Entscheidungsdatum
20.09.2018Norm
ASVG §4Spruch
I412 2004203-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Gabriele ACHLEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerden 1. von XXXX und
2. der XXXX beide vertreten durch Concin & Partner Rechtsanwälte GmbH, Mutterstraße 1a, 6700 Bludenz, gegen den Bescheid der Vorarlberger Gebietskrankenkasse Hauptstelle (VGKK) vom XXXX, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
Den Beschwerden wird Folge gegeben und festgestellt, dass XXXX als Geschäftsführer der XXXX im Zeitraum vom 01.01.2009 bis zum 31.12.2011 weder gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG noch gemäß § 4 Abs. 4 ASVG in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung aufgrund dieses Bundesgesetzes sowie gemäß § 1 Abs. 1 lit a AlVG arbeitslosenversichert war.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Bescheid vom XXXX stellte die Vorarlberger Gebietskrankenkasse (im Folgenden als belangte Behörde bezeichnet) fest, dass XXXX (im Folgenden Erstbeschwerdeführer) auf Grund seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der XXXX (im Folgenden Zweitbeschwerdeführerin bzw. B-GmbH) im Zeitraum vom 01.01.2009 bis zum 31.12.2011 gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit Abs. 2 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung auf Grund dieses Bundesgesetzes versichert (vollversichert) und gemäß § 1 Abs. 1 lit a des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 arbeitslosenversichert war.
Begründend führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, die XXXX (zu 75% Gesellschafterin der Zweitbeschwerdeführerin, im Folgenden kurz als XXXX GmbH bezeichnet) habe dieser seit dem 01.01.2009 in regelmäßigen Abständen in den "Gestionsvereinbarungen" bezeichnete Kostennoten, jeweils insgesamt "1% des Umsatzes laut Buchhaltung" verrechnet. Davon würden auf die "kaufmännische Geschäftsführung" 0,7% und auf "Lohn- und Gehaltsverrechnung" 0,3% entfallen.
Für den Zeitraum davor, konkret für den Zeitraum vom Datum der Bestellung des Erstbeschwerdeführers als Geschäftsführer der Zweitbeschwerdeführerin vom 03.08.2006 bis zum 31.12.2008, seien keine Zahlungsflüsse zwischen der Tochter- und der Muttergesellschaft festgestellt worden.
Der XXXXPrüfer habe den Standpunkt vertreten, dass mit der Überweisung von "0,7 % des Umsatzes laut Buchhaltung für die kaufmännische Geschäftsführung" von der Zweitbeschwerdeführerin (Tochter) an die J.-XXXX GmbH die Kosten der kaufmännischen Geschäftsführung durch den Erstbeschwerdeführer abgegolten worden seien und es sich daher bei der Geschäftsführung der Zweitbeschwerdeführerin durch den Erstbeschwerdeführer um eine entgeltliche Tätigkeit gehandelt habe, die bei der belangten Behörde als solche zu melden gewesen wäre und für die die auf dieses Entgelt entfallenden Beiträge abzurechnen gewesen wären.
Der Prüfer habe daher ab dem 01.01.2009 bis zum 31.12.2011 die in den "Gestionsverrechnungen" für die "kaufmännische Geschäftsführung" ausgewiesenen Positionen auf der Basis der Jahressummen, aufgeteilt auf zwölf Monate, sozialversicherungsrechtlich nachverrechnet. Er habe keine Lohnsteuer und keine Lohnnebenkosten nachverrechnet, da diese für den vollen Bezug des Erstbeschwerdeführers bei der Muttergesellschaft bereits entrichtet worden seien.
In der rechtlichen Beurteilung führte die belangte Behörde zusammengefasst weiter aus, der Einstellungsakt des Erstbeschwerdeführers sei mit dessen Bestellung zum handelsrechtlichen Geschäftsführer und der entsprechenden Eintragung im Firmenbuch ab dem 03.08.2006 unzweifelhaft erfolgt. Dass er diese Geschäftsführungstätigkeit bei der Zweitbeschwerdeführerin zumindest seit dem 01.01.2009 entgeltlich geleistet habe, ergebe sich aus den vorgelegten Gestionsabrechnungen bzw. aus den darin dokumentierten, ab dem 01.01.2009 tatsächlich erfolgten Überweisungen von "0,7% vom Umsatz laut Buchhaltung" von der Tochtergesellschaft an die Muttergesellschaft.
