TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/19 L526 2196342-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.09.2018
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Entscheidungsdatum

19.09.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

L526 2196342-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Petra Martina Schrey, LL.M. über die Beschwerde von XXXX StA. Türkei, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.04.2018,XXXX zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 19.12.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der am selben Tag erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer an, dass er Kurde und Alevite sei. Er habe in Deutschland und Frankreich jeweils einen Cousin zweiten Grades, deren Namen er jedoch nicht nennen wolle. Auch in Österreich habe er Cousins, deren Identität er ebenfalls nicht preisgeben wolle. Seine Eltern und zwei Geschwister würden in der Türkei leben. Er habe schon seit 2012 nach Österreich reisen wollen. Nach seiner Rückkehr von Deutschland, wo er sich seit Mitte Oktober 2017 fünfundvierzig Tage lang mit einem gültigen Visum aus beruflichen Gründen aufgehalten habe, nach Istanbul Ende des Jahres 2017 habe er beschlossen, die Türkei zu verlassen, um nach Österreich zu kommen. Das sei am 11.11.2017 gewesen. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab er an, dass er als Kurde und Alevite immer ausgegrenzt worden sei. Als Kurde würde man in der Türkei als zweitklassiger Mensch behandelt. Er habe eine sehr schwierige Kindheit gehabt. Man werde auch unter Druck gesetzt, die Moschee zu besuchen und dort zu beten. Man müsse immer den Mund halten, man habe Angst und es könne immer ein Streit entstehen. Es sei aus den Nachrichten bekannt, wie es in der Türkei umgehe. Im Falle seiner Rückkehr befürchte er, genauso weiterleben zu müssen und leiden zu müssen wie sein Vater. Er könne sich keine Zukunft in der Türkei vorstellen. Es gebe die Gefahr, unmenschlich behandelt und bestraft zu werden; es gebe auch keine Sicherheit.

2. Bei der Einvernahme vor der belangten Behörde, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden kurz "bB" genannt) am 03.04.2018 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass er kurdischer Alevite und ledig sei. In der Türkei habe er mit seiner Familie zusammengewohnt. Die Eltern würden jetzt in XXXX leben und er stünde in telefonischem Kontakt zu ihnen. Den Eltern ginge es eigentlich gut, sein Vater sei jedoch krank und er bekomme keine Pension. Er habe auch einen Bruder und weitere Verwandte in der Türkei.

Zum seinem Fluchtgrund befragt, brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden sowie aufgrund seines Glaubens diskriminiert und bedroht worden zu sein. Wiederholt seien er und seine Familie auch persönlich Opfer von körperlichen Übergriffen, Beschimpfungen und Diskriminierungen geworden. So habe man ihm im Gymnasium die Zähne ausgeschlagen und die Nase gebrochen. Im Jahr 1994 sei das Haus der Familie im dem Dorf, in welchem sie damals lebten, angezündet worden. Der Anschlag sei durch Soldaten, die für das Dorf "zuständig" waren, erfolgt. 1996 habe es deshalb eine Gerichtsverhandlung gegeben, das Urteil sei aber nicht zugunsten der Familie ausgefallen. Andere, deren Häuser ebenfalls angezündet worden seien, hätten den Prozess sogar gewonnen. Die Universität habe er auch verlassen müssen. Er habe schon seit 2012 überlegt, nach Österreich zu kommen. Er sei hineingelegt worden. Man habe ihn nach Deutschland gebracht und ihm gesagt, dass er dort eine Ausbildung bekäme. Statt eine Ausbildung machen zu können, habe er aber sofort arbeiten müssen. Als Arbeitnehmer sei er auch in der Türkei immer wieder hineingelegt und belogen worden. Seinem Vater sei in der Türkei ständig gedroht worden. Dieser sei auch wegen jeder Kleinigkeit auf die Polizeistation gebracht worden, da er vorbestraft gewesen sei. Auch er sei von den Drohungen betroffen gewesen, da er Alevite sei. Konkret sei er bedroht worden, als er beim Militär war. Dort sei er durch einen Offizier bedroht worden und danach, etwa 2016, am Arbeitsplatz und in XXXX. Die Zähne seien ihm in seiner Zeit im Gymnasium, etwa im Jahr 2011, ausgeschlagen worden. Die Nase sei ihm gebrochen worden, als er etwa zehn Jahre alt war. Im Jahr 1994 sei aufgrund des Brandanschlages etwas mit seinem Finger passiert. Zuletzt sei er im Jahr 2017, bevor er nach Deutschland ging, angegriffen worden, als er wegen seiner Religion beleidigt wurde, weshalb er dann auch gekündigt und in einem anderen Unternehmen zu arbeiten begonnen habe. Er habe auch Probleme wegen seiner politischen Überzeugung. Er habe keinen Respekt vor Personen, welche Wahllisten stehlen würden. Die würden immer anfangen zu diskutieren und er laufe dann weg. Er habe mit Parteien nichts zu tun und habe persönlich auch keine Probleme mit staatlichen Behörden oder Gerichten im Heimatland gehabt.

Nach seinem Aufenthalt in Deutschland im Jahr 2017 sei er nach Ablauf seines Visums in die Türkei zurückgereist und nach Istanbul gefahren, weil er von dort Unterlagen mitnehmen habe wollen, um diese in Österreich vorzulegen.

Im Falle seiner Rückkehr in die Türkei wäre er mit Sicherheit gleich am nächsten Tag im Gefängnis. Es sei nicht sicher, ob er dort überleben könne. Alle Aleviten hätten Angst und würden verfolgt. Auch in einer Großstadt würde er nicht unerkannt leben können. Man wisse in jeder Hinsicht, dass er Alevit und Kurde sei. Man verstünde das gleich.

Anlässlich der Befragung vor der bB legte der Beschwerdeführer Folgende Unterlagen vor:

? Eine Ablichtung eines Flugblattes, welches sich den Angaben des Beschwerdeführers zufolge auf einen alevitischen Verein bezieht, dessen Obmänner und viele Mitglieder ins Gefängnis gebracht worden seien

? Ablichtungen von Fotos, auf welchen Personen vor gekennzeichneten Türen zu sehen sind

? Eine Ablichtung eines Dokumentes in türkischer Sprache, aus welchem den Angaben des Beschwerdeführers zufolge hervorginge, dass das Haus der Familie im Jahr 1994 angezündet worden sei

3. Mit dem im Spruch näher bezeichneten Bescheid der bB vom 24.04.2018 wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF, abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.)und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

In der Begründung wurden zunächst die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Fluchtgrund in der Erstbefragung sowie die Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA wörtlich wiedergegeben. Die bB stellte im Wesentlichen fest, dass der Beschwerdeführer türkischer Staatsangehöriger und Kurde alevitischen Glaubens sei. Er sei ledig und habe keine Kinder. Er sei in der Lage, selbst durch Arbeit für seinen Lebensunterhalt aufzukommen. Er habe insgesamt zwölf Jahre Schulbildung genossen und sei in der Türkei als Elektriker tätig gewesen.

