TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/25 L504 2123280-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.09.2018
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Entscheidungsdatum

25.09.2018

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §55 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §52
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §40

Spruch

L504 2123280-1/60E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX geb., StA. Irak, vertreten durch RA Dr. Blum, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.02.2016, XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 57 AsylG 2005 idgF, als unbegründet abgewiesen.

Gemäß § 9 Abs 3 BFA-VG wird festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist und eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 AsylG 2005 idgF erteilt wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. Engel über die Beschwerde von XXXX geb., StA. Irak, vertreten durch RA Dr. Blum, über den Antrag auf unentgeltliche Beigabe eines Verfahrenshelfers, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung beschlossen:

A) Der Antrag auf Zuweisung eines Verfahrenshelfers wird gem. § 40

VwGVG, § 52 BFA-VG, abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrenshergang

Die beschwerdeführende Partei [bP] stellte nach nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 20.12.2014 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [BFA) einen Antrag auf internationalen Schutz.

Es handelt sich dabei um einen Mann, welcher seinen Angaben nach Staatsangehöriger des Irak mit sunnitischem Glaubensbekenntnis ist, der Volksgruppe der Araber angehört und aus Bagdad stammt.

Anlässlich der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab die beschwerdeführende Partei als Ausreisemotiv an:

"Da ich Sunnit bin und ich in einem schiitischen Viertel aufgewachsen bin, werde ich von mir unbekannten schiitischen Milizen verfolgt. Ich bekam auch Morddrohungen. Ich konnte mein Studium nicht weiter absolvieren. Aus Angst um mein Leben beschloss ich zu flüchten."

Die bP gab in dieser Einvernahme weiters an, dass ihr zuletzt ausgeübter Beruf der eines Studenten gewesen sei. Sie sei am 27.09.2014 legal von Bagdad nach Istanbul geflogen. Dort habe sie sich ca. 2 Monate aufgehalten und gelegentlich gearbeitet. In dieser Zeit habe sie einen Schlepper kennengelernt und mit diesem die Reise nach Österreich organisiert.

Zur Existenz ihres irakischen Reisepasses befragt, gab sie an, dass sie diesen in der Türkei vernichtet habe, da es ihr der Schlepper "angeschafft" habe.

Bei der Einvernahme beim Bundesamt bestätigte sie eingangs, dass ihren Angaben bei der Erstbefragung richtig protokolliert und ihr die Niederschrift auch rückübersetzt wurde.

In der Einvernahme beim Bundesamt brachte die bP zu ihrer ausreisekausalen Problemlage im Herkunftsstaat im Wesentlichen Folgendes vor (Originalauszug aus der Niederschrift):

"[...]

Mir wurde das Info- und Belehrungsblatt zum Ermittlungsverfahren (Wahrheits- und Mitwirkungspflicht, vertrauliche Behandlung, Konsequenzen von Falschaussagen, Rechtsberater, Ablauf der Niederschrift, Meldepflichten, etc.) in einer verständlichen Sprache bereits im Zuge der Erstbefragung zur Kenntnis gebracht und mit mir erläutert. Ich habe den Inhalt verstanden und bin mir der damit verbundenen Rechte und Pflichten bewusst.

Auf die Notwendigkeit wahrer Angaben werde ich nochmals hingewiesen. Mir wird eine kurze Darstellung des bisherigen Ablaufs des Verfahrens gegeben und Grund und Ablauf der nunmehrigen Einvernahme mitgeteilt. Haben Sie im Verfahren bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht? Wurden diese korrekt protokolliert und Ihnen rückübersetzt?

Ja.

[...]

Wenn ich nun aufgefordert werde meine Flucht- und Asylgründe zu schildern, gebe ich an:

Ich bin sunnitischer Moslem. Ich habe eine Todesdrohung erhalten. Das war von unbekannter Seite. Es ist bekannt, dass alle schiitischen Milizen alle Sunniten töten. Sie sind wie Banden. Ich komme aus Bagdad. Sie haben in Bagdad die Macht übernommen. Sie nennen sich Ahel al Haq und haben die volle Kontrolle über Bagdad. ISIS ist nicht in Bagdad, sie sind nur im Westen. Meine Mutter hat den Vorfall bei der Polizei angezeigt und ich habe am selben Tag den Irak verlassen. Das war am 24.09.2014. Mein Leben ist in Gefahr. (Übersetzung der Dolmetscherin: der Eingangsstempel des Innenministerium des Irak erfolgte am 02.12.2014. Die Anzeige erfolgte am 28.09.2014)

Sie haben gesagt Ihre Mutter hätte sofort Anzeige erstattet. Wie erklären Sie sich den verspäteten Eingang?

Das war ein Missverständnis.

Warum sollen ausgerechnet Sie persönlich bedroht worden sein?

Der einzige Grund ist, weil ich Sunnit bin.

Leben noch Bekannte oder Angehörige in Bagdad?

Meine Mutter und 2 Schwestern. Mein Vater befindet sich in der Türkei. Sie sind alle Sunniten.

Warum haben dann ausgerechnet nur Sie eine Drohung erhalten?

Die Terroristen töten nur die Jugendlichen, da wir für sie eine Gefahr seien.

Warum haben Sie Ihnen nur gedroht?

Das ist zurzeit die Situation im Irak.

Es ist nicht glaubhaft, dass ausgerechnet Sie eine pauschale Todesdrohung ohne jeglichen Hintergrund bekommen zu haben. Es gibt viele Schiiten im Irak?

Ich bin Student und Frisör. Ich habe aufgrund der Drohung sehr viel verloren. Ich musste meinen Job aufgeben, meine Familie verlassen und mein Studium beenden.

Wieviel haben Sie im Monat verdient?

Ich hatte mein eigenes Geschäft. Ich habe mindestens 2500 US-Dollar verdient. Ich hatte einen PKW. Ich bin nach Europa gekommen um mein Leben zur retten. Meine finanzielle Lage war in Ordnung.

Waren Sie in der Türkei nicht sicher?

Doch war ich.

Warum sind Sie nicht dort geblieben, es ging Ihnen ja primär um Ihre Sicherheit?

Ich wollte aber ein besseres Leben. Ich wollte studieren, arbeiten und eine Familie gründen.

Sie haben vorher gesagt, dass es Ihnen rein um Ihre Sicherheit ginge?

Jeder der seine Heimat verlässt will ein besseres Leben. In der Türkei konnte ich nicht studieren, arbeiten oder eine Familie gründen.

Sie haben bei Ihrer Erstbefragung angegeben bereits in der Türkei gearbeitet zu haben.

Ich habe nur gearbeitet um Lebensmittel zu kaufen. Ich wohnte bei meinem Vater. Ich habe sehr schlecht verdient.

Sie gaben an, dass es Ihnen finanziell sehr gut ginge.

Es war kein Reingewinn. Ich musste auch meine Mitarbeiter bezahlen. Meine Mutter arbeitet als Schuldirektorin. Sie verdient sehr wenig. Ich musste sie zusätzlich unterstützen.

Warum ist Ihr Vater in der Türkei?

Er hat bei den USA um Asyl angesucht. Die Amerikaner holen die Asylwerber in der Türkei mit dem Flugzeug ab. Sein Antrag wurde genehmigt. Mein Vater war Offizier bei der irakischen Armee. Er wurde von den Amerikanern gefangen genommen. Das war von 2003-2004. Nachdem er entlassen wurde ging er wieder zur Armee bis 2009. Er wurde dann von der Regierung des Verrats beschuldigt. Er wurde aber nicht verurteilt. 2008 war er auch eine Woche im Gefängnis.

