TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/8 L515 2017092-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.08.2018
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Entscheidungsdatum

08.08.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55
VwGVG §28 Abs1

Spruch

L515 2017092-2/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. H. LEITNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA:

Armenien, vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.02.2018, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG, Bundesgesetz über

das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz), BGBl I 33/2013 idgF, §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 57, 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG, BGBl I Nr. 87/2012 idgF sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG 2005, BGBl 100/2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrenshergang

I.1. Die beschwerdeführende Partei (in weiterer Folge als "bP" bezeichnet), ist ein männlicher Staatsangehöriger der Republik Armenien.

I.2. Ursprünglich reiste der Vater der bP mit seinem Sohn am 16.06.2007, sowie die Mutter der bP mit der bP am 02.08.2007 rechtswidrig in das Hoheitsgebiet der Europäischen Union und in weiterer Folge nach Österreich ein und stellten sie erstmalig bei der belangten Behörde Anträge auf internationalen Schutz, welche nach erstinstanzlichen Entscheidungen vom 29.11.2007 (Vater der bP und Bruder der bP) mit Bescheiden des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 26.02.2008 bzw. vom 29.11.2007 (Mutter der bP und die bP) gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 Z 1 sowie 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 mangels Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens abgewiesen wurden.

I.2.1. Vorgebracht wurde, dass die Mutter des Vaters der bP Aserbaidschanerin sei, weshalb sie verfolgt worden wären.

I.3. Die bP und ihre Familie reisten in weiterer Folge nach Frankreich. Sie stellten dort ebenfalls einen Asylantrag; jedoch wurden sie entsprechend den Bestimmungen der Dublin II -Verordnung nach Österreich rücküberstellt.

I.4. Am 25.09.2008 brachten die bP und ihre Familie erneut Anträge auf internationalen Schutz ein, welche vom Bundesasylamt, mit Bescheiden vom 06.06.2009 in Spruchpunkt I gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurden. Mit Spruchpunkt II wurden die bP gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Herkunftsstaat Armenien ausgewiesen.

I.4.1. In Erledigung der gegen die Bescheide vom 06.06.2009 erhobenen Beschwerden behob der Asylgerichtshof mit Erkenntnissen vom 23.07.2009 in Spruchpunkt I die bekämpften Bescheide gemäß § 68 Abs. 1 AVG iVm § 34 Abs. 4 AsylG 2005. Die gleichzeitig mit der Beschwerde gestellten Anträge auf Verfahrenshilfe wurden mit Spruchpunkt II der Erkenntnisse gemäß § 23 AsylGHG als unzulässig zurückgewiesen, woraufhin die bP nochmals einvernommen wurden.

I.4.2. Mit im Spruch genannten Bescheiden vom 05.11.2009 wies das Bundesasylamt, Außenstelle Graz, die Anträge auf internationalen Schutz der Familie der bP vom 25.09.2008 in Spruchpunkt I bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten nunmehr gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 und in Spruchpunkt II bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab. Mit Spruchpunkt III wies das Bundesasylamt die bP gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Herkunftsstaat Armenien aus.

Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die belangte Behörde das Vorbringen der bP in Bezug auf die Existenz einer aktuellen Gefahr einer Verfolgung als nicht glaubhaft.

I.4.3. Am 24.11.2009 langte um 19:21 Uhr ein Telefax bei der belangten Behörde ein, welches die Namen der bP sowie Ausführungen der Beschwerde gegen die Bescheide vom 06.06.2009 gemäß § 68 AVG enthielt. Mit Schreiben vom 10.12.2009 verständigte der Asylgerichtshof die Parteien gemäß § 45 Abs. 3 AVG von der Beweisaufnahme, wonach die Beschwerden vom 24.11.2009 der Aktenlage nach als verspätet anzusehen sind.

I.5. Am 22.12.2009 stellten die bP Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

I.5.1. Mit Bescheiden vom 08.01.2010 wies das Bundesasylamt, Außenstelle Graz, die Anträge der bP auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 AVG ab.

I.5.2. Gegen diese an den Vertreter des Beschwerdeführers zugestellten Bescheide der belangten Behörde wurden fristgerechte Beschwerden vom 22.01.2010 verbunden mit Anträgen auf aufschiebende Wirkung eingebracht.

Der Asylgerichtshof erkannte den Anträgen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Beschlüssen vom 08.02.2010 gemäß § 71 Abs. 6 AVG die aufschiebende Wirkung zu. In weiterer Folge wurde den Beschwerden gegen die Abweisungen der Wiedereinsetzungsanträge stattgegeben und mit Entscheidungen vom 30.03.2010 die Wiedereinsetzungen in den vorigen Stand bewilligt.

I.6. Mit Schreiben vom 12.03.2012 übermittelte die Familie der bP die von ihnen unterfertigten Zustimmungserklärungen zu Ermittlungen im Herkunftsstaat, einen Haftbefehl wegen Wehrdienstverweigerung sowie Schreiben betreffend die Integration (Schulbesuchsbestätigungen, Deutschkursbestätigungen, psychotherapeutische Stellungnahme für die Mutter der bP, Unterstützungsschreiben der Unterkunftgeber, Bestätigungen von

ISOP).

Zum Wehrdienst wurden im Wesentlichen die Länderfeststellungen bestätigt und festgehalten, dass nichts darauf hindeute, dass der Bruder und die bP behördlich gesucht würden.

Die Familie der bP hätte überdies 2007 Armenien vom Auslandsflughafen XXXX legal und ungehindert verlassen. Ihre Flugdaten wurden im Melderegister registriert. Die legale Ausreise bedeute, dass entweder der Wehrdienst bereits abgeleistet wurde, oder die bP aus Krankheitsgründen freigestellt wurde.

I.7. Gegen die bP wurde mit Bescheid der BH XXXX vom 07.11.2012 ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Rückkehrverbot erlassen.

I.8. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.10.2014 wurde die Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gem. §§ 3, 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen und gem. § 75 Abs. 20 AsylG 2005 wurde das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an die belangte Behörde zurückverwiesen.

I.9. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.12.2014 wurde Ihr Antrag auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 + 55 abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung gegen die bP erlassen.

Dagegen erhob die bP fristgerecht Beschwerde.

I.10. Die Beschwerde wurde am 24.02.2015 vom Bundesverwaltungsgericht als unbegründet abgewiesen und die Abschiebung der bP nach Armenien für zulässig festgestellt.