Da der Erstbeschwerdeführer sein Entgelt jedoch zur Gänze von der Muttergesellschaft beziehe, diese einen Teil des an ihn ausbezahlten Entgeltes an die Tochtergesellschaft verrechne, handle es sich um einen Fall eines bei einem Dritten (der Muttergesellschaft) angestellten Geschäftsführers und es sei zu prüfen, ob bei einer derartigen Konstellation nicht die Pflichtversicherung des Geschäftsführers bei der Tochtergesellschaft bestehe.
Auf der Basis des Erkenntnisses des VwGH vom 01.04.2009, Zl. 2006/08/0113 sei klar, dass die Zweitbeschwerdeführerin ein Recht auf die Arbeitsleistung ihres Geschäftsführers, des Erstbeschwerdeführers, mit dessen Bestellungsakt zum Geschäftsführer unmittelbar erworben habe. Die Zweitbeschwerdeführerin sei daher ab dem 01.01.2009, (erst ab diesem Tag sei die Entgeltlichkeit seiner Tätigkeit nachweisbar) neben der J.XXXX GmbH als sozialversicherungsrechtlicher Dienstgeber des Erstbeschwerdeführers anzusehen.
2. Gegen diesen Bescheid wurde von den rechtsfreundlich vertretenen Beschwerdeführern rechtzeitig und zulässig Einspruch (nunmehr als Beschwerde zu werten) erhoben und zusammengefasst insbesondere vorgebracht, der Erstbeschwerdeführer sei aufgrund seiner Stellung als einerseits Gesellschafter/Begünstigter sowie andererseits Geschäftsführer der Jäger-Unternehmen nicht weisungsgebunden.
Aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Verknüpfung von Eigentümerseite und Geschäftsführungen sei eine Weisung an den Erstbeschwerdeführer innerhalb der familienrechtlichen Unternehmensgruppe rechtlich nicht möglich.
Gerade die persönliche und gesellschaftsrechtliche Verbundenheit der Eigentümer bei Familienunternehmen erschließe, dass die Betreuung der Tochtergesellschaften als Ausfluss der bestehenden gesellschaftsrechtlichen Verantwortlichkeiten als Gesellschafter und Geschäftsführer der Muttergesellschaft bzw. den Großmuttergesellschaften anzusehen sei.
Der Erstbeschwerdeführer habe zudem mit der Zweitbeschwerdeführerin keinen Anstellungsvertrag abgeschlossen, sondern nehme die organschaftliche Funktion als Geschäftsführer der Zweitbeschwerdeführerin auf Grundlage seiner Stellung als Geschäftsführer der Muttergesellschaft bzw. der Großmuttergesellschaften bzw. als Eigentümer/Beteiligter wahr.
Wie und ob der Erstbeschwerdeführer seine gesetzlichen/gesellschaftsrechtlichen Verpflichtungen erfülle, obliege einzig und allein seiner Entscheidung, wobei Maßstab für seine Entscheidungen und seine Verantwortung wiederum ausschließlich das Gesetz und der Gesellschaftsvertrag und nicht ein allfälliger zivilrechtlicher Anstellungsvertrag seien.
Um das betriebswirtschaftliche Ziel einer schlanken Verwaltung bei den Tochterunternehmen zu verwirklichen, seien wesentliche Agenden der Verwaltung von der Muttergesellschaft auf Kosten der Tochtergesellschaft erledigt worden.
Die Bezeichnung der "kaufmännischen Geschäftsführung" sei ein in der Bauwirtschaft eingeführter und üblicher Fachbegriff für Arbeitsgemeinschaften und werde dieser in der JXXXX GmbH (als ein Unternehmen der Bauindustrie) tagtäglich verwendet.
Die kaufmännische Geschäftsführung habe nichts mit einer Geschäftsführung im gesellschaftsrechtlichen Sinn gemein.
Alle diese Tätigkeiten seien nachweislich von Mitarbeitern der JXXXX GmbH erbracht worden, und nicht vom erstbeschwerdeführenden Geschäftsführer.
