TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/28 L526 2178896-1

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Veröffentlicht am 28.08.2018
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Entscheidungsdatum

28.08.2018

Norm

B-VG Art.133 Abs4
FPG §52 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L526 2178896-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. SCHREY, LL.M. über die Beschwerde des xxxx, StA. Türkei, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenrecht und Asyl, Regionaldirektion Tirol, vom 01.11.2017, XXXX zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der Bescheid gemäß § 28 Abs 1 und 2 VwGVG aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer wurde am 22.09.2017 vor dem Landesgericht Innsbruck gemäß

§ 28a Abs 3 iVm § 27 Abs 5 SMG zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von elf Monaten verurteilt.

2. Mit Schreiben vom 09.10.2017 lud das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Weiteren kurz "BFA" genannt) den Beschwerdeführer gemäß § 45 Abs 3 AVG zur Abgabe einer Stellungnahme ein, zumal aufgrund der strafgerichtlichen Verurteilung beabsichtigt sei, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und ein Einreiseverbot zu erlassen. Zudem sei zur Sicherung der Abschiebung beabsichtigt, nach Beendigung der Strafhaft die Schubhaft über den Beschwerdeführer zu verhängen.

3. Am 19.10.2017 langt beim BFA die Stellungnahme des Beschwerdeführers ein. Darin finden sich Ausführungen zur Einreise, zu den privaten und familiären Umständen des Beschwerdeführers, zu seinen beruflichen Tätigkeiten im Bundesgebiet sowie zu seinen Integrationsbemühungen.

4. Mit Bescheid des BFA vom 01.11.2017 wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs 4 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig sei. Gemäß § 55 Abs 4 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt und der Beschwerde gegen diesen Bescheid gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Gemäß § 53 Abs 1 iVm Absatz 3 Z 1 FPG wurde ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

Das BFA führte aus, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines bisher gesetzten Gesamtverhaltens eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle und kein schützenswertes Privat- und Familienleben vorliege. Zudem würden beim Beschwerdeführer als türkischen Staatsangehörigen auch nicht die Bestimmungen des Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) zur Anwendung gelangen. Es lägen auch keine Umstände vor, welche gegen eine Abschiebung in die Türkei sprechen würden.

Bezüglich der Verhängung eines Einreiseverbots wurde ausgeführt, dass mit den Verurteilungen des Beschwerdeführers die Tatbestandsvoraussetzung des § 53 Abs. 3 Z 1 FPG erfüllt sei und aufgrund des Verhaltens des Beschwerdeführers davon auszugehen sei, dass er eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Eine Gefährlichkeitsprognose gehe zu Lasten des Beschwerdeführers. Die Erlassung eines auf fünf Jahre befristeten Einreiseverbotes sei daher angemessen.

Es sei auch der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG erfüllt, zumal die sofortige Ausreise des Beschwerdeführers zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit dringend geboten sei. Der Beschwerdeführer habe erkennen lassen, dass er nicht gewillt sei, sich an die österreichische Rechtsordnung zu halten.

5. Mit Verfahrensanordnungen des BFA vom 02.11.2017 wurde gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG dem Beschwerdeführer amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt und gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG die Verpflichtung mitgeteilt, innerhalb von zwei Wochen ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.

6. Gegen diesen am 03.11.2017 dem Beschwerdeführer ordnungsgemäß zugestellten Bescheid wurde mit Schreiben vom 27.11.2017 fristgerecht Beschwerde erhoben. Darin wurde darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer seit 2008 in Österreich lebe und seit dem 22.08.2017 (gemeint wohl: 2008) durchgehend gemeldet sei. Er habe sich in Österreich ein soziales Umfeld aufgebaut und spreche sehr gut Deutsch. Er sei in Österreich gut integriert und stets bemüht gewesen, einer Arbeit nachzugehen. Zuletzt sei dem Beschwerdeführer der Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot Plus" ausgestellt worden. Bereits aufgrund des Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich über einen Zeitraum von neun Jahren und sieben Monaten sei vom Vorliegen eines relevanten Privatlebens des Beschwerdeführers in Österreich auszugehen, zumal der Beschwerdeführer sein zukünftiges Leben hier gestalten wolle. Das BFA habe auch festgestellt, dass ein Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers in Österreich bestehe. Beim Einreiseverbot, sei überdiese das Gesamtverhalten des Beschwerdeführers in Betracht zu ziehen (VwGH 19.02.2013, 2012/18/0230).