I.11. Die für den 19.08.2015 geplante Abschiebung wurde von der bP vereitelt und konnte nicht durchgeführt werden.

I.12. Am 29.09.2016 stellte die bP den gegenständlichen Folgeantrag auf Gewährung von internationalem Schutz.

In Ergänzung zu den bereits getroffenen Ausführungen wird in Bezug auf das bisherige verfahrensrechtliche Schicksal bzw. das Vorbringen der bP im Verwaltungsverfahren auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen, welche wie folgt wiedergegeben werden (Wiedergabe an dem angefochtenen Bescheid):

"...

[Anm.: Es folgen entscheidungsrelevante Auszüge aus der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes]:

Anlässlich Ihrer niederschriftlichen Erstbefragung zum Folgeantrag am 29.09.2016 gaben Sie zur Ihrem Fluchtgrund Folgendes an:

Im Jahr 2015 wurden mein Bruder und mein Vater nach Armenien zurückgeschoben. Mein Bruder wurde in Armenien noch am Flughafen von den Behörden wegen eines Haftbefehls festgenommen. Nach dem mein Vater den Armenischen Behörden Geld bezahlt hat, wurde mein Bruder wieder freigelassen. Weiters wurde mein Bruder während der Haft von den dortigen Polizisten brutal geschlagen und misshandelt. Die Beweisdokumente über die Misshandlung sowie des anschließenden Spitalaufenthalt meines Bruders in Armenien liegen bei unserem Rechtsanwalt in Graz und können von den Behörden jederzeit eingesehen werden. Der Name des Rechtsanwaltes ist Mag. Thomas Michael Reichenvater.

Von den Behörden in Armenien wurden mein Bruder sowie mein Vater befragt, wo ich mich befinde, da gegen mich ebenfalls ein solcher Haftbefehl vorliegt.

Jetzt habe ich Angst, dass ich wenn ich nach Armenien zurückkehre dasselbe passiert wie bei meinem Bruder. Weiters wissen die Behörden in Armenien, dass ich zum Islam konvertiert bin. Aufgrund dessen werde ich von den Behörden sowie meinen noch lebenden Verwandten in Armenien verfolgt werden.

Außerdem müsste ich, falls ich nach Armenien zurückkehren müsste noch zwei Jahre in der Armee ableisten. Dabei müsste ich mich am Krieg gegen Aserbaidschan beteiligen, dies lehne ich jedoch aus religiösen Gründen ab. Wenn ich mich weigere gegen Aserbaidschan zu kämpfen, werden mich die Leute in Armenien höchst wahrscheinlich umbringen.

[...]

[Anm.: Es folgen entscheidungsrelevante Auszüge aus der Einvernahme durch einen Organwalter der bB]

[...]

Nach Zulassung Ihres Verfahrens gaben Sie am 20.09.2017 anlässlich Ihrer niederschriftlichen Befragung zu Ihrem Folgeantrag vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines von der erkennenden Behörde bestellten und beeideten Dolmetschers für die Sprache Armenisch, sowie einem zur Entscheidung berufenen Organwalter Folgendes an:

...

LA: Sind Sie verheiratet? Wenn ja, wie lauten die Daten (Name, Geburtsdatum) Ihrer Gattin?

VP: Nein.

LA: Haben Sie Kinder? Wenn ja, wie viele und wie heißen Sie?

VP: Nein.

LA: Bitte geben Sie so genau wie möglich die Adresse im Heimatland an, an der Sie zuletzt gelebt haben?

VP:. Stadt XXXX-Straße (phonet.), an mehr kann ich mich nicht erinnern.

LA: Unter welchen Umständen und mit wem lebten Sie dort? (Haus, Wohnung, Miete, Eigentum ...?)

VP: Ich habe in der Eigentumswohnung meiner Familie gelebt. Dort haben meine Eltern, mein Bruder und ich gelebt. Meine Großmutter väterlicherseits wohnte auch dort, ihr gehörte die Wohnung vermutlich.

VP nimmt Anruf des Vertreters entgegen, um ihm den Standort der Einvernahme zu erklären.

LA: Welche Angehörige haben Sie jetzt noch in Ihrer Heimat?

VP: Mutter, Vater und Bruder sind in Österreich. In Armenien leben meine Großeltern mütterlicherseits und meine Großmutter väterlicherseits.

LA: Haben Sie sonst noch Verwandte in der Heimat?

VP: Einen Onkel mütterlicherseits samt Familie.

LA: Haben Sie oder Ihre Familie irgendwelche Besitztümer in Ihrem Heimatland, z.B. Häuser, Grund?

VP: Die Eigentumswohnung der Familie wurde verkauft, wir haben nichts mehr in Armenien.

LA: Wo lebt Ihre Großmutter väterlicherseits?

VP: Sie lebt in einer Mietwohnung in XXXX.

LA: Sind Sie nun im Rahmen Ihrer Flucht zum ersten Mal im Ausland?

VP: Ja.

...

LA: Hatten Sie jemals einen eigenen Reisepass?

VP: Ja.

LA: Wo befindet sich dieser?

VP: Ich habe ihn seit langem nicht mehr. Er war bei meinen Eltern, ob sie den weggeworfen haben, weiß ich nicht.

...

LA: Welcher Volksgruppe / Religion gehören Sie an?

VP: Ich bin Armenier und meine Religion ist der Islam.

LA: Welche Schulbildung/Ausbildung haben Sie?

VP: In Armenien habe ich sieben Jahre Grundschule gemacht. Hier habe ich den Pflichtschulabschluss gemacht. Auf Deutsch: Ich habe zuerst dafür Deutschkurse besucht. Jetzt mache ich die Matura nach. Eine Bestätigung habe ich da.

...

LA: Was haben Sie in Ihrer Heimat gemacht, wovon lebten Sie?

VP:. Auf Deutsch: Ich bin als Kind nach Österreich gekommen. Ich war dort Schüler, meine Eltern haben mich versorgt.

LA: Wie würden Sie Ihre wirtschaftliche / finanzielle Situation zuletzt (vor der Flucht) im Heimatland gemessen am landesüblichen Durchschnitt bezeichnen?

VP: Die wirtschaftliche Situation war nicht sehr gut.