Falls der Erstbeschwerdeführer überhaupt eine Tätigkeit für die Zweitbeschwerdeführerin erbracht habe, wäre für seine Tätigkeit jedenfalls nachweislich nichts geschuldet und nichts verrechnet worden.
Sämtliche Musterverträge für Manager/Führungskräfte würden standardmäßig eine Organklausel/Konzernklausel vorsehen, mit der normiert werde, dass der Geschäftsführer Geschäftsführungsfunktionen in konzernverbundenen Unternehmen unentgeltlich zu übernehmen habe.
3. Am 03.10.2016 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung I412 neu zugeteilt und am 26.07.2018 eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchgeführt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1. Der Erstbeschwerdeführer war im verfahrensgegenständlichen Zeitraum, der die Jahre 2009 - 2011 umfasst, handelsrechtlicher Geschäftsführer der
* zweitbeschwerdeführenden XXXX GmbH (Gesellschafter: J.XXXX GmbH und ab 24.07.2007 zu 25% Mag. XXXX H.),
* der J. XXXX GmbH (Gesellschafter: J.XXXX GmbH, J.XXXX GmbH),
* der J.XXXX GmbH (Gesellschafter: Erstbeschwerdeführer, DI XXXX J., J.-Privatstiftung), sowie der
* J. XXXX GmbH: (Gesellschafter: Erstbeschwerdeführer, DI XXXX J., J.-Privatstiftung)
2. Bei der Zweitbeschwerdeführerin war der Erstbeschwerdeführer ab 18.05.2006 als handelsrechtlicher Geschäftsführer im Firmenbuch eingetragen, ab 03.08.2006 gemeinsam mit Mag. XXXX H., deren Tätigkeit durch einen schriftlichen Anstellungsvertrag geregelt war und die bei der belangten Behörde als Dienstnehmerin gemeldet war. Zwischen dem Erstbeschwerdeführer und der zweitbeschwerdeführenden GmbH wurde kein Anstellungsvertrag abgeschlossen.
3. Der Erstbeschwerdeführer hatte kein Büro am Sitz der Zweitbeschwerdeführerin, die gesamten operativen Tätigkeiten der handelsrechtlichen Geschäftsführung wurden von der als Dienstnehmerin gemeldeten zweiten handelsrechtlichen Geschäftsführerin durchgeführt.
Abgesehen von 2-3 halbstündigen Besprechungen jährlich mit Mag. XXXX H. hat der Erstbeschwerdeführer keine Tätigkeiten für die Zweitbeschwerdeführerin erbracht und dafür auch kein Entgelt erhalten bzw. hatte keinen Anspruch auf Entgelt. Der Erstbeschwerdeführer war als handelsrechtlicher Geschäftsführer der Zweitbeschwerdeführerin nicht weisungsgebunden, sondern lediglich organschaftlich tätig.
Die Entlohnung des Erstbeschwerdeführers für die Tätigkeit als handelsrechtlicher Geschäftsführer der J.XXXX GmbH hat sich nach Übernahme der Geschäftsführungsfunktion bei der Zweitbeschwerdeführerin nicht geändert.
4. Aufgabe des Erstbeschwerdeführers bei der J.XXXX GmbH war im verfahrensgegenständlichen Zeitraum der Bereich Hoch- und Tiefbau, Projektentwicklung, und insbesondere die Ausübung der Gesellschafterfunktion der XXXX GmbH bei den Beteiligungsgesellschaften, so auch bei der Zweitbeschwerdeführerin.
5. Der Posten "kaufmännische Geschäftsführung" umfasst keine Abgeltung für Geschäftsführungsleistungen des Erstbeschwerdeführers. Die Gestionsverrechnungen umfassen Personalaufwendungen, mit denen Leistungen, die Mitarbeiter der J.XXXX GmbH für die Tochtergesellschaft, die Zweitbeschwerdeführerin, erbringen, erfasst werden, wie z.B. IT-Leistungen, Buchhaltung, Personalwesen und Controlling.
2. Beweiswürdigung:
Die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem Akteninhalt der belangten Behörde, dem Einspruch (nunmehr Beschwerde) samt den dazu vorgelegten Beilagen, und den Aussagen der Parteien und Zeugen in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 26.07.2018, in der sowohl der Erstbeschwerdeführer, als auch die zum verfahrensgegenständlichen Zeitpunkt bestellten (weiteren) handelsrechtlichen Geschäftsführer der Zweitbeschwerdeführerin bzw. der J.XXXX GmbH, Mag. XXXX H. und Mag. Nikolaus G., sowie ein Mitarbeiter der J.XXXX GmbH einvernommen wurden.
