TE Bvwg Beschluss 2018/9/20 I412 2005423-2

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Veröffentlicht am 20.09.2018
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Entscheidungsdatum

20.09.2018

Norm

B-VG Art.133 Abs4
FPG §46a
VwGVG §28 Abs3

Spruch

I412 2005423-2/4.E

beschluss

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Gabriele ACHLEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. ALGERIEN, vertreten durch DIAKONIE FLÜCHTLINGSDIENST gemeinnützige GmbH p.A. ARGE Rechtsberatung, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Niederösterreich, vom XXXX, Zl. XXXX:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 15.07.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 17.02.2014 wies das damalige Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Algerien als unbegründet ab. Zugleich wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Algerien zulässig ist (Spruchpunkt III.). Für die freiwillige Ausreise wurde eine Frist gemäß § 55 Abs 1 bis 2 FPG festgesetzt.

Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX, als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer stellte am 23.02.2018 einen Antrag gemäß § 46 Abs. 4 iVm Abs. 1 Z 3 FPG auf Ausstellung eine Karte für Geduldete.

Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge als belangte Behörde bezeichnet) vom 04.06.2018 wurde der Antrag auf Ausstellung einer Karte für Geduldete gemäß § 46a Abs 4 iVm Abs 1 Z 1 FPG abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 02.07.2018 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang und Sachverhalt ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.

2. Rechtliche Beurteilung:

2.1. Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung (Spruchpunkt A.):

2.1.1. Gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG (Bescheidbeschwerden) dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg. cit. nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Gemäß § 28 Abs. 4 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn es nicht gemäß Abs. 2 leg. cit. in der Sache selbst zu entscheiden hat und wenn die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, für den Fall, dass die Behörde bei ihrer Entscheidung Ermessen zu üben hat, den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Veraltungsgericht in seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheids und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren [2013] § 28 VwGVG Anm. 11). Der VwGH hat festgehalten, dass bei der Ausübung des Ermessens nach § 66 Abs. 2 und 3 AVG auch die Bedeutung und Funktion der Rechtmittelbehörde ins Kalkül zu ziehen sei und die Einräumung eines Instanzenzuges nicht "zur bloßen Formsache degradiert" werden dürfe. Der Umstand dass es die Vorinstanz ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse zu erarbeiten, rechtfertige nicht, dass sich der Rechtsweg "einem erstinstanzlichen Verfahren (...) nähert", in dem eine ernsthafte Prüfung des Antrages erst bei der zweiten und letzten Instanz beginnt und auch endet (VwGH 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084).

Gemäß § 60 AVG sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Die Begründung eines Bescheides bedeutet die Bekanntgabe der Erwägungen, aus denen die Behörde zur Überzeugung gelangt ist, dass ein bestimmter Sachverhalt vorliegt und dass damit der Tatbestand einer bestimmten Rechtsnorm verwirklicht ist. Die Begründung eines Bescheides hat Klarheit über die tatsächlichen Annahmen der Behörde und ihre rechtlichen Erwägungen zu schaffen. In sachverhaltsmäßiger Hinsicht hat sie daher alle jene Feststellungen in konkretisierter Form zu enthalten, die zur Subsumierung dieses Sachverhaltes unter die von der Behörde herangezogene Norm erforderlich sind. Denn nur so ist es möglich, den Bescheid auf seine Rechtsrichtigkeit zu überprüfen (VwGH 23.11.1993, Zl. 93/04/0156; 13.10.1991, Zl. 90/09/0186; 28.07.1994, Zl. 90/07/0029).

Der VwGH hat mit Erkenntnis vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063, in Bezug auf die grundsätzliche Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte nach § 28 VwGVG und die Möglichkeit der Zurückverweisung ausgesprochen, dass angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte darstellt. So kommt eine Aufhebung des Bescheides nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Das Verwaltungsgericht hat nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt, etwa weil es das Vorliegen der Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 Abs. 2 VwGVG verneint bzw. wenn es von der Möglichkeit des § 28 Abs. 3 erster Satz VwGVG nicht Gebraucht macht.

2.1.2. Im gegenständlichen Fall hat sich ergeben, dass die belangte Behörde erforderliche Ermittlungen zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts unterlassen bzw. bloß ansatzweise und nur grob mangelhaft ermittelt hat. Dies aus folgenden Erwägungen:

In der Beschwerde wird ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seit Beginn des Verfahrens kein einziges Mal versucht hat, seine Identität zu verschleiern oder in sonstiger Weise nicht am Verfahren mitgewirkt habe, und darauf hingewiesen, dass die zuständige Vertretungsbehörde von der sehr wahrscheinlichen, nicht vom Beschwerdeführer zu vertretenden Unmöglichkeit einer Abschiebung ausgehe. Ebenso wird der belangten Behörde vorgeworfen, keine Ermittlungen zur Frage der tatsächlichen Durchführbarkeit einer Außerlandesbringung geführt zu haben, bzw. die Tatsache, dass der Beschwerdeführer mittlerweile seit 5 Jahren unter vollständiger Mitwirkung am Verfahren auf eine wie auch immer geartete Entscheidung warte.