Es wurde weiters festgestellt, dass der Beschwerdeführer nicht aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seiner politischen Überzeugung, seines Glaubens oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe seitens des Staates oder Dritter verfolgt worden sei. Er sei in der Türkei weder vorbestraft noch werde nach ihm gefahndet. Auch habe er keine staatlichen Sanktionen zu befürchten. Die Wiedereinreise in die Türkei könne gefahrlos erfolgen.

Er habe die Türkei zur Verbesserung seiner wirtschaftlichen Perspektiven verlassen. Er spreche Türkisch und Kurdisch auf muttersprachlichem Niveau und sei in die türkische Gesellschaft integriert. Seine Eltern, Geschwister sowie die Großmutter und zahlreiche Angehörige seien in der Türkei aufhältig. Ferner wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nicht in eine ausweglose Lage zu geraten oder hinsichtlich des Rechts auf Leben oder der körperliche Unversehrtheit verletzt zu werden drohe. Es drohe ihm auch keine Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung.

Der Beschwerdeführer weise minimale Kenntnisse der deutschen Sprache auf und verfüge über keine privaten Anknüpfungspunkte sowie auch über keine nennenswerten familiären Anknüpfungspunkte in Österreich; Angehörige zweiten Grades seien im Bundesgebiet aufhältig.

Danach traf das BFA Feststellungen zur Lage in der Türkei.

Beweiswürdigend führte das BFA aus:

"Eine Verfolgung aufgrund Ihrer politischen Überzeugungen oder Ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe behaupteten Sie selbst nicht und ergaben sich im Zuge des amtswegigen Ermittlungsverfahrens keinerlei Hinweise darauf.

Im Wesentlichen behaupteten Sie eine Bedrohung aufgrund Ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden sowie aufgrund Ihres alevitischen Glaubens. Zusammengefasst brachten Sie vor, im Jahr 1994 sei Ihre Familie Opfer einer Brandstiftung geworden. Im Alter von zehn Jahren (also circa 2004) sei Ihnen die Nase gebrochen worden. Im Jahr 2011 seien Ihnen die Zähne ausgeschlagen worden. Im Jahr 2016 seien Sie im Zuge Ihrer Wehrpflicht von einem Offizier des türkischen Militärs bedroht worden. Kurzfristig hätten Sie im Jahr 2017 für ein türkisches Unternehmen in Deutschland gearbeitet, wobei Sie auch dort Probleme gehabt hätten. Wiederholt seien Sie Opfer von Beschimpfungen und Diskriminierungen geworden.

Ihrem Vorbringen ist Folgendes zu entgegnen:

Festgehalten wird, dass Ihnen die Substantiierung eines wie auch immer gelagerten Verfolgungsszenarios im Zuge des Asylverfahrens nicht gelang. Im Wesentlichen brachten Sie minimale Eingriffe in Ihre physische oder psychische Integrität, welche keinesfalls von nennenswerter Eingriffsintensität sind (welche darüber hinaus jegliche Aktualität vermissen lassen), und allgemeine Diskriminierungserfahrungen, welche kein staatliches Einschreiten zu rechtfertigen vermögen, vor, sodass eine Auseinandersetzung mit der Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der türkischen Behörden nicht angezeigt war. Diskriminierungen von Minderheiten durch vereinzelte Angehörige der Mehrheitsgesellschaft sind bedauernswert, kommen jedoch in jedem Staat der Erde, so auch in Österreich, vor. Diesen kann oftmals lediglich mit Aufklärung begegnet werden, da die Intensität für behördliches Einschreiten oftmals schlicht nicht erreicht ist, wie es bei den von Ihnen geschilderten Beschimpfungen und Eingriffen der Fall ist.

Bezüglich die von Ihnen behauptete Brandstiftung im Jahr 1994, sohin in Ihrem Geburtsjahr, ist anzumerken, dass Sie nicht im Stande waren, substantiiert darzustellen, wieso es sich nach Ihrer Überzeugung um Brandstiftung und nicht um einen bloßen Unglücksfall handelte. Auch aus den von Ihnen vorgelegten Gerichtsunterlagen war für Sie nichts zu gewinnen, da Sie selbst angaben, Sie hätten im Verfahren nicht obsiegt. Überdies ist festzuhalten, dass selbst unter der Annahme, Ihr Haus sei böswillig aufgrund Ihrer Konfession von Dritten in Brand gesetzt worden, aufgrund der Ermangelung eines zeitlichen Konnexes zwischen Brandereignis und Ausreise keine Asylrelevanz zugebilligt werden kann. Von einer Übersetzung des Schriftstückes wurde sohin mangels Beweiswert im Sinne der Sparsamkeit der Verwaltung Abstand genommen.

Ihr Vorbringen, im Jahre 2004 sei Ihnen die Nase gebrochen und im Jahr 2011 seien Ihnen Zähne ausgeschlagen worden, lassen ebenso jeden zeitlichen Zusammenhang zur Ausreise vermissen und selbst bei Annahme des Vorliegens desselben sind diese lediglich als Unannehmlichkeiten geringen Ausmaßes, nicht jedoch als Verfolgungshandlungen, die Ihnen den weiteren Verbleib in Ihrem Herkunftsstaat gänzlich unzumutbar machen, zu qualifizieren. Überdies sind derartige Übergriffe auch zwischen österreichischen Jugendlichen nicht auszuschließen und erscheint es übertrieben, in jeden körperlichen Angriff, und mag dieser auch gegen einen Angehörigen einer Minorität gerichtet sein, eine politische Verfolgungshandlung hineinzuinterpretieren.

Die behauptete Drohung durch einen Offizier im Zuge Ihres Wehrdienstes im Jahr 2016 vermag einerseits aufgrund der mangelnden Eingriffsintensität, andererseits aufgrund des fehlenden zeitlichen Zusammenhangs und nicht zuletzt aufgrund des Umstands, dass eine Wiederholung des Vorfalls angesichts dessen, dass Sie Ihren Wehrdienst abgeleistet haben und daher keine Berührungspunkte zu eben jenem Offizier aufweisen, ausgeschlossen erscheint, selbst im Falle der Wahrheitsunterstellung die Behörde keinesfalls von Ihrer Schutzbedürftigkeit überzeugen.

