kammer, 23.03.2016, 43611/11, F.G., Rn. 120). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass ein gewisses Maß an Spekulation dem vorbeugenden Zweck des Art. 3 EMRK innewohnt und dass es nicht darum geht, die Betroffenen dazu zu verpflichten, einen klaren Beweis für ihre Behauptung zu liefern, sie wären einer verbotenen Behandlung ausgesetzt (EGMR 04.09.2014, 140/10, Trabelsi, Rn. 130).

187. Werden solche Beweise erbracht, ist es Sache der Behörden des abschiebenden Staates, im Rahmen der innerstaatlichen Verfahren alle aufgeworfenen Zweifel zu beseitigen (EGMR, Große Kammer, 28.02.2008, 37201/06, Saadi, Rn. 129; Große Kammer, 23.03.2016, 43611/11, F.G., Rn. 120). Die behauptete Gefahr muss einer genauen Prüfung unterzogen werden (EGMR, Große Kammer, 28.02.2008, 37201/06, Saadi, Rn. 128; 28.06.2011, 8319/07, 11449/07, Sufi und Elmi, Rn. 214;

Große Kammer, 23.02.2012, 27765/09, Hirsi Jamaa u. a., Rn. 116;

Große Kammer, 04.11.2014, 29217/12, Tarakhel, Rn. 104), in deren Verlauf die Behörden des abschiebenden Staates die vorhersehbaren Folgen der Abschiebung für die betroffene Person im Zielstaat erwägen müssen im Lichte der dortigen allgemeinen Lage und der individuellen persönlichen Verhältnisse (EGMR 30.10.1991, 13163/87 u. a., Vilvarajah u. a., Rn. 108; Große Kammer, 13.12.2012, 39630/09, El-Masri, Rn. 213; Große Kammer, 04.11.2014, 29217/12, Tarakhel, Rn. 105). Die oben (Rn. 183-184) definierte Einschätzung der Gefahr muss daher allgemeine Quellen, z. B. Berichte der WHO oder von angesehenen nichtstaatlichen Organisationen, und die medizinischen Befunde über die betroffene Person berücksichtigen.

188. Wie der Gerichtshof oben (Rn. 173) festgestellt hat, geht es hier um die negative Verpflichtung, Personen nicht der Gefahr einer durch Art. 3 EMRK verbotenen Behandlung auszusetzen. Daraus folgt, dass die Auswirkungen der Abschiebung für die betroffene Person eingeschätzt werden müssen durch Vergleich des Gesundheitszustandes vor der Abschiebung und wie sich dieser nach der Abschiebung in den Zielstaat entwickeln würde.

189. Was die zu berücksichtigenden Faktoren betrifft, müssen die Behörden des abschiebenden Staates im Einzelfall prüfen, ob die im Zielstaat allgemein verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten in der Praxis ausreichend und geeignet für die Behandlung der Krankheit des Betroffenen sind, um zu verhindern, dass dieser einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wird (siehe oben, Rn. 183). Der Maßstab ist nicht das im abschiebenden Staat bestehende Behandlungsniveau; es geht nicht darum, zu ermitteln, ob die Heilbehandlung im Zielstaat gleichwertig oder schlechter wäre als die durch das Gesundheitswesen des abschiebenden Staates zur Verfügung gestellte Heilbehandlung. Es ist auch nicht möglich, aus Art. 3 EMRK ein Recht abzuleiten, im Zielstaat eine bestimmte Heilbehandlung zu erhalten, die für den Rest der Bevölkerung nicht verfügbar ist.

190. Die Behörden müssen auch prüfen, inwieweit die betroffene Person tatsächlich Zugang zu dieser Heilbehandlung und zu diesen Behandlungseinrichtungen im Zielstaat haben wird. Der Gerichtshof stellt in diesem Zusammenhang fest, dass er bereits bisher die Zugänglichkeit der Heilbehandlung geprüft hat (EGMR 16.04.2013, 17299/12, Aswat, Rn. 55; 14.04.2015, 65692/12, Tatar, Rn. 47-49) und auf die Notwendigkeit hingewiesen hat, die Kosten der Medikamente und der Heilbehandlung, das Vorhandensein eines sozialen und familiären Netzwerkes und die für den Zugang zu der erforderlichen Heilbehandlung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen (EGMR 15.11.2001, 47531/99, Karagoz; Große Kammer, 27.05.2008, 26565/05, N., Rn. 34-41, mwN; 10.05.2012, 34724/10, E.O.).