LA: Haben Sie noch Kontakt ins Heimatland? (telefonisch, e-mail, postalisch, etc.)

VP: Nicht so viel, weil so viel passiert ist. Es gibt Missverständnisse mit meinen Verwandten in Armenien. Ich habe nicht sehr viel Kontakt.

LA: Haben Sie bereits woanders um Asyl angesucht? (wenn ja, wann? - wo? Ausgang d. Verfahrens?)

VP: Im Jahr 2007 als wir einen negativen Bescheid in Österreich erhielten, fuhren wir nach Frankreich weiter und stellten dort einen Asylantrag. Da aber Österreich das erste Land für uns gewesen ist, hat uns Frankreich 2008 wieder nach Österreich zurückgeschoben. Seitdem sind wir hier.

...

LA: Besteht ein offizieller Haftbefehl gegen Sie im Heimatland?

VP: Ja.

LA: Weshalb?

VP: Wegen meiner Wehrpflicht. Ich habe meinen Wehrdienst noch nicht geleistet, deswegen gibt es einen Haftbefehl gegen mich in Armenien. Das gleiche hatte auch mein Bruder. Als er 2015 gemeinsam mit meinem Vater nach Armenien abgeschoben wurde, wurde er gleich am Flughafen festgenommen. Die Bestätigung darüber ist auch beim anderen Vertreter, ich reiche sie nach.

FLUCHTGRUND

...

LA: Aus welchen Gründen haben Sie einen Folgeantrag gestellt? Was ist seit der Rechtskraft Ihres ersten Bescheides (27.02.2015) alles passiert?

VP: Wie ich vorhin erwähnt habe, wurden mein Vater und mein Bruder nach Armenien abgeschoben. Mein Bruder wurde direkt am Flughafen in Jerewan festgenommen. Die Polizei brachte ihn zu irgendeiner Polizeidienststelle und behielt ihn so lange dort, bis mein Vater Geld auftreiben konnte und ihn freikaufen konnte. Mein Vater machte sich Schulden um dieses Geld aufzutreiben. Während der Anhaltung bei der Polizei wurde auch mein Bruder misshandelt. Er wurde anschließend ins Krankenhaus eingeliefert. Die Bestätigung des Krankenhauses werde ich auch nachbringen. Ich bin in der selben Situation wie mein Bruder betreffend den Wehrdienst. Im Falle einer Rückkehr würde mir auch dasselbe wiederfahren. Dazu kommt, dass ich zum Islam konvertiert bin. Wenn die armenische Polizei das erfahren würde, würde es für mich sehr schlecht ausgehen. Wenn ich meinen Wehrdienst in Armenien antreten müsste, würde man mich nach Berg Karabach schicken, wo es Kämpfe gibt und tagtäglich junge Burschen sterben. Das größte Problem dabei ist, dass ich als Moslem nicht gegen meine muslimischen aserbaidschanischen Brüder kämpfen kann. Ich kann das alles in Armenien niemals offenlegen, dann wäre mein Schicksal unbekannt.

...

Ich würde sogar umgebracht werden. Vielleicht auch würden sie mich beschuldigen, dass ich ein Spitzel der Aserbaidschaner wäre. Mein bester Freund in Österreich ist ein Aserbaidschaner. Wir haben uns im Asylantenheim kennengelernt, wo wir drei Jahre lang gewohnt haben. Auch er ist der Meinung, dass der Krieg zwischen unseren beiden Ländern ein Unsinn ist. Nicht nur wir beide sind gute Freunde, sondern auch unsere Familien sind befreundet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich nach Armenien zurückkehre und Krieg zwischen unseren beiden Ländern führe. Ich will auch nicht als Kanonenfutter dienen. Armenien ist ein undemokratisches Land, wo Banditen die Führung übernommen haben.

LA: Wann haben Sie Ihren Glauben gewechselt?

VP: Das hat nach der Abschiebung meiner Familie begonnen. Nachdem meine Eltern weg waren, war ich ganz alleine. Die Familienbande haben sich gelöst. Die Wohnung wurde aufgelöst, es wurde alles zu Nichte gemacht, was wir über die Jahre geschaffen haben.

LA: Wer hält sich aktuell wo von Ihrer Familie auf?

VP: Meine Mutter und ich waren zum Zeitpunkt der Abschiebung nicht zu Hause, deswegen sind wir davon verschont geblieben. Es wurden nur mein Vater und mein Bruder abgeschoben. Die beiden sind aber seit 2016 oder 2017 wieder in Österreich.

Vertreter gibt bekannt, dass der Bruder und der Vater Ende 2016 wieder eingereist sind.

LA: Wann haben Sie genau Ihren Glauben gewechselt?

VP: Ich war so alleine und auf mich selbst angewiesen. Ich wusste nicht, wen ich um Hilfe bitten sollte. Ich habe jeden Tag gebetet, dass mir Gott eine Hilfe schickt und einen Weg zeigt. Ich hatte seit Jahren bereits muslimische Freunde. Als sie von meiner Situation gehört haben, haben sie mir ohne Forderungen zu stellen Ihre Hilfe angeboten. Ich bekam ein Dach über den Kopf. Sie haben mich mit allem versorgt, was ich gebraucht habe. Ich habe einige Monate lang bei ihnen gewohnt und wenn man zusammen wohnt, ist es selbstverständlich, dass man die Sitten und Gebräuche mitbekommt. Ich habe gesehen, wie menschlich sie sind, obwohl ich christlich war, haben sie ohne Bedenken mich mit allem versorgt und mir meine Hilfe angeboten. Zu diesem Zeitpunkt habe ich schon angefangen mich für den Islam zu interessieren. Nachgefragt gebe ich an, dass das im Sommer 2015 gewesen ist. Ich bin immer wieder tiefer in die Sache hineingegangen. Während dieser Zeit habe ich auch bei meinem aserbaidschanischen Freund gewohnt, von dem ich bereits erzählt habe, er hat mir damals sehr geholfen. Dann habe ich angefangen, sie bei den Moscheebesuchen zu begleiten. Ich habe mir vom Imam mehr Informationen über den Islam geholt. Es ist dann so weit gekommen, dass ich beschlossen habe, zum Islam zu konvertieren, weil ich mich dadurch seelisch viel wohler gefühlt und zugehörig gefühlt habe. Ich hatte jetzt religiöse Gefühle, die ich damals als Christ nicht hatte. Ich war vorher immer sehr unzufrieden. Durch meinen jetzigen Glauben bekomme ich mehr antworten auf meine seelischen Fragen, die Gott und den Menschen beziehungsweise mich betreffen. In dieser Situation habe ich keine Zukunft mehr in Armenien, ich weiß nicht, was mich dort erwarten würde. Großteils der Bevölkerung in Armenien sind Christen. Seit langen Jahren gibt es einen Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan. Dadurch gibt es eine große Feindschaft der armenischen Bevölkerung gegenüber den Moslems.