Warum hat Ihr Vater seine gesamte Familie zurückgelassen?

Eigentlich war nur sein Leben in Gefahr.

Warum haben sie nicht auch in den USA um Asyl angesucht, nachdem Ihr Vater anerkannt wurde?

Es dauert sehr lange. Ich will keine Zeit vergeuden. Ich habe diese einmalige Chance genutzt um nach Österreich zu kommen, um in Sicherheit zu sein und studieren zu können. Ich würde auch arbeiten. Ich möchte auch eine Familie gründen.

Haben Sie keine Angst um Ihre Mutter und Ihre Schwestern?

Das Leben ist gefährlich und fürchterlich im Irak. Die Milizen töten aber nur junge Männer.

Wollen Sie noch weitere Gründe geltend machen?

Nein.

Würde Ihnen im Falle der Rückkehr in Ihrem Herkunftsland Verfolgung, unmenschliche Behandlung oder die Todesstrafe drohen?

Von der Regierung nicht. Die Regierung ist nicht schlecht. Die Gefahr kommt nur von diesen Milizen.

Mit mir werden nun die Feststellungen zur Situation in meinem Herkunftsland erörtert. Ich gebe dazu an:

Ich kenne die Lage im Irak. Aber weil ich alles erlebt habe möchte ich das nicht mehr erörtern.

[...]

Ich beende jetzt die Befragung. Hatten Sie Gelegenheit alles vorzubringen, was Ihnen wichtig erscheint oder wollen Sie noch etwas hinzufügen?

Ich lege folgende Dokumente vor: Ein irakischer Staatsbürgerschaftsnachweis (Anm.: das Foto ist unkenntlich).

Eine Geburtsurkunde

Ein Studentenausweis des AL-TURATH College in Bagdad.

Eine Kopie meines irakischen Personalausweises. Das Original wurde in Österreich vor ca. 6 Monaten gestohlen. Ich habe das in Gamlitz angezeigt.

Dem AW werden alle Dokumente wieder ausgefolgt.

Haben Sie die Dolmetscherin einwandfrei verstanden?

Ja, kein Problem.

Mir wird nun die Niederschrift rückübersetzt und ich habe danach die Möglichkeit noch etwas richtig zu stellen oder hinzuzufügen.

Nach der Rückübersetzung gebe ich an, dass die Banden sich im Westen des Irak und nicht von Bagdad befinden. Und die Milizen befinden sich Bagdad.

[...]"

Der Antrag auf internationalen Schutz wurde folglich vom Bundesamt gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt.

Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zugesprochen.

Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG wurde nicht erteilt.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei.

Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

Das Bundesamt gelangte im Wesentlichen zur Erkenntnis, dass hinsichtlich der Gründe für die Zuerkennung des Status eines asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten eine aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation nicht glaubhaft gemacht worden sei. Ein relevantes, die öffentlichen Interessen übersteigendes, Privat- und Familienleben würde nicht vorliegen.

Mit Verfahrensanordnung vom 25.02.2016 wurde der bP gem. § 52 Abs 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren vor dem BVwG die ARGE Rechtsberatung amtswegig zur Seite gestellt.

Gegen den genannten Bescheid wurde innerhalb offener Frist durch ihre gewillkürte Vertretung, Diakonie Flüchtlingsdienst, Beschwerde erhoben. Die Beweiswürdigung und die getroffenen Feststellungen werden darin bestritten und ua. wurde die Beigabe eines kostenlosen Verfahrenshelfers beantragt.

Am 19.06.2018 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit der bP sowie im Beisein ihres bevollmächtigten Vertreters, RA Dr. Blum, eine Verhandlung durch. Das BFA blieb entschuldigt fern. Bei der Verhandlung wurde die Ehegattin als Zeugin einvernommen.

Mit der Ladung wurde die beschwerdeführende Partei auch umfassend auf ihre Mitwirkungsverpflichtung im Beschwerdeverfahren hingewiesen und sie zudem auch konkret aufgefordert insbesondere ihre persönliche Ausreisemotivation und sonstigen Rückkehrbefürchtungen soweit als möglich durch geeignete Unterlagen bzw. Bescheinigungsmittel glaubhaft zu machen, wobei eine umfassende, jedoch demonstrative Aufzählung von grds. als geeignet erscheinenden Unterlagen erfolgte. Insbesondere wurde die bP aufgefordert ihren irakischen Reisepass zur Verhandlung mitzunehmen.

Zugleich mit der Ladung wurden der beschwerdeführenden Partei ergänzend Berichte zur aktuellen Lage im Irak übermittelt bzw. namhaft gemacht, welche das Verwaltungsgericht in die Entscheidung ergänzend miteinbezieht. Eine Stellungnahmefrist von zwei Wochen wurde dazu eingeräumt. Eine solche schriftliche Stellungnahme wurde abgegeben.

Es wurde der bP am Ende der Verhandlung aufgetragen das BVwG unverzüglich zu verständigen, wenn sich entscheidungsrelevante Änderungen, die ihren Antrag auf internationalen Schutz bzw. ihr Privat- und Familienleben betreffen, ergeben. Bis zu dieser Entscheidung langte keine solche Mitteilung ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Das BVwG hat zentral durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, einschließlich der Beschwerde sowie durch die Ergebnisse des ergänzenden Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben.

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1. Zur Person der beschwerdeführenden Partei:

Die Identität steht fest.

Die bP ist Staatsangehörige des Irak, gehört der Volksgruppe der Araber an und ist sunnitischen Glaubens.

Sie kommt aus Bagdad und war bislang in der Lage im Herkunftsstaat ihre Existenz zu sichern. Es kam nicht hervor, dass sie im Falle der Rückkehr nicht die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz decken könnte.

Sie verfügt im Herkunftsstaat, konkret in Bagdad noch über ein familiäres bzw. verwandtschaftliches Netz.

Aktuell liegen keine relevanten behandlungsbedürftigen Krankheiten vor die ein Abschiebehindernis bilden würden.

Die bP hat in Österreich im März 2016 eine österreichische Staatsangehörige geheiratet und lebt mit ihr im gemeinsamen Haushalt. Diese spricht die Sprachen Arabisch, Deutsch und Englisch. Die Geburt eines gemeinsamen Kindes wird für Oktober 2018 erwartet. Die Ehegattin hält es auf Grund ihrer persönlichen Situation und der Lage im Irak persönlich für unzumutbar hochschwanger bzw. mit einem (neugeborenen) Kind mit der bP in den Irak zu reisen und dort gemeinsam ein Familienleben zu führen. Die Ehegattin ist - abgesehen von der nunmehrigen Karenz - in Österreich erwerbstätig und sie hat ein Haus zur Nutzung für Wohnzwecke mit der bP erworben. Das Land Steiermark hat den Ehegatten für das Darlehen einen Zinsenzuschuss für ein gefördertes Bankdarlehen zur Hausstandsgründung von Jungfamilien gewährt.

Die bP ist seit ihrer Einreise im Rahmen des AuslBG einer erlaubten Erwerbstätigkeiten im Rahmen der saisonalen Beschäftigung im Gastronomiebereich nachgekommen und hat sich in dieser Zeit wirtschaftlich selbst erhalten. Seit der Eheschließung ist die bP nicht mehr in Grundversorgung.

Der bP wird eine weitgehende Integration in Österreich und diesbezügliche Bemühungen bescheinigt. Sie hat die Prüfung für A1 und A2 gem. den Kritierien des GER für Sprachen nachweislich erfolgreich abgelegt.