Schlicht nicht nachvollziehbar sind Ihre Schilderungen hinsichtlich Ihrer Berufstätigkeit in Deutschland und der damit im Zusammenhang stehenden Visa-Angelegenheit sowie den Umständen Ihrer Ausreise in die Türkei. Offenkundig reisten Sie (was auch durch eine Visa-Datenabfrage am 23.04.2018 objektiviert werden konnte) mit dem Visum Nr. XXXX, ausgestellt am 26.09.2017, nach Deutschland ein, fühlten Sie sich an Ihrem Arbeitsplatz - aus für das Bundesamt trotz entsprechende Nachfrage nicht begreiflichen Gründen - diskriminiert, übersahen die Befristung Ihres Visums und reisten in weiterer Folge illegal in Ihren Herkunftsstaat zurück, nur um wenig später wiederum illegal aus der Türkei aus- und nach Österreich einzureisen, wo Sie letztendlich gegenständlichen Asylantrag einbrachten. Das Visum wurde Ihnen im Übrigen am 29.11.2017 entzogen, da eine Ausreise nicht verifizierbar war und Sie daher eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellten. Hiezu ist - unbeschadet der augenscheinlichen Absurdität des geschilderten Lebenssachverhalts - anzumerken, dass Sie offenbar keine erkennbaren Rückkehrbefürchtungen hegten, andernfalls Sie unverzüglich in Deutschland um internationalen Schutz angesucht hätten, Sie jedoch bevorzugten es, unrechtmäßig in Ihre Heimat zurückzureisen, obschon Sie dort - nach Ihren eigenen Angaben - dergestalt verfolgt werden, dass Ihnen eine Fortsetzung Ihres Aufenthalts in Ihrem Herkunftsstaat unzumutbar erscheint, Sie nach Ihrer Überzeugung gar in asylrelevanter Weise verfolgt werden. Mit diesem offenkundigen Widerspruch zwischen Rückkehrbefürchtungen und einer illegalen Ausreise aus Deutschland und illegalen Einreise in die Türkei - obwohl Ihnen eine Asylantragsstellung prinzipiell möglich gewesen wäre - konfrontiert, verantworteten Sie sich dahingehend, dass Sie dem deutschen Staat aufgrund Ihrer negativen Erfahrungen am Arbeitsmarkt (welche Sie wie oben dargestellt auch auf Nachfrage nicht substantiierten) kein Vertrauen mehr entgegenbrachten und Sie weiters Unterlagen aus der Türkei in Österreich vorlegen wollten. Abgesehen davon, dass Sie auch im Verfahren vor dem Bundesamt keine maßgeblichen Unterlagen aus der Türkei vorlegten und daher nicht klar ist, welche Dokumente eine Rückkehr zwingend erforderlich machten, ist nicht nachvollziehbar, wieso man Ihnen die gewünschten Unterlagen nicht per Mail oder Post aus der Türkei hätte zukommen lassen können, sodass Sie diese in einem Asylverfahren hätten vorlegen können. Im Übrigen handelte es sich bei jedem Beweismittel, das Sie vorlegten, entweder um Ablichtungen des Originals oder um Screenshots, nicht jedoch um Originaldokumente.

Hinsichtlich Ihrer Befürchtung, dass Sie in der Türkei aufgrund der Stellung eines Asylantrags Verfolgungshandlungen wider Ihre Person zu erdulden haben könnten, wird ausgeführt, dass die Republik Österreich den türkischen Behörden die Umstände um Ihren Aufenthalt im österreichischen Bundesgebiet nicht zur Kenntnis bringen, sohin die Türkei nicht erfährt, dass Sie einen Antrag auf internationalen Schutz eingebracht haben. Außerdem deckt sich eine derartige Befürchtung nicht mit dem aktuellen Länderinformationsblatt, welches lediglich ausführt, dass türkische Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, Gefahr laufen, dass sich die Sicherheitsbehörden und die Justiz mit ihnen im Falle der Wiedereinreise befassen.

Dass allfällige unsubstantiierte Drohungen gegen Ihren Vater sowie von Ihnen geschilderte Ereignisse im Osmanischen Reich (ca. 1299 bis 1922) nicht geeignet sind, eine asylrelevante Bedrohung Ihrer Person glaubhaft darzustellen, erklärt sich von selbst.

Nicht zuletzt ist festzuhalten, dass Ihre Familie nach Ihren eigenen Schilderungen mit keinen nennenswerten Problemen konfrontiert ist, weshalb auch nicht nachvollziehbar ist, wieso Sie trotz identen Profils verfolgt werden sollten.

Im Übrigen ist festzuhalten, dass es in der Türkei laut den landeskundlichen Feststellungen der Staatendokumentation circa 15 bis 25 Millionen Aleviten und mehr als 15 Millionen Kurden gibt. Eine pauschale Verfolgung ist sohin angesichts der schieren Masse potenzieller zu Verfolgender als vollkommen illusorisch abzutun und deckt sich dies auch keinesfalls mit den landeskundlichen Feststellungen.

Dass nach Ihnen gefahndet würde oder Sie vorbestraft seien, verneinten Sie selbst.

Zum Schluss, dass Sie sich ausschließlich aufgrund wirtschaftlicher Erwägungen in Österreich aufhalten, kam das Bundesamt aufgrund des Umstandes, dass Sie in keinster Weise mit Problemen konfrontiert waren, welche bei objektiver Betrachtung die Notwendigkeit dauerhafter Migration indizieren. Dieser Eindruck wurde auch durch Ihr persönliches Auftreten gestützt, darüber hinaus äußerten Sie explizit den Wunsch, in Österreich akademische Bildung zu genießen.

Zu den von Ihnen vorgelegten Beweismitteln ist Folgendes festzuhalten:

Die vorgelegten Lichtbilder, welche laut Ihren Angaben zeigen, wie die Türen von Aleviten mit einem roten "X" markiert wurden, weisen keinen Zusammenhang mit Ihrer Person auf und stammen nicht aus Ihrer Heimatstadt, sondern aus Malatya.

Die Gerichtsdokumente vermögen keinen erkennbaren Beweiswert zu liefern, da Sie nach eigenen Angaben keines der Verfahren gewannen, sohin der türkische Staat alternativ feststellte, dass das verfahrensgegenständliche Brandereignis keiner Brandstiftung geschuldet war, oder dass die Täter nicht identifiziert werden konnten, andererseits weil das Brandereignis in Ihrem Geburtsjahr stattfand, sohin ohnedies kein zeitlicher Konnex zur Ausreise gegeben ist.

Aus dem von Ihnen vorgelegten "alevitischen Flugblatt" ist nichts für Sie zu gewinnen, da es keinen asylrelevanten Lebenssachverhalt indiziert und darüber hinaus keinen erkennbaren Konnex zu Ihrer Person aufweist."

In rechtlicher Hinsicht wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die vom Beschwerdeführer beschriebenen Verfolgungshandlungen nicht als ungerechtfertigte Eingriffe von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre zu qualifizieren seien. Der Beschwerdeführer habe allgemeine Diskriminierungshandlungen geschildert, die subjektiv unerfreulich seien, die jedoch keine Schutzverpflichtungen auszulösen vermögen. Aus dem Vorbringen und der allgemeinen Situation sei auch im Falle der Rückkehr keine unmenschliche Behandlung oder extreme Gefährdungslage ersichtlich. Eine Interessenabwägung ergebe, dass die Rückkehrentscheidung zulässig sei.

4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, in welchem im Wesentlichen auf das erstattete Fluchtvorbringen verwiesen wurde. Ferner wurde auf die angespannte Situation in der Türkei, die Menschenrechtslage und die Lage in kurdischen Städten hingewiesen und es wurde zudem vorgebracht, dass der Beschwerdeführer mit der Politik Erdogans nicht einverstanden und es sehr gefährlich sei, sich gegen die Regierung und das System zu äußern; Menschen, die dies tun würden, würden oft spurlos verschwinden.

