TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/28 W251 2181908-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.09.2018
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Entscheidungsdatum

28.09.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §53 Abs3 Z2
FPG §53 Abs3 Z4
FPG §53 Abs3 Z5

Spruch

W251 2181908-1/18E

W251 2181908-2/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Angelika SENFT als Einzelrichterin über die Beschwerden von XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.11.2017, Zl. 1111232001 - 160517615 sowie gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.07.2018, Zl. 1111232001 - 160517615, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 11.04.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Am 12.04.2016 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass in Afghanistan Krieg herrsche, dort seien die Daesh und die Taliban. Sein Vater sei Kommandant gewesen und von unbekannten Personen getötet worden. Aufgrund der Tätigkeit seines Vaters sei er von unbekannten Personen bedroht worden.

3. Am 11.10.2017 fand eine Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) statt. Zu seinen Fluchtgründen gab er im Wesentlichen an, dass sein Leben wegen der Taliban und des IS in Gefahr gewesen sei. Sie (Anm. BVwG.: der Beschwerdeführer und seine Familie) haben Drohbriefe bekommen. In den Briefen sei der Beschwerdeführer und sein Bruder namentlich genannt worden. Sein Vater sei 6 Jahre zuvor getötet worden.

4. Mit Bescheid vom 30.11.2017 wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab und erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.). Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt IV. und V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht habe glaubhaft machen können. Es drohe dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Der Beschwerdeführer sei ein gesunder, arbeitsfähiger Mann der somit bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht in eine ausweglose Situation geraten würde. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würde.

5. Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass er besonders gefährdet sei, da er aufgrund seines Vaters mit der Regierung in Zusammenhang gebracht werde. Es sei dem Beschwerdeführer auf Grund der Sicherheits- und Versorgungslage nicht zumutbar nach Afghanistan zurückzukehren. Es sei auch eine IFA nicht zumutbar.

6. Der Beschwerdeführer wurde am 21.06.2018 von einem Landesgericht wegen der Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften, des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt, der schweren Körperverletzung und der Verleumdung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt.

7. Mit Bescheid vom 10.07.2018 wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt I). Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt II. und III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Es wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V.). Es wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer das Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 09.05.2018 verloren habe (Spruchpunkt VI.).

8. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass ihm die Lebensbedingungen in Afghanistan fremd seien, er kenne dort keinen Menschen und habe keinerlei Anknüpfungspunkte. Da eine Einvernahme des Beschwerdeführers vor Bescheiderlassung unterblieben sei, liege ein Ermittlungsmangel vor. Es stehe dem Beschwerdeführer keine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul offen. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich über ein schützenswertes Familienleben. Er sei zwar vorbestraft, er sehe jedoch das Unrecht der Taten ein und würde diese bereuen, es habe ein Gesinnungswandel stattgefunden. Das Einreiseverbot in der Höhe von fünf Jahren sei jedenfalls zu hoch bemessen, da der Beschwerdeführer hinsichtlich seiner Taten absolute Reue gezeigt habe.

9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 10.09.2018 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und im Beisein des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung betreffend die Beschwerde gegen den Beschied vom 30.11.2017 und betreffend die Beschwerde gegen den Beschied vom 10.07.2018 durch.

10. Mit Stellungnahme vom 06.09.2018 und mit Stellungnahme vom 24.09.2018 ist der Beschwerdeführer dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, und den Berichten von Landinfo nicht substantiiert entgegengetreten. Der Beschwerdeführer brachte vor, dass seine Heimatprovinz volatil sei. Die Leistungsfähigkeit der Netzwerke würde sinken. Aus dem Gutachten von Stahlmann ergebe sich, dass es auch auf die Unterstützungswilligkeit der vorhandenen Netzwerke ankomme. Es sei zudem selbst für Personen mit Ausbildung und Qualifikation schwierig ohne Netzwerke einen Arbeitsplatz zu finden.

Der Beschwerdeführer berief sich unter anderem auf das Gutachten von Stahlmann vom 28.03.2018, auf die UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018, auf eine Power-Point Präsentation von UNHCR vom 12.03.2018, auf den EASO-Bericht aus Dezember 2017, auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation sowie auf einen Entschließungsantrag des europäischen Parlaments und auf eine Entscheidung des französischen Asylgerichtshofs. Der Beschwerdeführer legte diese Berichte oder weitere Urkunden jedoch dem Gericht nicht vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX. Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an, bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben und spricht Dari als Muttersprache (AS 1; AS 115; Protokoll vom 10.09.2018, OZ 16, S. 6).

