TE Bvwg Beschluss 2018/9/17 W270 1426171-2

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Veröffentlicht am 17.09.2018
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Entscheidungsdatum

17.09.2018

Norm

AsylG 2005 §12a Abs2
AsylG 2005 §22 Abs10
BFA-VG §22
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W270 1426171-2/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Günther GRASSL über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 11.09.2018, Zl. XXXX, in einer Angelegenheit nach dem AsylG 2005, beschlossen:

A)

Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes war gemäß § 12a Abs. 2 und § 22 Abs. 10 AsylG 2005 i.V.m. § 22 BFA-VG rechtmäßig.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Vorverfahren:

XXXX (in Folge: "Beschwerdeführer") ist afghanischer Staatsangehöriger und stellte am 02.02.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Am 15.03.2012 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesasylamt, Außenstelle Traiskirchen, zu den Gründen für seine Asylantragstellung einvernommen.

1.2. Das Bundesasylamt wies den gegenständlichen Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m.

§ 2 Abs. 1 Z 13 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, in Folge: "AsylG 2005") (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan mit Bescheid vom 28.03.2012, Zl. 12 01.471-BAT abgewiesen (Spruchpunkt II.) und den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

1.3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an den Asylgerichtshof (in Folge: "AsylGH") und führte aus, dass ihm aufgrund seiner Tätigkeit als Leibwächter von Kommandanten der Regierungstruppen Verfolgung seitens der Taliban aufgrund seiner politischen bzw. religiösen Überzeugungen drohe.

1.4. Die Beschwerde wurde vom AsylGH mit Erkenntnis vom 16.04.2013, Zl. C9 426171-1/2012/8E, als unbegründet abgewiesen.

1.5. Am 08.08.2013 stellte die Landespolizeidirektion Niederösterreich fest, dass der Beschwerdeführer und dessen Sohn nach § 46a FPG geduldet sind, weil der Beschwerdeführer der Fremdenpolizei weder Reisedokumente vorlegen, noch ein solches von der afghanischen Botschaft beschafft werden konnte.

1.6. Der Beschwerdeführer stellte am 13.08.2014 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "besonderer Schutz" gemäß § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005. Diesem wurde stattgegeben und ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 erteilt.

1.7. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Linz vom 21.04.2015, Zl. 26 Hv 35/15i, welches an diesem Tag auch in Rechtskraft erwuchs, wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der versuchten Schlepperei nach den §§ 15 Abs. 1 i.V.m. 114 Abs. 1 FPG zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Gemäß § 43a Abs. 3 StGB wurde ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe im Ausmaß von sechs Monaten, unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren, bedingt nachgesehen.

1.8. Am 18.08.2015 stellte der Beschwerdeführer einen Verlängerungsantrag nach § 59 AsylG 2005. Diesem wurde wiederum stattgegeben, weil keine Aussicht auf Erlangung eines Ersatzreisedokuments von der afghanischen Vertretungsbehörde bestand und lediglich eine Verurteilung aufgrund eines Vergehens erfolgt war.

1.9. Ein weiterer Verlängerungsantrag gemäß § 59 AsylG 2005 wurde am 08.08.2016 vom Beschwerdeführer beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: "belangte Behörde) eingebracht. Dabei legte er von der afghanischen Botschaft in Wien ausgestellte afghanische Reisepässe vor. Somit lagen die Voraussetzungen für eine Duldung nach § 46a Abs. 1 FPG nicht mehr vor und fehlte es daher an einer Erteilungsvoraussetzung für einen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005. In Folge wurde eine Abfrage im Zentralen Fremdenregister (IZR) durchgeführt, welche ergab, dass gegen den Beschwerdeführer ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von sechs Jahren im Schengengebiet besteht. Dieses wurde am 01.12.2015 von Dänemark erlassen, weil der Beschwerdeführer vom Gericht in Nykoebing am 12.10.2015 wegen Schlepperei zu einer Freiheitsstrafe von zwanzig Tagen verurteilt worden war.

1.10. Am 30.11.2016 legte der Beschwerdeführer zum anhängigen Verlängerungsverfahren noch eine Stellungnahme samt Bestätigungen über seine Dolmetsch-Tätigkeiten, Empfehlungsschreiben und eine Stellungnahme der Jugendhilfe St. Pölten sowie eine Psychotherapiebestätigung betreffend seinen Sohn vor.

1.11. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen St. Pölten vom 15.11.2017, Zl. 35 Hv 79/17t, wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der versuchten Nötigung nach §§ 15 i.V.m. 105 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen à EUR 4,00 (im Nichteinbringungsfall zu 90 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe) verurteilt.

