Entscheidungsdatum
11.09.2018Norm
AsylG 2005 §12a Abs2Spruch
L504 1307540-3/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag R. ENGEL in dem amtswegig eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.09.2018, XXXX, erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes des XXXX, StA: Türkei, beschlossen:
A)
Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs 2 AsylG idgF, § 22 BFA-VG idgF, nicht rechtmäßig.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
Der Fremde, ein Staatsangehöriger der Türkei und der kurdischen Volksgruppe angehörig, stellte am 26.07.2018 beim Bundesamt seinen nunmehr 4. Antrag auf internationalen Schutz und wurde von der Behörde die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gem. § 12a Abs 2 AsylG am 06.09.2018 im Zuge einer Niederschrift mündlich verkündet.
Die Einvernahme gestaltete sich beim Bundesamt im Wesentlichen wie folgt:
[...]
LA: Sie wurden zu diesem Folgeantrag auf int. Schutz bereits am 26.07.2018 im PAZ Salzburg erstbefragt. Entsprechen die dabei von Ihnen gemachten Angaben der Wahrheit bzw. möchten Sie dazu noch Korrekturen oder Ergänzungen anführen und halten Sie diese Angaben noch aufrecht?
VP: Nach der EV bei der Polizei in SBG, kam die Diakonie noch am selben Tag. Die Diakonie hat mir die Niederschrift Vorgelesen und ich wurde darauf aufmerksam, dass geschrieben wurde, dass ich Mitglied bei der PKK bin, was allerdings nicht stimmt, da ich HDP Mitglied bin. Es steht auch, dass ich mit PKK Kämpfern verkehrt habe, was aber HDP Sympathisanten und Mitglieder waren. Wenn mich die Diakonie nicht darauf hingewiesen hätte, wäre es falsch stehen geblieben. Auch gibt es noch etwas neues bezüglich meine Fluchtgrundes, dass ich später schildern werde.
LA: Haben Sie jemals mit der PKK zusammengearbeitet?
VP: Nein
LA: Wo haben Sie sich seit Rechtskraft des Vorverfahrens 15.05.2017 aufgehalten?
VP: Ich war in Bruck an der Leitha. Im Juli oder August kamen 2 Zivilpolizisten und brachten mich zum Konsulat in Wien.
LA: Haben Sie Österreich verlassen?
VP: Zuerst versuchten wir nach Italien auszureisen, was uns aber nicht gelang, da wir erwischt wurden. Die Nacht verbrachten wir in Innsbruck im Gefängnis. Nach der Freilassung versuchte ich es gleich wieder und es gelang es mir. Ein Monat blieb ich in Italien. Die Flüchtlinge nächtigten alle draußen und ich wollte das nicht, worauf ich nach Deutschland flüchtete. In Deutschland hielt ich mich 8 bis 9 Monate als AW auf. Schließlich wurde ich am 23 Juli nach SBG überstellt.
LA: Warum Sie stellen Sie neuerlich einen Asylantrag?
VP: Wenn ich in die Türkei zurück müsste, würde mir Schlimmeres passieren.
LA: Hat sich an Ihren Fluchtgründen seit Rechtskraft des Vorverfahrens 15.05.2017 etwas geändert?
VP: Ja. XXXX ein früherer Freund, mit welchem ich früher in der HDP tätig war, brachte eine nach Neujahr 2018 eine versperrte Tasche zu meinen Eltern und sagte, dass er sie in ca. 30 min wieder abholen würde. Dies tat er allerdings nicht, da er erwischt wurde, und am selben Tag noch kamen Zivilpolizisten zum einen Eltern und brachen das Schloss auf. In der Tasche befanden sich Unterlagen der HDP. Daraufhin nahmen Sie meinen Eltern zu Dienststelle mit und zogen Sie zur Rechenschaft. Sie beschimpften und schlugen Sie. Die Polizisten zeigten meinen Eltern Bilder auf welchen ich mit HDP Sympathisanten und Mitgliedern abgebildet war und fragten nach mir. Noch am selben Tag wurden sie von den Polizisten wieder freigelassen. Dies alles begann schon im Jahr 1996 als mein Cousin verhaftet wurde. Auch meine Eltern wurden bereits mehrmals Ende 2017 zur Dienststelle gebracht und es wurde Gewalt gegen sie angewendet.
LA: Hat sich etwas bezüglich Ihres Familienlebens seit Rechtskraft des Vorverfahrens 15.05.2017 etwas geändert?
VP: Nein
In einer weiteren Einvernahme gab die bP (auszugsweise dargestellt)
Folgendes an:
[...]