Gerichtliche Strafen wurden nicht bekannt.

Die bP wurde mit Straferkenntnis vom 23.08.2017 wegen Verwaltungsübertretungen gem. § 99 Abs 1b Stvo iVm § 5 Abs 1 StVO sowie wegen § 37 Abs 1 iVm § 1 Abs 3 FSG insgesamt zu einer Geldstrafe im Ausmaß von 1100 Euro bestraft.

1.2. Zu den angegebenen Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates:

Es kann nicht festgestellt werden, dass die bP im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat, konkret ihre Herkunftsregion Bagdad, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer glaubhaften, asylrelevanten Verfolgungsgefahr oder einer realen Gefahr von Leib und/oder Leben ausgesetzt wäre.

Die bP vermochte ihre dargestellte und als ausreisekausal bezeichnete Fluchtgeschichte nicht glaubhaft machen.

1.3. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat:

Anfragebeantwortung von ACCORD zum Irak: Sicherheitslage in Bagdad, vom 08.03.2018

Lifos, das Zentrum für Länderinformationen der schwedischen Einwanderungsbehörde (Migrationsverket), bemerkt in einem Bericht zur Sicherheitslage im Irak (Berichtszeitraum Juli 2016 bis November 2017) unter Berufung unter anderem auf Informationen des US-amerikanischen Institute for the Study of War (ISW), dass die Gruppe IS am 31. Dezember 2016 einen Selbstmordanschlag in Bagdad verübt habe, der mehr als 20 Todesopfer gefordert habe. Diesem Anschlag seien am 2. und 5. Jänner 2017 zwei weitere Attentate gefolgt, bei denen jeweils 35 und 14 Personen getötet worden seien. Die Attentate hätten verschiedenen schiitische Viertel der Stadt sowie Polizeikontrollpunkte ins Visier genommen. Danach sei die Gewalt zur Zeit der Mossul-Offensive wieder ein wenig abgeebbt und mit dem Sieg über den IS im Juli 2017 noch weiter gesunken. Es habe jedoch weiterhin sporadische Selbstmordanschläge gegeben, die sich vornehmlich auf schiitische Viertel (Beispielsweise Sadr City, Schula und Hay al Amel) und auf Polizeikontrollpunkte konzentriert hätten. In Bagdad sei die Anzahl der Anschläge von einer durchschnittlichen Anzahl von 11,6 Anschlägen pro Tag im Jänner 2016 auf 2,6 Angriffe pro Tag im Juni 2017 gesunken. Trotz der verbesserten Sicherheitslage habe der IS weiterhin von den ländlichen Gebieten im Norden und Süden der Stadt, dem "Bagdad-Gürtel", wo sich IS-Schläferzellen befinden würden, Angriffe auf die Stadt durchgeführt. Es komme gelegentlich zu Angriffen, von denen aber nur wenige erfolgreich seien.

Auf Musings on Iraq, einem Blog des US-Amerikanischen Irakanalysten Joel Wing, findet sich unter Bezug auf verschiedene Nachrichtenquellen eine Übersicht zu sicherheitsrelevanten Vorfällen im Irak in der Woche vom 1. bis zum 7. Februar. Laut dieser Übersicht habe es in Bagdad in diesem Zeitraum 26 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 13 Todesopfern (davon 8 ZivilistInnen) und 44 Verletzten (davon 41 ZivilistInnen) gegeben. Die Gewalt sei in Bagdad angestiegen. Im Monat Jänner seien zwei Selbstmordanschläge verübt worden, ein weiterer Selbstmordattentäter sei Anfang Februar getötet worden. Der IS habe weiterhin improvisierte Spreng- und Brandvorrichtungen gelegt, die vor allem Geschäfte und Märkte ins Visier genommen hätten, um eine möglichst hohe Opferzahl zu erzielen.

Eine Übersicht auf Musings on Iraq für die Woche vom 8. bis 14. Februar 2018 vermerkt für die Provinz Bagdad 21 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 14 Todesopfern und 31 Verletzten. Eine vom IS gelegte Autobombe sei aufgefunden und entschärft worden. Eine Woche zuvor sei eine Selbstmordattentäterin in eine Schule in Tarmija (nördlich der Stadt Bagdad gelegen, Anm. ACCORD) gejagt worden, wo sie ihren Sprengsatz gezündet habe. Dies habe Ängste vor weiteren aufständischen Aktivitäten im Bagdad-Gürtel geschürt. Seit mehr als einem Jahr würden die meisten Angriffe vom Norden und Süden der Stadt ausgehen. Die Anzahl von Anschlägen mit unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen sei angestiegen. In der Woche vom 8. bis14. Februar sei es zu zwölf derartigen Vorfällen gekommen, neun davon hätten auf Geschäfte und Märkte abgezielt.

Ein weiterer Blogeintrag auf Musings on Iraq gibt eine Übersicht über sicherheitsrelevante Vorfälle im Irak für die Woche vom 15. bis 21. Februar. In Bagdad habe es 21 solche Vorfälle gegeben, bei denen sechs Personen getötet und 27 weitere verletzt worden seien. Landesweit sei die Provinz Bagdad von den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffen gewesen. Bei 13 der 21 Vorfälle habe es sich um Anschläge mit unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen gehandelt, von denen sich sieben auf Geschäfte und Märkte konzentriert hätten. Der 20. Februar sei einer der wenigen Tage gewesen, an dem es keinen Bericht über Gewalt in Bagdad gegeben habe:

Iraqi News, eine nach eigenen Angaben unabhängige englischsprachige Onlinezeitung für den Irak und den Nahen Osten, berichtet im Februar 2018, dass laut Angaben von Sicherheitskräften bei zwei Bombenexplosionen im Norden und im Südosten von Bagdad sieben Personen verletzt worden seien. Eine Bombe sei in der Nähe eines belebten Marktes im Hussainiya-Viertel im Norden der Stadt explodiert und habe drei Menschen verletzt. Der zweite Anschlag habe sich im Distrikt Mada'in im Südosten von Bagdad ereignet und habe vier Verletzte zur Folge gehabt.

Die irakische Zeitung The Baghdad Post schreibt im Februar 2018, dass das irakische Militär die Zugänge zum Distrikt Tarmija im Norden von Bagdad wieder geöffnet habe. Vier Tage zuvor sei eine Ausgangssperre verhängt worden, um nach Terroristen zu fahnden.

Der irakische Fernsehsender Al-Sumaria News veröffentlicht regelmäßig Meldungen zu den einzelnen Provinzen des Irak. Folgende Meldungen konnten zu sicherheitsrelevanten Vorfällen in Bagdad im Februar und März 2018 gefunden werden:

Am 8. Februar meldet Al Sumaria zwei bei der Explosion eines Sprengsatzes verletzte Personen in der Gegend Radhwanija [im Bagdad-Gürtel südwestlich der Stadt Bagdad, Anm. ACCORD] (Al Sumaria, 8. Februar 2018). Am 13. Februar meldet Al Sumaria, dass zwei Personen bei der Explosion eines Sprengsatzes im Stadtteil Raschidiya verletzt worden seien (Al Sumaria, 13. Februar 2018). Am 15. Februar meldet Al Sumaria zwei Verletzte bei einer Sprengstoffexplosion im Stadtteil Hay al-Furat im Südwesten von Bagdad (Al Sumaria, 15. Februar 2018).