Glaubwürdig und nachvollziehbar wurden von den Parteien sowie den einvernommenen Zeugen im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung die festgestellte Ausgestaltung der Geschäftsführerfunktion des Erstbeschwerdeführers geschildert und übereinstimmend angegeben, dass dieser, im Gegensatz zur zweiten Geschäftsführerin keine operativen Tätigkeiten erbracht hat, sowie keine Entlohnung für seine Geschäftsführungsfunktion erhalten hat, was auch durch den Umstand, dass dieser - wie ebenfalls glaubwürdig geschildert wurde - weder Büro, noch Arbeitsplatz am Sitz der Zweitbeschwerdeführerin hatte sowie durch seine Stellung im Firmengeflecht nachvollziehbar erscheint.
Dass unter dem Posten "kaufmännische Geschäftsführung" keine Entlohnung für Geschäftsführungstätigkeiten, sondern administrative Leistungen der J.XXXX GmbH erfasst sind, ergibt sich ebenso aus den vorgelegten Unterlagen sowie den nachvollziehbaren, übereinstimmenden Angaben in der mündlichen Verhandlung. Insbesondere wurde dies auch in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom zweiten handelsrechtlichen Geschäftsführer der J.XXXX GmbH, dessen Zuständigkeit im Finanzbereich liegt, sowie dem für das Personalwesen verantwortlichen Mitarbeiter der J.XXXX GmbH bestätigt und nachvollziehbar dargelegt und deckt sich mit den vorgelegten Unterlagen, auf denen die Namen der damit befassten Mitarbeiter aufscheinen, jedoch nicht der Erstbeschwerdeführer.
Der Erstbeschwerdeführer konnte schon als Gesellschafter der J.XXXX GmbH sämtliche Entscheidungen der Tochtergesellschaften stark beeinflussen, was durch den Gesellschaftsvertrag der J. XXXX GmbH vom 10.01.2008 bestätigt wird. Aus diesem geht hervor, dass der Erstbeschwerdeführer sowie die weiteren Gesellschafter XXXX. und der XXXX Privatstiftung über jeweils eine Stimme in der Gesellschaftsversammlung verfügen.
Der Gesellschaftsvertrag regelt weiters (Punkt 7.8.), dass Beschlüsse mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst werden.
Die J. XXXX GmbH ist zu 99% Gesellschafterin der J.XXXX GmbH, die wiederum zu 75% Gesellschafterin der Zweitbeschwerdeführerin ist. Aufgabe des Erstbeschwerdeführers, der im maßgeblichen Zeitraum auch handelsrechtlicher Geschäftsführer der J.XXXX GmbH war, war insbesondere die Ausübung der Gesellschafterfunktion dieser Gesellschaft. Dies wird insbesondere aus dem vom Erstbeschwerdeführer als Vertreter der Gesellschafterin der Zweitbeschwerdeführerin, der J.XXXX GmbH, unterzeichneten Beschluss betreffend seine eigene Geschäftsführerbestellung bestätigt und wurde zudem von diesem in der mündlichen Beschwerdeverhandlung nachvollziehbar dargelegt. Aus alldem ergibt sich, dass der Erstbeschwerdeführer (zumindest faktisch) sämtliche Beschlüsse der Gesellschafterversammlung der Zweitbeschwerdeführerin beeinflussen konnte und schon aus diesem Grund eine weisungsgebundende Tätigkeit nicht vorstellbar ist.
3. Rechtliche Beurteilung
Gemäß Art 151 Abs 51 Z 8 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) geht die Zuständigkeit zur Weiterführung der mit Ablauf des 31.12.2013 bei den Behörden (in concreto: beim Landeshauptmann von Vorarlberg) anhängigen Verfahren, in denen diese Behörden sachlich in Betracht kommende Oberbehörde oder im Instanzenzug übergeordnete Behörde sind, auf die Verwaltungsgerichte über. Aus diesem Grund ging die Zuständigkeit zur Entscheidung über den Einspruch vom 31.01.2013 auf das Bundesverwaltungsgericht über.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A) Stattgebung des Einspruchs (der Beschwerde)
3.1. rechtliche Grundlagen im ASVG:
§ 4 ASVG lautet auszugsweise:
(1) In der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung sind auf Grund dieses Bundesgesetzes versichert (vollversichert), wenn die betreffende Beschäftigung weder gemäß den §§ 5 und 6 von der Vollversicherung ausgenommen ist, noch nach § 7 nur eine Teilversicherung begründet:
1. die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigten Dienstnehmer;
(...)