VP und Vertreter führen Gespräche bezüglich der Stellungnahme, da VP Länderinformationen bei sich hat. Vertreter gibt bekannt, diese in seiner schriftlichen Stellungnahme zu verwenden.

...

LA: Wer weiß aller von Ihrer Konversion? Was haben Ihre Eltern dazu gesagt?

VP: Ganz am Anfang waren noch mein Vater und mein Bruder. Ich wollte es ihnen übers Internet nicht mitteilen. Meine Mutter in XXXX wusste es zwar, und ich hatte sie gebeten, die Sache nicht zu erzählen, so lange er sich noch in Armenien aufhält. Sie hat es ihm und meiner Großmutter mütterlicherseits aber trotzdem erzählt, sie hat nicht auf mich gehört. Ich wollte damit vermeiden, dass nicht ein weiteres Problem in Armenien auf uns zukommt. Die Nachricht hat sich in Armenien dann unter den Verwandten verbreitet. Danach gab es Probleme zwischen der Verwandten, meinen Familienangehörigen und mir. Sie können es nicht verstehen, warum ich diesen Schritt gegangen bin, weil ich keine Gelegenheit hatte, mit ihnen von Angesicht zu Angesicht zu reden. Ich wollte die Ankunft meines Vaters und Bruders in Österreich abwarten, um ihnen meine Beweggründe persönlich zu erklären. Nach ihrer Einreise in Österreich habe ich ihnen alles erklärt, was mit mir in den eineinhalb Jahren passiert ist und was sich alles in mir geändert hat. Mein Vater und mein Bruder haben es zwar nicht einfach, aber letztendlich doch akzeptiert, weil wir im Endeffekt eine Familie sind. Ich habe mein Leben in der Hand und sie müssen meine Entscheidungen respektieren.

LA: Leben Sie derzeit mit Ihren Eltern und Ihrem Bruder zusammen?

VP: Ja.

...

LA: Was würden Sie im Falle einer Rückkehr in Ihren Heimatstaat befürchten? Was würde Sie dort erwarten?

VP: Ich hätte Angst vor einer Festnahme. Sie könnten mir sehr böse Sachen antun. Es würde mich eine Verurteilung beziehungsweise Misshandlung erwarten. Wenn sie mich gegen meinen Willen nach Berg Karabach schicken würden und ich dort nicht das tue, was sie von mir verlangen, können sie mir alles das antun, was ich Ihnen vorher gesagt habe.

LA: Haben Sie das schon erwogen / versucht - z.B. in ein anderes Gebiet zu ziehen bzw. bestünde diese Möglichkeit jetzt? Besteht für Sie die Möglichkeit sich diesen Problemen in Armenien zu entziehen?

VP: Schon am Flughafen würde mir das ganze wiederfahren, was ich ihnen erzählt habe. Ein Leben lang untergetaucht leben, kann ich ja auch nicht.

LA: Hatten Sie persönlich aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit bzw. Religionszugehörigkeit Probleme in der Heimat?

VP: Nein, weil diese Tatsache damals noch nicht hervorgekommen ist. Jetzt bin ich aber zum Islam konvertiert.

LA: Was müsste passieren, damit Sie jetzt wieder in Ihr Heimatland zurückkehren können?

VP: Mit kommt vor, dass so etwas niemals stattfinden könnte.

...

LA: Sind Sie je von einer gerichtlichen Untersuchung oder einem Gerichtsverfahren oder eine (einstweiligen) gerichtlichen Verfügung in Österreich betroffen gewesen? (Bestehen Anzeigen oder Verurteilungen gegen Sie in Österreich?)

VP: Ja, das ist schon lange her. Als ich so jung und dumm war. Ich war unter dem Einfluss von schlechten Menschen und Freunden. Das ist Vergangenheit.

LA: Welche Anzeigen oder Verurteilungen bestehen gegen Sie in Österreich?

VP: Aktuell bestehen keine Anzeigen oder Verurteilungen. Ich wurde zuletzt im Jahr 2015 nach dem mein Vater und mein Bruder abgeschoben wurden im Rahmen einer Personenkontrolle erwischt. Ich hatte einen gefälschten Reisepass bei mir, den ich gekauft habe. Ich wollte mich damit ausweisen können, damit ich hier leben und arbeiten kann. Weil ich mich bei der Festnahme gewehrt habe, wurde ich wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt angeklagt. Ich wurde auch verurteilt wegen Urkundenfälschung und Widerstand gegen die Staatsgewalt. Ich wurde zu 15 Monaten verurteilt, davon zwei Monate unbedingt. Ich glaube, dass ich meine bedingte Strafe noch nicht ganz verbüßt habe.

LA: Wie und wo leben Sie derzeit in Österreich?

VP: Ich wohne mit meiner Familie privat in einer Mietwohnung in der XXXX.

LA: Wovon leben Sie bzw. wie bestreiten Sie hier in Österreich Ihren Lebensunterhalt?

VP: Von der Grundversorgung.

LA: Haben Sie in Österreich Verwandte?

VP: Nein außer meinen Eltern und meinem Bruder habe ich niemanden.

LA: Besuchen Sie Kurse (z.B. Deutschkurs) oder machen Sie Ausbildungen?

VP: Ich mache im Moment die Matura.

LA: Wie sehr haben Sie sich bereits in Österreich eingelebt?

VP: Auf Deutsch: Ich bin mit 15 nach Österreich gekommen, jetzt bin ich 25. Ich bin hier aufgewachsen.

LA: Sind Sie Mitglied in einem Verein, oder einer Organisation hier in Österreich?

VP: Nein.

LA: Was machen Sie in Ihrer Freizeit? Mit wem haben Sie Kontakt? (Haben Sie österreichische Freunde oder soziale Kontakte zu Österreichern?)