Der bekämpfte Bescheid der belangten Behörde stützt sich - entgegen dem Antrag des Beschwerdeführers, der auf Ausstellung einer Duldungskarte nach § 46 Abs. 1 Z 3 gerichtet ist, auf § 46 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 1 Z 1 FPG und enthält in seiner Begründung lediglich Ausführungen, wonach die benötigte medizinische Versorgung und auch der Zugang zu öffentlichen Krankenhäusern und Universitätskliniken gegeben ist und der vom Beschwerdeführer vertretene Gesundheitszustand keinen Grund für die Erteilung einer Duldung darstelle.

Hinweise zum Grund der offensichtlichen Unmöglichkeit der Abschiebung sind weder dem Verwaltungsakt noch dem bekämpften Bescheid zu entnehmen, es ist nicht ersichtlich ob bzw. inwiefern von der belangten Behörde ermittelt wurde, ob die Abschiebung des Beschwerdeführers aus tatsächlichen Gründen nicht möglich ist, noch, ob diese Unmöglichkeit dem Beschwerdeführer zuzurechnen ist.

Einem Ersuchen der belangten Behörde vom 14.04.2018 um Nachreichung bestimmter medizinischer Unterlagen bzw. der Beantwortung einiger Fragen ist der Beschwerdeführer dem Verwaltungsakt zu Folge jedenfalls nachgekommen.

Ermittlungen bzw. Feststellungen durch die belangte Behörde zur Klärung des Sachverhalts bezüglich allenfalls vom Beschwerdeführer zu vertretender Gründe ergeben sich aus der Aktenlage bzw. dem bekämpften Bescheid nicht.

Die belangte Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren die notwendigen Ermittlungen hinsichtlich der Erlangung eines Heimreisezertifikates bzw. Ersatzreisedokumentes selbst (unter Mitwirkung des Beschwerdeführers) zu führen und entsprechend dem vorliegendem Antrag zu prüfen haben, ob eine Abschiebung des Beschwerdeführers aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenden Gründen, unmöglich ist.

Aus all dem ergibt sich, dass die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid weder eine hinreichende Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes, noch eine Beantwortung aller relevanten Rechtsfragen vorgenommen hat, die auch eine geeignete nachfolgende verwaltungsgerichtliche Kontrolle des Bescheides ermöglichen würden (vgl. VwGH 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063).

Die Gründe, die zu den im Spruch getroffenen Entscheidungen der belangten Behörde geführt haben, sind jedoch in der Bescheidbegründung (§ 60 AVG) klar und umfassend darzulegen. Die im angefochtenen Bescheid auf Grund des von der belangten Behörde geführten Ermittlungsverfahrens getroffenen Feststellungen und Erwägungen entsprechen aber jedenfalls nicht den Erfordernissen einer umfassenden und in sich schlüssigen Begründung einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung (§ 60 iVm. § 58 Abs. 2 AVG).

Die belangte Behörde wird daher erneut alle zur Feststellung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes erforderlichen Ermittlungen, allenfalls unter neuerlicher Einräumung von Parteiengehör, vorzunehmen und - je nach Ausgang des Ermittlungsverfahrens - einen neuen Bescheid zu erlassen haben, in dessen Begründung in klarer und übersichtlicher Weise darlegt wird, auf Grund welchen für sie als erwiesen anzunehmenden Sachverhalts sie zu der im Spruch wiedergegebenen rechtlichen Beurteilung gekommen ist.

Es hat sich insgesamt nicht ergeben, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das BVwG selbst im Interesse der Raschheit gelegen wäre, zumal nichts darauf hindeutet, dass die erforderliche Feststellung durch das BVwG selbst, verglichen mit der Feststellung durch die belangte Behörde nach Zurückverweisung der Angelegenheit, mit einer wesentlichen Zeitersparnis und Verkürzung der Verfahrensdauer verbunden wäre.

Schließlich liegt auch kein Anhaltspunkt dahingehend vor, dass die Feststellung durch das BVwG selbst im Vergleich zur Feststellung durch die Verwaltungsbehörde mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre.

Da alle Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorliegen, war der angefochtene Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

3. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Da auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Duldung, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde
Sachverhaltsfeststellung, Mitwirkungspflicht, Reisedokument

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:I412.2005423.2.00

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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