7. Mit hg. Beschluss vom 11.12.2017 wurde der Beschwerde vom 27.11.217 die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Identität des Beschwerdeführers steht fest. Er ist türkischer Staatsangehöriger und im Rahmen einer Familienzusammenführung im Jahr 2008 legal nach Österreich gekommen. Er hat seither seinen Wohnsitz in der elterlichen Wohnung und ist seit 22.08.2008 in Österreich gemeldet.

Dem Beschwerdeführer wurde erstmalig von der Bezirkshauptmannschaft Schwaz eine "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" von 21.07.2008 bis 31.01.2009 erteilt und wurde diese in weiterer Folge bis zum 22.12.2014 immer wieder verlängert. Ab 23.12.2014 erhielt der Beschwerdeführer infolge eines Zweckänderungsantrages den Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot-Karte-plus", welcher wiederum (mehrmals) bis 25.12.2017 verlängert wurde.

Am 29.01.2018 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels. Über diesen wurde noch nicht entschieden.

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. In der Türkei besuchte der Beschwerdeführer die Grundschule, erlernte danach keinen Beruf und war vor seiner Ausreise als Hilfsarbeiter bei einem Elektriker tätig.

In Österreich war der Beschwerdeführer ab 20.10.2008 mit wiederkehrenden Unterbrechungen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit, sonstige Zeiten sowie durch seinen Haftaufenthalt immer wieder als Hilfsarbeiter tätig. Von 17.04.2012 bis 17.02.2013 hat der Beschwerdeführer Notstandshilfe bezogen. Der Beschwerdeführer besuchte mehrere Deutschqualifizierungsmaßnahmen in Österreich.

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 22.09.2017 gemäß § 28a Abs 3 SMG iVm § 27 Abs 5 SMG zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von elf Monaten verurteilt und befand sich von 08.06.2017 bis 27.01.2018 in Haft.

Der Vater des Beschwerdeführers ist seit 06.09.2002 in Österreich gemeldet und verfügte zunächst über den Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt EG". Seit 14.01.2015 ist der Vater des Beschwerdeführers österreichischer Staatsbürger. Die Mutter des Beschwerdeführers ist seit 22.08.2008 in Österreich gemeldet und verfügte bis 09.02.2018 über den Aufenthaltstitel "Familienangehörige".

Seit zumindest 2008 geht der Vater des Beschwerdeführers in Österreich legalen unselbständigen Beschäftigungen nach, welche durch kurze Zeiten der Arbeitslosigkeit unterbrochen wurden.

In der Türkei leben ein Bruder sowie mehrere Freunde des Beschwerdeführers.

In Österreich sind - neben seinen Eltern - keine weiteren Verwandten des Beschwerdeführers aufhältig.

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt des BFA unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dem BFA, den bekämpften Bescheid und den Beschwerdeschriftsatz.

2.1. Zum Verfahrensgang

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich zweifelsfrei aus dem Akteninhalt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers

Die Feststellungen hinsichtlich der Staatsangehörigkeit, der Identität des Beschwerdeführers sowie hinsichtlich seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet ergeben sich aus dem Akteninhalt und dem vorgelegten Identitätsdokument.

Die Feststellungen zu den familiären und privaten Verhältnissen des Beschwerdeführers in der Türkei und in Österreich gründen sich auf dessen in diesen Punkten glaubwürdigen Angaben in seiner Stellungnahme vom 16.10.2017.