VP: Auf Deutsch: Ich mache Sport, am Abend bin ich in der Schule bis 22 Uhr. Ich treffe mich mit Freunden. Ich mache die Dinge, die jeder Mensch macht, Hauptsache nichts Schlechtes.

Kurze Stellungnahme des Vertreters:

V: Mit Ausnahme der Abschiebung hat die Familie immer gemeinsam gewohnt. Die restlichen Familienangehörigen befinden sich in einem zugelassenen Asylverfahren. Die Mutter hat einen Behindertenpass in Österreich. Sie ist ein Opfer der Erdbebenkatastrophe seinerzeit.

Vertreter gibt bekannt, dass eine weitere Stellungnahme schriftlich binnen zwei Wochen erfolgt.

...

Anm.: Die gesamte Niederschrift wird wortwörtlich rückübersetzt. VP spricht fließend Deutsch und antwortete zum Teil auch auf Deutsch.

LA: Haben Sie nun nach Rückübersetzung Einwendungen gegen die Niederschrift selbst, wurde alles richtig und vollständig protokolliert?

VP: Ja.

Ergänzungen der VP: Zu Seite 8 gebe ich an, dass damals nur mein Bruder und mein Vater abgeschoben wurden.

LA: Haben Sie den Dolmetscher einwandfrei verstanden?

VP: Ich habe den Dolmetscher einwandfrei verstanden und bestätige dies mit meiner Unterschrift.

-

Ihre schriftliche Stellungnahme langte am 04.10.2017 bei hs. Behörde ein."

I.12.1. Der Antrag der bP auf internationalen Schutz wurden folglich mit im Spruch genannten Bescheid der bB gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Armenien gemäß § 46 FPG zulässig ist.

Eine Frist zur freiwilligen Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.

I.12.2. Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die bB das Vorbringen der bP in Bezug auf die Existenz einer aktuellen Gefahr einer Verfolgung als nicht glaubhaft und führte hierzu Folgendes aus:

Ihre "alten" Fluchtgründe sind gleichgeblieben, da über diese bereits entschieden wurde, sind nun die "neuen" Fluchtgründe von Relevanz und werden in Ihrem Verfahren - Folgeantrag behandelt.

Im Rahmen Ihrer Erstbefragung zum Folgeantrag am 29.09.2016 gaben Sie gefragt nach Ihrem Fluchtgrund an, dass Ihr Bruder und Ihr Vater nach Armenien zurückgeschoben worden seien. Ihr Bruder sei noch am Flughafen von den Behörden wegen eines Haftbefehls festgenommen worden. Nachdem Ihr Vater den armenischen Behörden Geld bezahlt habe, sei Ihr Bruder wieder freigelassen worden. Weiters sei Ihr Bruder während der Haft von den dortigen Polzisten brutal geschlagen und misshandelt worden. Die Beweisdokumente über die Misshandlung sowie über den anschließenden Spitalsaufenthalt Ihres Bruders seien bei Ihrem Rechtsanwalt in Graz. Ihr Bruder und Ihr Vater seien von den Behörden in Armenien befragt worden, wo Sie sich befinden würden, da gegen Sie ebenfalls ein solcher Haftbefehl vorliege. Sie hätten Angst, dass Ihnen im Falle Ihrer Rückkehr nach Armenien dasselbe passiere wie Ihrem Bruder. Weiters würden die Behörden wissen, dass Sie zum Islam konvertiert seien. Aufgrund dessen würden Sie von den Behörden sowie von Ihren noch lebenden Verwandten in Armenien verfolgt werden. Außerdem müssten Sie im Falle Ihrer Rückkehr nach Armenien noch zwei Jahre in der Armee ableisten. Dabei müssten Sie sich am Krieg gegen Aserbaidschan beteiligen, was Sie aus religiösen Gründen ablehnen würden. Wenn Sie sich weigern würden gegen Aserbaidschan zu kämpfen, würden Sie die Leute in Armenien höchstwahrscheinlich umbringen.

Am 20.09.2017 während Ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl blieben Sie im Wesentlichen bei diesen Gründen. Sie hätten ebenso wie Ihr Bruder im Falle Ihrer Rückkehr eine Festnahme zu erwarten, da Sie bisher noch keinen Wehrdienst abgeleistet hätten und in Armenien Wehrpflicht herrsche. Dazu komme, dass Sie zum Islam konvertiert seien. Das größte Problem sei, dass Sie als Moslem nicht gegen Ihre muslimischen aserbaidschanischen Brüder kämpfen könnten. Sie würden sogar umgebracht werden. Vielleicht auch würde man Sie beschuldigen, dass Sie ein Spitzel der Aserbaidschaner wären. Ihr bester Freund in Österreich sei Aserbaidschaner. Sie könnten sich nicht vorstellen, dass bei Ihrer Rückkehr nach Armenien Krieg zwischen ihren beiden Ländern herrsche. Außerdem sei Ihr Bruder von der Polizei misshandelt worden und anschließend ins Krankenhaus eingeliefert worden. Ihr Bruder sei solange auf der Polizeidienststelle geblieben bis Ihr Vater Geld aufgetrieben habe und Ihren Bruder freikaufen habe können. Die Bestätigung des Krankenhauses würden Sie nachbringen.

Eine Vorlage der Bestätigungen über die Misshandlungen und den Krankenhausaufenthalt Ihres Bruders erfolgte jedoch bis dato nicht.

Im Asylverfahren ist es nicht ausreichend, dass der Asylwerber Behauptungen aufstellt, sondern er muss diese glaubhaft machen. Dazu muss das Vorbringen in gewissem Maß substantiiert und nachvollziehbar sein, die Handlungsabläufe der allgemeinen Lebenserfahrung entsprechen und auch der Asylwerber persönlich glaubwürdig auftreten.

Ihre Aussagen entsprechen aber diesen Anforderungen nicht. Sie beschränken sich auf abstrakte und allgemein gehaltene Darstellungen.

