TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/24 L519 2139243-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.08.2018
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Entscheidungsdatum

24.08.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

L519 2139243-2/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Isabella ZOPF als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, StA. Iran, vertreten durch Johannes SCHALK, Diakonie, Hilfswerk der Baptisten, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 8.1.2018, Zl. XXXX, nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am 26.4.2018 und am 11.6.2018 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 57 und 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als "BF" bezeichnet), ein Staatsangehöriger des Iran, brachte nach nicht rechtmäßiger Einreise am 21.12.2014 bei der belangten Behörde einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte der BF im Wesentlichen vor, dass er bei der Arbeit einen Christen kennengelernt habe. Dieser habe den BF beauftragt, mehrere Bücher über das Christentum vom Irak in den Iran zu bringen. Dies habe der BF vor ca. 8 Monaten gemacht. Die Bücher seien von der Polizei beim BF zu Hause sichergestellt worden. Aus Angst um sein Leben sei er dann ausgereist.

Beim BFA wiederholte der BF am 3.5.2016 im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen: Er habe 7 Bücher aus dem Irak für einen gewissen Ahmad besorgt. Bei seiner Rückkehr nach Hause sei der BF von einem Freund telefonisch gewarnt worden, dass die Polizei sein Haus umstellt hätte. Der BF habe spontan beschlossen, auszureisen.

Am 12.4.2017 gab der BF an, dass er Sunnit sei, jeden Sonntag die Kirche besuche und bete. Er habe sich bereits für die Taufe angemeldet.

I.2. Der Antrag der BF auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 18.10.2016 gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung des BF in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 18 Abs. 1 Z.3 BFA-VG wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.).

I.3.1. Der gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss des BVwG vom 14.11.2016, L519 2139243-1/3Z insofern Folge gegeben, als der Beschwerde gem. § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde.

I.3.2. Mit Beschluss des BVwG vom 1.12.2016, L519 2139243-1/6E, wurde der bekämpfte Bescheid gem. § 28 Abs. 2 VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA verwiesen.

Begründet wurde diese Entscheidung im Wesentlichen damit, dass eine vollständige Übersetzung der vom BF vorgelegten Schriftstücke und daraus gegebenenfalls resultierende Erhebungen im Herkunftsstaat unterblieben seien.

I.4. Der Antrag der BF auf internationalen Schutz wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung des BF in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkte IV. und V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).

I.4.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass die Angaben der BF zu ihrem Fluchtgrund nicht glaubhaft seien.

Der BF habe anfänglich behauptet, aufgrund des Schmuggels christlicher Bücher in den Iran verurteilt worden zu sein. Nunmehr habe er sein Vorbringen erweitert und behauptet, eine Konvertierung anzustreben.

Die Angaben des BF vor den österreichischen Behörden seien unrichtig. Der BF sei sich dieses Umstandes bewusst und habe das auch zu Protokoll gegeben. Deshalb werde bereits hier ein schwerwiegender Täuschungsversuch an den Behörden geortet, welcher die Glaubwürdigkeit des BF nachhaltig konterkariert. Sollte sich der BF tatsächlich und wohlbegründet aus Konventionsgründen fürchten, erscheine dieses Verhalten gänzlich unlogisch, da der BF ansonsten alles unterlassen hätte, was sein Vorbringen gefährden könnte.

Zum Reisepass werde festgestellt, dass der BF bei der Erstbefragung angab, dieser sei zu Hause. Beim BFA behauptete er jedoch, nie einen besessen zu haben. Dabei handle es sich um einen gravierenden Täuschungsversuch bezüglich der Identität. Wie bereits im Vorverfahren festgestellt, könne kein Zusammenhang zwischen der Person und den vorgelegten Dokumenten festgestellt werden.

Auf Anfrage des verfahrensführenden Referenten seien die Länderinformationen hinsichtlich falscher und verfälschter Dokumente nochmals aktualisiert worden. Hieraus und aus der bereits erfolgten Anfragebeantwortung aus dem Jahr 2009 bestätige sich die gängige Praxis bezüglich falscher Gerichtsurteile.

Ein starkes Indiz für die Beschaffung solcher Dokumente sei auch, dass die betreffenden Dokumente dem BF erst am 7.1.2016 zugestellt wurden., also über 1 Jahr nach Ausstellung. Auch der Absender der Dokumente sei nicht - wie vom BF behauptet - sein Bruder XXXX, sondern ein gewisser XXXX. Weiter seien die Dokumente nicht aus dem Iran, sondern aus XXXX im Irak versendet. Da es sich hiebei um den zentralen Bestandteil des Vorbringens handeln soll, sei dieses Vorgehen nicht nachvollziehbar. Es wäre nur logisch, dass die Dokumente zeitnahe und nicht durch unbekannte Dritte übersandt worden wären. Es sei dabei von einer nachträglichen Beschaffung auszugehen.

Das Wesen beschaffter Dokumente verfälschten oder falschen Inhalts sei oft mit inhaltlichen Detailfehlern beschrieben. Dies habe im Fall des BF ebenfalls festgestellt werden können. So werde der BF im angeblichen Gerichtsbeschluss als vorbestraft geführt. Nachgefragt habe er jedoch angegeben, nicht vorbestraft zu sein. Der Adressat entspreche ebenfalls nicht den Angaben des BF, so seien wie bereits festgestellt, Angaben über die Personalien des BF sowie der Name seines Vaters gänzlich inkongruent.

Auch der Inhalt des Urteils weiche vom islamischen Strafgesetzbuch des Iran ab. So soll der BF angeblich nach Art. 508 zur Höchstrafe verurteilt worden sein. Nach Art. 508 beträgt diese 10 Jahre Freiheitsstrafe. Im vorgelegten Schreiben werden aber nur 9 Jahre und 1 Tag angeführt. Auch beziehe sich dieser Art. nicht auf Missionierung oder Apostasie, sondern vielmehr auf Kooperation mit ausländischen Staaten gegen den Iran. Einen derartigen Sachverhalt habe der BF aber nicht vorgebracht.