(2) Dienstnehmer im Sinne dieses Bundesgesetzes ist, wer in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird; hiezu gehören auch Personen, bei deren Beschäftigung die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber den Merkmalen selbständiger Ausübung der Erwerbstätigkeit überwiegen.
(...)
(4) Den Dienstnehmern stehen im Sinne dieses Bundesgesetzes Personen gleich, die sich auf Grund freier Dienstverträge auf bestimmte oder unbestimmte Zeit zur Erbringung von Dienstleistungen verpflichten, und zwar für
1. einen Dienstgeber im Rahmen seines Geschäftsbetriebes, seiner Gewerbeberechtigung, seiner berufsrechtlichen Befugnis (Unternehmen, Betrieb usw.) oder seines statutenmäßigen Wirkungsbereiches (Vereinsziel usw.), mit Ausnahme der bäuerlichen Nachbarschaftshilfe,
2. eine Gebietskörperschaft oder eine sonstige juristische Person des öffentlichen Rechts bzw. die von ihnen verwalteten Betriebe, Anstalten, Stiftungen oder Fonds (im Rahmen einer Teilrechtsfähigkeit),
wenn sie aus dieser Tätigkeit ein Entgelt beziehen, die Dienstleistungen im Wesentlichen persönlich erbringen und über keine wesentlichen eigenen Betriebsmittel verfügen; es sei denn,
a) dass sie auf Grund dieser Tätigkeit bereits nach § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 GSVG oder nach § 2 Abs. 1 und 2 FSVG versichert sind oder
b) dass es sich bei dieser Tätigkeit um eine (Neben)Tätigkeit nach § 19 Abs. 1 Z 1 lit. f B-KUVG handelt oder
c) dass eine freiberufliche Tätigkeit, die die Zugehörigkeit zu einer gesetzlichen beruflichen Vertretung (Kammer) begründet, ausgeübt wird oder
d) dass es sich um eine Tätigkeit als Kunstschaffender, insbesondere als Künstler im Sinne des § 2 Abs. 1 des Künstler-Sozialversicherungsfondsgesetzes, handelt.
(5) aufgehoben
(6) Eine Pflichtversicherung gemäß Abs. 1 schließt für dieselbe Tätigkeit (Leistung) eine Pflichtversicherung gemäß Abs. 4 aus.
§ 35 ASVG lautet auszugsweise:
(1) Als Dienstgeber im Sinne dieses Bundesgesetzes gilt derjenige, für dessen Rechnung der Betrieb (die Verwaltung, die Hauswirtschaft, die Tätigkeit) geführt wird, in dem der Dienstnehmer (Lehrling) in einem Beschäftigungs(Lehr)verhältnis steht, auch wenn der Dienstgeber den Dienstnehmer durch Mittelspersonen in Dienst genommen hat oder ihn ganz oder teilweise auf Leistungen Dritter an Stelle des Entgeltes verweist.
§ 539a ASVG lautet:
(1) Für die Beurteilung von Sachverhalten nach diesem Bundesgesetz ist in wirtschaftlicher Betrachtungsweise der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhaltes (zB Werkvertrag, Dienstvertrag) maßgebend.
(2) Durch den Missbrauch von Formen und durch Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechtes können Verpflichtungen nach diesem Bundesgesetz, besonders die Versicherungspflicht, nicht umgangen oder gemindert werden.
(3) Ein Sachverhalt ist so zu beurteilen, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen, Tatsachen und Verhältnissen angemessenen rechtlichen Gestaltung zu beurteilen gewesen wäre.
(4) Scheingeschäfte und andere Scheinhandlungen sind für die Feststellung eines Sachverhaltes nach diesem Bundesgesetz ohne Bedeutung. Wird durch ein Scheingeschäft ein anderes Rechtsgeschäft verdeckt, so ist das verdeckte Rechtsgeschäft für die Beurteilung maßgebend.