LA: Möchten Sie noch etwas Vorbringen, was Ihnen wichtig erscheint?
VP: Ich möchte zu meiner letzten Einvernahme noch hinzufügen, dass ich zwischen 2012 und 2015, in der Türkei mehrere Jobs wechseln musste, da ich alle zwei Wochen/ Monate gekündigt wurde. Der Grund war zu 100 Prozent die Verbindung zur HDP. Hier sieht man, dass ich vorbelastet bin durch meine Verbindung zur HDP.
LA: Können Sie beweisen, dass dies geschah, aufgrund der Verdingung zur HDP?
VP: Mir wurden immer wieder Vorwände (Nichtsnutz und Religionszugehörigkeit) genannt, allerdings wurde es nie offen angesprochen.
Frage an die Rechtsberatung.
LA. Ist für die RB noch etwas offen?
RB: Nein
Anm: RB gibt an, eine Frage an den AW zu haben.
RB: Sie gaben an, nach Ihrer Abschiebung in die Türkei, dort verhaftet geschlagen und gefoltert worden zu sein. Was fürchten Sie bei einer Rückkehr in die Türkei?
VP: Nach der Abschiebung wurde ich am Flughafen für ein paar Stunden in Gewahrsam genommen und von Polizisten an einem mir unbekannten Ort gebracht. Es war ein Raum, in dem sich nichts befand, außer einem Lampenschirm. Ich wurde zu Boden geschlagen und von allen Seiten getreten. Ein Schlag auf mein Gesäß, war so heftig, sodass ich heute nicht lange auf etwas hartem sitzen kann. Sieben oder 8 Monate nach dem Vorfall wurde ich wieder auf die selbe Art von der Polizei gefoltert, sodass ich Verletzungen am linken Knie abbekam und in Gaziantep operiert werden musste. Mir wurde Platin eingesetzt.
LA: Können Sie Ihre Anschuldigungen und Vorbringen beweisen?
VP: Ich kann Ihnen keine Befunde vorlegen. Man kann die Türkei diesbezüglich nicht mit Österreich vergleichen.
LA: Wieso haben Sie diesen Vorfall in Ihrer früheren EV nicht so widergegeben, sondern nur wiedergegeben ein paar Ohrfeigen bekommen zu haben?
VP: Ja, genau so war es auch.
La: Wieso haben Sie damals nichts von Ihrer Verletzung am Gesäß erzählt?
VP: Ich habe es so oft erwähnt, allerdings wurde nie niedergeschrieben.
RB hat ein Vorbringen: Aufgrund der stark verschlechterten Menschenrechtssituation in der Türkei, mögen die Behörden, das Vorbringen des Herrn XXXX erneut überprüfen.
[...]
Das Bundesamt erachtete es auf Grund der herangezogenen Beweismittel (diverse türkische Schreiben, medizinische Unterlagen, Akteninhalt der Vorverfahren, Niederschriften, Länderfeststellung der Türkei, Stand 16.02.2017) als gegeben, dass der Fremde sein gegenständliches Vorbringen im Wesentlichen auf Umstände stützte, die ihre Grundlage schon im rechtskräftig abgeschlossenen Vorverfahren hatten und dort dergestalt gewürdigt wurden, dass sich daraus keine glaubhafte Lage ergibt, die einer Zuerkennung von Asyl oder subsidiärem Schutz. Eine entscheidungsrelevante Gefährdung im Falle der Rückkehr in die Türkei wurde verneint.
Am 10.09.2018 langten die Verwaltungsakte in der zuständigen Geschäftsabteilung des BVwG zur Prüfung ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Das Bundesamt zog in der Entscheidung vom 06.09.2018 als Beweismittel zur Beurteilung der Lage im Herkunftsstaat das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Stand "16.02.2017" heran. Die darin enthaltenen Berichtsauszüge beziehen sich im Wesentlichen auf Geschehnisse im Jahr 2015 und 2016 oder zum Teil auch auf 2014.
Diese Berichte bzw. dieses Länderinformationsblatt der Staatendokumentation sind als veraltet zu bezeichnen und nicht tauglich als Grundlage für eine Beurteilung der Voraussetzungen des § 12a Abs 2 Z3 AsylG, nämlich ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung gegenständlich keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Für eine derartige Prognoseentscheidung bedarf es der Heranziehung aktuellerer Berichtslage, was vom Bundesamt amtswegig wahrzunehmen ist.