1.12. In weiterer Folge wies die belangte Behörde den Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 AsylG 2005 mit Bescheid vom 31.01.2018 ab. Gemäß § 10 Abs.3 AsylG 2005 i.V.m. § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist. Gemäß § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer außerdem ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist in der Dauer von vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für seine freiwillige Ausreise eingeräumt. Dieser Bescheid erwuchs am 07.03.2018 in Rechtskraft.

1.13. Mit Mandatsbescheid vom 22.06.2018, Zl. 81911003-180463735 wurde dem Beschwerdeführer aufgetragen, gemäß § 57 Abs. 1 FPG i.V.m.

§ 57 Abs. 1 AVG bis zur Ausreise durchgängig Unterkunft im Rückkehrberatungszentrum in 6391 Fieberbrunn zu nehmen. Dieser Bescheid wurde ihm nachweislich durch Beamte des Stadtpolizeikommandos St. Pölten am 22.06.2018 zugestellt.

1.14. Am 28.08.2018 wurde der Beschwerdeführer im Zuge einer Verwicklung in einen Verkehrsunfall von Polizeibeamten aufgegriffen. Nach Rücksprache mit dem Journaldienst der belangten Behörde wurde der Beschwerdeführer gemäß § 34 BFA-VG festgenommen und über ihn die Schubhaft verhängt.

2. Gegenständliches Verfahren:

2.1. Am 03.09.2018 stellte der Beschwerdeführer aus der Schubhaft einen Antrag (Folgeantrag) auf internationalen Schutz in Österreich.

2.2. In der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, gab der Beschwerdeführer an, dass er seinen Sohn aufgrund von Problemen in die Schweiz geschickt habe und dieser nun dort lebe. Er selbst besuche seit zwei Jahren wöchentlich eine Kirche und kenne den Pastor gut. Er sei auch als Dolmetscher für die Kirche tätig gewesen und habe einige Familien bei der Taufe unterstützt. Er habe schon als Moslem Probleme in seiner Heimatregion gehabt, als Christ hätte er dort noch mehr Schwierigkeiten.

2.3. Mit Verfahrensanordnung der belangten Behörde vom 05.09.2018 wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückzuweisen und den faktischen Abschiebeschutz aufzuheben.

2.4. In der am 11.09.2018 durchgeführten Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: "belangte Behörde") brachte der Beschwerdeführer - in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari sowie eines Rechtsberaters - zusammengefasst im Wesentlichen vor, dass er eine ausführliche Rechtsberatung in Anspruch genommen habe und die Fluchtgründe aus seinem Erstverfahren nach wie vor aufrecht seien. Neu hinzugekommen sei, dass er vor zwei Jahren zum Christentum konvertiert sei. Er wolle sich taufen lassen. Der Beschwerdeführer führte weiter aus, dass vor ungefähr drei Wochen seine drei Nichten in der Provinz Ghazni von den Taliban getötet worden seien. Bei einem Anschlag vor drei Tagen in Kabul sei sein Bruder verletzt worden.

2.5. In der Folge wurde mittels mündlich verkündetem Bescheid, welcher im Protokoll über die eben angeführte Einvernahme am 11.09.2018 dokumentiert ist, der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 aufgehoben. Die belangte Behörde begründete dies nach Wiedergabe des Verfahrensganges im Wesentlichen damit, dass unter Berücksichtigung aller bekannten Tatsachen keine Umstände existieren würden, welche einer Ausweisung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich entgegenstünden und der Beschwerdeführer über keine sonstige Aufenthaltsberechtigung verfüge. Die Fluchtgründe aus dem Erstverfahren seien aufrecht, ergänzend habe er vorgebracht zum Christentum konvertiert zu sein. Da der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen konnte, dass für ihn in Afghanistan eine reale Gefahr mit Gefährdungsmomenten gegeben ist, sei der objektive und entscheidungsrelevante Sachverhalt unverändert, und liege entschiedene Sache im Sinne von § 68 AVG vor. Sein neuer Antrag auf internationalen Schutz werde voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein.

2.6. Der gegenständliche Akt wurde dem Bundesverwaltungsgericht von der belangten Behörde aufgrund des § 12a Abs. 2 AsylG 2005 am 14.09.2018 übermittelt. Nach Durchsicht auf Vollständigkeit des Aktes und Überprüfung wurde die belangte Behörde gemäß § 22 Abs. 2 BFA-VG über das Einlangen der Verwaltungsakten verständigt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zum asyl- und fremdenrechtlichen Status des Beschwerdeführers in Österreich:

1.1.1. Der von der belangten Behörde erlassene negative Bescheid über den (Erst)Antrag des Beschwerdeführers vom 28.03.2012 auf Gewährung internationalen Schutzes ist - nach Abweisung der dagegen beim Asylgerichtshof erhobenen Beschwerde - in Rechtskraft erwachsen. Mit diesem Bescheid wurde zugleich eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG erlassen.