Dass dem Beschwerdeführer bis 25.12.2017 der Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot-Karte-plus" zukam sowie die ihm zuvor erteilten Aufenthaltstitel und, dass er am 29.01.2018 einen Antrag auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels stellte, welcher noch nicht genehmigt wurde, ist dem Auszug aus dem zentralen Fremdenregister vom 27.04.2018, dem Verfahrensakt befindlichen Aktenvermerk vom 01.06.2012 (AS 117) sowie dem Schreiben des Amtes der Tiroler Landesregierung vom 25.06.2008 (AS 347) zu entnehmen.

Die Berufstätigkeit des Beschwerdeführers sowie die Zeiten des Kranken- und Arbeitslosengeldbezuges und des Bezuges von Notstandshilfe gehen aus dem im Akt erliegenden Sozialversicherungsdatenauszug hervor.

Die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem Strafregisterauszug vom 09.10.2017 sowie dem Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 22.09.2017, GZ: 38 HV 87/17m. Die Haftzeit des Beschwerdeführers ist der Vollzugsinformation vom 23.10.2017, dem Strafregisterauszug sowie dem Auszug aus dem Zentralen Melderegister zu entnehmen.

Dass der Beschwerdeführer seit August 2008 in Österreich aufrecht gemeldet ist und im gemeinsamen Haushalt mit seinen Eltern lebt, ist dem zentralen Melderegister zu entnehmen.

Der Besuch von Deutschqualifizierungsmaßnahmen geht aus den vorgelegten Bestätigungen des Wirtschaftsförderungsinstitutes hervor.

Die Berufstätigkeit (mit Unterbrechungen durch Arbeitslosigkeit) des Vaters des Beschwerdeführers, der Aufenthalt der Eltern des Beschwerdeführers in Österreich sowie die Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft des Vaters des Beschwerdeführers ist dem im Akt erliegenden Auszug der Sozialversicherungsträger vom 25.05.2018 sowie dem zentralen Melderegister zu entnehmen.

Dass der Vater des Beschwerdeführers zunächst über den Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt EG" verfügte, ist dem im Verfahrensakt befindlichen Aktenvermerk vom 01.06.2012 (AS 117) zu entnehmen.

Dass die Mutter des Beschwerdeführers bis 09.02.2018 über den Aufenthaltstitel "Familienangehörige" verfügte ist dem Auszug aus dem zentralen Fremdenregister vom 07.12.2017 zu entnehmen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z. 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des BFA.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, 1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 hat, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg. cit nicht vorliegen, das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgeht.

Gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG ist das ho. Gericht berechtigt, die Entscheidung der belangten Behörde zu beheben. Die Behörden sind in diesem Fall gemäß Abs. 5 leg.cit. verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichts entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

3.2. Zu Spruchteil A):

3.2.1. Assoziierungsabkommen EWR - Türkei

Art. 7 ARB 1/80 lautet:

"Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,

-- haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;

-- haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.

Die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, können sich unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat dort auf jedes Stellengebot bewerben, sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war."

Der EuGH hat im Urteil vom 18. Dezember 2008, Rechtssache C-337/07 "Altun", in Randnummern 22 - 33 wie folgt ausgesprochen:

"Wie sich bereits aus dem Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 erster Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 ergibt, hängt das Recht des Kindes eines türkischen Arbeitnehmers, sich im Aufnahmemitgliedstaat auf jedes Stellenangebot zu bewerben, von zwei Voraussetzungen ab:

Der betreffende Arbeitnehmer muss dem regulären Arbeitsmarkt dieses Staates angehören, und das Kind muss dort sei mindestens drei Jahren seinen ordnungsgemäßen Wohnsitz haben. Klarzustellen ist, dass mit der ersten Voraussetzung nicht die ordnungsgemäße Beschäftigung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 gemeint ist, sondern ausschließlich die Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt.