5. Mit Schreiben vom 06.06.2018 wurden dem Beschwerdeführer die aktuellen länderkundlichen Informationen zur Lage in der Türkei vom 23.04.2018 auf Basis des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.02.2017 sowie ein Auszug aus der "Country Policy and Information Note, Turkey: Alevis" des Home Office des Vereinigten Königreiches übermittelt und er wurde eingeladen, schriftlich dazu Stellung zu nehmen.

6. In der Stellungnahme zu den übermittelten länderkundlichen Informationen wurden Ausführungen betreffend die Resolution zur Menschenrechtslage in der Türkei des Europäischen Parlamentes und die Beunruhigung des Parlamentes über die Verschlechterung der Lage die Grundrechte, Grundfreiheiten und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei betreffend getätigt. Zudem wurden verschiedenste Publikationen über die Lage in der Türkei zitiert.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger, Kurde und Alevite. Er wurde in XXXX geboren und zog später mit seiner Familie nach XXXX. Er hielt sich seit Mitte Oktober 2017 fünfundvierzig Tage aus beruflichen Gründen in Deutschland auf und reiste anschließend in die Türkei zurück. Im Dezember 2017 reiste er von Istanbul nach Österreich und stellte am 19.12.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Die Eltern und ein Bruder des Beschwerdeführers leben noch in XXXX. Es leben noch weitere Verwandte in der Türkei.

Der Beschwerdeführer hat in der Türkei das Gymnasium besucht und ein Studium begonnen, welches er abgebrochen hat. Er hat in der Türkei als Elektriker gearbeitet. Der Beschwerdeführer hat in der Türkei auch den Wehrdienst absolviert.

Cousins des Beschwerdeführers leben in Deutschland und in Österreich. Der Beschwerdeführer lebt mit diesen nicht in einem gemeinsamen Haushalt. Er bezieht Leistungen aus der Grundversorgung und ist nicht berufstätig. Der Beschwerdeführer spricht etwas Deutsch und ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer hat nicht glaubhaft dargelegt und kann auch sonst nicht festgestellt werden, dass er vor seiner Ausreise aus seiner Heimat in dieser einer aktuellen sowie unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt war oder er im Falle seiner Rückkehr dorthin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer solchen ausgesetzt wäre.

Zur Lage in der Türkei werden folgende Feststellungen getroffen:

1. Neueste Ereignisse - Kurzinformationen

KI vom 18.4.2018, Bericht der Europäischen Kommission zur Türkei (relevant für die Abschnitte: 4. Rechtsschutz/Justizwesen und 11. Allgemeine Menschenrechte)

Die Europäische Kommission (EK) veröffentlichte am 17.4.2018 ihren Länderbericht zur Türkei. Darin anerkennt laut Kommission die EU zwar, dass die Türkei angesichts der Putschversuches rasch und angemessen handeln musste, gleichzeitig zeigt sich die EU angesichts des umfassenden und kollektiven Charakters bzw. die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahmen besorgt, die seit dem Putschversuch ergriffen wurden. Hierzu gehören etwa die weit verbreiteten Entlassungen, Verhaftungen und Festnahmen. Die Türkei sollte den Ausnahmezustand unverzüglich aufheben.

Gravierende Mängel betreffen laut Bericht die bisher 31 Notstandsdekrete. Sie wurden nicht einer sorgfältigen und wirksamen Kontrolle durch das Parlament unterzogen, wodurch sie der gerichtlichen Überprüfung entzogen sind. Keines der Notstandsdekrete war bisher Gegenstand einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes. Diese Notverordnungen haben insbesondere bestimmte bürgerliche und politische Rechte, einschließlich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie der Verfahrensrechte, eingeschränkt. Sie haben zudem wichtige bestehende Rechtsakte geändert, die auch nach der Aufhebung des Ausnahmezustands nach Meinung der EK ihre Wirkung behalten werden.

Die Zivilgesellschaft ist zunehmend unter Druck geraten, insbesondere angesichts einer großen Zahl von Verhaftungen von Aktivisten, einschließlich Menschenrechtsverteidigern, und der wiederholten Anwendung von Demonstrationsverboten, was zu einer raschen Einengung der Grundrechte und -freiheiten geführt hat.

Das türkische Justizsystem ist von weiteren gravierenden Rückschlägen, insbesondere im Hinblick auf die Unabhängigkeit der Justiz, geprägt. Die Verfassungsänderungen bezüglich des Rates der Richter und Staatsanwälte (CJP) haben dessen Unabhängigkeit von der Exekutive weiter untergraben. Die CJP setzte die großangelegte Suspendierung und Versetzung von Richtern und Staatsanwälten fort.

Auch in den Bereichen Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Verfahrens- und Eigentumsrechte gab es gravierende Rückschläge. Die Situation in Bezug auf die Verhütung von Folter und Misshandlung gibt weiterhin Anlass zu ernster Besorgnis. In mehreren glaubwürdigen Berichten von Menschenrechtsorganisationen, so die EK, wird behauptet, dass die Aufhebung wichtiger Schutzmaßnahmen durch die Notverordnungen die Gefahr der Straffreiheit für die Täter solcher Verbrechen erhöht und zu einer Zunahme der Fälle von Folter und Misshandlung in Haft geführt hat. Diesbezügliche Klagen bergen angeblich das Risiko von Repressalien. Die Notstandsdekrete brachten zusätzliche Einschränkungen der Verfahrensrechte, einschließlich der Rechte der Verteidigung, mit sich.

Die Ernennung von Treuhändern als Ersatz für kommunale Führungskräfte und gewählte Vertreter, hauptsächlich in Gemeinden mit kurdischer Mehrheit, führte zu einer erheblichen Schwächung der lokalen Demokratie. Die Sicherheitslage im Südosten ist weiterhin angespannt, wobei 2017 weniger die urbanen denn die ländlichen Gebiete betroffen waren. Die Situation der Binnenvertriebenen hat sich infolge der Gewalt im Südosten nur unwesentlich verbessert. Nur ein kleiner Prozentsatz von ihnen hat neue Unterkünfte erhalten (EC 17.4.2018).

In einer Reaktion auf den Bericht teilte das türkische Außenministerium mit, dass die EK Unwillens sei, die Schwierigkeiten zu verstehen, mit denen das Land konfrontiert ist, weshalb die Kommission nicht in der Lage sei, objektiv und ausgewogen zu sein (MFA 18.4.2018).