1.1.2. Am 08.03.2013 wurde von der Landespolizeidirektion Niederösterreich festgestellt, dass der Beschwerdeführer und sein Sohn nach § 46a FPG in Österreich geduldet sind.

1.1.3. Einem am 13.08.2014 gestellten Antrag des Beschwerdeführers und dessen Sohnes auf Erteilung eines ein Aufenthaltstitels "besonderer Schutz" wurde stattgegeben. Die belangte Behörde erließ am 31.01.2018 einen negativen Bescheid über einen dazu gestellten Verlängerungsantrag. Dieser erwuchs am 07.03.2018 in Rechtskraft.

1.1.4. Der Beschwerdeführer hat am 03.09.2018 - nach eingeleiteten fremdenpolizeilichen Bestrebungen hinsichtlich einer Rückführung seiner Person nach Afghanistan - aus der Schubhaft einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich gestellt. Er hat diesen damit begründet, dass seine im Vorverfahren genannten Fluchtgründe noch aufrecht seien und er außerdem zum Christentum konvertiert sei. Auch seien vor einigen Wochen Nichten von ihm in der Provinz Ghazni getötet worden und sein Bruder sei bei einem Anschlag in der Stadt Kabul verletzt worden.

1.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

1.2.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Afghanistans. Er hat zwölf Jahre Schulbildung und verfügt über Berufserfahrung in einer Stoff- und Kartonfabrik. Er hat in der Stadt Kabul familiäre Anknüpfungspunkte.

1.2.2. Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat einen Sohn. Dieser lebt seit drei Monaten in der Schweiz in einer Betreuungseinrichtung. Nicht festgestellt werden kann, welche Person konkret die Obsorge für den Sohn innehat. Im Übrigen leben in Österreich keine Familienangehörige des Beschwerdeführers. Er ist mit einem Pastor einer christlichen Kirche gut bekannt. Ansonsten sind keine besonderen Anknüpfungspunkte an Österreich festzustellen, insbesondere ist der Beschwerdeführer nicht Mitglied irgendeiner Organisation oder eines Vereins.

1.2.3. Der Beschwerdeführer hat über einen Zeitraum von zwei Jahren für andere Asylwerber in einer christlichen Kirche gedolmetscht. Aus seiner Sicht ist er vor zwei Jahren zum christlichen Glauben konvertiert. Er ist nicht getauft.

Der Beschwerdeführer hat keinen inneren Entschluss gefasst hat bzw. ist innerlich nicht nach dem christlichen Glauben zu leben. Er wird dies auch nach seiner Rückkehr nach Afghanistan tun bzw. sich dahingehend nicht betätigen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass es Privatpersonen oder staatlichen Stellen in Afghanistan bekannt ist, dass der Beschwerdeführer Aktivitäten als Dolmetscher in einer christlichen Kirche in Österreich setzte.

1.2.4. Der Beschwerdeführer ist gesund.

1.2.5. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Linz vom 21.04.2015, Zl. 26 Hv 35/15i wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 15 Abs. 1 i.V.m. 114 Abs. 1 FPG zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt und wurden davon ihm gemäß § 43a Abs. 3 StGB sechs Monate unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

1.2.6. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen St. Pölten vom 15.11.2017, Zl. 35 Hv 79/17t wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 15 und 105 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen à EUR 4,00 (im Nichteinbringungsfall zu 90 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe) verurteilt.

1.2.7. Der Beschwerdeführer befindet sich derzeit in Schubhaft.

1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat:

1.2.1. Religionsfreiheit:

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 5.2018; vgl. CIA 2017). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (USDOS 15.8.2017).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 15.8.2017). Der politische Islam behält in Afghanistan die Oberhand; welche Gruppierung - die Taliban (Deobandi- Hanafismus), der IS (Salafismus) oder die afghanische Verfassung (moderater Hanafismus) - religiös korrekter ist, stellt jedoch weiterhin eine Kontroverse dar. Diese Uneinigkeit führt zwischen den involvierten Akteuren zu erheblichem Streit um die Kontrolle bestimmter Gebiete und Anhängerschaft in der Bevölkerung (BTI 2018).

Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, enthält keine Definition von Apostasie (vgl. MoJ 15.5.2017). Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Jeder Konvertit soll laut

islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtssprechung Proselytismus (Missionierung, Anm.) illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtssprechungnter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 15.8.2017) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323). Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 15.8.2017).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (FH 11.4.2018).

Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (USDOS 15.8.2017; vgl. AA 5.2018); so gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürger/innen unabhängig von ihrer Religion (AA 5.2018). Wenn weder die Verfassung noch das Straf- bzw. Zivilgesetzbuch bei bestimmten Rechtsfällen angewendet werden können, gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung. Laut Verfassung sind die Gerichte dazu berechtigt, das schiitische Recht anzuwenden, wenn die betroffene Person dem schiitischen Islam angehört. Gemäß der Verfassung existieren keine eigenen, für Nicht- Muslime geltende Gesetze (USDOS 15.8.2017).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten (USDOS 15.8.2017). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht- muslimischen Glauben deklariert (HO U.K. 2.2017; vgl. USDOS 10.8.2016). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über die Konfession des/der Inhabers/Inhaberin. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt (USDOS 15.8.2017). Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 15.8.2017).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte,

die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 15.8.2017).

Christen berichteten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die meistens während ihres Aufenthalts im Ausland zum Christentum konvertierten, würden aus Furcht vor Vergeltung ihren Glauben alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern ausüben (USDOS 15.8.2017).

Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (CRS 13.12.2017).

Beobachtern zufolge sinkt die gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber der schiitischen Minderheit weiterhin; in verschiedenen Gegenden werden dennoch Stigmatisierungsfälle gemeldet (USDOS 15.8.2017).

Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 15.8.2017; vgl. CRS 13.12.2017, FH 11.4.2018). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 15.8.2017).

(Quelle: Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 idF Kurzinformation 11.09.2018, Pkt. 15 "Religionsfreiheit")

1.2.2. Zur Lage in Ghazni:

Am Donnerstag, dem 9.8.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt Ghaznis, einer strategisch bedeutenden Provinz, die sich auf der Achse Kabul-Kandahar befindet (Repubblica 13.8.2018; vgl. ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018). Nach fünftägigen Zusammenstößen zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Aufständischen konnten letztere zurückgedrängt werden (AB 15.8.2018; vgl. Xinhua 15.8.2018). Während der Kämpfe kamen ca. 100 Mitglieder der Sicherheitskräfte ums Leben und eine unbekannte Anzahl Zivilisten und Taliban (DS 13.8.2018; vgl. ANSA 13.8.2018).

(Quelle: Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 idF Kurzinformation 11.09.2018, Pkt. 1 "Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformation")

1.2.3. Zur Lage und Erreichbarkeit in der bzw. der Stadt Kabul:

1.2.3.1. Die Sicherheitslage in der Stadt Kabul stellt sich wie folgt dar:

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwok o.D.z).

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.3.2018).

Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018; vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (Tolonews 10.9.2017; vgl. Kapitel 3.35.).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).

Informationen und Beispiele zu öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) können dem Kapitel 3. "Sicherheitslage (allgemeiner Teil)" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die folgende Darstellung der Staatendokumentation veranschaulicht werden sollen:

Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vgl. AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vgl. MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem

Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 1.3.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 7.2.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters 14.3.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Kabul

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 17.3.2018, Dawn 31.1.2018), auch dem Haqqani- Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.1.2018; vgl. NYT 9.3.2018, VoA 1.6.2017). So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (AAN 5.2.2018).

Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an (AAN 5.2.2018).

Für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte) (ACLED 23.2.2018).

Bei einem Selbstmordanschlag im Kabuler Stadtteil Taimani kamen am 9.9.2018 mindestens sieben Menschen ums Leben und ungefähr 24 weitere wurden verletzt. Der Anschlag, zu dem sich der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte, fand während eines Festzugs zu Ehren des verstorbenen Mudschahedin-Kämpfers Ahmad Shah Massoud statt (AJ 10.9.2018; vgl. Khaama Press 10.9.2018b).

Am Mittwoch, dem 5.9.2018, kamen bei einem Doppelanschlag auf einen Wrestling-Klub im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi mindestens 20 Personen ums Leben und ungefähr 70 weitere wurden verletzt (AJ 6.9.2018; vgl. CNN 6.9.2018, TG 5.9.2018). Zuerst sprengte sich innerhalb des Sportvereins ein Attentäter in die Luft, kurz darauf explodierte eine Autobombe in der sich vor dem Klub versammelnden Menge (SO 5.9.2018) Der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte sich zum Anschlag (RFE/RL 5.9.2018).

(Quelle: Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 idF Kurzinformation vom 11.09.2018, Pkt. 1. "Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen" und Pkt. 3.1. "Kabul")

1.2.3.2. Die wirtschaftliche Lage für Rückkehrer sowie die medizinische Versorgung in der Stadt Kabul stellt sich wie folgt dar:

Die Rolle unterschiedlicher Netzwerke für Rückkehrer/innen

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die

Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Quellen zufolge verlieren nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. BFA/EASO 1.2018). Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017). Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. BFA/EASO 1.2018).

Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. BFA/EASO 1.2018).

Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. BFA/EASO 1.2018). Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Landinfo 19.9.2017). Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die

Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017).

Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft (wenngleich sich das Jangalak-Aufnahmezentrum bis September 2017 direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand, wurde dieses dennoch von IOM betrieben und finanziert). Seit 2016 erhalten die Rückkehr/innen nur Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (siehe Jangalak-Aufnahmezentrum) (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017). Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AAN 19.5.2017).

Rückkehr

Als Rückkehrer/innen werden jene afghanische Staatsbürger/innen bezeichnet, die nach Afghanistan zurückgekehrt sind, nachdem sie mindestens sechs Monate im Ausland verbracht haben. Dazu zählen sowohl im Ausland registrierte Afghan/innen, die dann die freiwillige Rückkehr über UNHCR angetreten haben, als auch nicht-registrierte Personen, die nicht über UNHCR zurückgekehrt sind, sondern zwangsweise rückgeführt wurden. Insgesamt sind in den Jahren 2012-2017 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt. Die Anzahl der Rückkehrer/innen hat sich zunächst im Jahr 2016 im

Vergleich zum Zeitraum 2012-2015, um 24% erhöht, und ist im Jahr 2017 um 52% zurückgegangen. In allen drei Zeiträumen war Nangarhar jene Provinz, die die meisten Rückkehrer/innen zu verzeichnen hatte (499.194); zweimal so viel wie Kabul (256.145) (IOM/DTM 26.3.2018). Im Jahr 2017 kehrten IOM zufolge insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück (sowohl freiwillig, als auch zwangsweise) (IOM 2.2018). Im Jahr 2018 kehrten mit Stand

21.3. 1.052 Personen aus angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (759 davon kamen aus Pakistan). Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (IOM 7.7.2017).

Beispiele für Nichtregierungsinstitutionen vor Ort

Ärzte ohne Grenzen (MSF)

Médecins sans Frontières (MSF) ist in verschiedenen medizinischen Einrichtungen in Afghanistan tätig: im Ahmad Shah Baba Krankenhaus und im Dasht-e Barchi Krankenhaus in Kabul, in der Entbindungsklinik in Khost, im Boost Krankenhaus in Lashkar Gah (Helmand) sowie im Mirwais Krankenhaus und anderen Einrichtungen in Kandahar (MSF o. D.).

Das Komitee des internationalen Roten Kreuz (ICRC)

Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung. Für den Zeitraum von Dezember 2017 bis März 2018 wurden Berichten zufolge insgesamt 48 Zwischenfälle in 13 Provinzen registriert. Nach mehreren Angriffen mit Todesfolge auf Mitarbeiter des ICRC, hat das Internationale Komitee des Roten Kreuzes 2017 einen erheblichen Teil seines Personals im Land abgezogen (AA 5.2018). Trotzdem blieb im Laufe des Jahres 2017 das ICRC landesweit aktiv. Tätigkeiten des Komitees zur Förderung der Gesundheitsfürsorge waren z.B. der Transport von Kriegsverwundeten in nahe liegende Krankenhäuser für weitere medizinische Versorgung, die Bereitstellung von Medikamenten und medizinischer Ausstattung zur Unterstützung einiger staatlicher Krankenhäuser, die Bereitstellung von medizinischer Unterstützung für das Mirwais Krankenhauses in Kandahar, die Unterstützung von Gesundheitsdienstleistungen in zwei Gefängnissen (Kandahar und Herat) usw. (ICRC 28.1.2018).

International Psychosocial Organization (IPSO) in Kabul

IPSO bietet landesweit psychosoziale Betreuung durch Online-Beratung und Projektfeldarbeit mit insgesamt 280 psychosozialen Therapeuten, wovon die Hälfte Frauen sind. Die Online-Beratung steht von 8-19 Uhr kostenfrei zur Verfügung; angeboten werden ebenso persönliche Sitzungen in Beratungszentren der Krankenhäuser. Einige der Dienste dieser Organisation sind auch an Universitäten und technischen Institutionen verfügbar. Unter anderem ist IPSO in den Provinzen Nangarhar, Kabul, Herat, Bamyan, Badakhshan, Balkh, Jawzjan und Laghman tätig (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. IPSO Cultural Containers o.D.).

Grundversorgung und Wirtschaft

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188 (UNDP 2016). Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist (IWF 8.12.2017; vgl. WB 10.4.2018). Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden (SCA 22.5.2018). Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (WB 10.4.2018).

Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich 6% prognostiziert (IWF 8.12.2017). Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1.4% aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3.4% bzw. 1.8%. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3% zurückgingen und die Importe um 8% stiegen (UN GASC 27.2.2018).

Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit

Schätzungen zufolge leben 74,8% der Bevölkerung in ländlichen und 25,2% in städtischen Gebieten (CSO 4.2017). Für ungefähr ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle (SCA 22.5.2018; vgl. AF 14.11.2017).

