Entscheidungsdatum
23.07.2018Norm
AsylG 2005 §57Spruch
L523 2164597-1/12E
L523 2164594-1/8E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Tanja Danninger-Simader als Einzelrichterin über die Beschwerden von XXXX (BF1), geb. XXXX und XXXX (BF2), geb. XXXX, StA. Armenien, gesetzlich vertreten durch die Kindesmutter XXXX(BF1), beide rechtsfreundlich vertreten durch RA Dr. Helmut Blum, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 26.06.2017, Zlen. XXXX und XXXX, beschlossen:
A) In Erledigung der Beschwerde werden die angefochtenen Bescheide
behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerinnen 1 und 2 (BF1-2), armenische Staatsangehörige, stellten am 22.09.2016 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Besonderer Schutz" gemäß
2. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) Zlen. XXXX vom 13.10.2014 wurden die Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (§ 57 AsylG) gemäß § 58 Abs 9 Z 2 AsylG als unzulässig zurückgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die BF1-2 über ein Aufenthaltsrecht nach dem AsylG verfügen würden.
3. Gegen die Bescheide des BFA vom 13.10.2014 wurde mit Schriftsatz vom 23.10.2014 fristgerecht Beschwerde erhoben.
4. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.12.2014, Zlen XXXX wurden die Bescheide des BFA vom 13.10.2014 behoben. Begründend wurde ausgeführt, dass die BF1-2 aktuell über keinen Aufenthaltstitel verfügen würden und folglich eine Anwendung des § 58 Abs 9 AsylG als Rechtsgrundlage für eine Zurückweisung des Antrages ausscheide.
5. Am 20.06.2017 erfolgte vor dem BFA eine niederschriftliche Einvernahme der BF1. Dabei wurde sie zu ihrem Lebenslauf, zur Einreise nach Österreich, zu ihren Wohnverhältnissen sowie zu ihren Verwandten in Armenien befragt.
6. Mit Bescheiden des BFA vom 26.06.2017, Zlen. XXXX wurde der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (§ 57 AsylG) gemäß § 58 Abs 10 AsylG als unzulässig zurückgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass die Asylverfahren der BF1-2 (inklusive Rückkehrentscheidung und Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 Abs 1 Z 3 AsylG) mit Erkenntnis des BVwG vom 18.04.2017 rechtskräftig negativ entschieden wurden und die BF1-2 zum gegenständlichen Antrag keine Neuerungen, welche zu einer Neubeurteilung des § 57 AsylG führen würden, vorgebracht hätten.
7. Mit Verfahrensanordnungen des BFA vom 27.06.2017 wurde gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG den BF 1-2 amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.
8. Die Bescheide des BFA vom 26.06.2017 wurden der damaligen Vertretung der BF 1-2 (Migrantinnenverein St. Marx) am 29.06.2017 ordnungsgemäß zugestellt, wogegen am 12.07.2017 fristgerecht Beschwerde erhoben wurde.
Begründend wurde ausgeführt, das BFA habe sich auf den Verweis beschränkt, wonach das Vorbringen der BF1-2 aus der Aktenlage geklärt sei. Eine nachvollziehbare Begründung, weshalb der gegenständliche Antrag zurückzuweisen sei, könne der Beweiswürdigung nicht entnommen werden. Die Aussagen der BF1 könnten jedenfalls nicht als rechtliche Beurteilung ausgelegt werden, zumal sie eine juristisch ungeschulte Person sei. Das BFA hätte hinsichtlich der Befürchtungen der BF1-2 adäquate Ermittlungen durchführen müssen. Die BF1-2 hätten in Armenien keine Lebensperspektive und würden in eine existenzbedrohende Lage geraten. Zudem bestehe eine intensive Schutzwürdigkeit des Privat- und Familienlebens in Österreich. Die BF1 habe glaubwürdig dargelegt, dass sie durch ihren Ex-Ehegatten wiederholt Gewalttätigkeiten ausgesetzt gewesen sei. Zudem befürchte die BF1 im Falle einer Rückkehr nach Armenien der Familie des Ex-Ehegatten schutzlos ausgeliefert zu sein und, dass ihr die Tochter weggenommen werde. Die armenischen Behörden seien weder schutzwillig noch schutzfähig. Auch die Länderfeststellungen zu Armenien würden sich mit den Befürchtungen der BF1-2 decken.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Beweis wurde erhoben durch den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte der Verwaltungsbehörde und der eingebrachten Beschwerden.