Zur Zugehörigkeit des türkischen Arbeitnehmers zum regulären Arbeitsmarkt hat der Gerichtshof entschieden, dass dieser Begriff im Rahmen der Auslegung von Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 die Gesamtheit der Arbeitnehmer bezeichnet, die den Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats nachkommen und somit das Recht haben, eine Berufstätigkeit in dessen Hoheitsgebiet auszuüben (Urteile vom 26. November 1998, Birden, C-1/97, Slg. 1998, I-7747, Randnr. 51, und vom 24. Januar 2008, Payir u. a., C-294/06, Slg. 2008, I-203, Randnr. 29).

Ein türkischer Arbeitnehmer gehört trotz einer vorübergehenden Unterbrechung seines Arbeitsverhältnisses für den Zeitraum, der angemessen ist, um eine andere Beschäftigung zu finden, weiterhin im Sinne von Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats an, und zwar unabhängig davon, welchen Grund die Abwesenheit des Betroffenen vom Arbeitsmarkt hat, sofern diese Abwesenheit vorübergehender Natur ist (Urteil vom 7. Juli 2005, Dogan, C-383/03, Slg. 2005, I-6237, Randnrn. 19 und 20).

Ein türkischer Arbeitnehmer ist erst dann vom regulären Arbeitsmarkt ausgeschlossen, wenn er objektiv keine Möglichkeit mehr hat, sich in den Arbeitsmarkt wiedereinzugliedern, oder den Zeitraum überschritten hat, der angemessen ist, um nach einer vorübergehenden Beschäftigungslosigkeit eine neue Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis zu finden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Februar 2000, Nazli, C-340/97, Slg. 2000, I-957, Randnr. 44, und Dogan, Randnr. 23).

Die Lage der unverschuldeten Arbeitslosigkeit, in der sich jemand befand, nachdem das Unternehmen, in dem er gearbeitet hatte, Insolvenz angemeldet hatte, kann nicht bereits seiner weiteren Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats entgegenstehen.

Die Ausführungen in den Randnrn. 23 bis 25 des vorliegenden Urteils zum Begriff der Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt im Sinne von Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 können auch für die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 des Beschlusses herangezogen werden.

Würde dieser Begriff unterschiedlich ausgelegt, je nachdem, ob er im Rahmen von Art. 6 oder von Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 betrachtet wird, könnte dies die Kohärenz des Systems beeinträchtigen, das der Assoziationsrat eingerichtet hat, um die Lage der türkischen Arbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat schrittweise zu festigen.

Es ist daran zu erinnern, dass der Beschluss Nr. 1/80 die allmähliche Integration der türkischen Staatsangehörigen, die die Voraussetzungen einer der Bestimmungen dieses Beschlusses erfüllen und damit in den Genuss der darin vorgesehenen Rechte kommen, im Aufnahmemitgliedstaat fördern soll (Urteil Derin, Randnr. 53).

Was die Voraussetzung des Wohnsitzes angeht, verlangt Art. 7 Abs. 1 erster Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80, dass der Familienangehörige eines türkischen Arbeitnehmers bei diesem mindestens drei Jahre lang ununterbrochen seinen Wohnsitz hat.

Nach ständiger Rechtsprechung ist hierfür erforderlich, dass sich die Familienzusammenführung, die der Grund für die Einreise des Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers in den Aufnahmemitgliedstaat war, während einer bestimmten Zeit im tatsächlichen Zusammenleben des Betroffenen mit dem Arbeitnehmer in häuslicher Gemeinschaft manifestiert und dass dieses Zusammenleben so lange andauert, wie der Betroffene nicht selbst die Voraussetzungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt dieses Staates erfüllt (vgl. Urteile vom 16. März 2000, Ergat, C-329/97, Slg. 2000, I-1487, Randnr. 36, und Derin, Randnr. 51).