Am Tag der Ausreise sei es zu einer Durchsuchung des Hauses des BF gekommen. Der BF sei dann nicht mehr nach Hause zurückgekehrt, sondern noch am selben Tag ausgereist. Es sei ihm gelungen, ohne Rückkehr in sein Haus 15.000,-USD zu beschaffen und sofort in Richtung Türkei zu reisen. Dies erscheine nicht glaubhaft, da der BF behauptete, lediglich 3,70 Euro als Tagelöhner verdient zu haben. Hierbei sei von einer wesentlich längeren Zeitspanne auszugehen, welche zur Beschaffung einer derartig hohen Summe notwendig wäre. Die belangte Behörde gehe daher davon aus, dass der BF die Ausreise langfristig vorbereitet hat und nicht spontan binnen eines Tages ausgereist ist. Daher könne auch nicht festgestellt werden, dass die behauptete Hausdurchsuchung ausreisekausal war.

Auch die Ausreisemodalitäten seien nicht schlüssig. So behauptete der BF einerseits, dass ihm ständige Reisen zwischen Iran und Irak jederzeit möglich waren. Dies auch unerkannt und illegal. Sein Dorf solle sich in unmittelbarer Grenznähe befunden haben. So wäre auch naheliegend gewesen, der BF hätte diese bereits bekannte und bewährte Route nochmals genutzt. Seinen Darstellungen folgend wäre dies die sicherste und einfachste Variante gewesen. Der BF sei jedoch wieder landeinwärts nach XXXX gereist und danach quer durch den Iran an die türkische Grenze. Sollte der BF tatsächlich von iranischen Behörden verfolgt worden sein, erscheine diese Variante gänzlich unlogisch, da sich der BF damit einer wesentlich höheren Gefahr ausgesetzt hätte. Dieses Verhalten widerspreche jedenfalls auch dem Verhalten von Personen, welche sich im Herkunftsland fürchten und eine schnelle Ausreise anstreben.

Das BFA unterliegt dem Datenschutz, weshalb ausgeschlossen werden könne, dass iranische Behörden von den Konversionsabsichten des BF Kenntnis erlangen. Bis zur Behebung der ersten Entscheidung habe der BF keine Konversionsabsichten geäußert. Es werde daher der Versuch geortet, den Anschein einer Konversion zu erwecken, um das Vorbringen nachträglich zu steigern. Befragt zu den elementaren Themen, habe der BF keinerlei Auskunft erteilen können. Obwohl er angeblich seit 6 Monaten eine Kirche besucht, habe er nicht einmal deren Namen nennen können. Auch hohe christliche Feiertage, Sakramente Konfessionen und den Zweck der Taufe habe der BF nicht angeben können. Der BF habe sich auch im Iran bereits jahrelang für das Christentum interessiert, behauptete er nunmehr. Die belangte Behörde gehe daher von keiner Konversionsabsicht - weder im Iran noch in Österreich - aus.

I.4.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Iran traf die belangte Behörde ausführliche, aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben.

I.4.3. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam.

Es hätten sich weiter keine Hinweise für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK (§§ 55, 10 Abs. 2 AsylG 2005) dar.

I.5. Gegen diesen Bescheid wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

Im Wesentlichen wurde neben Wiederholungen, Judikaturverweisungen und allgemeinen Angaben des Beschwerdeverfassers vorgebracht, dass der angefochtene Bescheid rechtwidrig sei. Der Bescheid sei für den BF kaum verständlich, da er kurdisch-sorani und nicht kurdisch-kurmanci spreche. Der BF sei überzeugter Christ und besuche regelmäßig den Gottesdienst. Der BF sei traumatisiert bzw. durch den negativen Bescheid retraumatisiert. Die Familie des BF habe wegen der drohenden staatlichen Sanktionen Angst, mit dem BF zu telefonieren. Dem BF würde auch ohne Konversion eine langjährige Haftstrafe drohen. Der BF habe im Irak nur eine Migrantenkarte gehabt. Wäre er direkt aus dem Irak nach Österreich gekommen, würde er als staatenlos gelten. Das Urteil sei aus dem Iran nicht direkt dem BF geschickt worden, weil man bei einer Kontrolle durch die Post sofort seine Adresse hätte. Kurden seien die unreligiöseste Gruppe im Orient. Es komme immer wieder vor, dass jemand den Namen der Kirche, die er besucht, vergisst. Der BF wisse oft nicht einmal seine Wohnadresse.

Freikirchen haben keine Sakramente, weshalb es sich diesbezüglich um eine unerlaubte Frage gehandelt habe. Der BF sei noch in der Lernphase und wisse deshalb noch nicht alles über die Bibel.

Der BF sei gar nicht fähig, gefälschte Dokumente in Auftrag zu geben. Es gebe kriminaltechnische Möglichkeiten, um das zu überprüfen. Dem BF sei die Einsichtnahme in die Erstbefragung verwehrt worden.

I.6. Für den 26.4.2018 und den 11.6.2018 lud das erkennende Gericht die Verfahrensparteien zu einer mündlichen Beschwerdeverhandlung, an der der BF und sein Rechtsvertreter sowie der vom BF beantragte Zeuge teilnahmen.

I.7. Hinsichtlich des Verfahrensganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

II.1.1. Der Beschwerdeführer:

Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen Staatsangehörigen des Iran, welcher zur Volksgruppe der Kurden gehört. Der BF ist damit Drittstaatsangehöriger.

Nicht festgestellt werden kann, dass der BF tatsächlich aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert wäre. Die BF wurde am 25.3.2018 von der Internationalen Baptistengemeinde getauft.

Der BF ist ein lediger, junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann mit einer im Iran - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage.

Der BF stammt aus dem Dorf XXXX, hat zuletzt vor seiner Ausreise in XXXX gelebt bzw. gearbeitet und hat 5 Jahre die Schule besucht. Er spricht Farsi auf muttersprachlichem Niveau sowie Kurdisch-sorani. Der BF hat laut eigener Angabe bislang weder einen Deutschkurs besucht noch eine Deutschprüfung abgelegt.