Am 17. Februar wird berichtet, dass vier Zivilisten bei der Explosion eines Sprengsatzes in der Nähe von Geschäften in Yusufija [im Bagdad-Gürtel südwestlich der Stadt Bagdad, Anm. ACCORD] verletzt worden seien. Bagdad sei laut Angaben der Sicherheitskräfte derzeit relativ stabil. In den letzten Monaten seien Sprengstoffanschläge und bewaffnete Übergriffe zurückgegangen. Bisweilen würden in verschiedenen Teilen von Bagdad nicht identifizierte Leichen aufgefunden. (Al Sumaria, 17. Februar 2018)

Am 18. Februar wird berichtet, dass in der Nähe eines Geschäftes in Radhwanija [im Bagdad-Gürtel südwestlich der Stadt Bagdad, Anm. ACCORD] bei der Explosion eines Sprengsatzes eine Person verletzt worden sei. (Al Sumaria, 18. Februar 2018)

Am 21. Februar wird berichtet, dass bei der Explosion eines Sprengsatzes im Norden der Stadt Bagdad drei Personen verletzt worden seien. Der Sprengsatz sei in Shatt at-Tadschi [im Bagdad-Gürtel nördlich der Stadt Bagdad, Anm. ACCORD] gezündet worden. Eine Quelle aus Sicherheitskreisen habe erwähnt, dass Bagdad von Zeit zu Zeit von Anschlägen mit Autobomben, Sprengsätzen oder Sprengstoffgürteln betroffen sei, die auf ZivilistInnen oder Mitglieder der Sicherheitskräfte abzielen würden. (Al Sumaria, 21. Februar 2018)

Am 2. März wird berichtet, dass laut Angaben der Einheit der irakischen Sicherheitskräfte "Baghdad Operations Command" ein Sprengsatz, der neben einer Straße in der Gegend Kanatir im Norden von Bagdad platziert worden sei, entschärft worden sei. Bei Durchsuchungen im Süden von Bagdad seien Waffen, Sprengstoff und eine Raketenabschussrampe sichergestellt worden. Zudem habe man vor kurzem Mitglieder einer kriminellen Bande festgenommen, die Entführungen organisiert hätten. (Al Sumaria, 2. März 2018)

Am 3. März wird berichtet, dass laut Polizeiangaben bei der Explosion eines Sprengsatzes in der Nähe von Geschäften in Schati' at-Tadschi [im Bagdad-Gürtel nördlich der Stadt Bagdad, Anm. ACCORD] drei Zivilisten verletzt worden seien. (Al Sumaria, 3. März 2018a)

In einer weiteren Meldung vom 3. März wird berichtet, dass im Süden und im Osten von Bagdad jeweils eine nicht identifizierte Leiche aufgefunden worden sei. Eine Leiche sei in der Gegend Rustamija im Südosten von Bagdad neben der Straße aufgefunden worden und habe Einschusswunden im Brustbereich aufgewiesen. Die zweite Leiche habe man im Viertel al-Amin ath-Thanija im Osten der Stadt aufgefunden. Der Leichnam habe an verschiedenen Stellen Messerstiche aufgewiesen. (Al Sumaria, 3. März 2018b)

Am 4. März wird berichtet, dass laut Polizeiangaben bei der Explosion eines Sprengsatzes im Osten von Bagdad zwei Zivilisten verletzt worden seien. Die Explosion habe sich in der Nähe einer Fabrik im Stadtteil Kasra wa Atasch ereignet. (Al Sumaria, 4. März 2018)

BasNews, eine in Erbil angesiedelte Nachrichtenagentur, meldet im März 2018, dass bei einer Explosion eines Sprengsatzes im Distrikt at-Tadschi fünf Personen verletzt worden seien. (BasNews, 6. März 2018)

ACCORD Anfragebeantwortung zum Irak: Bagdad: Aktivitäten der Milizen der Asaib Ahl al-Haqq seit 2013 bis heute, Übergriffe auf die Zivilbevölkerung v. 30.11.2017, Zugriff auf Quellen am 30.11.2017

Das an der Stanford University angesiedelte Mapping Militants Project, das die Herausbildung militanter Organisationen und deren Zusammenspiel in Konfliktzonen beobachtet und visuell darstellt, schreibt in einem zuletzt im Jänner 2017 aktualisierten Überblick zur Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq (AAH), dass es 2013 Berichte gegeben habe, laut denen die Regierung unter Premierminister al-Maliki statt der irakischen Polizei Kämpfer von AAH in der Provinz al-Anbar und als Bereitschaftspolizei in Bagdad eingesetzt habe.

Al Mada Press, eine irakische Tageszeitung mit Sitz in Bagdad, berichtet im Mai 2013, dass die politische Fraktion Al-Iraqiya (eine liberales, konfessionsübergreifendes Parteienbündnis, Anm. ACCORD) auf die Verwicklung von Asa'ib Ahl al-Haqq und schiitischen Milizen in Angriffe auf Moscheen und Cafés in Bagdad hingewiesen habe. Al-Iraqiya habe sich zudem verwundert gezeigt darüber, dass Mitglieder solcher Milizen, die mit der Regierung von Nuri al-Maliki verbündet seien, in ihren Statements friedliche Demonstranten bedrohen würden. (Al Mada Press, 8. Mai 2013)

Das US-amerikanische Institute for the Study of War (ISW), das sich selbst als überparteiliche Forschungsorganisation im Bereich Militärangelegenheiten bezeichnet, erwähnt in einem Bericht zu Verstößen von Milizen vom Juni 2013, dass laut vereinzelten Berichten und Posts auf sozialen Medien irakische Milizen, vornehmlich AAH, die Straßen von Bagdad patrouillieren, "falsche Checkpoints" aufstellen und Sunniten außergerichtlich hinrichten würden:

The New Arab (Al Araby Al Jadeed), ein 2014 in London gegründetes Medienunternehmen, berichtet in einem Artikel auf seiner Nachrichtenwebseite vom Juni 2014 über die Situation in Bagdad, wo Bewaffnete in Zivilkleidung zusammen mit dem Militär das Straßenbild bestimmen würden. Die Regierung habe eine Ausgangssperre verhängt und gleichzeitig die Präsenz der Sicherheitskräfte erhöht. Dabei greife sie auf Milizen zurück, um die eigene mangelnde Truppenstärke zu kompensieren. Das Straßenbild gleiche einer Kaserne. Freiwillige Milizkämpfer von AAH würden in den Gegenden, die sie beschützen würden, Kontrollen durchführen. Insbesondere in der Nähe sunnitischer Wohngebiete habe AAH "falsche Checkpoints" eingerichtet und eine Waffenparade in der Palästina-Straße abgehalten. (Al Araby Al Jadeed, 15. Juni 2014)

Die international tätige Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) berichtet im Juli 2014, dass sie zwischen dem 1. Juni und dem 9. Juli 2014 die Tötung von 61 sunnitischen Männern, sowie im März und April die Tötung von mindestens 48 weiteren sunnitischen Männern in Dörfern und Kleinstädten um Bagdad, dem sogenannten "Gürtel von Bagdad", dokumentiert habe. Laut Angaben von Zeugen, medizinischem Personal und Regierungsquellen seien in allen Fällen Milizen für die Tötungen verantwortlich gewesen. In vielen Fällen hätten Zeugen Asa'ib Ahl al-Haqq (AAH) als Täter identifiziert. Zeugen hätten HRW gegenüber bemerkt, dass AAH illegale Festnahmen in vielen Gegenden der Provinzen Bagdad und Diyala vornehme. Ein Mann habe erzählt, dass er aus einer gemischten sunnitischen und schiitischen Nachbarschaft im Westen von Bagdad entführt worden sei. Bei seiner Freilassung hätten seine Entführer sich als Mitglieder von AAH zu erkennen gegeben. Alle von HRW befragten Personen hätten gesagt, dass sie vermuten würden, dass Milizen, darunter insbesondere AAH, die Sicherheitskräfte in Gegenden von Bagdad und Diyala "kontrollieren" würden.

Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO), eine Agentur der Europäischen Union, die die praktische Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten im Asylbereich fördern soll und die Mitgliedsstaaten unter anderem durch Recherche von Herkunftsländerinformation und entsprechende Publikationen unterstützt, veröffentlicht im Juli 2017 einen Bericht über einem Meeting zum Irak, in dem Experten ihre Einschätzung zur aktuellen Lage abgeben. Der Leiter der Organisation Ceasefire Centre for Civilian Rights erwähnt hierbei, dass AAH für eine Massenhinrichtung in einem mutmaßlichen Bordell in Bagdad verantwortlich gewesen sei.

Vice News, ein zum US-Medienkonzern Vice News gehörender Sender, der sich auf Reportagen zu Themen spezialisiert hat, über die die Massenmedien nur wenig berichten, veröffentlicht im August 2014 eine Reportage über das in der vorigen Quelle erwähnte Massaker in einem Bagdader Bordell im Juli 2014. Männer in ziviler Kleidung mit schallgedämpften Pistolen seien in ein Haus eingedrungen und hätten dort 29 mutmaßliche Prostituierte erschossen. Nachbarn hätten gegenüber Vice News angegeben, dass sie die Gruppe Asa'ib Ahl al-Haqq für die Tat verantwortlich halten würden, da sie eine starke Präsenz in der Gegend habe.

Die in Privatbesitz befindliche ägyptische Tageszeitung Youm7 meldet im Mai 2017, dass bei Auseinandersetzungen zwischen der nationalen Polizei und Mitgliedern der AAH in der Palästina-Straße in Bagdad ein Polizist getötet worden sei. Die Ursache der Auseinandersetzungen sei nicht bekannt. (Youm 7, 19. Mai 2017)

Das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo, ein unabhängiges Organ der norwegischen Migrationsbehörden, das verschiedenen AkteurInnen innerhalb der Migrationsbehörden Herkunftsländerinformationen zur Verfügung stellt, schreibt in einem Bericht zur Situation sunnitischer Muslime in Bagdad vom Juni 2017, dass laut Angaben der norwegischen Botschaft in Amman (Jordanien) die schiitische Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq die Stadtteile Dora und Karrada dominiere.

Sot al-Iraq, eine Webseite, die sich selbst als unabhängige Onlinezeitung beschreibt, berichtet im Juli 2017, dass laut einer in der Provinz Suleimaniya in der Region Kurdistan ansässigen Organisation der Faili-Kurden Mitglieder ihrer Gemeinschaft in Bagdad schikaniert würden, seitdem der Termin für das Referendum über die Unabhängigkeit Kurdistans angekündigt worden sei. Laut Angaben eines Mitglieds der Organisation seien Faili-Kurden in Bagdad Drohungen und Schikanen ausgesetzt. AAH sei laut der Organisation für die Tötung von drei Faili-Kurden in der letzten Zeit verantwortlich, weitere seien direkt von der Miliz bedroht worden. (Sot al-Iraq, 16. Juli 2017)

Die in Großbritannien ansässige Nachrichtenwebsite zu den Golfländern und der arabischen Welt Al-Khaleej Online schreibt im September 2017, dass AAH kurdische Firmen in Bagdad und in weiteren südlichen Provinzen bedroht habe. Dies hätten einige Angestellte dieser Firmen berichtet. Ein Mitarbeiter einer kurdischen Telekommunikationsfirma in Bagdad habe berichtet, dass die Firmenverwaltung ihre Angestellten aufgefordert habe, nicht in die Firma zu kommen, da AAH damit gedroht habe, das Firmengebäude in die Luft zu sprengen. (Al-Khaleej Online, 26. September 2017)

ACCORD Anfragebeantwortung zum Irak: Aktivitäten des Asaib Ahl al-Haqq, insbesondere Verhalten gegenüber sunnitischen Muslimen,

Zugriff auf Quellen 02.02.2018:

Das US-Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem im März 2017 veröffentlichten Jahresbericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum: 2016), dass ethnisch motivierte Kämpfe in ethnisch gemischten Gebieten nach den Befreiungsoperationen eskaliert seien. So hätten nach Angaben eines Berichts von Human Rights Watch (HRW) von Jänner 2016 nach Bombenanschlägen, für die der IS die Verantwortung übernommen habe, Mitglieder schiitischer Milizen Berichten zufolge Dutzende sunnitische EinwohnerInnen aus Muqdadiya entführt und getötet und darüber hinaus sunnitische Häuser, Geschäfte und Moscheen zerstört. Ende 2016 sei niemand von den Verantwortlichen aus den Milizen zur Verantwortung gezogen worden. Es habe viele Berichte darüber gegeben, dass schiitische Volksmobilisierungseinheiten Sunniten nach der Befreiung von Gebieten vom IS verhaftet hätten. Es habe etwa anhaltende Berichte darüber gegeben, dass von den Hardline-Milizen, darunter die Asa'ib Ahl al-Haqq, bis zu 3.000 Gefangene illegal gehalten worden seien. Unter den Gefangenen seien Sunniten gewesen sowie weitere Personen, die verdächtigt worden seien, mit dem IS zusammengearbeitet zu haben. Die Gefangenen seien in provisorischen Gefängnissen festgehalten worden, einige wegen Verbrechen, die man ihnen vorgeworfen habe, andere, um Lösegeld zu erhalten, die bei der Finanzierung der Aktivitäten der Milizen helfen sollten. Laut Angaben des Sprechers der Volksmobilisierungseinheiten habe das Justizministerium einen Richter ernannt, der Ende des Jahres 2016 die 300 Fälle bearbeitet habe, die mit Verstößen von Milizen-Mitgliedern zu tun gehabt hätten, wobei es um mutmaßliche Misshandlungen von Gefangenen bis hin zu summarischen Hinrichtungen gegangen sei. Laut dem Sprecher habe es sich nur bei einem Viertel derer, die beschuldigt worden seien, um "echte" Mitglieder von Milizen gehandelt, bei den anderen habe es sich um Mitglieder von Freiwilligengruppen gehandelt. Laut den Vereinten Nationen und internationalen Menschenrechtsorganisationen hätten einige der vom Iran unterstützten schiitischen Milizen, die nach außen hin unter der Kontrolle der Regierung stünden, Menschenrechtsverletzungen begangen. Diese Gruppen hätten als Teil der Volksmobilisierungseinheiten an Operationen gegen den IS teilgenommen und seien an mehreren Angriffen auf sunnitische ZivilistInnen beteiligt gewesen, wobei sie sich Berichten zufolge für Verbrechen des IS gegenüber SchiitInnen gerächt hätten. Amnesty International (AI) habe berichtet, dass Gruppen der Volksmobilisierungseinheiten, insbesondere schiitische Milizen und die Peschmerga, ZivilistInnen, die großteils SunnitInnen gewesen seien, daran gehindert hätten, nach der Befreiung von Gebieten vom IS in ihre Häuser zurückzukehren.

Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO), eine Agentur der Europäischen Union, die die praktische Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten im Asylbereich fördern soll und die Mitgliedsstaaten unter anderem durch Recherche von Herkunftsländerinformation und entsprechende Publikationen unterstützt, veröffentlicht im Juli 2017 einen Bericht über ein Meeting zum Irak, in dem Experten ihre Einschätzung zur aktuellen Lage abgeben. Joost Hiltermann, der Direktor des Programms für den Nahen Osten und Nordafrika von der International Crisis Group (ICG), gibt an, dass schiitische Anführer im Juni 2014, als die Armee zusammengebrochen sei, die Gemeinschaft zur Selbstverteidigung mobilisiert hätten. Die stärksten schiitischen Milizen, darunter die AAH, hätten militärische Unterstützung aus dem Iran. Mit ihrem Vorstoß in sunnitische Gebiete im Norden habe die benachbarte Türkei begonnen, sie als Gefahr für die eigene Sicherheit anzusehen. Die Aktivitäten dieser Milizen in den Gebieten, die von der Gruppe Islamischer Staat (IS) zurückerobert worden seien, seien ebenfalls problematisch. Als sie die östlichen Gebiete von Mosul betreten hätten, hätten sie sehr provokative Banner gezeigt. Die Milizen würden binnenvertriebene Personen zurückbringen, insbesondere schiitische Turkmenen, und sie würden drohen, Sunniten zu vertreiben. Auf die Frage, ob es Unterschiede bei den schiitischen Milizen hinsichtlich des Verhaltens gegenüber sunnitischen MuslimInnen gebe, antwortet Hiltermann, dass die vom Iran unterstützten Milizen dazu tendieren würden, konfessionell ausgerichtet und offen anti-sunnitisch zu sein. Bei der Rückeroberung von Gebieten vom IS hätten sie die lokale sunnitische Bevölkerung mit Gewalt vertrieben.

Walter Posch, der an der österreichischen Landesverteidigungsakademie (LVAk) und am Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement (IFK) tätig ist, veröffentlicht im August 2017 ein Forschungspapier zu schiitischen Milizen im Irak und in Syrien:

"Den Ahl al-Haqq werden oft in Kooperation mit oder unter Duldung der Sicherheitskräfte Menschenrechtsverletzungen gegen die Sunniten vorgeworfen. Die Stämme in Diyala lehnten daher einen Einsatz der Ahl al-Haqq, die sie oft als schiitische Kriminelle oder ‚Safaviden' bezeichnen, in ihrer Region ab. Ebenso bekannt ist ihr Anti-Amerikanismus, Qays al-Khazali akzeptiert zwar die temporäre materielle Hilfe der USA verlangt aber deren Abzug aus dem Irak."

(Posch, August 2017, S. 20)

Die schweizerische Online-Zeitung Journal21 veröffentlicht im Dezember 2017 einen Beitrag von Arnold Hottinger, einem Nahostwissenschaftler, der über 30 Jahre als Korrespondent der NZZ gearbeitet habe, in dem Folgendes erläutert wird:

"Die wichtigste Bruchlinie, die es für den Irak in der Nachkriegszeit zu überwinden gilt, ist jene zwischen dem iranischen Einfluss und dem der USA. Wie gefährlich dieser Gegensatz ist, zeigt der Umstand, dass es im Land bewaffnete Gruppen gibt, die Iran zuneigen und von Iran gestützt und teilweise unterhalten werden, während andere sich von den Amerikanern ausbilden lassen. [...]

Zurzeit erklären die Amerikaner, ihrer Ansicht nach sollten die irakischen Milizen der sogenannten Volksmobilisation aufgehoben werden. Milizionäre, die weiter als Militärs zu dienen gedächten, sollten in die reguläre Armee eingegliedert werden. Doch die Anführer der mächtigsten der Milizen widersprechen laut. Am vergangenen Samstag erklärte der Stellvertretende Kommandant der Volksmilizen, Abual-Mahdi al-Muhandis: ‚Wir brauchen militärische Kräfte, die erfahren sind in Kämpfen gegen Terroristen und gegen alle Bedrohungen von aussen, und wir müssen genügend Kräfte aufrechterhalten. Wir sehen unsere Rolle als ergänzend zu derjenigen der Armee. Sie können nicht kämpfen ohne uns, und wir nicht ohne sie!'

Fast gleichzeitig hat ein Mitglied des amerikanischen Senats ein Gesetz vorgeschlagen, durch das gewisse irakische Volksmilizen wie jene, die sich ‚Asaib Ahl al-Haqq' und ‚Harakat Hizbullah an-Nujaba' nennen, ("Scharen der Anhänger der Wahrheit" und "Bewegung der Edlen der Partei Gottes") zu Terroristen erklärt werden sollen. Der Anführer dieser zweitgenannten Gruppierung, Akram al-Kaabi, wurde schon 2008 von den USA als Terrorist klassifiziert. [...]

Gesamthaft gibt es zur Zeit 140'000 Angehörige der Volksmobilisation. Von ihnen sind 34'000 Mann sunnitische Kämpfer und rund 10'000 Angehörige der Minderheiten wie Christen, Schabak und Jesiden, alle in ihren eigenen Einheiten. Die übrigen knapp 100'000 sind Schiiten.

Doch auch unter den Schiiten gibt es Unterschiede. Manche von ihren Milizen sind loyal gegenüber dem irakischen Grossayatollah Sistani und anderen irakischen Geistlichen, andere jedoch neigen dem iranischen ‚Herrschenden Gottesgelehrten' Khamenei zu. Letztere werden direkt von Iran unterstützt.

Seit dem vergangenen Sommer sind die Milizen der Volksmobilisation durch einen Parlamentsbeschluss reguläre Angehörige der irakischen Streitkräfte, und Ministerpräsident Haidar al-Abadi gilt formell als ihr Oberbefehlshaber. Doch sie stehen weiterhin unter ihren eigenen Anführern und rekrutierten ihre eigenen Mannschaften. Der Staat bezahlt gegenwärtig jedem Milizsoldaten den Gegenwert von 500 Dollar im Monat. Die regulären Armeesoldaten erhalten das Doppelte, doch es gibt Bestrebungen im Parlament, ihren Sold auf den Gegenwert von monatlich 2'000 Dollar zu erhöhen. [...]

Gegen einige der Milizen wurden Vorwürfe erhoben, sie hätten Racheaktionen an Sunniten in den vom IS befreiten Ortschaften und Städten durchgeführt. Ihren Opfern werfen sie vor, sie gehörten zum IS oder sie hätten mit diesem sympathisiert. Die Milizführer geben zu, dass gelegentlich ‚Fehler' gemacht worden seien.

Die Ankläger versichern jedoch, es handle sich um viel mehr. Sie behaupten, diese Milizen versuchten in bestimmten, bisher von Sunniten bewohnten Regionen und Ortschaften schiitische Mehrheiten zu konstruieren, indem sie den wegen der Kriegsaktivitäten geflohenen Zivilisten verböten, nach der Befreiung in ihre Heimatorte zurückzukehren. Der Haus- und Landbesitz dieser Geflohenen werde von schiitischen Neusiedlern in Besitz genommen.

Derartige Versuche ethnischer Säuberung kommen vor allem in der sunnitisch-schiitisch gemischten Provinz Diyala vor. Sie liegt nordöstlich von Bagdad und reicht bis an die iranische Grenze."