Quellen:

* EC - European Commission (17.4.2018): Turkey 2018 Report [SWD (2018) 153

final],https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20180417-turkey-report.pdf, Zugriff 18.4.2018

* MFA - Republic of Turkey/Ministry of Foreign Affairs (18.4.2018):

No: 109, 17 April 2018, Press Release Regarding the 2018 Turkey Country Report and the Enlargement Strategy Paper, http://www.mfa.gov.tr/no_-109_-ab-komisyonunun-2018-turkiye-ulke-raporu-hk_en.en.mfa, Zugriff 18.4.2018

KI vom 21.3.2018, Bericht des OHCHR über die Auswirkungen des Ausnahmezustands auf die Menschenrechte in der Türkei (relevant für die Abschnitte: 4. Rechtsschutz/Justizwesen und 11. Allgemeine Menschenrechte)

Das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte veröffentlichte am 20.3.2018 seinen "Bericht über die Auswirkungen des Ausnahmezustands auf die Menschenrechte in der Türkei, einschließlich eines aktualisierten Berichts über den Südosten" für den Zeitraum 2017. Laut Bericht hat die routinemäßige Verlängerung des Ausnahmezustands in der Türkei zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen gegen Hunderttausende von Menschen geführt - von willkürlichem Entzug des Rechts auf Arbeit und Bewegungsfreiheit, über Folter und andere Misshandlungen bis hin zu willkürlichen Verhaftungen und Verletzungen des Rechts auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit (OHCHR 20.3.2018, vgl. Zeit 20.3.2018). Eines der alarmierendsten Ergebnisse ist laut Hochkommissar, Zeid Ra'ad Al Hussein, die Tatsache, dass die türkischen Behörden Berichten zufolge etwa 100 Frauen, die schwanger waren oder gerade entbunden hatten, festhielten, vor allem mit der Begründung, sie seien "Mitarbeiter" ihrer Ehemänner, die im Verdacht stehen, mit terroristischen Organisationen in Verbindung zu stehen. Einige Frauen wurden mit ihren Kindern festgenommen, andere wurden gewaltsam von ihnen getrennt (OHCHR 20.3.2018).

Der Bericht warnt davor, dass der Ausnahmezustand die Verschlechterung der Menschenrechtslage und die Erosion der Rechtsstaatlichkeit in der Türkei begünstigt hat und langfristige Auswirkungen auf das institutionelle und sozioökonomische Gefüge der Türkei haben kann. Der Bericht unterstreicht ferner die Notwendigkeit, unabhängige, individuelle Prüfungen und Entschädigungen für die Opfer willkürlicher Verhaftungen und Entlassungen zu gewährleisten, und fordert die Türkei auf, den Ausnahmezustand unverzüglich zu beenden, das normale Funktionieren der staatlichen Institutionen wiederherzustellen sowie alle Rechtsvorschriften, die nicht den internationalen Menschenrechtsverpflichtungen entsprechen, einschließlich der Notverordnungen, zu überarbeiten bzw. zu revidieren (OHCHR 20.3.2018).

Das türkische Außenamt warf in einer Reaktion dem Hochkommissar vor, nicht nur seine Objektivität und Unparteilichkeit gegenüber der Türkei verloren zu haben, sondern dass das OHCHR unter seiner Leitung zum Kollaborateur terroristischer Organisationen abgestiegen sei. Der Bericht sei in Zusammenarbeit mit dem Terror nahestehender Kreise erstellt worden (MFA 20.3.2018).

Quellen:

* MFA - Republic of Turkey/Ministry of Foreign Affairs (20.3.2018):

No: 79, 20 March 2018, Press Release Regarding the OHCHR Turkey Report published on 20 March 2018, http://www.mfa.gov.tr/no_-79-bm-insan-haklari-yuksek-komiserli%C4%9Finin-ulkemize-iliskin-olarak-20-mart-2018-tarihinde-yayimladigi-belge-hk_en.en.mfa, Zugriff 21.3.2018

* OHCHR - The Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (20.3.2018): Turkey: UN report details extensive human rights violations during protracted state of emergency, http://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=22853&LangID=E, Zugriff 21.3.2018

* Die Zeit (20.3.2018): Gericht verurteilt Türkei wegen Inhaftierung zweier Journalisten,

http://www.zeit.de/politik/ausland/2018-03/europaeischer-gerichtshof-fuer-menschenrechte-turkei-inhaftierte-journalisten-militaerputsch, Zugriff 21.3.2018

KI vom 21.3.2018, Urteile des EGMR zu den inhaftierten Journalisten Alpay und Altan (relevant für die Abschnitte: 4. Rechtsschutz/Justizwesen und 11. Allgemeine Menschenrechte)

In den Fällen Sahin Alpay versus Türkei und Mehmet Hasan Altan versus Türkei stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fest, dass das Recht auf Freiheit und Sicherheit sowie das Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt worden waren (ECHR 20.3.2018). Dieser schloss sich damit der Meinung des türkischen Verfassungsgerichts an, das die Inhaftierung der beiden Kläger als Verstoß gegen die Meinungs- und Pressefreiheit gewertet und ihre Freilassung im Januar angeordnet hatte. Nach Kritik der Erdogan-Regierung an der Entscheidung hatten untergeordnete Gerichte aber die Freilassung der beiden verweigert (Zeit 20.3.2018).

Der türkische Staat muss ihnen jeweils 21 500 Euro Entschädigung zahlen. Es waren die ersten Urteile des EGMR zu inhaftierten Journalisten in der Türkei. Alpay und Altan waren vor knapp zwei Jahren nach dem gescheiterten Militärputsch, für den die türkische Regierung den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen verantwortlich macht, festgenommen worden. Alpay schrieb für die inzwischen geschlossene Zeitung Zaman, das wichtigste Medium der Gülen-Bewegung. Altan leitete eine Diskussionssendung im TV-Sender Can Erzincan TV, in der er nach Angaben der Ankläger mit "geheimen Botschaften" zum Putsch aufgerufen haben soll (FR 20.3.2018).

Alpay ist mittlerweile aus dem Gefängnis entlassen und unter Hausarrest gestellt worden. Das Verfahren gegen ihn läuft noch. Ein Prozesstermin steht noch nicht fest. Altan sitzt weiter im Gefängnis. Er wurde im Februar wegen versuchten Umsturzes zu lebenslanger Haft verurteilt (Standard 20.3.2018).

Quellen:

* European Court of Human Rights (20.3.2018): Chamber judgments concerning Turkey, https://www.echr.coe.int/Pages/home.aspx?p=home, Zugriff 21.3.2018

* Frankfurter Rundschau (20.3.2018): Menschenrechts-Gerichtshof verurteilt Türkei,

http://www.fr.de/politik/tuerkei-menschenrechts-gerichtshof-verurteilt-tuerkei-a-1470850, Zugriff 21.3.2018

* Der Standard (20.3.2018): Menschenrechtsgericht: U-Haft zweier türkischer Journalisten rechtswidrig, https://derstandard.at/2000076473222/Menschenrechtsgerichtshof-verurteilt-Tuerkei-wegen-Journalistenhaft, Zugriff 21.3.2018

* Die Zeit (20.3.2018): Gericht verurteilt Türkei wegen Inhaftierung zweier Journalisten,

http://www.zeit.de/politik/ausland/2018-03/europaeischer-gerichtshof-fuer-menschenrechte-turkei-inhaftierte-journalisten-militaerputsch, Zugriff 21.3.2018

KI vom 5.3.2018, UN-Sonderberichterstatter für Folter zu Foltervorwürfen und Verhalten der Regierung (relevant für Abschnitt: 6. Folter und unmenschliche Behandlung)

Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, äußerte ernste Besorgnis über die zunehmenden Vorwürfe von Folter und anderer Misshandlungen im Polizeigewahrsam seit Ende seines offiziellen Besuchs im Dezember 2016. Melzer zeigte sich beunruhigt angesichts der Behauptungen, dass eine große Anzahl von Personen, die im Verdacht stehen, Verbindungen zur Gülen-Bewegung oder zur bewaffneten Arbeiterpartei Kurdistans zu haben, brutalen Verhörmethoden ausgesetzt sind, die darauf abzielen, erzwungene Geständnisse zu erwirken oder Häftlinge zu zwingen, andere zu belasten. Zu den Missbrauchsfällen gehören schwere Schläge, Elektroschocks, Übergießen mit eisigem Wasser, Schlafentzug, Drohungen, Beleidigungen und sexuelle Übergriffe.