(5) Die Grundsätze, nach denen
1. die wirtschaftliche Betrachtungsweise,
2. Scheingeschäfte, Formmängel und Anfechtbarkeit sowie
3. die Zurechnung
nach den §§ 21 bis 24 der Bundesabgabenordnung für Abgaben zu beurteilen sind, gelten auch dann, wenn eine Pflichtversicherung und die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten nach diesem Bundesgesetz zu beurteilen sind.
3.3. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:
Im vorliegenden Verfahren ist strittig, ob der Erstbeschwerdeführer im gegenständlichen Zeitraum als Geschäftsführer bei der Zweitbeschwerdeführerin in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gemäß § 4 Abs. 2 ASVG iVm § 1 Abs. 1 lit a AlVG stand.
Es ist daher zunächst zu prüfen, ob der Erstbeschwerdeführer in Bezug auf seine Funktion als handelsrechtlicher Geschäftsführer der Zweitbeschwerdeführerin in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit stand bzw. ob eine entgeltliche Tätigkeit erbracht wurde.
Vorauszuschicken ist, dass obwohl bei einer GmbH, die als juristische Person ihre Funktionen nicht selbst, sondern nur durch ihre Organe wahrnehmen kann, der Geschäftsführer der Gesellschaft als ein solches Organ grundsätzlich ihre Dienstgeberfunktion auszuüben hat (§ 18 GmbHG), er nach ständiger Rechtsprechung - unabhängig davon, ob er gleichzeitig auch Gesellschafter ist und es sich daher bei ihm um einen Gesellschafter - Geschäftsführer handelt - Dienstnehmer im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG sein kann.
Ein Beschäftigungsverhältnis in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit im Sinne des § 4 Abs 2 ASVG kommt von vornherein dann nicht in Betracht, wenn dem Geschäftsführer kraft Gesellschafterstellung ein maßgebender Einfluss auf die Gestion des Unternehmens im hier maßgeblichen Sinne zukommt; das trifft etwa zu, wenn er kraft Gesetzes (zB als Mehrheitsgesellschafter) oder kraft Gesellschaftsvertrages (kraft Minderheitsrechtes in diesen Belangen) bestimmte Weisungen an die Geschäftsführung herbeiführen oder zumindest persönliche Weisungen der Generalversammlung an ihn verhindern kann. (vgl VwGH vom 19.10.2015, Zl. 2013/08/0185).
Die belangte Behörde stützt die Einbeziehung des Erstbeschwerdeführers in die Pflichtversicherung gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. ASVG zunächst darauf, dass unstrittig sei, dass der zweitbeschwerdeführenden GmbH Dienstgebereigenschaften iSd § 35 ASVG zukommen würden und ein Einstellungsakt betreffend den Erstbeschwerdeführer mit dessen Bestellung zum handelsrechtlichen Geschäftsführer und der entsprechenden Eintragung im Firmenbuch unzweifelhaft erfolgt sei. Dass diese Geschäftsführungstätigkeit zumindest seit dem 01.01.2009 entgeltlich erfolgt sei, ergebe sich aus den vorgelegten Gestionsabrechnungen von der Tochtergesellschaft (der Zweitbeschwerdeführerin) an die Muttergesellschaft (der J.XXXX GmbH).
Gem. § 4 Abs 2 ASVG ist Dienstnehmer, wer in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird. Nur eine Beschäftigung gegen Entgelt löst die Versicherungspflicht gem. § 4 Abs 2 ASVG aus. Die Entgeltlichkeit ist daher nicht bloß im Rahmen der wirtschaftlichen und persönlichen Abhängigkeit zu berücksichtigen, sondern stellt ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal der Versicherungs-pflicht von Dienstnehmern dar (siehe z.B. Mosler in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm, [2015], Rz 127 zu § 4 ASVG).
Dass der Erstbeschwerdeführer tatsächlich ein Entgelt für die Übernahme der Funktion als handelsrechtlicher Geschäftsführer erhalten hat oder darauf einen Anspruch hatte, konnte nicht festgestellt werden. Die belangte Behörde stützt ihre diesbezüglichen Feststellungen (lediglich) auf die vorliegenden Gestionsabrechnungen für den Zeitraum 01.01.2009 bis 31.12.2011, insbesondere für die "kaufmännische Geschäftsführung", die jedoch keine Abgeltung für Tätigkeiten oder Funktionsübernahmen des Erstbeschwerdeführers beinhalten, wie festzustellen war.