Daraus folgt, dass der türkische Arbeitnehmer, mit dem der Familienangehörige zusammenlebt, während der gesamten Dauer des Zusammenlebens, die erforderlich ist, damit Letzterer das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats erwirbt, dem regulären Arbeitsmarkt dieses Staates angehören muss.

Die beiden Voraussetzungen, die in Randnr. 22 des vorliegenden Urteils genannt sind, müssen gleichzeitig vorliegen."

3.2.2 Bei dem Beschwerdeführer handelt es sich um einen türkischen Staatsangehörigen, der im Jahr 2008 im Rahmen des legalen Familiennachzugs zu seinem seit 2002 in Österreich niedergelassenen Vater nach Österreich kam und bis 25.12.2017 rechtmäßig aufhältig war.

Gemäß einer ZMR-Auskunft ist der Beschwerdeführer seit 22.08.2008 mit seinen Eltern durchgängig an einer gemeinsamen Wohnadresse gemeldet. Lediglich während seinem Haftaufenthalt von 08.06.2017 bis 26.01.2018 bestand kein gemeinsamer Wohnsitz, weshalb zwischen der Einreise des Beschwerdeführers und seiner Inhaftierung ein mehr als dreijähriger Zeitraum des gemeinsamen Familienlebens vorliegt.

Hinzu kommt, dass der Vater des Beschwerdeführers dem regulären Arbeitsmarkt in Österreich seit mindestens 2008 angehört und dem Auszug der Sozialversicherungsträger lediglich vorübergehende Unterbrechungen (Arbeitslosengeldbezug, Krankengeldbezug) zu entnehmen sind. Hinweise darauf, dass der Vater des Beschwerdeführers keine Möglichkeit mehr hatte, sich in den Arbeitsmarkt wiedereinzugliedern oder, dass er einen Zeitraum überschritten hat, der angemessen ist, um nach vorübergehender Beschäftigungslosigkeit eine neue Beschäftigung im Lohn- und Gehaltsverhältnis zu finden ("Altun", Rn 25 mwN), lagen bzw. liegen beim Vater des Beschwerdeführers nicht vor, zumal dieser nach kurzer Zeit immer wieder eine unselbständige Beschäftigung aufnahm und auch aktuell einer unselbständigen Beschäftigung nachgeht.

Darüber hinaus war die Eigenschaft des Vaters des Beschwerdeführers als Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Familienzusammenführung gegeben und bestand die ersten drei Aufenthaltsjahre des Beschwerdeführers fort.

3.2.3. Folglich hat der Beschwerdeführer eine nach Art. 7 ARB 1/80 geschützte Rechtsposition erreicht.

3.3. Beschränkungen der Rechte türkischer Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen bzw. Beschränkung des Verschlechterungsverbotes des Art. 13 ARB/80:

Art. 13 ARB 1/80:

Die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei dürfen für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen.

Art 13 ARB 1/80 ist nicht nur auf türkische Staatsangehörige anwendbar, die Arbeitnehmer sind, sondern auch für Familienangehörige türkischer Arbeitnehmer ("Abatay", Rn. 82). Im gegenständliche Fall ist daher die Stillhalteklausel nach Art. 13 ARB 1/80 zu beachten, der zufolge die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft (und die Türkei) für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen dürfen. Diese Klausel entfaltet unmittelbare Wirkung und sie schließt bezüglich türkischer Staatsangehöriger, die sich ordnungsgemäß im Inland niedergelassen haben, die Anwendbarkeit aller danach neu eingeführten rechtlichen Hindernisse für den Zugang zum Arbeitsmarkt aus. Von dieser Rechtsfolge sind alle Regelungen betroffen, die die abstrakte Eignung besitzen, den Zugang zur Beschäftigung zu beschränken (vgl. im Einzelnen Metin Akyürek, Das Assoziationsabkommen EWG-Türkei, Aufenthalt und Beschäftigung von türkischen Staatsangehörigen in Österreich (2005), 162 ff und die dort zitierte Judikatur des EuGH; vgl. zuletzt auch dessen Urteil vom 17. September 2009 in der Rechtssache C-242/06 "T. Sahin").