(Journal21, 15. Dezember 2017)

Aus diesen Quellen lässt sich zwar erkennen, dass es nach wie vor sicherheitsrelevante Vorfälle gibt, die in Bagdad jedoch - so aus der aktuellsten Anfragebeantwortung ersichtlich - in erster Linie von Schläferzellen des IS verübt werden und zielgerichtet auf Schiiten und Sicherheitskräfte sind. Weiters weisen die Berichte auch auf Bandenkriminalität hin. Diesen aktuellen Berichten über sicherheitsrelevante Vorfälle kann jedoch nicht eine (systematische) Verfolgung von Sunniten in Bagdad durch schiitische Milizen entnommen werden. Gerade beim Irak handelt es sich um einen Staat mit sehr hoher Berichtsdichte und kommt dem Nichtvorhandensein von solchen Berichten eine Indizwirkung zu.

Die Zahl der Opfer ist auch in Relation zur Bevölkerungszahl im Raum Bagdad (Stand 2014 ca. 7,6 Millionen) zu stellen und relativiert sich die dadurch bestehende allgemeine Gefahr für den Einzelnen, der nicht konkret einer Zielgruppe angehört.

Von der bP wurden im Verfahren keine dem widersprechenden Berichte vorgelegt oder benannt. Auch die laufende Beobachtung der Sicherheitslage durch das BVwG via www.ecoi.net und google news ergibt aktuell keine andere Einschätzung.

Das BVwG schließt auf Grund der Berichtslage nicht aus, dass es derartige Vorfälle, wie von der bP geschildert, grundsätzlich geben kann. Jedoch hat sie im konkreten Fall ihre persönlichen Erlebnisse nicht glaubhaft gemacht und zeigt die aktuelle Berichtslage nicht auf, dass in Bagdad quasi jeder Sunnit real Gefahr liefe oder die maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bestünde, im Falle einer Rückkehr einer entscheidungsrelevanten Gefährdung ausgesetzt zu sein. Die bP vermochte auch nicht konkret darzulegen, aus welchen Gründen sie einer erhöhten Gefährdung ausgesetzt sein soll. Eine Gruppenverfolgung von Sunniten durch die genannte schiitische Miliz lässt sich den aktuellen Berichten nicht entnehmen.

Unbestritten ergibt sich aus den herangezogenen Berichten, dass die Versorgungslage gerade in Bagdad grds. gewährleistet ist.

2. Beweiswürdigung

Ad 1.1.1 Zur Person der beschwerdeführenden Partei

Die personenbezogenen Feststellungen hinsichtlich der bP ergeben sich unstreitig aus der Aktenlage und dem ergänzenden Ermittlungsverfahren des BVwG.

Ad 1.1.2. Zu den angegebenen Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates

Vorweg ist anzuführen, dass die im Verfahren aufgenommenen Niederschriften mit den Aussagen der bP iSd § 15 AVG vollen Beweis über den Verlauf und Gegenstand der Amtshandlung bilden und mit diesem Inhalt als zentrales Beweismittel der Beweiswürdigung unterzogen werden können. Gerade im Asylverfahren kommt der persönlichen Aussage des Antragstellers besondere Bedeutung zu, handelt es sich doch im Wesentlichen behauptetermaßen um persönliche Erlebnisse über die berichtet wird, die sich vielfach, insbesondere auf Grund der faktischen und rechtlichen Ermittlungsschranken der Asylinstanzen, weitgehend einer Überprüfbarkeit entziehen.

Die bP konnte den Gegenbeweis der Unrichtigkeit des darin bezeugten Vorganges nicht antreten.

Wie nachfolgende Ausführungen zeigen werden, kommt resümierend auch das BVwG, wie schon das Bundesamt, zum Ergebnis, dass es der bP nicht gelungen ist, die von ihr als ausreisekausal geschilderten Erlebnisse und eine daraus resultierende, damalige und noch immer aktuelle entscheidungsrelevante Gefährdungslage glaubhaft zu machen.

Zusammengefasst brachte sie zur Begründung der Ausreise vor, dass sie knapp vor der Ausreise von einer schiitischen Miliz einen Drohbrief erhalten habe, in dem ihr mit dem Umbringen gedroht worden sei. Die schiitischen Milizen würden alle Sunniten im Irak umbringen.

Die Ermittlungsergebnisse lassen das Gericht zur Ansicht gelangen, dass die von ihr vorgebrachte "Fluchtgeschichte" und somit eine daraus resultierende Gefährdungslage, so wie von ihr dargelegt, nicht glaubhaft ist.

Sie wurde in der Verhandlung zu Beginn - noch losgelöst von der Fluchtgeschichte - gefragt, wo sie das letzte halbe Jahr bis zum Tag der Ausreise gewohnt habe. Sie brachte dabei vor, dass dies in "unserem Haus" gewesen sei.

Im Zusammenhang mit ihrer Fluchtgeschichte und den Ausreisemodalitäten brachte sie davon abweichend jedoch vor, dass sie sich nach dem Erhalt des Drohbriefes 3 Tage bei ihren Großeltern in deren Haus "versteckt" habe. Dieses Haus sei etwa 20 Minuten von ihrem sonstigen Wohnort entfernt. Dass die bP offenkundig nicht in der Lage war, isoliert von ihrer Fluchtgeschichte ihren Wohnort bis zum Tag der Ausreise anzugeben, ist ein Indiz für eine im Wesentlichen auf einem gedanklichen Konstrukt bestehende Fluchtgeschichte, fern eines persönlichen Realerlebnisses. Gerade der Zeitraum vom fluchtauslösenden Ereignis bis zur Ausreise ist von besonderem Interesse für die Beurteilung der Glaubhaftmachung einer dargestellten Bedrohungslage zum Zeitpunkt der Ausreise.

Dass die bP geistige Defizite hätte oder aus sonstigen Umständen nicht in der Lage gewesen wäre über diese Wahrnehmungen aus der Vergangenheit zu erzählen, kam nicht hervor.

Die bP vermochte auch hinsichtlich des Ausreisezeitpunktes keine konstanten Aussagen machen. Ausreiseauslösendes Erlebnis sei letztlich der Erhalt des Drohbriefes gewesen und daraus resultierend ergeben sich unterschiedliche Angaben, wann die bP danach wirklich das Land verlassen haben soll.

Ausgehend davon, dass es sich im Falle eines tatsächlichen persönlichen Erlebens um ein einschneidendes und daher einprägsames Ereignis handeln würde, das auch nach längerer Zeit noch zumindest in den wesentlichen Punkten in Erinnerung sein müsste, sind die diesbezüglichen Aussagen von ihr doch sehr unterschiedlich. Bei der Einvernahme am Bundesamt gab sie dazu zuerst an, die Mutter habe den Vorfall bei der Polizei angezeigt und sie habe am "selben Tag" den Irak verlassen. "Dies sei am 24.09.2014 gewesen". Aus den von ihr vorgelegten Bescheinigungsmitteln sowie ihren eigenen Angaben im Asylverfahren war der 24.09.2014 der Tag an dem sie den Drohbrief gefunden haben soll. Der Übersetzung der Anzeige ist jedoch zu entnehmen, dass die Mutter demnach erst am 28.09.2014 die Anzeige erstattet hätte.

In der Beschwerdeverhandlung wurden ihr diese Aussagen vorgehalten und sie gefragt, ob sie nun an jenem Tag als der Drohbrief gefunden wurde (24.09.2014) oder an dem Tag als die Mutter die Anzeige bei der Polizei erstattet habe, ausgereist sei. In einer neuen Version legte sie nunmehr dar, dass sie "einen Tag vor der Anzeigeerstattung" der Mutter, also am 27.09.2014 ausgereist sei. Sie begründete die Divergenz damit, dass das "BFA falsch protokolliert" habe, "vielleicht sei es falsch verstanden worden". Zu Beginn in Traiskirchen habe sie auch gesagt, dass sie den Irak am 27.09.2014 verlassen habe. Dies ist zwar tatsächlich so in der Niederschrift der Erstbefragung protokolliert, jedoch stimmt auch dieses Datum nicht mit dem Ausreisestempel im - trotz behaupteter Vernichtung in der Türkei - doch noch aufgetauchten Reisepass überein, wonach sie lt. Ausreisestempel vom Flughafen im Bagdad am 26.09.2014 weggeflogen ist.