Der Sonderberichterstatter sagte, dass die Regierungsstellen offenbar keine ernsthaften Maßnahmen ergriffen haben, um diese Anschuldigungen zu untersuchen oder die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Stattdessen wurden Beschwerden, in denen Folter behauptet wird, angeblich von der Staatsanwaltschaft unter Berufung auf jene Notstandsverordnung (Art. 9 des Dekrets Nr. 667) abgewiesen, welche Beamte von einer strafrechtlichen Verantwortung für Handlungen im Zusammenhang mit dem Ausnahmezustand freispricht.

Die Tatsache, dass die Behörden es versäumt haben, Folter und Misshandlung öffentlich zu verurteilen und das allgemeine Verbot eines solchen Missbrauchs in der täglichen Praxis durchzusetzen, scheint laut Melzer jedoch ein Klima der Straffreiheit, Selbstzufriedenheit und Duldung gefördert zu haben, das dieses Verbot und letztendlich die Rechtsstaatlichkeit ernsthaft untergräbt (OHCHR 27.2.2018).

Der Sonderberichterstatter vermutet, dass sich angesichts der Massenentlassungen innerhalb der Behörden Angst breit gemacht hat, sich gegen die Regierung zu stellen. Staatsanwälte untersuchen Foltervorwürfe nicht, um nicht selber in Verdacht zu geraten (SRF 1.3.2018).

Quellen:

* OHCHR - Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (27.2.2018): Turkey: UN expert says deeply concerned by rise in torture allegations,

http://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=22718&LangID=E, Zugriff 5.3.2018

* SRF - Schweizer Radio und Fernsehen (1.3.2018): Foltervorwürfe an Türkei - Schläge, Elektroschocks, Eiswasser, sexuelle Übergriffe, https://www.srf.ch/news/international/foltervorwuerfe-an-tuerkei-schlaege-elektroschocks-eiswasser-sexuelle-uebergriffe, Zugriff 5.3.2018

KI vom 12.2.2018, Resolution des Europäischen Parlaments zur Menschenrechtslage (relevant für die Abschnitte: 4. Rechtsschutz/Justizwesen, 6. Folter und unmenschliche Behandlung,

12. Meinungs- und Pressefreiheit / Internet, 13.1. Opposition, 16. Religionsfreiheit)

In einer Resolution zur Menschenrechtslage in der Türkei erkennt das Europäische Parlament (EP) das Recht und die Pflicht der türkischen Regierung an, die Täter des Putschversuches vom 16.7.2016 vor Gericht zu stellen. Es hebt jedoch hervor, dass die gescheiterte Machtübernahme durch das Militär derzeit als Vorwand dafür herangezogen wird, die legitime und gewaltfreie Opposition noch stärker zu unterdrücken und die Medien und die Zivilgesellschaft durch unverhältnismäßige und unrechtmäßige Handlungen und Maßnahmen daran zu hindern, dass sie friedlich ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ausüben. Das EP ist zutiefst beunruhigt darüber, dass sich die Lage in den Bereichen Grundrechte und Grundfreiheiten und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei stetig verschlechtert und dass es der Justiz an Unabhängigkeit mangelt. Das EP verurteilt, dass Justiz und Verwaltung Gebrauch von willkürlichen Verhaftungen und Schikanen machen, um Zehntausende zu verfolgen und fordert die türkischen Staatsorgane nachdrücklich auf, all diejenigen umgehend und bedingungslos freizulassen, die nur inhaftiert wurden, weil sie ihrer rechtmäßigen Tätigkeit nachgegangen sind und ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit ausgeübt haben, und die in Gewahrsam gehalten werden, obwohl keine eindeutigen Beweise für Straftaten vorliegen. Das EP fordert, dass in der Türkei der Ausnahmezustand aufgehoben und die Notstandsdekrete zurückgenommen werden, und die türkische Regierung im Sinne der Rechtsstaatlichkeit allen Personen, die restriktiven Maßnahmen ausgesetzt waren, die Gelegenheit gibt, geeignete und wirksame Rechtsbehelfe einzulegen, wobei hierbei die Unschuldsvermutung ein Grundprinzip ist. Das EP fordert die Türkei auf, die "Untersuchungskommission zu Notstandsverfahren" so rasch wie möglich zu reformieren, damit diese zu einer soliden und unabhängigen Kommission wird, die in der Lage ist, alle Fälle einzeln zu behandeln, die überaus große Anzahl von Anträgen, die sie erhält, wirksam zu bearbeiten und sicherzustellen, dass die juristische Überprüfung nicht unangemessen verzögert wird. Die Entscheidungen der Kommission sind öffentlich zugänglich zu machen. Das EP bekräftigt, dass die allgemein gefassten türkischen Gesetze zur Terrorismusbekämpfung nicht dafür genutzt werden sollten, Bürger und die Medien dafür zu bestrafen, dass sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ausüben und verurteilt in diesem Zusammenhang, dass mindestens 148 wissenschaftliche Mitarbeiter öffentlicher und privater Universitäten in Istanbul, die die Petition "Akademiker für den Frieden" unterzeichnet hatten, verhaftet und vor Gericht gestellt wurden. Das EP verurteilt ebenso die jüngsten Festnahmen von Journalisten, Aktivisten, Ärzten und gewöhnlichen Bürgern, die sich kritisch über den türkischen Militäreinsatz in Afrin äußerten und ist zutiefst beunruhigt über die humanitären Folgen des Militäreinsatzes.

Das EP zeigt sich zutiefst beunruhigt über Berichte, wonach Häftlinge misshandelt und gefoltert worden sind, und fordert die türkischen Staatsorgane auf, diese Vorwürfe sorgfältig zu prüfen. Das EP fordert erneut die Veröffentlichung des Berichts des Ausschusses zur Verhütung von Folter des Europarates ("CPT-Bericht").