Der Beschwerdeführer wurde in XXXX in der Provinz XXXX geboren und ist dort gemeinsam mit seinen Eltern und seinen 4 Brüdern aufgewachsen (OZ 16, S. 8, S. 6). Der Beschwerdeführer hat insgesamt 10 Jahre lang eine Schule besucht. Der Beschwerdeführer hat keinen Beruf gelernt, er hat einige Monate in einer Bäckerei gearbeitet (AS 117; AS 13; OZ 16, S. 6-7).

Der Beschwerdeführer verfügt über eine Tante väterlicherseits in Mazar-e Sharif, zu der er ein bis zweimal im Monat telefonischen Kontakt hat. Diese Tante ist verheiratet und hat einen Sohn in Saudi Arabien (OZ 16, S. 8). Die Tante ist finanziell abgesichert. Nach dem Tod des Vaters hat der Bruder des Beschwerdeführers das Vermögen, nämlich ein Haus, ein Grundstück, bares Geld und Waffen, der Familie verwaltet. Nachdem der Bruder Afghanistan ebenfalls verlassen hat, wurde das Vermögen der Tante in Mazar-e Sharif übergeben, die nun das Vermögen der Familie verwaltet (OZ 16, S. 9).

Der Beschwerdeführer ist unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist und hält sich seit zumindest April 2016 durchgehend in Österreich auf.

Der Beschwerdeführer hat nur sehr geringe Deutschkenntisse (OZ 16, S. 10). Er hat einmal für zwei bis drei Monate einen Deutschkurs besucht (AS 125; OZ 16, S. 10). Der Beschwerdeführer geht keiner Erwerbstätigkeit oder regelmäßigen Arbeit nach. Er hat bei der Gemeinde ehrenamtliche Tätigkeiten einmal oder zweimal in der Woche ausgeübt. Der Beschwerdeführer ist nicht selbsterhaltungsfähig (OZ 16, S. 11).

Der Beschwerdeführer verfügt weder über Verwandte noch über sonstige enge soziale Bindungen in Österreich (OZ 16, S. 11).

Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, er ist gesund (OZ 16, S. 12).

Der Beschwerdeführer wurde am 21.06.2018 vom Landesgericht XXXX wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften, des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt, der schweren Körperverletzung und der Verleumdung (§ 27 Abs 2a 2. Fall SMG; §§ 15, 269 Abs 1 1. Fall StGB, §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB, § 297 Abs 1

1. Fall StGB) zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe im Ausmaß von sechs Monaten wurde unter Setzung einer Probezeit beringt nachgesehen.

Der Beschwerdeführer hat am 06.05.2018 vorschriftswidrig an einem allgemein zugänglichen Ort öffentlich insgesamt 5,7 Gramm Cannabiskraut an zwei verdeckte Ermittler verkauft. Der Beschwerdeführer hat versucht Polizeibeamte an seiner Festnahme zu hindern, indem er zunächst mit seinem Gipsarm auf einen Polizeibeamten einschlug sowie bereits zu Boden gebracht weiter auf den Polizeibeamten und einen weiteren Polizeibeamten eintrat und einschlug und sodann auf zwei zur Verstärkung einschreitende Polizeibeamte ebenfalls einschlug und eintrat. Durch diese Tat hat der Beschwerdeführer den Polizeibeamten vorsätzlich am Körper verletzt, nämlich Prellungen an beiden Unterarmen, am linken Oberarm und an der linken Schulter verursacht. Dies hatte beim Polizeibeamten einen 10tägigen Krankenstand zur Folge. Der Beschwerdeführer hat am 6., 7., 9., und 23 Mai 2018 sechs Polizeibeamte einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt, indem er sie des Vergehens der Körperverletzung falsch verdächtigte, da er, obwohl er wusste, dass die Verdächtigungen falsch waren, im Rahmen seiner Beschuldigtenvernehmung bei der Polizei sowie im Pflichtverhör und in den Haftverhandlungen vor dem Haft- und Rechtschutzrichter des Landesgerichts XXXX wahrheitswidrig angab, dass er von sämtlichen einschreitenden Polizeibeamten geschlagen und an den Haaren gezogen worden sei (Strafregisterauszug; OZ 13; OZ 6; OZ 7).