3.3.1. Das BFA wird daher in einem allfälligen weiteren Verfahren zu prüfen haben, ob es durch die Anwendung der §§ 52 und 53 FPG zu einer unzulässigen Verschärfung der Rechtslage im Sinne der sogenannten Stillhalteklausel in Gegenüberstellung zu den relevanten Bestimmungen des FPG 2005 idF FrÄG 2011 bzw. des FrG 1997 gekommen ist.

3.3.2. Verlust der Rechte aus ARB 1/80

Art. 14 ARB 1/80 lautet:

(1) Dieser Abschnitt gilt vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind.

Sind Rechte aus dem ARB 1/80 erst einmal entstanden, kann ein türkischer Staatsangehöriger sie nur noch unter zwei Voraussetzungen wieder verlieren. Entweder er verlässt den Aufnahmemitgliedstaat ohne berechtigte Gründe für einen nicht unerheblichen Zeitraum oder er stellt wegen seines persönlichen Verhaltens eine tatsächliche, schwerwiegende und gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit, Ordnung oder Gesundheit gemäß Artikel 14 dar (VwGH 28. Februar 2006, 2002/21/0130).

Gemäß der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 20.12.2012, Zl. 2011/23/0170, verliert ein Fremder die Rechtsstellung nach Art. 6 oder 7 ARB 1/80 auch infolge eines als Maßnahme nach Art. 14 ARB 1/80 zu verstehenden Aufenthaltsverbotes, welches gegen ihn erlassen worden ist (vgl. VwGH 17. März 2009, 2008/21/0206; VwGH 10. November 2009, 2008/22/0848).

Der EuGH hat sich in der Rechtssache Ziebell (Entscheidung vom 08.12.2011, C-371/08) ausführlich mit Art. 14 ARB und damit den Voraussetzungen für die Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger auseinandergesetzt. Bei der Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehenen Ausnahmen ist - so der EuGH - zu berücksichtigen, wie diese Ausnahmen im Bereich der Freizügigkeit von Unionsbürgern ausgelegt werden (EuGH im Fall "Nazli", Rn. 56, 10.02.2000, C-3401/97; Fall "Bozkurt II", Rn. 55, 06.06.1995, C-434/93). Dies sei umso mehr gerechtfertigt, als Artikel 14 Absatz 1 nahezu denselben Wortlaut wie Artikel 45 Absatz 3 AEUV habe. Daher seien die im Rahmen der Artikel 45 bis 47 AEUV (ex-Artikel 39 bis 41 EGV) geltenden Grundsätze so weit wie möglich auf die Assoziierungsberechtigten zu übertragen (EuGH im Fall "Polat", Rn. 29 m.w.N. vom 04.10.2007, C-349/06).

Es ist jedoch laut EuGH nicht möglich, die Regelung zum Schutz der Unionsbürger vor Ausweisung (Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie 2004/38/EG) auf die Garantien gegen die Ausweisung türkischer Staatsangehöriger einfach zu übertragen ("Ziebell", Rn. 60). Für Unionsbürger würden zum Schutz vor Ausweisungsmaßnahmen stärkere Maßnahmen getroffen, die nicht auf - aus vorwiegend wirtschaftlichen Überlegungen - assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige übertragbar seien ("Ziebell", Rn. 70). Für den Mindestschutz vor Ausweisungen sind stattdessen gemäß der Rechtsprechung des EuGH und entsprechend Artikel 12 der Richtlinie 2003/109/EG folgende Punkte bei der Ausweisung zu berücksichtigen ("Ziebell", Rn. 79):

-- Eine Gefahr im Sinne des Artikels 14 Absatz 1 muss gegenwärtig, tatsächlich und hinreichend schwer sein und überdies ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren ("Polat", Rn. 32 und 34). Darüber hinaus muss die in Rede stehende staatliche Maßnahme für die Wahrung dieses Grundinteresses unerlässlich sein ("Ziebell", Leitsatz).