In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet (WB 10.4.2018). Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt (SCA 22.5.2018). Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. SCA 22.5.2018). Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80% davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner) (SCA 22.5.2018).

Ungefähr 47,3% der afghanischen Bevölkerung sind unter 15 Jahre alt, 60% unter 24 Jahre. Daher muss die Versorgung der jungen Bevölkerungsschichten seitens einer viel geringeren Zahl von Erwachsenen gewährleistet werden; eine Herausforderung, die durch den schwachen Arbeitsmarkt verschlimmert wird. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden. Gemäß einer Umfrage von Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 wird von 70,6% der Befragten die Arbeitslosigkeit als eines der größten Probleme junger Menschen in Afghanistan zwischen 15 und 24 Jahren gesehen (AF 14.11.2017).

Projekte der afghanischen Regierung

Im Laufe des Jahres 2017 hat die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen unternommen, um die Rechenschaftspflicht bei der Umsetzung ihrer Entwicklungsprioritäten durch die hohen Entwicklungsräte zu fördern (UN GASC 27.2.2018). Darunter fällt u.

a. der fünfjährige (2017 - 2020) Nationale Rahmen für Frieden und Entwicklung in Afghanistan (The Afghanistan National Peace and Development Framework, ANPDF) zur Erreichung der Selbständigkeit. Ziele dieses strategischen Plans sind u. a. der Aufbau von Institutionen, die Förderung von privaten Investitionen, Wirtschaftswachstum, die Korruptionsbekämpfung, Personalentwicklung usw. (WP 10.4.2018.; vgl. GEC 29.1.2017). Im Rahmen der Umsetzung dieses Projekts hat die Regierung die zehn prioritären nationalen Programme mithilfe der Beratung durch die hohen Entwicklungsräte weiterentwickelt. Die Implementierung zweier dieser Projekte, des "Citizens' Charter National Priority Program" und des "Women's Economic Empowerment National Priority Program" ist vorangekommen. Die restlichen acht befinden sich in verschiedenen Entwicklungsstadien (UN GASC 27.2.2018).

Das "Citizens' Charter National Priority Program" z. B. hat die Armutsreduktion und die Erhöhung des Lebensstandards zum Ziel, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden sollen. Die erste Phase des Projektes sollte ein Drittel der 34 Provinzen erfassen und konzentrierte sich auf Balkh, Herat, Kandahar und Nangarhar. Ziel des Projekts ist es, 3,4 Mio. Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser zu verschaffen, die Gesundheitsdienstleistungen, das Bildungswesen, das Straßennetz und die Stromversorgung zu verbessern, sowie die Zufriedenheit und das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu steigern. Des Weiteren zielt das Projekt darauf ab, Binnenvertriebene, Behinderte, Arme und Frauen besser zu integrieren (WB 10.10.2016).

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant (BFA Staatendokumentation 4.2018).

(Quelle: Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 idF Kurzinformation vom 11.09.2018, Pkt. 22. "Grundversorgung und Wirtschaft" und Pkt. 24. "Rückkehr")

Gesundheitsversorgung

Gemäß Artikel 52 der afghanischen Verfassung muss der Staat allen Bürgern kostenfreie primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen gewährleisten; gleichzeitig sind im Grundgesetz die Förderung und der Schutz privater Gesundheitseinrichtungen vorgesehen (MPI 27.1.2004; Casolino 2011). Allerdings ist die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. Berichten zufolge haben rund 10 Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Behandlung stark einkommensabhängig. Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung (AA 5.2018).

In den letzten zehn Jahren hat die Flächendeckung der primären Gesundheitsversorgung in Afghanistan stetig zugenommen (WHO o.D.). Das afghanische Gesundheitssystem hat in dieser Zeit ansehnliche Fortschritte gemacht (TWBG 10.2016; vgl. USAID 25.5.2018). Gründe dafür waren u. a. eine solide öffentliche Gesundheitspolitik, innovative Servicebereitstellung, Entwicklungshilfen usw. (TWBG 10.2016). Einer Umfrage der Asia Foundation (AF) zufolge hat sich 2017 die Qualität der afghanischen Ernährung sowie der Gesundheitszustand in den afghanischen Familien im Vergleich zu 2016 gebessert (AF 11.2017).

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Strategieplan für den Gesundheitssektor (2011-2015) und eine nationale Gesundheitspolicy (2012-2020) entwickelt, um dem Großteil der afghanischen Bevölkerung die grundlegende Gesundheitsversorgung zu garantieren (WHO o.D.).