Hinzu kommt, dass glaubwürdig dargelegt wurde, dass der Erstbeschwerdeführer, abgesehen von der Übernahme der rein organschaftlichen Funktion des handelsrechtlichen Geschäftsführers als Ausfluss seiner Stellung zum einen als handelsrechtlicher Geschäftsführer der Muttergesellschaft, der J.XXXX GmbH bzw. seiner Stellung als Gesellschafter und Geschäftsführer der Großmuttergesellschaft, der J.XXXX GmbH, keine Tätigkeit für die Zweitbeschwerdeführerin erbracht hat und mit dieser auch keinen (auch nicht konkludenten) Arbeitsvertrag abgeschlossen hat.
Bereits aus diesen Gründen kann kein Dienstverhältnis in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG vorliegen, sodass auf die näheren Abgrenzungsmerkmale nicht eingegangen werden muss.
Auch die Prüfung des Vorliegens einer Lohnsteuerpflicht nach § 47 Abs. 1 iVm Abs. 2 EStG 1988 erübrigt sich aus den dargestellten Gründen.
Ebenso geht der Verweis der belangten Behörde auf die Entscheidung des VwGH vom 07.09.2017, Zl. Ro 2014/08/0046, ins Leere. In diesem Fall wurde das Vorliegen einer Tätigkeit in persönlicher Abhängigkeit (gegen Entgelt) gar nicht bestritten, sondern war lediglich die Frage der Dienstgebereigenschaft strittig.
Zudem führte der Verwaltungsgerichtshof in der zitierten Entscheidung selbst aus, dass der Bejahung der Dienstgebereigenschaft nicht die Annahme zugrunde liegt, dass die organschaftliche Bestellung zum Geschäftsführer allein zum Entstehen eines Dienstverhältnisses führt. Die Geschäftsführungsbestellung allein begründe (noch) kein Beschäftigungsverhältnis in persönlicher Abhängigkeit.
Die zur Organfunktion hinzutretenden schuldrechtlichen Beziehungen würden nur ausnahmsweise fehlen; wenn der Geschäftsführer aufgrund der Bestellung seine Tätigkeit stillschweigend aufnehme, so sei darin wohl auch die Annahme einer Offerte zum Abschluss eines Anstellungsvertrags zu sehen, wie der VwGH unter Hinweis auf ein OGH - Erkenntnis vom 02.12.1997, 10 ObS 189/97k, feststellt. Werde im Rahmen dieses konkludent zustande gekommenen Vertrages die vom Geschäftsführer aus dem Bestellungsverhältnis geschuldete Arbeitsleistung in einem Verhältnis persönlicher Abhängigkeit im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG erbracht, so sei ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zum Beschäftigerunternehmen zu bejahen, so der Verwaltungsgerichtshof weiter.
Dass dies im vorliegenden Fall für den Erstbeschwerdeführer, der nachvollziehbar angibt, lediglich zwei bis dreimal jährlich kurze Besprechungen mit der weiteren handelsrechtlichen Geschäftsführerin geführt zu haben und keine operativen Tätigkeiten ausgeführt zu haben (wobei wiederum anzumerken ist, dass er bei der zweitbeschwerdeführenden GmbH auch die Gesellschafterfunktion der Hauptgesellschafterin ausübte), bzw. der auch kein Büro oder einen Arbeitsplatz am Sitz der Zweitbeschwerdeführerin hatte, zutrifft, wurde selbst von der belangten Behörde nicht behauptet, und fehlen im bekämpften Bescheid diesbezügliche Feststellungen.
Da im Falle des Erstbeschwerdeführers weder ein freier Dienstvertrag vorliegt, noch eine entgeltliche Tätigkeit festzustellen war, liegt auch kein Dienstverhältnis im Sinne des § 4 Abs. 4 ASVG vor.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Dienstverhältnis, Entgelt, Geschäftsführer, PflichtversicherungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:I412.2004203.1.00Zuletzt aktualisiert am
23.11.2018