Der Beschwerdeführer sieht das Unrecht seiner Taten nicht ein, er bereut seine Taten nicht (OZ 16, S. 12). Es ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer auch weiterhin Straftaten in Österreich begehen werde.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Das vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden.

1.2.1 Es kann nicht festgestellt werden, ob der Vater des Beschwerdeführers ums Leben gekommen ist. Es kann auch nicht festgestellt werden welchen Beruf der Vater des Beschwerdeführers ausgeübt hat.

Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan weder vom IS bzw. den Daesh, noch von den Taliban noch von anderen Personen mit der Ausübung von physischer oder psychischer Gewalt bedroht. Weder der Beschwerdeführer noch seine Familienangehörigen haben in Afghanistan Drohbriefe erhalten.

Der Beschwerdeführer hat Afghanistan weder wegen Lebensgefahr noch aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität verlassen.

Dem Beschwerdeführer drohen im Falle der Rückkehr nach Afghanistan individuell und konkret weder Eingriffe in seine körperliche Integrität noch Lebensgefahr durch Mitglieder der Taliban oder durch andere Personen.

1.2.2. Darüber hinaus kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer wegen seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Sunniten oder zur Volksgruppe der Tadschiken konkret und individuell physische oder psychische Gewalt in Afghanistan droht. Ebenso wenig konnte festgestellt werden, dass Angehörige der Religionsgemeinschaft der Sunniten oder der Volksgruppe der Tadschiken in Afghanistan allein aufgrund der Religions- bzw. Volksgruppenzugehörigkeit physischer oder psychischer Gewalt ausgesetzt sind.

1.2.3. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer wegen seines Aufenthalts in einem europäischen Land oder wegen seiner Lebensführung in Österreich konkret und individuell physische oder psychische Gewalt in Afghanistan droht.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Dem Beschwerdeführer könnte bei einer Rückkehr in die Provinz Takhar ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

Die Wohnraum- und Versorgungslage ist in Mazar-e Sharif sehr angespannt. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Mazar-e Sharif kann der Beschwerdeführer jedoch grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und zumindest vorrübergehend bei seiner Tante in Mazar-e Sharif Unterkunft und Verpflegung sowie familiäre Unterstützung vorfinden.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 29.06.2018 - LIB 22.08.2018, S. 24).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (LIB 22.08.2018, S. 24).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben (LIB 22.08.2018, S. 27).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 22.08.2018, S. 35).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheits-operationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB 22.08.2018, S. 28).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 22.08.2018, S. 28). Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 22.08.2018, S. 28 ff, 33).

Takhar:

Takhar grenzt im Nordosten an die Provinz Badakhshan - Kunduz liegt im Westen, Baghlan im Süden und im Norden grenzt Takhar an Tadschikistan. Die Provinz hat 1.017.575 Einwohner. Im Februar und März 2018 zählte Takhar zu den relativ volatilen Provinzen in Nordostafghanistan, in der oft Aktivitäten von Aufständischen und Zusammenstöße zwischen afghanischen Sicherheitskräften und Rebellen registriert wurden (LIB 22.08.2018, S. 199).

Mazar-e Sharif:

Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e-Khumri und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst (LIB 22.08.2018, S. 68).

In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt sicher zu erreichen ist (LIB 22.08.2018, S. 68).

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (LIB 22.08.2018, S. 69).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (LIB 22.08.2018, S. 68f).

Medizinische Versorgung

Es gibt keine staatliche Krankenkasse und die privaten Anbieter sind überschaubar und teuer, somit für die einheimische Bevölkerung nicht erschwinglich. Eine begrenzte Zahl staatlich geförderter öffentlicher Krankenhäuser bieten kostenfreie medizinische Versorgung. Alle Staatsbürger haben Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Die Kosten für Medikamente in diesen Einrichtungen weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e-Sharif, Herat und Kandahar. Medikamente sind auf jedem Markt in Afghanistan erwerblich, Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produktes (LIB 22.08.2018, S. 318ff).

Psychische Erkrankungen sind in öffentlichen und privaten Klinken grundsätzlich behandelbar. Die Behandlung in privaten Kliniken ist für Menschen mit durchschnittlichen Einkommen nicht leistbar. In öffentlichen Krankenhäusern müssen die Patienten nichts für ihre Aufnahme bezahlen. In Kabul gibt es zwei psychiatrische Einrichtungen: das Mental Health Hospital und die Universitätsklinik Aliabad. Zwar gibt es traditionelle Methoden bei denen psychisch Kranke in spirituellen Schreinen unmenschlich behandelt werden. Es gibt jedoch aktuelle Bemühungen, die Akzeptanz und Kapazitäten für psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten zu stärken und auch Aufklärung zu betreiben. Die Bundesregierung finanziert Projekte zur Verbesserung der Möglichkeiten psychiatrischer Behandlung und psychologischer Begleitung in Afghanistan. In Mazar-e Sharif gibt es ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus (LIB 22.08.2018, S. 320f).