Dass Ihr Bruder festgenommen worden sei und von der Polizei misshandelt worden sei, ist mangels Vorlage geeigneter Beweise eine bloße Behauptung Ihrerseits. Auch dass es Ihrem Vater, wie Sie mehrmals betonten, möglich war Ihren Bruder nach der Festnahme von den Behörden freizukaufen, kann nicht festgestellt werden. Danach gefragt ob Ihr Bruder damals im Rahmen seiner Anhaltung von der Polizei ins Krankenhaus gebracht wurde, antworteten Sie: "Nein, nachdem mein Vater ihn freigekauft hat, ging mein Bruder ins Krankenhaus beziehungsweise zu einem Arzt. Ob mein Bruder dort alleine hinging oder mein Vater ihn dort hingebracht hat, kann ich nicht sagen. Ich weiß es nicht" (vgl. S. 12 des Einvernahmeprotokolls vom 20.09.2017). Es ist äußerst befremdlich, dass Sie einerseits angaben, eine Bestätigung über die Misshandlungen und den Krankenhausaufenthalt Ihres Bruders vorlegen zu können, andererseits gar nicht sicher sind, ob Ihr Bruder in einem Krankenhaus oder beim Arzt war.

Auch zu der von Ihnen behaupteten Konversion wollten Sie Bestätigungen bringen. Ihnen wurde daher eine Frist zur Vorlage der Bestätigung des Imam eingeräumt, der Ihre Konversion begleitet habe. Diese ließen Sie aber ohne deren Vorlage ungenützt verstreichen. Sie brachten lediglich eine ärztliche Bestätigung zu Ihrer Beschneidung in Vorlage. Dies allein kann aber nicht als ausreichender Nachweis darüber dienen, dass Sie praktizierender Moslem sind.

Danach gefragt ob Sie eine Bestätigung über Ihre Moscheebesuche hier in Wien bringen können, erwiderten Sie: "Ich werde hinüber gehen und danach fragen. Ich glaube es ist möglich" (vgl. S 10 des Einvernahmeprotokolls vom 20.09.2017). Bis dato haben Sie aber keine Bestätigung hierzu vorgelegt.

Weiters führten Sie an, dass Sie den islamischen Glaubensunterricht besuchen würden im Gymnasium in XXXX, und dass Sie den Nachweis darüber vorlegen würden (vgl. S. 11 des Einvernahmeprotokolls vom 20.09.2017). Auch die Vorlage dieses Nachweises unterblieb Ihrerseits.

Nach Ihrer Rückkehrbefürchtung befragt, gaben Sie an, dass Sie Angst vor einer Festnahme hätten. Sie könnten Ihnen sehr böse Sachen antun. Es würde Sie eine Verurteilung beziehungsweise Misshandlung erwarten. Wenn Sie gegen Ihren Willen nach Berg Karabach geschickt werden würden und Sie dort nicht das tun würden, was von Ihnen verlangt werden würde, könnten die Ihnen alles antun, was Sie vorher der Einvernahmeleiterin gesagt hätten (vgl. S. 12 des Einvernahmeprotokolls vom 20.09.2017).

Ihre Angst vor einer Festnahme und Misshandlung von den Sicherheitsbehörden in Ihrem Herkunftsstaat im Falle Ihrer Werhrdienstverweigerung wird durch die Länderfeststellungen nicht erhärtet. Ebenso erweist sich Ihre Befürchtung im Rahmen Ihres Wehrdienstes gegen die Aserbaidschaner kämpfen zu müssen durch die Länderfeststellungen zu Armenien als unbegründet, da in Armenien die Möglichkeit besteht aus Gewissensgründen einen alternativen Zivildienst abzuleisten. Außerdem haben Wehrpflichtige, die sich zunächst ihrer Wehrpflicht entzogen haben, trotz vorhandener Strafvorschriften grundsätzlich nicht mit einer Bestrafung rechnen, wenn sie sich nach Rückkehr bei der zuständigen Einberufungsbehörde melden.

Noch dazu kommt, dass durch die Länderfeststellungen Ihre Angst vor Verfolgung aus religiösen Gründen nicht begründet wird, da in Ihrem Herkunftsstaat Religionsfreiheit herrscht. Die Religionsfreiheit ist verfassungsrechtlich garantiert und die Verfassung schreibt auch eine Trennung von Kirche und Staat vor.

Ihr Vorbringen wird somit als nicht glaubhaft gewertet. Es ist für die erkennende Behörde offensichtlich, dass Sie versucht haben, einen asylrelevanten Sachverhalt zu konstruieren. Für die erkennende Behörde ist nun in keiner Weise glaubhaft, dass Sie aufgrund einer Verfolgung bzw. Furcht vor solcher Ihr Heimatland verließen, sondern ist viel mehr davon auszugehen, dass Sie aufgrund des Wunsches nach Emigration Ihr Heimatland verließen.

Es ist nicht Aufgabe der Behörde, Sie dahingehend anzuleiten, wie Sie Ihr Vorbringen erfolgversprechend formulieren müssten bzw. was Teil eines erfolgreichen Vorbringens sei.

Die Behörde ist nicht dazu verpflichtet, derart mangelhafte und bereits als objektiv unglaubwürdig einzustufende Angaben durch weitere Erhebungen zu überprüfen (vgl. Erkenntnis vom 07.08.2013, GZ: C13 403.987-1/2009/4E).

Nach Ansicht der Behörde ist keinesfalls glaubhaft, dass Sie im Falle Ihrer Rückkehr einer lebensbedrohenden Gefahr ausgesetzt wären. Die Gründe für Ihre Ausreise mögen im rein privaten Bereich, nämlich der Verbesserung der Lebenssituation gelegen haben, eine Verfolgung Ihrerseits konnten Sie jedenfalls aus obengenannten Gründen nicht glaubhaft darlegen.

I.12.3. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Armenien traf die belangte Behörde ausführliche und schlüssige Feststellungen. Aus diesen geht hervor, dass in Armenien bzw. der Herkunftsregion der bP von einer unbedenklichen Sicherheitslage auszugehen und der armenische Staat grundsätzlich gewillt und befähigt ist, sich auf seinem Territorium befindliche Menschen vor Repressalien Dritte wirksam zu schützen. Ebenso ist in Bezug auf die Lage der Menschenrechte davon auszugehen, dass sich diese zwar in manchen Bereichen als problematisch darstellen, sich hieraus in Bezug auf die bP ein im Wesentlichen unbedenkliches Bild ergibt, zumal die bP von diesen Problempunkten nicht betroffen ist. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass in der Republik Armenien die Grundversorgung der Bevölkerung gesichert ist, eine soziale Absicherung auf niedrigem Niveau besteht, die medizinische Grundversorgung flächendeckend gewährleistet ist, Rückkehrer mit keinen Repressalien zu rechnen haben und in die Gesellschaft integriert werden.