Trotz signifikanter Verbesserungen im Bereich des Deckungsgrades und der Qualität der Gesundheitsversorgung wie auch einer Reduzierung der Sterberate von Müttern, Säuglingen und Kindern unter fünf Jahren liegen die afghanischen Gesundheitsindikatoren weiterhin unter dem Durchschnitt der einkommensschwachen Länder. Des Weiteren hat Afghanistan eine der höchsten Unterernährungsraten der Welt. Etwa 41% der Kinder unter fünf Jahren leiden unter chronischer Unterernährung. Sowohl Frauen als auch Kinder leiden an Vitamin- und Mineralstoffmangel (TWBG 10.2016). In den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen: Während die Müttersterblichkeit früher bei 1.600 Todesfällen pro 100.000 Geburten lag, belief sie sich im Jahr 2015 auf 324 Todesfälle pro 100.000 Geburten. Allerdings wird von einer deutlich höheren Dunkelziffer berichtet. Bei Säuglingen liegt die Sterblichkeitsrate mittlerweile bei 45 Kindern pro 100.000 Geburten und bei Kindern unter fünf Jahren sank die Rate im Zeitraum 1990 - 2016 von 177 auf 55 Sterbefälle pro 1.000 Kindern. Trotz der Fortschritte sind diese Zahlen weiterhin kritisch und liegen deutlich über dem regionalen Durchschnitt (AA 5.2018). Weltweit sind Afghanistan und Pakistan die einzigen Länder, die im Jahr 2017 Poliomyelitis-Fälle zu verzeichnen hatten; nichtsdestotrotz ist deren Anzahl bedeutend gesunken. Impfärzte können Impfkampagnen sogar in Gegenden umsetzen, die von den Taliban kontrolliert werden. In jenen neun Provinzen, in denen UNICEF aktiv ist, sind jährlich vier Polio-Impfkampagnen angesetzt. In besonders von Polio gefährdeten Provinzen wie Kunduz, Faryab und Baghlan wurden zusätzliche Kampagnen durchgeführt (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Krankenkassen und Gesundheitsversicherung

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) bietet zwei Grundversorgungsmöglichkeiten an: das "Essential Package of Health Services" (EPHS) und das "Basic Package of Health Services" (BPHS), die im Jahr 2003 eingerichtet wurden (MoPH 7.2005; vgl. MedCOI 4.1.2018). Beide Programme sollen standardisierte Behandlungsmöglichkeiten in gesundheitlichen Einrichtungen und Krankenhäusern garantieren. Die im BPHS vorgesehenen Gesundheitsdienstleistungen und einige medizinische Versorgungsmöglichkeiten des EPHS sind kostenfrei. Jedoch zahlen Afghanen und Afghaninnen oft aus eigener Tasche, weil sie private medizinische Versorgungsmöglichkeiten bevorzugen, oder weil die öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen die Kosten nicht ausreichend decken (MedCOI 24.2.2017). Es gibt keine staatliche Unterstützung für den Erwerb von Medikamenten. Die Kosten dafür müssen von den Patienten getragen werden. Nur privat versicherten Patienten können die Medikamentenkosten zurückerstattet werden (IOM 5.2.2018).

Medizinische Versorgung wird in Afghanistan auf drei Ebenen gewährleistet: Gesundheitsposten (HP) und Gesundheitsarbeiter (CHWs) bieten ihre Dienste auf Gemeinde- oder Dorfebene an; Grundversorgungszentren (BHCs), allgemeine Gesundheitszentren (CHCs) und Bezirkskrankenhäuser operieren in den größeren Dörfern und Gemeinschaften der Distrikte. Die dritte Ebene der medizinischen Versorgung wird von Provinz- und Regionalkrankenhäusern getragen. In urbanen Gegenden bieten städtische Kliniken, Krankenhäuser und Sonderkrankenanstalten jene Dienstleistungen an, die HPs, BHCs und CHCs in ländlichen Gebieten erbringen (MoPH 7.2005; vgl. AP&C 9.2016). 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden dennoch nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (AA 5.2018).

(Quelle: Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Pkt. 23 "Medizinische Versorgung")

1.2.3.3. Die Erreichbarkeit der Stadt Kabul stellt sich wie folgt dar:

Der Flughafen in Kabul ist ein internationaler Flughafen (Tolonews 18.12.2017; vgl. HKA o.D.). Ehemals bekannt als internationaler Flughafen Kabul, wurde er im Jahr 2014 in "Internationaler Flughafen Hamid Karzai" umbenannt. Er liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul. In den letzten Jahren wurde der Flughafen erweitert und modernisiert. Ein neues internationales Terminal wurde hinzugefügt und das alte Terminal wird nun für nationale Flüge benutzt (HKA o. D.).