1. Feststellungen:
Hinsichtlich des Verfahrensganges und des festzustellenden Sachverhaltes wird grundlegend auf die unter Punkt I getroffenen Ausführungen verwiesen.
Die belangte Behörde hat jedoch die notwendigen Ermittlungen des maßgeblichen Sachverhaltes unterlassen, weshalb dieser zum Zeitpunkt der Entscheidung der belangten Behörde nicht hinreichend feststand.
2. Beweiswürdigung:
Der für die gegenständliche Zurückverweisung des Bundesverwaltungsgerichtes relevante Sachverhalt ergibt sich aus der Aktenlage zweifelsfrei.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 hat, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg. cit nicht vorliegen, das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgeht.
Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. dazu ausführlich das Erk. Des VwGH vom 26.6.2014, Zl. Ro 2014/03/0063).
3.2. Aus folgenden Gründen muss angenommen werden, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt wurde:
Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56, 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung gemäß § 10 Abs 3 AsylG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs 9 Z 1 bis 3 vorliegt.
Im gegenständlichen Fall sprach das BFA keine neuerliche Rückkehrentscheidung aus und begründete diese Entscheidung damit, dass die Zurückweisung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 58 Abs 10 AsylG erfolgt sei.
Dem kann jedoch nicht gefolgt werden, zumal iSd § 10 Abs 3 AsylG lediglich dann keine Rückkehrentscheidung zu erfolgen hat, wenn ein Fall des § 58 Abs 9 Z 1 bis 3 vorliegt.
Folglich hätte das BFA eine (neuerliche) Rückkehrentscheidung auszusprechen gehabt, was jedoch unterlassen wurde und liegt insofern eine letztlich nicht sanierbare Mangelhaftigkeit vor.
Daran anknüpfend ist das Ermittlungsverfahren mangelhaft geblieben und fehlt dem Bundesverwaltungsgericht eine ausreichende Beurteilungsgrundlage für die Lösung der Frage, ob die Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorliegen. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht somit nicht fest.
Letztmalig wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 18.04.2017 (rechtskräftig seit 24.04.2017) eine Rückkehrentscheidung ausgesprochen und erfolgte die letzte persönliche Äußerungsmöglichkeit vor dem BFA am 20.06.2017. Dabei wurden die BF1-2 weder zur Beziehung zu ihrem Sohn bzw. Bruder befragt, obwohl sich die BF1 mit ihrem Ex-Ehegatten die Obsorge teilt und offenbar auch von ihrem Besuchsrecht Gebrauch macht, noch zu einer allfälligen mittlerweile aufgenommenen Berufstätigkeit bzw. Ausbildung oder sonstigen maßgeblichen Integrationsschritten.
Das BFA hat sich im fortgesetzten Verfahren daher in geeigneter Weise mit dem Privat- und Familienleben der BF1-2 auseinanderzusetzen und eine entsprechende individuelle Würdigung hinsichtlich der Prüfung der Rückkehrentscheidung vorzunehmen. Es werden ergänzende Einvernahmen der BF1-2 durchzuführen sowie entsprechende Ermittlungen zu führen sein.
Durch das Versäumnis, aktuelle Feststellungen zum Privat- und Familienleben der BF1-2 zu treffen, hat die belangte Behörde im gegenständlichen Fall sohin ein grob mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt, weshalb der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit belastet ist und zu beheben war.
Die gegenständlichen behördlichen Verfahren erweisen sich aus den dargelegten Gründen insgesamt als so mangelhaft, dass von dem in § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG eingeräumten Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung Gebrauch zu machen war. Insofern war die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der Beschwerde stattzugeben bzw. die angefochtenen Bescheide aufzuheben waren.
Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. beispielshaft Erk. d. VwGH v. 16.12.2009, GZ. 2007/20/0482; Erk. d. VwGH vom 19.11.2009, 2008/07/0167, VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Ermittlungspflicht, Integration, Kassation, mangelndeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:L523.2164594.1.00Zuletzt aktualisiert am
27.11.2018