2. Beweiswürdigung:
Die getroffenen Feststellungen ergeben sich zweifelsfrei auf Grund der Aktenlage des Bundesamtes.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
(1) Ein Fremder, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, kann, außer in den Fällen des § 12a, bis zur Erlassung einer durchsetzbaren Entscheidung, bis zur Gegenstandslosigkeit des Verfahrens oder nach einer Einstellung bis zu dem Zeitpunkt, an dem eine Fortsetzung des Verfahrens gemäß § 24 Abs. 2 nicht mehr zulässig ist, weder zurückgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben werden (faktischer Abschiebeschutz); § 32 bleibt unberührt. Sein Aufenthalt im Bundesgebiet ist zulässig. Ein auf Grund anderer Bundesgesetze bestehendes Aufenthaltsrecht bleibt unberührt. § 16 Abs. 4 BFA-VG gilt.
(2) Der Aufenthalt eines Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat und dem kein Aufenthaltsrecht zukommt, ist für die Dauer des Zulassungsverfahrens vor dem Bundesamt lediglich im Gebiet der Bezirksverwaltungsbehörde, in dem sich sein Aufenthaltsort im Sinne des § 15 Abs. 1 Z 4 befindet, zulässig. Darüber hinaus ist sein Aufenthalt im gesamten Bundesgebiet zulässig, wenn und solange dies
1.
zur Erfüllung von gesetzlichen Pflichten notwendig ist;
2.
notwendig ist, um Ladungen von Gerichten, Staatsanwaltschaften und Verwaltungsbehörden Folge zu leisten oder
3.
für die Inanspruchnahme einer medizinischen Versorgung und Behandlung notwendig ist.
Nach Abschluss des Zulassungsverfahrens vor dem Bundesamt ist der Aufenthalt des Fremden, solange ihm faktischer Abschiebeschutz zukommt, im gesamten Bundesgebiet zulässig.
(3) Der Aufenthalt gemäß Abs. 1 und 2 stellt kein Aufenthaltsrecht gemäß § 13 dar.
§ 12 a Abs. 2 AsylG normiert, dass, wenn ein Fremder einen Folgeantrag stellt und kein Fall des Absatz 1 vorliegt, das Bundesamt den faktischen Abschiebeschutz des Fremden aufheben kann, wenn
1. gegen ihn eine aufrechte Rückkehrentscheidung oder Ausweisung besteht,
2. der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhaltes eingetreten ist, und
3. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Gemäß § 22 Abs. 10 AsylG ergehen solche Entscheidungen des Bundesamtes betreffend die Aufhebung des Abschiebeschutzes gem. § 12a Abs. 2 AsylG mündlich in Bescheidform.
Daraus folgt:
Überprüfung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes
(1) Eine Entscheidung des Bundesamtes, mit der der faktische Abschiebeschutz eines Fremden aufgehoben wurde (§ 12a Abs. 2 AsylG 2005), ist vom Bundesverwaltungsgericht unverzüglich einer Überprüfung zu unterziehen. Das Verfahren ist ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden. § 20 gilt sinngemäß. § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG ist nicht anzuwenden.
(2) Die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 und eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG sind mit der Erlassung der Entscheidung gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 durchsetzbar. Mit der Durchführung der die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung umsetzenden Abschiebung gemäß § 46 FPG ist bis zum Ablauf des dritten Arbeitstages ab Einlangen der gemäß § 22 Abs. 10 AsylG 2005 zu übermittelnden Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuzuwarten. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Bundesamt unverzüglich vom Einlangen der Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung und von der im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 getroffenen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes zu verständigen.
(3) Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 hat das Bundesverwaltungsgericht binnen acht Wochen zu entscheiden.
Fallbezogen ergibt sich Folgendes:
Wie in den Feststellungen ausgeführt, hat das Bundesamt für die Prüfung der Tatbestandsvoraussetzung des § 12a Abs 2 Z3 AsylG nicht die notwendigen Ermittlungen unternommen, um die Prognose stellen zu können, dass keine derartige Gefährdung im Falle einer Rückkehr in die Türkei droht.
Die herangezogenen Berichte, die im Wesentlichen über Geschehnisse aus den Jahren 2015 und 2016 oder auch 2014 informieren, sind nicht tauglich als Grundlage für eine vorbringensbezogene Rückkehrprognose zum Entscheidungszeitpunkt 06.09.2018.
Gem. § 22 Abs 1 BFA-VG konnte eine Verhandlung entfallen. Auf Grund der Aktenlage ergaben sich keine konkreten Anhaltspunkte, dass dessen ungeachtet eine Verhandlung zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes erforderlich wäre.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Ermittlungspflicht, faktischer Abschiebeschutz - Aufhebung nichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:L504.1307540.3.00Zuletzt aktualisiert am
26.11.2018