Zwar kann es verständlich sein, dass man das genaue Datum nicht mehr so genau in Erinnerung hat, doch liegt hier eine Verknüfung mit Geschehnissen vor, die eine zeitliche Abfolge erleichtern und ergeben sich auch daraus nicht unerhebliche Divergenzen die an einem Realerlebnis der bP zweifeln lassen.

Die bP verletzte im Verfahren auch ihre Mitwirkungsverpflichtung in Bezug auf ihren Reisepass und beeinträchtigt dies die Glaubhaftmachung im Asylverfahren bzw. die Einschätzung der Persönlichkeit der bP hinsichtlich der Bereitschaft im Verfahren wahrheitsgemäße Angaben zu machen ganz erheblich.

In der Erstbefragung gab sie an, dass ihr der Schlepper in der Türkei aufgetragen habe diesen zu vernichten, daher könne sie diesen nicht vorlegen. In der Ladung zur Einvernahme beim Bundesamt wurde ihr aufgetragen ua. ihren Reisepass zur Einvernahme mitzunehmen, was sie unterließ. Somit geht auch die Behauptung in der Verhandlung ins Leere, die bP habe diesen beim Bundesamt deshalb nicht vorgelegt, weil die Behörde nicht danach gefragt hätte. Außerdem sei der Reisepass schon abgelaufen.

Das BVwG erhielt im Zuge des Beschwerdeverfahrens von einer Behörde davon Kenntnis, dass die bP anlässlich der Beantragung eines österreichichen Führerscheines dort ihren irakischen Reisepass zum Nachweis ihrer Identität vorgelegt hat. Der bP wurde daher mit Zustellung der Ladung zur Beschwerdeverhandlung ua auch aufgetragen, ihren Reisepass zur Verhandlung mitzunehmen. Zuerst gab sie in der Verhandlung auf die Frage, ob sie diesen nun hier in der Verhandlung vorlegen könne an, "ja, in Kopie", um dann bei Fragewiederholung anzugeben, sie habe diesen im Auto vergessen. Letztlich änderte sie auch diese Aussage und gab an, dass sich dieser im Hotel befinde. Mit diesen Ausreden und letztlich unter Ankündigung, dass die Nichtvorlage im Rahmen der Entscheidung nachteilige Folgen nach sich ziehen könnte, lenkte die bP in der Verhandlung ein, diesen Reisepass doch noch vorzulegen. Ihr wurde aufgetragen diesen nach der Verhandlung aus dem Hotel zu holen und ihn beim BVwG vorzulegen. Dieser Aufforderung leistete sie letztlich Folge.

Das BVwG geht resümierend davon aus, dass die bP den Reisepass bislang im Verfahren deshalb nicht vorlegte, weil sie die Ansicht vertrat, dass damit ihre Erfolgsaussichten, nämliche die Erlangung eines Aufenthaltsitels über das Asylverfahren, geschmälert wäre. Eine andere Betrachtungsweise drängt sich nicht auf.

In der Tat enthält der Reisepass eine Vielzahl von Ein- und Ausreisestempel sowie Visa, die auf eine äusserst rege Reisetätigkeit ins Ausland, vorzugsweise Syrien und die Türkei, selbst im Jahr 2014, belegen. So war sie etwa kurz vor der Ausreise noch mit einem türkischen Visum vom 01.07.2014 bis 27.07.2014 in Istanbul bzw. der Türkei aufhältig. Sie kehrte also freiwillig zurück obwohl sie im Asylverfahren behauptete, die schiitische Miliz würde alle Sunniten umbringen.

Die bP zeigt aber gerade hier ihre Persönlichkeitsstruktur in Bezug auf ihre "Wahrheitsliebe". Nämlich, dass sie trotz wiederholter, im Verfahren ergangener Aufforderung nur wahrheitsgemäße Angaben zu machen, dessen ungeachtet lügt. Dieses Verhalten ist durchaus geeignet auch ihre anderen Angaben zur Begründung des Antrages in einem anderen Licht zu betrachten und auf die Beurteilung der Glaubhaftmachung abfärbt.

Ein Indiz für die Tendenz zur Lüge im Verfahren ist auch die Rechtfertigung der bP zum Reisepass. Sie gab in der Verhandlung an, dass sie in der Erstbefragung angegeben habe, dass sie den Reisepass in der Türkei gelassen habe. Sie verstehe nicht, weshalb das so geschrieben wurde. Das BVwG geht hier davon aus, dass sehr wohl richtig übersetzt und protokolliert wurde und die Behauptung der bP eine reine Schutzbehauptung ist, auch wenn es auf Kosten der Wahrheit geht. Dieser Niederschrift ist zu entnehmen, dass sie ihr rückübersetzt wurde und sie keine Einwendungen hatte. Die Unterschrift ist unterfertigt. In der folgenden Einvernahme beim Bundesamt bestätigte sie sogar auf Nachfrage ausdrücklich, dass ihre Aussagen in dieser Erstbefragung bzw. der diesbezüglichen Niederschrift korrekt protokolliert und ihr auch rückübersetzt wurde. Delikaterweise bestätigte sie auch, dass sie in der Erstbefragung die Wahrheit gesagt habe. Das BVwG geht daher unweifelhaft vom vollen Beweis der Niederschrift iSd § 15 AVG aus.

Der sich aus den vorgelegten polizeilichen Unterlagen ergebende Inhalt des Drohbriefes ist für das BVwG nicht stimmig mit dem Verhalten der bP bzw. der Familie und daher wird die Echtheit in Zweifel gezogen bzw. kann man auch bei Unterstellung der Authentizität von einer mangelnden Ernstlichkeit der Drohung ausgehen.

Demnach wird in diesem Brief gedroht, dass die gesamte Familie mit dem Umbringen bedroht wurde, falls die Familie nicht innerhalb von 48 Stunden das Haus verlassen würde. Ihre Familienangehörigen (Mutter und zwei Geschwister) leben ungeachtet der behaupteten Bedrohung nach wie vor am gleichen Ort, ohne dass die bP behauptet hätte, dass diesen etwas passiert wäre. Die Mutter arbeitet auch nach wie vor im Schulwesen.

Dies ist ein Stadtteil in dem ihren Angaben nach sowohl Sunniten als auch Schiiten leben. Dieses Verhalten spricht nicht für die Glaubhaftmachung der von der bP dargelegten Bedrohung. Noch dazu, wo der Anzeige der Mutter bei der Polizei zu entnehmen ist, dass diese auch davon ausgeht, dass sich die Drohung auch gegen sie selbst, aber auch gegen die anderen Familienmitglieder richtet. Aus dem Umstand der Anzeigeerstattung kann auch geschlossen werden, dass sie Schutz bei den Sicherheitskräften suchte, was eine Furcht der Mutter indizieren würde.

Die Erklärung der bP auf Vorhalt dieser Unplausibilität ist nicht überzeugend. Sie gab an, dass diese Milizen nur Männer töten, nicht jedoch Frauen. Dies ändert nichts daran, dass sich die schriftliche Drohung auch gegen die Frauen richtet. We

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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