Im Iran leben nach wie vor 1 Bruder und 2 Schwestern des BF.

Der BF bezieht Grundversorgung und ist in Österreich bislang strafrechtlich unbescholten.

Der BF hat keine relevanten privaten Anknüpfungspunkte in Österreich.

Die Identität des BF steht fest.

Er reiste unrechtmäßig in die Europäische Union und in weiterer Folge in das österreichische Bundesgebiet ein.

Der BF hält sich lediglich aufgrund der Bestimmungen des Asylgesetzes vorübergehend legal in Österreich auf und besteht kein Aufenthaltsrecht nach anderen gesetzlichen Bestimmungen.

II.1.2. Die Lage im Herkunftsstaat:

Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Iran werden folgende

Feststellungen getroffen:

Politische Lage

Die komplexen Strukturen politischer Macht in der Islamischen Republik Iran sind sowohl von republikanischen als auch autoritären Elementen gekennzeichnet. Höchste politische Instanz ist der "Oberste Führer der Islamischen Revolution", Ayatollah Seyed Ali Khamene'i, der als Ausdruck des Herrschaftsprinzips des "velayat-e faqih" (Vormundschaft des Islamischen Rechtsgelehrten) über eine verfassungsmäßig verankerte Richtlinienkompetenz verfügt, Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist und das letzte Wort in politischen Grundsatz- und ggf. auch Detailfragen hat. Er wird von einer vom Volk auf acht Jahre gewählten Klerikerversammlung (Expertenrat) auf unbefristete Zeit bestimmt. Leiter der Exekutive ist der iranische Staatspräsident, seit August 2013 Dr. Hassan Rohani, der vom Volk in direkten Wahlen auf vier Jahre gewählt und vom Revolutionsführer bestätigt wird. Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden im Juni 2013 statt. Der Staatspräsident bildet ein Kabinett; das Parlament muss den einzelnen Ministern zustimmen und kann ihnen das Vertrauen auch wieder entziehen. Auch das Parlament wird auf vier Jahre direkt vom Volk gewählt. Sowohl Parlament als auch Regierung haben legislatives Initiativrecht. Als Kontrollinstanz fungiert im Gesetzgebungsverfahren der "Wächterrat" (bestehend aus sechs vom Revolutionsführer ausgewählten islamischen Rechtsgelehrten und sechs vom Parlament bestellten juristischen Experten), der auch über weitreichende Befugnisse der Verfassungsauslegung und bei der Vorauswahl der Kandidaten bei Parlaments-, Präsidentschafts- und Expertenratswahlen verfügt. Der "Schlichtungsrat" fungiert im Gesetzgebungsverfahren als vermittelndes Gremium und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der "Gesamtinteressen des Systems" zu achten (AA 6.2016a, vgl. ÖB Teheran 10.2016).

Das iranische Volk hat am 26. Februar 2016 das Parlament und den Expertenrat gewählt. Während Letzterer weiterhin stark konservativ dominiert ist, ist das neue Parlament deutlich zentristischer als zuvor. Der wiedergewählte traditionell-konservative Parlamentspräsident Larijani und Teile seiner Unterstützer haben sich im Zuge des Konflikts um die Verabschiedung des Nuklearabkommens im letzten Sommer der Regierung sichtbar angenähert. Die pragmatische Unterstützung Rohanis durch Larijani dürfte sich auch in Zukunft fallabhängig wiederholen und wirkt insgesamt systemstabilisierend. Weiterhin zeigen institutionelle Vetorechte des konservativen Establishments der Regierung Rohani und ihrer innenpolitischen Agenda von mehr Bürgerrechten und mehr Freiheiten Grenzen auf. Die Regierung Rohani ist überdies weiterhin bestrebt, den Iran aus seiner außenpolitischen Isolierung herauszuführen. Wichtige Grundlage hierfür war der Abschluss des Nuklearabkommens. Die Revolutionsgarden (IRGC) bleiben militärischer, politischer und wirtschaftlicher Machtfaktor im Gefüge der Islamischen Republik. Sie begrenzen die Macht des Staatspräsidenten in grundsätzlichen Fragen. Es gelang der Regierung, den dramatischen Rückgang der Wirtschaftsaktivität seit 2011 aufzuhalten, die Inflation auf unter 10 % zurückzufahren und die Währung zu stabilisieren (AA 8.12.2016).

Seit 1979 ist der Iran eine Islamische Republik, wobei versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Kriterien beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden. Das iranische Regierungssystem ist ein präsidentielles, d.h. an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident (Amtsinhaber seit 2013 Hassan Rohani). Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird die Majlis - Majles-e Shorâ-ye Eslami / Islamische Beratende Versammlung -, ein Einkammerparlament mit 290 Abgeordneten, das (mit europäischen Parlamenten vergleichbare) legislative Kompetenzen hat sowie Regierungsmitgliedern das Vertrauen entziehen kann. Über dem Präsidenten, der laut Verfassung auch Regierungschef ist, steht der Oberste Führer, seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei. Der Oberste Führer ist wesentlich mächtiger als der Präsident, ihm unterstehen u.a. die Revolutionsgarden (Pasdaran; Abk.: IRGC) und damit auch die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen. Für die entscheidenden Fragen der Islamischen Republik ist letztlich der Oberste Führer verantwortlich (ÖB Teheran 10.2016).

Ausschließlich politische Parteien und Fraktionen, die sich dem Establishment und der Staatsideologie als loyal erweisen, ist es erlaubt, im Iran zu arbeiten. Reformistische Parteien und Politiker sind seit 2009 immer wieder unter Druck geraten (FH 2017).