Zum konkreten Vorbringen der bP stellte die bB folgendes fest (Gliederung nicht mit dem Original übereinstimmend, Streichungen nicht gekennzeichnet):

Rechtsschutz / Justizwesen

Es gibt immer wieder glaubhafte Berichte von Anwälten über die Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze durch Gerichte: die Unschuldsvermutung werde nicht eingehalten, rechtliches Gehör nicht gewährt, Verweigerungsrechte von Zeugen nicht beachtet und Verteidiger oft ohne Rechtsgrundlage abgelehnt. Die Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter wird weiterhin durch Nepotismus, finanzielle Abhängigkeiten und weit verbreitete Korruption konterkariert, auch wenn durch Gesetzesänderungen im Rahmen der "Judicial Reforms Strategy 2012-2016" gewisse Fortschritte, insbesondere bei der richterlichen Unabhängigkeit, zu verzeichnen sind. Die neue Verfassung hat die bisher weitreichenden Kompetenzen des Staatspräsidenten bei der Ernennung von Richtern reduziert. Es ist bekannt, dass einige Beamte in leitenden Funktionen der Justiz keine juristische Ausbildung haben. Verfahrensgrundrechte wie rechtliches Gehör, faires Gerichtsverfahren und Rechtshilfe werden laut Verfassung gewährt. Das Prinzip der "Telefonjustiz" - Machthaber nehmen Einfluss auf laufende Verfahren - soll in politisch heiklen Fällen nach wie vor verbreitet sein. In Bezug auf den Zugang zur Justiz gab es hingegen insoweit Fortschritte, als die Zahl der Pflichtverteidiger erhöht wurde und einer breiteren Bevölkerung als bisher kostenlose Rechtshilfe zuteil wird (AA 22.3.2016).

Die Gerichte hören weiterhin zu den Institutionen, denen seitens der Bevölkerung ein geringes Vertrauen entgegengebracht wird. Die Verfassungsreform sieht die Schaffung des Obersten Justizrates vor, um die Unabhängigkeit der Gerichte und Richter zu gewährleisten. 2016 gab es jedoch keine Entwürfe oder Konzepte im Justizbereich, die mit der Öffentlichkeit geteilt oder diskutiert wurden. Positiv war 2016 die Reform des Bewährungssystems, das einen alternativen Strafvollzug vorsah, was angesichts der oft inadäquaten Verhältnisse in den Haftanstalten wichtig ist (FH 29.3.2017).

Die Gerichtsbarkeit zeigt keine umfassende Unabhängigkeit. Die Verwaltungsgerichte sind hingegen verglichen zu den anderen Gerichten unabhängiger. Berichten zufolge nimmt das Kassationsgericht eine dominante Stellung ein. Es diktiert den Ausgang aller wichtigen Fälle der niederen Gerichtsbarkeit. Diese Kontrolle seitens des Kassationsgerichts bleibt das dominante Problem, das die Unabhängigkeit der Justiz beeinflusst. Selbst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellt in einem Urteil vom 27.10.2016 fest, dass es dem Vorsitzenden des Kassationsgerichts an der notwendigen Distanz gemäß des richterlichen Neutralitätsgebotes mangelte (USDOS 3.3.2017).

Richter unterliegen weiterhin des politischen Drucks von allen Ebenen der Exekutive, speziell seitens der Rechtsvollzugsorgane sowie der Hierarchie innerhalb der Justiz. Richter haben keine lebenslange Amtszeit, wodurch sie der Kündigung ausgesetzt sind und keine wirksamen Rechtsmittel besitzen, falls die Exekutive, die Legislative oder hochrangige Vertreter der Gerichtsbarkeit entscheiden, sie zu bestrafen. Vormalige Entlassungen von Richtern wegen ihrer unabhängigen Entscheidungen haben immer noch eine einschüchternde Wirkung auf die Justiz als Ganzes (USDOS 3.3.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (22.3.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

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FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Armenia, http://www.ecoi.net/local_link/338542/481545_de.html, Zugriff 3.5.2017

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Armenia, http://www.ecoi.net/local_link/337119/466879_en.html, Zugriff 3.5.2017

Sicherheitsbehörden

Die Polizei ist, ebenso wie der Nationale Sicherheitsdienst (NSD), direkt der Regierung unterstellt. Allein der Präsident hat die Befugnis, die Leiter beider Behörden zu ernennen. Die Aufgaben beider Organe sind voneinander abgegrenzt. Für die Wahrung der nationalen Sicherheit sowie für Nachrichtendienst und Grenzschutz ist der Nationale Sicherheitsdienst zuständig, dessen Beamte auch Verhaftungen durchführen dürfen. Der Polizeichef füllt in Personalunion die Funktion des Innenministers aus. Ein Innenministerium gibt es nicht mehr. Das Fehlen der politischen Instanz wird damit begründet, dass damit eine "Politisierung" der Sicherheitsorgane verhindert werden soll (AA 22.3.2016).

Straffreiheit ist ein Problem und es gibt keine unabhängige Institution, die ausschließlich Polizeiübergriffe untersucht. Laut NGOs sehen sich die Gesetzesvollzugsorgane eher als Verteidiger der Autorität denn als Diener des Gesetzes und der Öffentlichkeit. Der Verteidigungsminister bemüht sich, die Disziplin auch durch den Einsatz von Lehroffizieren für Menschenrechte zu verbessern, wozu auch die Bereitstellung sozialer, psychologischer und Rechtskurse im Rahmen des Wehrdienstes dienen sollen. Im November 2015 wurde seitens des Verteidigungsministeriums das Zentrum für Menschenrechte und Integritätsbildung errichtet, mit dem Mandat, u.a. die Menschenrechte zu schützen, Ethik zu fördern und eine Anti-Korruptions-Politik einzuführen (USDOS 3.3.2017).

Obwohl das Gesetz von den Gesetzesvollzugsorganen die Erlangung eines Haftbefehls verlangt oder zumindest das Vorliegen eines begründeten Verdachts für die Festnahme, nahmen die Behörden gelegentlich Verdächtige fest oder sperrten diese ein, ohne dass ein Haftbefehl oder ein begründeter Verdacht vorlag. Nach 72 muss die Freilassung oder ein richterlicher Haftbefehl erwirkt werden. Richter verweigern der Polizei ebenso selten einen Haftbefehl, wie sie kaum das Verhalten der Polizei während der Arrestzeit überprüfen (USDOS 3.3.2017).