Das EP verurteilt den Beschluss des türkischen Parlaments auf das Schärfste, die Immunität zahlreicher Abgeordneter auf verfassungswidrige Weise aufzuheben, wodurch der Weg für die kürzlich erfolgte Festnahme von zehn Mitgliedern der Opposition - darunter die beiden Vorsitzenden der Demokratischen Partei der Völker (HDP) - bereitet und sechs Mitgliedern der Opposition das Mandat aberkannt wurde. Es verurteilt die Inhaftierung von 68 kurdischen Bürgermeistern und die willkürliche Absetzung gewählter Kommunalvertreter, wodurch die demokratische Struktur der Türkei weiter ausgehöhlt wird. Das EP fordert nachdrücklich die sofortige und bedingungslose Freilassung all derjenigen, die ohne Vorliegen irgendwelcher Beweise in Gewahrsam gehalten werden.

Das EP ist zutiefst beunruhigt über die Missachtung der Religionsfreiheit, die sich etwa in der zunehmenden Diskriminierung von Christen und sonstigen religiösen Minderheiten äußert.

Das EP hegt angesichts der Entscheidung des Istanbuler Strafgerichts, die beiden Journalisten Mehmet Altan und Sahin Alpay nicht aus der Haft zu entlassen, obwohl das Verfassungsgericht ihre Freilassung mit der Begründung angeordnet hatte, in der Haft seien ihre Rechte verletzt worden, schwerwiegende Bedenken hinsichtlich der Funktionsweise des Justizsystems in der Türkei (EP 8.2.2018).

Das türkische Außenministerium wies die Resolution des Europäischen Parlaments zurück und vermeldete, dass die Resolution weit davon entfernt sei, die gegenwärtigen Bedingungen zu verstehen, mit denen die Türkei konfrontiert ist. Die Türkei würde die Resolution als "null und nichtig" betrachten (HDN 9.2.2018).

Quellen:

* EP - Europäisches Parlament (8.2.2018): Die aktuelle Menschenrechtslage in der Türkei - Entschließung des Europäischen Parlaments vom 8. Februar 2018 zur aktuellen Lage der Menschenrechte in der Türkei (2018/2527(RSP)), http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+TA+P8-TA-2018-0040+0+DOC+PDF+V0//DE, Zugriff 12.2.2018

* HDN - Hürriyet Daily News (9.2.2018): European Parliament's 'rights in Turkey' resolution null and void: Turkish Foreign Ministry,

http://www.hurriyetdailynews.com/european-parliaments-rights-in-turkey-resolution-null-and-void-turkish-foreign-ministry-127039, Zugriff 12.2.2018

KI vom 29.1.2018, Festnahmen wegen Kritik an der türkischen Militäroperation in Syrien (relevant für Abschnitt: 12. Meinungs- und Pressefreiheit / Internet)

Dutzende türkische Social-Media-Nutzer, darunter auch Journalisten, wurden festgenommen, weil sie die Offensive der Türkei gegen die syrisch-kurdische Miliz YPG kritisiert haben, die Ankara als Bedrohung für die Grenzsicherheit sieht. Die türkische Internetbehörde überwacht Nutzer, die Inhalte teilen, welche die türkischen Truppen an der Front demoralisieren oder die einheimische Öffentlichkeit beeinflussen könnten. Das Büro des Premierministers erlässt direkt Zugangsverbote für solche Inhalte, und gegen Nutzer, die solche Beiträge teilen, wird eine Untersuchung eingeleitet (Ahval 26.1.2018, vgl. Standard 23.1.2018). Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatte bereits am 21.1.2018 verkündet, dass jeder, der sich gegen die türkische Afrin-Offensive ausspricht, Terroristen unterstütze (DS 21.1.2018). Diesbezüglich Verdächtige werden wegen "Beleidigung von Amtsträgern", "Anstiftung zu Hass und Feindseligkeit in der Öffentlichkeit", "Beleidigung des Präsidenten" oder "Propaganda für terroristische Vereinigungen" angeklagt (AA 27.1.2018).

Der OSZE-Beauftragte für Medienfreiheit, Harlem Désir, forderte am 26.1.2018 die türkischen Behörden auf, die Terrorismusanklagen gegen Journalisten fallen zu lassen und diese freizulassen. Désir äußerte auch seine Besorgnis über die Anweisungen für die Berichterstattung über die Militäraktionen in der Region Afrin, die Redakteuren und Reportern bei einer Pressekonferenz seitens des Premierministers Binali Yildirim, des stellvertretenden Premierministers Bekir Bozdag und Verteidigungsministers Nurettin Canikli erteilt wurden. Désir erinnerte daran, dass Journalisten nicht zum Inhalt instruiert werden sollten und dass die Pressefreiheit jederzeit geachtet werden muss. Es sei die Aufgabe eines Journalisten, unterschiedliche Ansichten zu präsentieren und die Öffentlichkeit zu informieren, auch wenn der Inhalt Kritik enthält (OSCE 26.1.2018).

Quellen:

* Ahval (26.1.2018): Turkey asks Twitter, Facebook, YouTube to remove posts on Afrin op,

https://ahvalnews.com/freedom-speech/turkey-asks-twitter-facebook-youtube-remove-posts-afrin-op, Zugriff 29.1.2018

* AA - Anadolu Agency (27.1.2018): Turkey remands 16 for PYD/PKK promotion on social media,

http://aa.com.tr/en/turkey/turkey-remands-16-for-pyd-pkk-promotion-on-social-media/1044501, Zugriff 29.1.2018

* DS - Daily Sabah (21.1.2018): Anyone who opposes Turkey's Afrin op will be siding with terrorists: FM Çavusoglu, https://www.dailysabah.com/war-on-terror/2018/01/21/anyone-who-opposes-turkeys-afrin-op-will-be-siding-with-terrorists-fm-cavusoglu, Zugriff 29.1.2018

* OSCE - Organization for Security and Co-operation in Europe (26.1.2018): OSCE media freedom representative calls on Turkey to release detained journalists and respect everyone's right to express ideas freely, http://www.osce.org/fom/368261, Zugriff 29.1.2018

* Der Standard (23.1.2018): Feldzug gegen Kurden: Kein Platz für Kritiker bei Erdogans Krieg,

https://derstandard.at/2000072760808/Kurdenmiliz-Tuerkische-Armee-bombardiert-Doerfer-in-Syrien?ref=rec, Zugriff 29.1.2018

KI vom 11.1.2018, Notstandsdekret Nr.696 - Straffreiheit von Zivilpersonen bei Gewalttaten zur Putschverhinderung _Verlängerung des Ausnahmezustandes (relevant für Abschnitt: 4. Rechtsschutz/Justizwesen)

Am 24.12.2017 wurde das Notstandsdekret Nr. 696 veröffentlicht. Das Notstandsdekret befasst sich unter anderem mit der Straffreiheit von Zivilisten, die während der Putschnacht vom 15. auf den 16.7.2016 Putschisten gewaltsam daran gehindert haben, die Regierung zu stürzen. Konkret heißt es unter Artikel 121, dass das Notstandsgesetz vom 11.9.2016 um den Zusatz "Zivilisten" ergänzt wird, die keinen Beamtenstatus besitzen. Das ältere Notstandsgesetz besagte, dass gegen Beamte die beim Putschversuch und in diesem Zusammenhang in nachfolgenden Terroraufständen Widerstand geleistet haben, juristisch nicht belangt werden können (Turkishpress 25.12.2017).