Das Parlament, der Expertenrat sowie der Präsident werden in geheimen und direkten Wahlen vom Volk gewählt. Dabei sind Ablauf, Durchführung sowie Kontroll- und Überprüfungsmechanismen der Wahlen in technischer Hinsicht grundsätzlich gut konzipiert. Den OECD-Standards entspricht das Wahlsystem jedoch schon aus dem Grund nicht, dass sämtliche Kandidaten im Vorfeld durch den vom Revolutionsführer und Justizchef ernannten Wächterrat zugelassen werden müssen (AA 8.12.2016, vgl. IPG 27.1.2014). Der Revolutionsführer ist oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter, kann zentrale Entscheidungen aber nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Parteien [im westeuropäischen Verständnis] gibt es in Iran nicht. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z.B. Klerus). Die Mitgliedschaft und Allianzen untereinander unterliegen dabei ständigem Wandel. Aufgrund der schwierigen Lage der reformorientierten Opposition unterstützt diese im Wesentlichen den im politischen Zentrum des Systems Islamische Republik angesiedelten Präsidenten Rohani (AA 8.12.2016).

Die Mitte Juli 2015 in Wien erfolgreich abgeschlossenen Verhandlungen über das iranische Atomprogramm im "Joint Comprehensive Plan of Action" (JCPOA) genannten Abkommen und dessen Umsetzung am 16. Jänner 2016 führten zu einer Veränderung der Beziehungen zwischen dem Iran und der internationalen Gemeinschaft:

Die mit dem iranischen Atomprogramm begründeten Sanktionen wurden aufgehoben bzw. ausgesetzt. Seither gibt es einen intensiven Besuchs- und Delegationsaustausch mit dem Iran, zahlreiche neue Wirtschaftsverträge wurden unterzeichnet. Die Erwartung, dass durch den erfolgreichen Abschluss des JCPOA die reformistischen Kräfte im Iran gestärkt werden, wurde in den Parlamentswahlen im Februar bzw. April (Stichwahl) 2016 erfüllt: Die Reformer und Moderaten konnten starke Zugewinne erreichen, so gingen erstmals alle Parlamentssitze für die Provinz Teheran an das Lager der Reformer. 217 der bisherigen 290 Abgeordneten wurden nicht wiedergewählt. Auf Reformbestrebungen bzw. die wirtschaftliche Öffnung des Landes durch die Regierung Rohanis wird von Hardlinern in Justiz und politischen Institutionen mit verstärktem Vorgehen gegen "unislamisches" oder konterrevolutionäres Verhalten reagiert. Es kann daher nicht von einer wirklichen Verbesserung der Menschenrechtslage gesprochen werden; insbesondere für einige religiöse Minderheiten, wie die Bahai, und Journalisten wird eher von einer Verschlechterung der Situation im Jahr 2015 ausgegangen. Dies zeigt sich gegenwärtig etwa in der Vorlage einer Gesetzesnovelle für das Medienrecht, welche die Meinungsfreiheit von Journalisten weiter einschränkt. (ÖB Teheran 10.2016).

Die Machtkämpfe zwischen Hardlinern und Reformern dauern im Iran schon fast vierzig Jahre an. Nie zuvor jedoch disqualifizierten die greisen Kleriker des allmächtigen Wächterrates so viele Bewerber bei einer Parlamentswahl [26.2.2016] wie diesmal. Sieben lange Wochen dauerte das Ringen hinter den Kulissen, sieben kurze Tage der eigentliche Wahlkampf. Am Ende kam auf den Stimmzetteln ein Reformkandidat auf 30 Hardliner. Landesweit lag die Zahl der zugelassenen Politiker, die für eine Öffnung der Islamischen Republik eintreten, bei kümmerlichen 200 und damit sogar unterhalb der Gesamtmenge von 290 Wahlkreisen. Und trotzdem erteilte das Volk den durch beispiellose klerikale Machtwillkür dezimierten Mitstreitern des moderaten Präsidenten Hassan Rohani ein eindeutiges Mandat. In der 16-Millionen-Metropolregion Teheran eroberten die Reformer sämtliche Sitze. In der Provinz verschoben sich ebenfalls die Gewichte, wenn auch nicht so fundamental wie in der Hauptstadt. Doch die lähmende Dominanz der Erzkonservativen ist vorbei. Die Mehrheit der Iraner zeigte auf dem Stimmzettel, dass sie dem Ende des Atomkonflikts zustimmt und für mehr Offenheit und Pluralität im Inneren votiert. Hassan Rohani, der den Wahltag zu einem Referendum über seine Politik erklärt hatte, ist gestärkt. Er kann künftig bei der Regierungsbildung freier agieren. Zudem sind die Hardliner durch diese Niederlage mit ihrem Ziel gescheitert, den Handlungsspielraum des Präsidenten in einer möglichen zweiten Amtszeit ab 2017 einzuschränken. Nun aber hat Rohani gute Chancen, während der ersten Neuwahl eines Revolutionsführers in der Geschichte der Islamischen Republik Präsident zu sein. Machthaber Ali Chamenei ist betagt [76 Jahre] und hat [Prostata]Krebs. 2009 verhinderten er und seine erzkonservative Gefolgschaft den Ansturm der Reformer mit einer Unterdrückungskampagne. Doch seit dem Atomkompromiss verschieben sich die innenpolitischen Gewichte massiv. Das Volk will nach dem außenpolitischen Aufbruch nun auch die Umsetzung der Reformen im Inneren. 2013 bei seiner Wahl hatte Rohani den Bürgern sogar eine Grundrechtecharta in Aussicht gestellt, die die Willkürmacht der islamischen Herrschaft begrenzen soll. Gut zwei Jahre hielten die 81 Millionen Iraner still und ertrugen die Betonfraktion, wohl wissend, dass ihr Präsident zunächst den Atomstreit lösen würde. Die Zahl der Hinrichtungen stieg auf ein Rekordniveau, politische Aktivisten und sogar Musiker wurden zu drakonischen Haftstrafen verurteilt, Zeitungen geschlossen. Entsprechend lang ist die politische, soziale und kulturelle Forderungsliste der Menschen für die nächsten beiden Jahre - angefangen von Pressefreiheit und Parteienvielfalt bis hin zur Freilassung aller politischen Häftlinge, allen voran der Ikonen der Grünen Bewegung von 2009, die damaligen Präsidentschaftsbewerber Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karroubi. Ob Rohani diese Erwartungen erfüllen kann, ist ungewiss (Zeit Online 29.2.2016).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt (8.12.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran

AA - Auswärtiges Amt (6.2016a): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Iran/Innenpolitik_node.html, Zugriff 13.3.2017

FH - Freedom House (2017): Freedom in the World 2017, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2017/iran, Zugriff 25.4.2017

IPG - Internationale Politik und Gesellschaft (27.1.2014): Wer jetzt Druck fordert, versteht den Iran nicht!

http://www.ipg-journal.de/kommentar/artikel/wer-jetzt-an-druck-glaubt-versteht-den-iran-nicht-244/, Zugriff 13.3.2017

ÖB Teheran (10.2016): Asylländerbericht

Zeit Online (29.2.2016): Neue Aufgabe für den Meisterstrategen, http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-02/iran-wahl-parlament-reformer-hassan-ruhani, Zugriff 13.3.2017

Sicherheitslage

Auch wenn die allgemeine Lage als ruhig bezeichnet werden kann, bestehen latente Spannungen im Land, speziell in den größeren Städten. Sie haben in der Vergangenheit gelegentlich zu Kundgebungen geführt, besonders während (religiösen) Feiertagen und Gedenktagen. Dabei ist es verschiedentlich zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten gekommen, die Todesopfer und Verletzte gefordert haben. Das Risiko von Anschlägen kann nicht ausgeschlossen werden (EDA 21.3.2016). In Iran kommt es, meistens in Minderheitenregionen, unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Seit den Pariser Anschlägen vom November 2015 haben iranische Behörden die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zu Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran, erhöht (AA 10.5.2017b).

In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkontrollen (AA 10.5.2017b, vgl. BMEIA 10.5.2017).

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gab es vor einigen Jahren wiederholte Anschlagsserien gegen lokale Repräsentanten aus Justiz, Sicherheitskräften und sunnitischem Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr bereits seit Frühjahr 2009 intensiviertes Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen noch einmal verstärkt. Seit März 2011 gab es in der Region wieder verstärkt Kampfhandlungen zwischen Militär und kurdischen Separatistenorganisation wie PJAK und DPIK, mit mehreren Todesopfern auf beiden Seiten. Insbesondere die Grenzregionen zum Irak und die Region um die Stadt Sardasht waren betroffen. Trotz eines im September 2011 vereinbarten Waffenstillstandes kam es im Jahr 2015 und verstärkt im Sommer 2016 zu gewaltsamen Konflikten. In bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen iranischen Sicherheitskräften und Angehörigen der DPIK am 6. und 7. September 2016 nahe der Stadt Sardasht wurden zehn Personen und drei Revolutionsgardisten getötet. Seit Juni 2016 kam es in der Region zu mehreren derartigen Vorfällen. Bereits 2015 hatte es nahe der Stadt Khoy, im iranisch-türkischen Grenzgebiet (Provinz West-Aserbaidschan), Zusammenstöße mit mehreren Todesopfern gegeben. In Kurdistan besteht ein erhöhtes Aufkommen an Sicherheitskräften, mit häufigen Kontrollen bzw. Checkpoints ist zu rechnen (AA 21.3.2016b, vgl. BMeiA 10.5.2017).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt (10.5.2017b): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise,

http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/IranSicherheit.html, Zugriff 10.5.2017

BMeiA - Bundesminsterium für europäische und internationale Angelegenheiten (10.5.2017): Reiseinformation Iran, http://www.bmeia.gv.at/aussenministerium/buergerservice/reiseinformation/a-z-laender/iran-de.html, Zugriff 10.5.2017

EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (10.5.2017): Reisehinweise Iran, http://www.eda.admin.ch/eda/de/home/travad/hidden/hidde2/iran.html, Zugriff 10.5.2017

Rechtsschutz/Justizwesen

Seit 1979 ist der Iran eine Islamische Republik, wobei versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Kriterien beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 10.2016). In der Verfassung ist eine unabhängige Justiz verankert, in der Praxis steht sie unter politischem Einfluss. Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Der Oberste Führer ernennt den Chef der Judikative. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und, dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (US DOS 3.3.2017, vgl. AI 22.2.2017).

Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative. Er ist laut Art. 157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz; der Justizminister hat demgegenüber vorwiegend Verwaltungskompetenzen. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, trotz formalen Verbots in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten, dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption. Nach belastbaren Aussagen von Rechtsanwälten ist ca. ein Drittel der Richter bei entsprechender Gegenleistung zu einem Entgegenkommen bereit. In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer ("Iranian Bar Association"; IBA). Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen insbesondere in politischen Verfahren ausgesetzt (AA 8.12.2016).

In der Normenhierarchie der Rechtsordnung des Iran steht die Scharia an oberster Stelle. Darunter stehen die Verfassung und das übrige kodifizierte Recht. Die Richter sind nach der Verfassung angehalten, bei der Rechtsanwendung zuerst auf Grundlage des kodifizierten Rechts zu entscheiden. Im Zweifelsfall kann jedoch gemäß Art. 167, 170 der iranischen Verfassung die Scharia vorrangig angewendet werden (AA 9.12.2015).

In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die "Sondergerichte für die Geistlichkeit" sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015).

Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:

-

Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere "Feindschaft zu Gott" und "Korruption auf Erden";

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Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;

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Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;

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Spionage für fremde Mächte;

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Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;

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Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).

Das Sondergericht für Geistliche und die Revolutionsgerichte waren besonders empfänglich für Druck seitens der Geheimdienste und anderer Sicherheitsbehörden, die darauf drängten, Angeklagte schuldig zu sprechen und harte Strafen zu verhängen (AI 22.2.2017).