Am 17.7.2016 kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der bewaffneten Gruppe "Sasna Tsrer", die eine Polizeistation besetzte, und Sicherheitsorganen. In jenen Tagen kam es zu Versammlungen von Demonstranten am Freiheitsplatz in Jerewan, welche laut der "Foundation Against the Violation of Law" (FAVL) unrechtmäßig verhaftet wurden. Zahlreiche Berichte zeigten, dass die Protestierenden Schlägen, Erniedrigungen und grausamen Behandlungen in Gewahrsam der Polizei ausgesetzt waren. Den Rechtsanwälten wurde der Zugang zu den verhafteten Demonstranten für mehrere Stunden verwehrt. Demonstranten wurden bis zu 32 Stunden statt der vorgesehenen maximal drei Stunden festgehalten und zwar ohne Wasser und Nahrung (FAVL 7.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (22.3.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

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FAVL - Foundation Against the Violation of Law" (7.2016):

Statement And Call For Action,

http://www.favl.am/blog/2016/07/23/statement-and-call-for-action/, Zugriff 3.5.2017

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Armenia, http://www.ecoi.net/local_link/337119/466879_en.html, Zugriff 3.5.2017

Folter und unmenschliche Behandlung

Die Anwendung von Folter ist nach Art. 26 der Verfassung verboten. Das armenische Strafgesetzbuch steht aber weiterhin nicht in Übereinstimmung mit der UN-Konvention gegen Folter (gesetzl. Kriminalisierung gem. Art. 1 der Konvention). Nach armenischer Definition fallen Straftaten von Angehörigen staatlicher Institutionen nicht darunter, sondern nur strafbare Handlungen von Privatpersonen). Im "Human Rights Strategy Action Plan 2014-2016" der armenischen Regierung zur weiteren Umsetzung der armenischen Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte wird auf die UN-Konvention gegen Folter kein Bezug genommen.

Menschenrechtsorganisationen berichten immer wieder glaubwürdig von Fällen, in denen es bei Verhaftungen oder Verhören zu Folterungen (z.B. Elektroschocks, wiederholte Schläge auf den Kopf) gekommen sein soll. Folteropfer können den Rechtsweg nutzen, einschließlich der Möglichkeit, sich an den Verfassungsgerichtshof bzw. den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu wenden. Abgesehen davon gibt es allerdings keinen Mechanismus, Folterverdachtsfälle gegenüber Beamten zu untersuchen, da beispielsweise Dienstaufsichtsbeschwerden nicht vorgesehen sind (AA 22.3.2016).

Polizeiübergriffe auf Verdächtige während deren Festnahme, Inhaftierung und Befragung sind weiterhin ein Problem. Laut Menschenrechtsorganisationen melden die meisten Opfer Übergriffe nicht, weil sie Angst vor Vergeltung haben. Am häufigsten passieren Misshandlung in Polizeistationen, weil diese im Unterschied zu Gefängnissen oder polizeilichen Hafteinrichtungen nicht der öffentlichen Überwachung unterliegen (USDOS 3.3.2017).

Das Helsinki Komitee Armenien berichtet für 2016 über unzählige Fälle von Polizeigewalt. Einer Gruppe von zivilen Beobachtern, die die armenischen Gefängnisse besuchte, berichtete, dass eine große Zahl von Personen brutalen Schlägen ausgesetzt war, bevor sie in die Haftanstalten gebracht wurden (HCA 1.2017).

Der Menschenrechtskommissar des Europarates zeigte sich besorgt, dass erzwungene Geständnisse regelmäßig bei Gericht Verwendung finden. Überdies gäbe es Fälle, bei denen Personen, die Beschwerde gegen Misshandlung während der Einvernahme einlegten, wegen Falschaussage verurteilt wurden (CoE-CommDH 10.3.2015).

Der Sonderermittlungsdienst der Republik Armenien, eine Beschwerdeeinrichtung zur Untersuchung von strafrechtlichen Vergehen von Behörden, berichtete für das Jahr 2016 von 705 Fällen, in denen ermittelt wurde, im Vergleich zu 654 im Jahr 2015. In 104 Straffällen wurden Untersuchungen durchgeführt, die BürgerInnen betrafen, welche illegal von der Polizei oder anderen Körperschaften festgehalten wurden, und es hierbei zu Freiheitsentzug, Folter oder anderen Menschenrechtsverletzungen durch Offizielle kam (SIS 27.1.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (22.3.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

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CoE-CommDH - Council of Europe - Commissioner for Human Rights (10.3.2015): Report By Nils Muižnieks Commissioner For Human Rights Of The Council Of Europe Following His Visit To Armenia From 5 To 9 October 2014 [CommDH(2015)2],

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1426583985_commdharmenia.pdf, Zugriff 3.5.2017

-

HCA - Helsinki Committee of Armenia (1.2017): Ditord Observer #1, Human Rights in Armenia in 2016, http://www.civicsolidarity.org/sites/default/files/ditord-2017-01engweb-1.pdf, Zugriff 3.5.2017

-

SIS - Special Investigation Service of the Republic of Armenia (27.1.2017): RA Special Investigation Service summed up the year, http://www.ccc.am/en/1428493746/3/5433, Zugriff 3.5.2017

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Armenia, http://www.ecoi.net/local_link/337119/466879_en.html, Zugriff 3.5.2017

Ombudsmann

Das Büro des Ombudsmannes hat das Mandat, die Menschenrechte und grundlegende Freiheiten vor dem Missbrauch durch die Regierung zu schützen. Das Büro des Ombudsmannes dient als effektiver Anwalt durch die Veröffentlichung von Berichten zu Menschenrechtsproblemen. Im Speziellen richtet bzw. macht es die Regierung auf Menschenrechtsverletzungen, unrechtmäßige Festnahmen und Verfehlungen der Polizei bei der Auflösung von Protesten wie im Juli 2016 aufmerksam (USDOS 3.3.2017).

Der Ombudsmann muss einen schwierigen Spagat zwischen Exekutive und den Rechtsschutz suchenden Bürgern vollziehen. Mit Unterstützung der OSZE wurden drei regionale Zweigstellen des Ombudsmann

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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