191. Wenn nach Prüfung der relevanten Informationen ernsthafte Zweifel über die Auswirkungen der Abschiebung auf die betroffenen Personen bestehen bleiben, sei es wegen der allgemeinen Lage im Zielstaat oder wegen der individuellen Situation der Betroffenen, muss der abschiebende Staat - als Vorbedingung für die Abschiebung - vom Zielstaat individuelle und ausreichende Zusicherungen einholen, dass eine geeignete Heilbehandlung für die betroffenen Personen verfügbar und zugänglich sein wird, sodass sie sich nicht in einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Situation befinden (zum Thema individuelle Zusicherungen siehe EGMR, Große Kammer, 04.11.2014, 29217/12, Tarakhel, Rn. 120).

192. Der Gerichtshof betont, dass in Fällen betreffend die Abschiebung schwer kranker Menschen das Ereignis, welches die unmenschliche und erniedrigende Behandlung verursacht und die Verantwortlichkeit des abschiebenden Staates nach Art. 3 EMRK auslöst, nicht das Fehlen der medizinischen Infrastruktur im Zielstaat ist. Ebenso wenig geht es um irgendeine Verpflichtung des abschiebenden Staates, die Unterschiede zwischen seinem Gesundheitssystem und dem Behandlungsniveau im Zielstaat zu mildern durch die Bereitstellung einer kostenlosen und unbeschränkten Gesundheitsversorgung für alle Ausländer ohne Aufenthaltsrecht. Die Verantwortlichkeit des abschiebenden Staates nach der EMRK besteht in derartigen Fällen aufgrund einer Handlung - in diesem Fall der Abschiebung -, die dazu führen würde, dass eine Person der Gefahr einer durch Art. 3 EMRK verbotenen Behandlung ausgesetzt würde."

Nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR hindert auch die Selbstmorddrohung einer Person den Vertragsstaat nicht an der Durchsetzung einer beabsichtigten Ausweisung, sofern konkrete Maßnahmen zwecks Verhütung der Ausführung der Drohung ergriffen werden. Dies gilt auch im Fall bereits früher begangener Selbstmordversuche (z. B. EGMR 30.04.2013, 75203/12, Kochieva u. a.; 03.05.2007, 31246/06, Goncharova und Alekseytsev; 04.07.2006, 24171/05, Karim).

Im vorliegenden Fall litt die beschwerdeführende Partei an Hüftkopfnekrose und wurde am 09.02.2017 in Österreich operiert, und es wurde eine Physiotherapie und eine Kontrolluntersuchung vereinbart.

Die gesundheitlichen Probleme der beschwerdeführenden Partei weisen somit keinesfalls jene besondere Schwere auf, die nach der Rechtsprechung zu Art. 3 EMRK eine Abschiebung als eine unmenschliche Behandlung erscheinen ließe. Es ist insbesondere nicht anzunehmen, dass sich die beschwerdeführende Partei etwa in dauernder stationärer Behandlung befände oder auf Dauer nicht reisefähig wäre. Laut den Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides wird Asylwerbern und Schutzberechtigten im zuständigen Mitgliedstaat die notwendige medizinische Versorgung gewährt und können daher die erforderlichen Therapien auch in diesem Mitgliedstaat der Union erfolgen. In diesem Staat sind alle Krankheiten uneingeschränkt behandelbar. Nach der Rechtsprechung zu Art. 3 EMRK wäre es schließlich auch unerheblich, wenn etwa die Behandlung im Zielstaat nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver wäre als im abschiebenden Staat.

Schließlich ist auch darauf hinzuweisen, dass die Fremdenpolizeibehörde bei der Durchführung einer Abschiebung im Fall von bekannten Erkrankungen des Drittstaatsangehörigen durch geeignete Maßnahmen dem Gesundheitszustand Rechnung zu tragen hat. Insbesondere wird kranken Personen eine entsprechende Menge der verordneten Medikamente mitgegeben. Anlässlich einer Abschiebung werden von der Fremdenpolizeibehörde auch der aktuelle Gesundheitszustand und insbesondere die Transportfähigkeit beurteilt sowie gegebenenfalls bei gesundheitlichen Problemen die entsprechenden Maßnahmen gesetzt. Im Fall einer schweren psychischen Erkrankung und insbesondere bei Selbstmorddrohungen werden geeignete Vorkehrungen zur Verhinderung einer Gesundheitsschädigung getroffen.

Insgesamt gesehen handelt es sich daher im vorliegenden Fall nach dem Maßstab der Rechtsprechung des EGMR um keinen "ganz außergewöhnlichen Fall", in dem die humanitären Gründe gegen die Abschiebung zwingend sind.

Die allgemeinen Ausführungen der beschwerdeführenden Partei sind letztlich nicht geeignet, die Rechtsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 zu entkräften. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass die allgemeine Lage für nach Litauen überstellte Asylwerber keineswegs die reale Gefahr einer gegen menschenrechtliche Bestimmungen verstoßenden Behandlung glaubhaft erscheinen lässt. Insbesondere sind die Praxis der a

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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