Im Juni 2015 trat die neue Strafprozessordnung in Kraft, die nahezu ein Jahrzehnt in Arbeit war. Es sind nun einige überfällige Reformen im Justizsystem enthalten, wie Einschränkungen der provisorischen Untersuchungshaft bei Fällen von Fluchtgefahr oder Gefahr für die öffentliche Sicherheit, striktere Regulierungen betreffend Befragungen von beschuldigten Personen und die Ausweitung des Rechts auf einen Anwalt. Nichtsdestotrotz scheitert die Strafprozessordnung an vielen großen Mängeln im iranischen Strafjustizsystem (AI 11.2.2016). Justizbedienstete des Ministeriums für Geheimdienste, der Revolutionsgarden und anderer Behörden setzten sich ständig über Bestimmungen hinweg, die die Strafprozessordnung von 2015 für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorsah, wie das Recht auf einen Anwalt unmittelbar nach der Festnahme und während der Untersuchungshaft und das Recht auf Aussageverweigerung. Strafverteidiger erhielten oft keine vollständige Akteneinsicht und konnten ihre Mandanten erst unmittelbar vor Prozessbeginn treffen. Untersuchungshäftlinge befanden sich über lange Zeiträume hinweg in Einzelhaft und hatten entweder überhaupt keinen Kontakt zu einem Rechtsbeistand und ihrer Familie oder nur sehr selten. Unter Folter erzwungene "Geständnisse" wurden vor Gericht als Beweismittel zugelassen. Richter begründeten ihre Urteile häufig nicht ausreichend, und die Justizverwaltung machte die Urteile nicht öffentlich zugänglich. Die Staatsanwaltschaft nutzte Paragraph 48 der Strafprozessordnung, um Gefangenen einen Rechtsbeistand ihrer Wahl zu verweigern (AI 22.2.2017, vgl. ÖB Teheran 10.2016).

Das iranische Strafrecht ist islamisch geprägt. Es ist kodifiziert im "Gesetz über die islamischen Strafen" vom 30. Juli 1991. Die letzte Änderung des Gesetzes trat am 18.06.2013 in Kraft. Zudem existieren einige strafrechtliche Nebengesetze, darunter das Betäubungsmittelgesetz sowie das Antikorruptionsgesetz. Die statuierten Straftatbestände und Rechtsfolgen enthalten zum Teil unbestimmte Formulierungen. Den Kern des "Scharia-Strafrechts", also des islamischen Strafrechts mit seinen z.T. erniedrigenden Strafen wie Auspeitschung, Verstümmelung, Steinigung, sowie der Todesstrafe bilden die Abschnitte zu den Qesas-und Hudud-Delikten:

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"Hudud" (Verstoß gegen das Recht Gottes) enthält Straftatbestände, die im Koran und in der Sunna genauer beschrieben sind, wie z.B. Diebstahl, Raub, Alkoholgenuss, Sexualstraftaten inkl. Homosexualität und Unzucht, sowie Verbrechen gegen Gott. Zu all diesen Tatbeständen enthält das Gesetz detaillierte Beweisregelungen, nach denen der Täter jeweils nur bei Geständnis oder ihn belastenden Aussagen mehrerer Zeugen verurteilt werden soll.

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"Qesas"(Vergeltung) ist gekennzeichnet durch das Prinzip der körperlichen Vergeltung für die Tatbestände Mord und Körperverletzung mit Folge des Verlustes von Gliedmaßen. Hierbei können Geschädigte oder deren Familie selbst bestimmen, ob sie auf Vergeltung bestehen oder sich mit einer Schadensersatzzahlung zufrieden geben ("Diyeh" oder "Dyat", sog. Blutgeld; Minimalsatz rund 31.500 €). Für die in Art. 13 der Verfassung genannten religiösen Minderheiten ist Blutgeld in gleicher Höhe zu zahlen wie für die Tötung von Muslimen (AA 9.12.2015).

Die "Taazirat"-Vorschriften (vom Richter verhängte Strafen), Strafnormen, die nicht auf religiösen Quellen beruhen, bezwecken in erster Linie den Schutz des Staates und seiner Institutionen. Während für Hudud- und Qesas-Straftaten das Strafmaß vorgeschrieben ist, hat der Richter bei Taazirat-Vorschriften einen gewissen Ermessensspielraum (AA 9.12.2015).

Bei Delikten, die im krassen Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Bereits der Besitz geringer Mengen von Alkohol kann zur Verurteilung zu Peitschenhieben führen (eine zweistellige Zahl an Peitschenhieben ist dabei durchaus realistisch). Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass Personen zu Peitschenhieben verurteilt werden, die selbst Alkohol weder besessen noch konsumiert haben, u.U. ist bereits die bloße Anwesenheit bei einer Veranstaltung, bei der Alkohol konsumiert wird, für die Betroffenen gefährlich. So wurden etwa im Mai 2016 mehr als 30 Studenten wegen Teilnahme an einer Party mit Alkohol und Tanz zu je 99 Peitschenhieben verurteilt. Die häufigsten Fälle, für welche die Strafe der Auspeitschung durchgeführt wird, sind illegitime Beziehungen, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Teilnahme an gemischtgeschlechtlichen Veranstaltungen, Drogendelikte und Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit. Auch Auspeitschungen wer-den zum Teil öffentlich vollstreckt. Berichten zufolge werden auch die Strafen der Amputation (z.B. von Fingern bei Diebstahl) und der Blendung noch angewandt - auf die Anwendung letzterer kann die/der ursprünglich Verletzte jedoch gegen Erhalt eines Abstandsgeldes verzichten (ÖB Teheran 10.2016).

Entgegen anfänglicher Erwartungen ist in der Strafrechtsnovelle die Steinigung als Bestrafung für Ehebruch noch immer vorgesehen, auch wenn der Richter auf eine andere Form der Hinrichtung ausweichen kann. Darüber hinaus wurden alternative Maßnahmen für Kinder im Alter von 9 bis 15 implementiert, wie zum Beispiel Besuche beim Psychologen oder die Unterbringung in einer Besserungsanstalt, Auch nach neuem Strafrecht ist die Verhängung der Todesstrafe für Minderjährige möglich, wobei im Einzelfall auch die mangelnde Reife des Täters festgestellt und stattdessen eine Haft- oder Geldstrafen verhängt werden kann (AA 9.12.2015).

Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da diese sich durch scheinbare Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Häftlinge ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch. Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen. Bei Vergeltungsstrafen können die Angehörigen der Opfer gegen Zahlung eines Blutgeldes auf den Vollzug der Strafe verzichten. Rechtsschutz ist oft nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird mitunter - insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren - nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Es gibt zahlreiche Berichte über durch Folter und psychischen Druck erzwungene Geständnisse. Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Nach iStGB wird jeder Iraner oder Ausländer, der bestimmte Straftaten im Ausland begangen hat und in Iran festgenommen wird, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Bei der Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind allerdings keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden. Hinsichtlich der Ausübung von Sippenhaft liegen gegensätzliche Informationen vor, sodass eine belastbare Aussage nicht möglich ist (AA 8.12.2016).

Körperstrafen sowie die Todesstrafe sind nach wie vor an der Tagesordnung. Die Todesstrafe steht auf Mord, Sexualdelikte, gemeinschaftlichen Raub, wiederholten Diebstahl, Drogenschmuggel, schwerwiegende Verbrechen gegen die Staatssicherheit, "Mohareb", Abfall vom islamischen Glauben und homosexuelle Handlungen, sowie auf Vergehen wie Drogenkonsum oder außerehelichen Geschlechtsverkehr (ÖB Teheran 10.2016).

Es gibt verfahrensrechtliche Bestimmungen, die den Richtern die Anweisung geben, Quellen zu kontaktieren, wenn es keinen Gesetzestext zum Vorfall gibt. Weiters gibt es eine Bestimmung im Strafgesetzbuch, die Richtern ermöglicht, sich auf ihr persönliches Wissen zu berufen, wenn sie Urteile fällen (ICHR 7.12.2010).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran

AA - Auswärtiges Amt (8.12.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran

AI (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Iran, http://www.ecoi.net/local_link/336510/479174_de.html, Zugriff 24.4.2017

AI (11.2.2016): Flawed reforms: Iran's new Code of Criminal Procedure [MDE 13/2708/2016],

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1455175709_mde1327082016english.PDF, Zugriff 24.4.2017

ICHR - International Campaign for Human Rights in Iran (7.12.2010):

Unprecedented Death Sentence for Christian Pastor on Charge of Apostasy,

http://www.iranhumanrights.org/2010/12/khanjani-nadarkhani-apostasy/; Zugriff 24.4.2017

ÖB Teheran (10.2016): Asylländerbericht

US DOS - US Department of State (3.3.2017): Country Reports on Human Rights Practices 2016 Iran,

http://www.ecoi.net/local_link/337185/479948_de.html, Zugriff 24.4.2017

Feststellung der Staatsangehörigkeit

Die offizielle Registrierungsbehörde nimmt alle iranischen Staatsangehörigen in ihre Datenbank auf. Auslandsvertretungen sind nicht ermächtigt, Auskünfte einzuholen (AA 8.12.2016).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt (8.12.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran

Sicherheitsbehörden

Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung zur Vollstreckung der Gesetze und Aufrechterhaltung der Ordnung. So das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums und die Revolutionsgarden, die direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij-Kräfte, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen in Städten und Dörfern, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Die Sicherheitskräfte werden nicht als völlig effektiv bei der Verbrechensbekämpfung angesehen und Korruption und Straffreiheit sind weiter problematisch. Menschenrechtsgruppen beschuldigten reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben. Es gibt keinen transparenten Mechanismus, um Missbräuche der Sicherheitskräfte zu untersuchen oder zu bestrafen. Es gibt nur wenige Berichte, dass die Regierung Täter diszipliniert (US DOS 3.3.2017).

Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst. Eine Sonderrolle nehmen die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Islami) ein, deren Auftrag formell der Schutz der Islamischen Revolution ist. Als Parallelarmee zu den regulären Streitkräften durch den Staatsgründer Khomeini aufgebaut, haben sie neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer. Organisatorisch den Pasadaran unterstellt ist die sog. Bassij-Bewegung, ein paramilitärischer Freiwilligenverband, dem auch Frauen angehören. Das Ministerium für Information ist als Geheimdienst ("Vezarat-e Etela'at") mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst, Technischen Aufklärungsdienst und eine eigene Universität. Dabei kommt dem Inlandsgeheimdienst die bedeutendste Rolle bei der Bekämpfung der politischen Opposition zu. Der Geheimdienst tritt bei seinen Maßnahmen zur Bekämpfung der politischen Opposition nicht als solcher auf, sondern bedient sich überwiegend der Sicherheitskräfte und der Justiz. Das reguläre Militär (Artesh) erfüllt im Wesentlichen Aufgaben der Landesverteidigung und Gebäudesicherung. Neben dem "Hohen Rat für den Cyberspace" beschäftigt sich die iranische Cyberpolice mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfälle und Verletzungen von Privatsphäre im Internet sowie der Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet. Sie steht auf der EU-Menschenrechtssanktionsliste (AA 8.12.2016).