-- Das Erfordernis einer gegenwärtigen Gefahr bedeutet, dass zum Beispiel bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisungsverfügung Tatsachen zu berücksichtigen sind, die nach der letzten Behördenentscheidung eingetreten sind und die den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen können, die das Verhalten des Betroffenen für die öffentliche Ordnung darstellen würde ("Cetinkaya", Rn. 47; "Ziebell", Rn. 84).

-- Eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen ist nicht zulässig. Maßgebend darf ausschließlich das persönliche Verhalten des Betroffenen sein. Dieses muss auf die konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen der öffentlichen Ordnung hindeuten. Der Umstand, dass mehrere strafrechtliche Verurteilungen vorliegen, ist hierbei für sich genommen ohne Bedeutung ("Polat", Rn. 35 f. m.w.N.; "Dogan", Rn. 24; "Nazli", Rn. 61, 63 f.; "Bozkurt II", Rn. 59). Dasselbe gilt für die Dauer einer Inhaftierung des Betroffenen ("Ziebell", Rn. 83).

-- Die Ausweisungsverfügung darf auch nicht auf wirtschaftlichen Überlegungen beruhen ("Ziebell", Rn. 80).

-- Die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats haben, bevor sie eine Ausweisungsverfügung erlassen, die Dauer des Aufenthalts der betreffenden Person im Hoheitsgebiet dieses Staates, ihr Alter, die Folgen einer Ausweisung für die betreffende Person und ihre Familienangehörigen sowie ihre Bindungen zum Aufenthaltsstaat oder fehlenden Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen ("Ziebell", Rn. 80).

-- Die Ausweisung ist eine Ausnahme vom Grundsatz der Arbeitnehmerfreizügigkeit und als solche eng auszulegen ("Ziebell", Rn. 81). Erforderlich ist eine Einzelfallprüfung, bei der der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, zu wahren sind ("Ziebell", Rn. 82).

Wer Rechte aus Artikel 6 oder 7 ARB 1/80 geltend machen kann, darf damit nur ausgewiesen werden, wenn aufgrund seines persönlichen Verhaltens - außer der Störung der öffentlichen Ordnung, die jede Gesetzesverletzung darstellt - eine gegenwärtige, tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt ("Nazli", Rn. 61).

Hat der Assoziationsberechtigte sich seit mindestens fünf Jahren ununterbrochen rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten, ist nach der Feststellung des EuGH ergänzend immer Artikel 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG zu berücksichtigen ("Ziebell", Rn. 79).

Nach Artikel 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie kann eine Ausweisung nur erfolgen, wenn der Betreffende eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt. Die Ausweisung darf zudem nicht auf wirtschaftlichen Überlegungen beruhen. Zu berücksichtigen sind Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, Alter, Folgen der Ausweisung für den Betroffenen und seine Familienangehörigen, Bindungen zum Bundesgebiet beziehungsweise fehlende Bindungen zum Herkunftsstaat. Maßgeblich sind also auch nach diesem Maßstab allein spezialpräventive Erwägungen. Allein die Dauer einer Inhaftierung ist als Begründung der Ausweisung nicht ausreichend, kann aber ein Indiz für die Schwere der Straftat sein und ist dann im Rahmen der Gefahrenprognose zu berücksichtigen.

3.2.3. Angesichts der vom Beschwerdeführer begangenen Straftat wäre daher auch zu prüfen gewesen, ob das persönliche Verhalten des Beschwerdeführers dem oben dargelegten Gefährdungsmaßstab entspricht und ob der Beschwerdeführer die aus dem ARB 1/80 entstandenen Rechte nicht wieder verloren hat.