(Quelle: Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 idF Kurzinformation vom 11.09.2018, Pkt. 3.35. "Erreichbarkeit")

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zum asyl- und fremdenrechtlichen Status des Beschwerdeführers ergeben sich wie folgt:

2.2.2. Die Feststellungen zur Antragsbegründung des Beschwerdeführers im zweiten Verfahren auf Gewährung von internationalem Schutz gründen auf der Erstbefragung durch Organe der Sicherheitspolizei am 03.09.2018 sowie der Einvernahme durch die belangte Behörde vom 11.09.2018.

2.2.3. Im Übrigen ergeben sie sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten und im Verwaltungsakt einliegenden Unterlagen.

2.2. Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und den geltend gemachten Flucht- bzw. Nachfluchtgründen beruhen auf:

2.2.1. Die Feststellungen zur Herkunft, zum Familienstand sowie zum Leben in Österreich und entsprechenden Anknüpfungspunkten beruhen auf den Feststellungen des AsylGH, soweit diese vom Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren unbestritten blieben bzw. kein Vorbringen einer Änderung erstattet wurde, sowie den Angaben des Beschwerdeführers bei Erstbefragung und der Einvernahme vor der belangten Behörde im gegenständlichen Verfahren.

2.2.2. Die Negativfeststellung, dass eine Konversion zum christlichen Glauben bis dato noch nicht erfolgt ist, also kein innerer Entschluss eines Glaubenswechsels bzw. eine diesbezügliche innere Überzeugung besteht bzw. vorhanden ist beruht - wobei von entsprechenden Ermittlungstätigkeiten der belangten Behörde ausgegangen werden kann (s. dazu auch unten Pkt. 3.2.4.) - auf folgenden Erwägungen:

2.2.3. Im nunmehr am 03.09.2018 angestrengten zweiten Verfahren auf Gewährung von internationalen Schutz brachte der Beschwerdeführer im Zuge seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes bzw. seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde als neuen Fluchtgrund vor, seit nunmehr zwei Jahren zum Christentum konvertiert zu sein bzw. zu diesem konvertieren zu wollen. Er sei noch nicht getauft, könne aber nun nach einer Woche Kursbesuch im September getauft werden. Er habe noch Beweismittel, die er bislang nicht vorgelegt habe, es handle sich dabei um "Bestätigungen von der Kirche, der Diakonie sowie dem Verein "wohnen"". Diese befänden sich jedoch bei einem Freund des Beschwerdeführers in St. Pölten und könnten daher nicht vorgelegt werden.

2.2.4. Zunächst übersieht der erkennende Richter in Bezug auf die asylrechtliche Relevanz einer Konversion zum Christentum nicht, dass es nicht auf die Tatsache einer bereits erfolgten Taufe ankommt sondern vielmehr wesentlich ist, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden (VwGH 20.06.2017, Ra 2017/01/0076). Dabei erfordert nach der Rechtsprechung des VfGH die Beachtung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Glaubens- und Gewissensfreiheit im Asylverfahren im konkreten Fall die Widerlegung, dass ein Religionswechsel aus innerer Überzeugung erfolgt ist. Sobald auf Grund äußerer Tatsachen ein Wechsel der Religion aus innerer Überzeugung nicht unwahrscheinlich ist, muss sich auf Grund der Persönlichkeit, aller Umstände der persönlichen Glaubwürdigkeit sowie darauf aufbauend einer ins einzelne gehenden Beweiswürdigung und allenfalls mit Hilfe der Einvernahme von Personen, die Auskunft über den Glaubenswechsel und die diesem zugrunde liegenden Überzeugungen geben können, ein detaillierter Eindruck darüber verschafft werden, inwieweit der Religionswechsel auf einer persönlichen Glaubensentscheidung beruht (VfGH 27.02.2018, E2958/2017). Zu berücksichtigen ist, dass diese Judikate nicht zu einem Verfahren wie dem gegenständlichen mitsamt den eingeschränkten Ermittlungspflichten ergingen. Dennoch werden die grundsätzlich darin angestellten Erwägungen in angemessenen Umfang zu beachten sein.

2.2.5. Dass bereits ein innerer Entschluss eines Glaubenswechsels vorliegt, ist aus den Angaben des Beschwerdeführers in seiner Erstbefragung und Vernehmung vom 03.09.2018 und vom 11.09.2018 nicht ableitbar:

2.2.6. So ist die bloße Tätigkeit als Dolmetscher für Glaubenswechsler in einer Kirche, sei es im Glaubensunterricht oder beim Taufakt selbst, noch kein besonderes Indiz für einen eigenen, inneren Entschluss des Glaubenswechsels bzw. einen diesbezüglichen inneren Entschluss. Dies gilt auch für die behauptete "gute Bekanntschaft" mit einem Pastor.

2.2.7. Zwar spricht der Beschwerdeführer von einem "Pastor" - was (gerichtsnotorisch) gegen die katholische Kirche spricht - doch blieb er im Hinblick auf die Frage, welche Feiertage die katholische Kirche k

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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