Die "Sepah Pasdaran" (Revolutionsgarden) sind heute die mächtigste Instanz im Iran, sowohl politisch, als auch wirtschaftlich und militärisch. Die reguläre Armee spielt neben den Pasdaran eine sehr sekundäre Rolle. Die Pasdaran sind mit modernsten Waffen ausgerüstet. Sie sind schlagkräftig und entscheiden alle militärischen Fragen, und die reguläre Armee ist dagegen völlig in den Hintergrund geraten. Inzwischen gelten sie auch als die größte wirtschaftliche Macht des Landes. Die Pasdaran bekommen zum einen Konzessionen für alle größeren infrastrukturellen Projekte im Iran. Ob es um Staudämme geht oder um den Straßenbau, den Bau von Häfen oder Flughäfen: An allen Großprojekten sind die Pasdaran beteiligt. Darüber hinaus kontrollieren sie die Häfen und Flughäfen und damit auch den gesamten Markt, Aus- und Einfuhren und vor allem auch den Schwarzmarkt. Sie können Waren ins Land bringen und ausführen, ohne Zoll oder Steuern zu bezahlen. Die Pasdaran sind auch beteiligt an Ölprojekten. Die Pasdaran sind an den Entscheidungen sowohl im Atomstreit als auch in sonstigen politisch wichtigen Angelegenheiten direkt mitbeteiligt. Sie sind sehr stark involviert in das Atomprogramm. Ihre ehemaligen Kommandeure sitzen an den Schalthebeln der Macht. 2005 hat Mahmud Ahmadinedschad, als er zum ersten Mal zum Staatspräsidenten gewählt wurde, die meisten und wichtigsten Schlüsselpositionen mit Kommandanten der Pasdaran besetzt (DW 13.6.2013). Sie sind eng mit der Politik verzahnt und konnten in den vergangenen Jahren ihren wirtschaftlichen Einfluss ausbauen. Sie sind in allen Sektoren aktiv, mit teilweise monopolartigen Stellungen in der Rüstungs- und Bauindustrie, bei Energieprojekten, im Schmuggel von Konsumgütern und im Telekommunikationssektor (DW 13.6.2013, vgl. FH 2016).

Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da vor allem die Basijis nicht nach iranisch-rechtsstaatlichen Standards handeln. Auch Verhaltensweisen, die an sich (noch) legal sind, können das Misstrauen der Basijis hervorrufen. Basijis sind ausschließlich gegenüber dem Obersten Führer loyal und haben oft keinerlei reguläre polizeiliche Ausbildung, die sie mit rechtlichen Grundprinzipien polizeilichen Handelns vertraut gemacht hätten. Basijis haben Stützpunkte u.a. in Schulen, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander. Viele Schätzungen nehmen an, dass heute mehrere Millionen Basijis im Iran tätig sind. Bereits auffälliges Hören (insb. westlicher) Musik, die Äußerung der eigenen Meinung zum Islam oder gemeinsame Autofahrten junger nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen kann den Unwillen zufällig anwesender Basijis bzw. mit diesen sympathisierenden Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Verprügelung durch Basijis können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden. Zu Verhaftungen kommt es immer wieder auch, wenn (junge) Menschen gemischtgeschlechtliche Partys feiern oder sie sich nicht an die Bekleidungsvorschriften halten. Manchmal kann bei Frauen schon ein zu kurzer/ enger Mantel oder das Hervorlugen von Haarsträhnen unter dem Kopftuch für eine Verhaftung, bei Männern zu eng anliegende Jeans, das Tragen von Goldschmuck oder ein außergewöhnlicher Haarschnitt reichen (ÖB Teheran 10.2016).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt (8.12.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran

DW - Deutsche Welle (13.6.2013): Nirumand: "Irans wahre Machthaber", http://www.dw.de/nirumand-irans-wahre-machthaber/a-16744438, Zugriff 2.5.2017

FH - Freedom House (2016): Freedom on the Net 2016 - Iran, https://freedomhouse.org/sites/default/files/FOTN%202016%20Iran.pdf, Zugriff 2.5.2017

ÖB Teheran (10.2016): Asylländerbericht

US DOS - US Department of State (3.3.2017): Country Reports on Human Rights Practices 2016 Iran,

http://www.ecoi.net/local_link/337185/479948_de.html, Zugriff 2.5.2017

Folter und unmenschliche Behandlung

Die Verfassung verbietet alle Formen der Folter, um Geständnisse oder andere Informationen zu erlangen, es gibt aber glaubwürdige Berichte, dass Sicherheitskräfte und Gefängnispersonal Häftlinge folterten oder missbrauchten. Einige Gefängnisse, einschließlich das Evin Gefängnis (Trakt 209 ist unter Kontrolle des Geheimdienstes) in Teheran sind berüchtigt für grausame und anhaltende Folter von politischen Gefangenen (US DOS 3.3.2017, vgl. AA 8.12.2016). Menschenrechtsorganisationen berichteten, dass Verweigerung von medizinischer Versorgung in Gefängnissen als Bestrafung genutzt wurde (US DOS 3.3.2017, vgl. AI 22.2.2017).

Es war nach wie vor üblich, Inhaftierte zu foltern und anderweitig zu misshandeln, insbesondere während Verhören, um auf diese Weise "Geständnisse" zu erpressen. Gefangene, die sich in Gewahrsam des Ministeriums für Geheimdienste oder der Revolutionsgarden befanden, mussten routinemäßig lange Zeiträume in Einzelhaft verbringen, was den Tatbestand der Folter erfüllte. Vorwürfen von Inhaftierten, dass sie gefoltert oder anderweitig misshandelt worden seien, gingen die Behörden grundsätzlich nicht nach. In einigen Fällen drohten sie den Betreffenden weitere Folter und harte Strafen an. Richter ließen weiterhin unter Folter erpresste "Geständnisse" als Beweismittel gegen Angeklagte zu, obwohl dies nach der Strafprozessordnung von 2015 nicht zulässig ist. In der Strafprozessordnung war nicht geregelt, wie Richter und Staatsanwälte vorzugehen haben, um Foltervorwürfe zu untersuchen und sicherzustellen, dass Geständnisse freiwillig erfolgen. Andere Bestimmungen der Strafprozessordnung, wie z. B. die Garantie, dass ein Gefangener unmittelbar nach der Festnahme und während der Untersuchungshaft das Recht auf einen Rechtsbeistand hat, wurden in der Praxis häufig ignoriert, wodurch Folter begünstigt wurde (AI 22.2.2017).

Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich massiv von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe sind nach wie vor an der Tagesordnung. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen (auf welche vom "Geschädigten" gegen eine Abstandsgeldzahlung verzichtet werden kann). Zwar wurde i

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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