Das aktuelle Dekret Nr.696 löste jedoch einen Sturm der Entrüstung aus. Es stellt alle Misshandlungen der Putschnacht und alle weiteren Folterhandlungen, die im Zusammenhang mit der Putschnacht stehen, von der Strafverfolgung frei. Kritiker sprechen von einer Generalamnestie und befürchten, dass dies in Zukunft einen Freifahrtschein für ungezügelte Gewalt und Misshandlungen gegen Oppositionelle bedeute und den Aktionen paramilitärischer Einheiten Vorschub leiste, da im Dekret nicht präzisiert sei, für welchen Zeitraum diese "Straffreiheit" gelten solle. Da der Begriff des "Terrors" in der Türkei so weitgefasst und vage sei, könne ein Bürger, der einen umstürzlerischen Geist wittert und eigenmächtig zur Tat schreitet, nun vor Gericht als Widerstandskämpfer durchgehen. Rechtsanwälte und Juristen, die sich zum Dekret positioniert haben, erklärten, dass vor allem der Zusatz "in diesem Zusammenhang nachfolgende Ereignisse" problematisch sei (FNS 31.12.2017). Der türkische Justizminister Abdülhamit Gül bekräftigte, dass das Notstandsdekret keine Blanko-Amnestie sei und sich ausschließlich auf die Umstände während der Putschnacht und der Periode unmittelbar danach bezöge (Turkishpress 25.12.2017, vgl. FNS 31.12.2017).

Der Europarat prüfe laut Direktor für Kommunikation, Daniel Holtgen, derzeit die jüngsten Notstandsverordnungen (nebst Dekret 696 auch Dekret 695) der türkischen Regierung. Das Gremium überwache, ob die neuesten Notstandsverordnungen mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vereinbar seien (HDN 28.12.2017).

Der stellvertretende Premierminister und Regierungssprecher Bekir Bozdag verkündete am 8.1.2018, dass der Ausnahmezustand verlängert werde (Anadolu 8.1.2018). Die formale Zustimmung des Parlaments, in welchem die Regierungspartei AKP die absolute Mehrheit innehält, vorausgesetzt, wäre dies die sechste Verlängerung seit dem 21.7.2016. Während des Ausnahmezustandes sind die Grundrechte eingeschränkt und die Notstandsdekrete sind nicht vor dem Verfassungsgericht anfechtbar (Standard 8.1.2018).

Quellen:

-

AA - Anadolu Agency (8.1.2018): State of emergency to be extended 'once again',

http://aa.com.tr/en/todays-headlines/state-of-emergency-to-be-extended-once-again/1025440, Zugriff 11.1.2018

-

FNS - Friedrich Naumann Stiftung (31.12.2017): TÜRKEI BULLETIN 24/17 (Berichtszeitraum: 18. - 31. Dezember 2017), http://bit.ly/2CaXijh, Zugriff 11.1.2018

-

HDN - Hürriyet Daily News (28.12.2017): CoE examining latest decree laws, likely to ask for information from Ankara: Official, http://www.hurriyetdailynews.com/coe-examining-latest-decree-laws-likely-to-ask-for-information-from-ankara-official-124923, Zugriff 11.1.2018

-

Turkishpress (25.12.2017): Türkei: Streit um Notstandsdekret 696, https://turkishpress.de/news/politik/25-12-2017/tuerkei-streit-um-notstandsdekret-696, Zugriff 11.1.2018

-

Der Standard (8.1.2018): Ausnahmezustand in der Türkei soll zum sechsten Mal verlängert werden, https://derstandard.at/2000071713337/Ausnahmezustand-in-der-Tuerkei-soll-zum-sechsten-Mal-verlaengert-werden?ref=rss, Zugriff 11.1.2018

KI vom 29.11.2017, Stand der Verhaftungen (relevant für Abschnitt: 2. Politische Lage).

Das türkische Innenministerium teilte am 27.11.2017 mit, dass im November 2.589 Personen wegen angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung festgenommen wurden, wodurch sich die Gesamtzahl der im Zeitraum Oktober-November inhaftierten Personen auf 5.747 erhöht hat. Innenminister Süleyman Soylu veranschlagte am 16.11.2017 die Gesamtzahl der Inhaftierten mit 48.739. Soylu sagte auch, dass 215.092 Personen als Nutzer der Smartphone-Anwendung "ByLock" aufgelistet und bereits 23.171 Nutzer verhaftet wurden. Die türkischen Behörden glauben, dass ByLock ein Kommunikationsmittel unter den Anhängern der Gülen-Gruppe ist (TM 27.11.2017). Die regierungskritische Website, Turkey Purge, zählte allerdings bereits am 3.11.2017 rund 61.250 Inhaftierungen nebst rund 129.000 Verhaftungen sowie 146.700 Entlassungen seit dem Putschversuch vom 15.7.2016 (TP 3.11.2017).

Ein Staatsanwalt in Istanbul hat laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am 29.11.2017 in einer landesweiten Operation Haftbefehle gegen 360 mutmaßliche Gülen-Mitglieder in den Streitkräften erlassen (Anadolu 29.11.2017).

Quellen:

-

Anadolu Agency (29.11.2017): Turkey issues arrest warrants for FETO suspects,

http://aa.com.tr/en/todays-headlines/turkey-issues-arrest-warrants-for-feto-suspects/984501, Zugriff 29.11.2017

-

Turkish Minute (27.11.2017): Turkey detains close to 6,000 over Gülen links in last two months, https://www.turkishminute.com/2017/11/27/turkey-detains-close-to-6000-over-gulen-links-in-last-two-months/, Zugriff 29.11.2017

-

Turkish Purge (3.11.2017): Turkey widens post-coup purge, https://turkeypurge.com/, Zugriff 29.11.2017

KI vom 23.10.2017, Intervention des Menschenrechtskommissar des Europarates zur Festnahme von Journalisten und Meinungsfreiheit (relevant für Abschnitt: 12. Meinungs- und Pressefreiheit / Internet)

Der Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils Muižnieks, hat sich in einem laufenden Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg für die Freilassung in Untersuchungshaft gehaltenen Journalisten in der Türkei stark gemacht. Die Haftentscheidungen nannte er "willkürlich und unverständlich" (Der Standard 19.10.2017).

Das fortdauernde Muster von Verletzungen der Meinungsfreiheit aufgrund der geltenden Rechtsvorschriften und ihrer Auslegung durch die Gerichte erfüllen laut Muižnieks nicht die in Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention festgelegten Normen. Sowohl der Kommissar als auch sein Vorgänger haben bereits mehrfach die weitverbreiteten Verletzungen der Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei hervorgehoben, unterstrichen durch den Umstand, dass die Türkei Gegenstand der höchsten Zahl von Urteilen des Gerichtshofs

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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