3.3. Folglich war der Beschwerde spruchgemäß stattzugeben und der angefochtene Bescheid in Anwendung des § 28 Abs 1 und 2 VwGVG aufzuheben. Hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf, sind die Behörden gemäß § 28 Abs. 5 leg. cit. verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass von dem Grundsatz, wonach als Folge einer ersatzlosen Bescheidaufhebung durch das Verwaltungsgericht jedwede Entscheidung in der Verwaltungssache, durch welche die erstinstanzliche Behörde auch immer, ausgeschlossen ist, Ausnahmen bestehen. Der wichtigste Fall einer solchen Ausnahme ist die ersatzlose Aufhebung des Bescheides einer Unterbehörde infolge ihrer Unzuständigkeit. Diesfalls beendet der entsprechende Berufungsbescheid lediglich das Verfahren vor dieser Unterbehörde endgültig, wodurch freilich eine Entscheidung der in Wahrheit zuständigen Behörde in derselben Sache nicht ausgeschlossen wird (vgl. Ro 2015/12/0003). Diese Ausnahme wird wohl auch im Falle der Aufhebung eines vor dem Bundesverwaltungsgericht angefochtenen Bescheides durch dieses wegen der Anwendung einer falschen Norm bzw. des darin enthaltenen Prüfungsmaßstabes der bescheiderlassenden Verwaltungsbehörde Platz greifen.

3.4. Der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, dass das BFA seine Entscheidung auf die Feststellung stützte, dass sich der Beschwerdeführer zum Entscheidungszeitpunkt (Bescheid vom 01.11.2017) legal im Bundesgebiet aufgehalten hat. Der Beschwerdeführer verfügte bis 25.12.2017 auch über den Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot-Karte-plus", hat jedoch erst am 29.01.2018 einen Antrag auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels gestellt, weshalb er sich entsprechend den Bestimmungen des NAG gegenwärtig nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten würde (vgl. § 24 NAG).

Die Inanspruchnahme der in Art. 7 ARB 1/80 enthaltenen Rechte setzt zwangsläufig aber auch die Anerkennung eines Aufenthaltsrechtes voraus, da dem Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt und auf tatsächliche Ausübung einer Beschäftigung im Lohn- und Gehaltsverhältnis sonst die praktische Wirksamkeit genommen würde. Das aus Art. 7 ARB 1/80 folgenden Aufenthaltsrecht, welches den Charakter eines Daueraufenthaltsrechts hat, besteht Kraft Gesetz, sodass eine Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis nur deklaratorischen Charakter hat (vgl. insb. EuGH 20.9.1990, Rs C-192/89, Slg. 1990, I-3461, Sevince; VwGH vom 15.03.2012, Zl. 2009/01/0036; VwGH 25.02. 2010, Zl. 2007/21/0398; VwGH 10.11.2009, Zl. 2008/22/0687; VwGH 18.03.2010, Zl. 2008/22/0408; VwGH 15.05.2002, Zl. 2002/12/0048; E 22.10.2001, Zl. 97/19/1550).

3.4.1. Daraus ist zu folgern, dass sich der Beschwerdeführer auch nach Ablauf des letzten ihm erteilten Aufenthaltstitels weiterhin legal im Bundesgebiet aufhält.

4. Entfall einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte im gegenständlichen Fall gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß

Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) ab. Durch das genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes fehlt es auch nicht an einer Rechtsprechung und die zu lösende Rechtsfrage wird in der Rechtsprechung auch nicht uneinheitlich beantwortet.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Assoziationsabkommen, Aufenthalt im Bundesgebiet, Behebung der
Entscheidung, rechtmäßiger Aufenthalt, Rot-Weiß-Rot-Karte plus,
Rückkehrentscheidung behoben, strafrechtliche Verurteilung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:L526.2178896.1.00

Zuletzt aktualisiert am

23.11.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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