Wirtschaft

Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB 22.08.2018, S. 314).

Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden (LIB 22.08.2018, S. 315).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Sogar für gut ausgebildete und gut qualifizierte Personen ist es schwierig ohne ein Netzwerk einen Arbeitsplatz zu finden, wenn man nicht empfohlen wird oder dem Arbeitgeber nicht vorgestellt wird. Vetternwirtschaft ist gang und gebe. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Es gibt lokale Webseiten, die offene Stellen im öffentlichen und privaten Sektor annoncieren. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, nicht-regulierten Arbeitsmarktes. Der Arbeitsmarkt besteht Großteiles aus manueller Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung und spiegelt das niedrige Bildungsniveau wieder. In Kabul gibt es öffentliche Plätze, wo sich Arbeitssuchende und Nachfragende treffen. Viele bewerben sich, nicht jeder wird engagiert. Der Lohn beträgt für Hilfsarbeiter meist USD 4,3 und für angelernte Kräfte bis zu USD 14,5 pro Tag (EASO Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018, Beilage ./III, S. 29 - 30).

In Kabul und in großen Städten stehen Häuser und Wohnungen zur Verfügung. Es ist auch möglich an Stelle einer Wohnung ein Zimmer zu mieten. Dies ist billiger als eine Wohnung zu mieten. Heimkehrer mit Geld können Grund und Boden erwerben und langfristig ein eigenes Haus bauen. Vertriebene in Kabul, die keine Familienanbindung haben und kein Haus anmieten konnten, landen in Lagern, Zeltsiedlungen und provisorischen Hütten oder besetzen aufgelassene Regierungsgebäude. In Städten gibt es Hotels und Pensionen unterschiedlichster Preiskategorien. Für Tagelöhner, Jugendliche, Fahrer, unverheiratete Männer und andere Personen, ohne permanenten Wohnsitz in der jeweiligen Gegend, gibt es im ganzen Land Angebote geringerer Qualität, sogenannte chai khana (Teehaus). Dabei handelt es sich um einfache große Zimmer in denen Tee und Essen aufgetischt wird. Der Preis für eine Übernachtung beträgt zwischen 0,4 und 1,4 USD. In Kabul und anderen großen Städten gibt es viele solche chai khana und wenn ein derartiges Haus voll ist, lässt sich Kost und Logis leicht anderswo finden. Man muss niemanden kennen um dort eingelassen zu werden (EASO Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018, Beilage ./III, S. 31).

Rückkehrer:

Im Jahr 2017 kehrten sowohl freiwillig, als auch zwangsweise insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (LIB 22.08.2018, S. 327 f).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können (LIB 22.08.2018, S. 328 f).

IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. NRC bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (LIB 22.08.2018, S. 329 f).

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (LIB 22.08.2018, S. 330).

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Nur sehr wenige Afghanen in Europa verlieren den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (LIB 22.08.2018, S. 331 f).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 22.08.2018, S. 332).

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 22.08.2018, S. 332).

Es kann nicht festgestellt werden, dass Rückkehrer, auf Grund dieses Merkmals, in Afghanistan psychischer oder physischer Gewalt ausgesetzt sind.

Taliban:

Die Taliban konzentrierten sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" nicht. Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren. Das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 ist auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (LIB 22.08.2018, S. 37).

Rekrutierung durch die Taliban:

Die Veränderung des Konfliktschemas wirkt sich auf die Rekrutierungsstrategien der Taliban aus, nämlich auf das Profil der rekrutierten Personen als auch auf die Ausbildung der Rekruten. Die Taliban sind aktiver als bisher bemüht Personen mit militärischem Hintergrund sowie mit militärischen Fertigkeiten zu rekrutieren. Die Taliban versuchen daher das Personal der afghanischen Sicherheitskräfte auf ihre Seite zu ziehen. Da ein Schwerpunkt auf militärisches Wissen und Erfahrungen gelegt wird, ist mit einem Anstieg des Durchschnittsalters zu rechnen (Beilage ./IV, S. 8). Durch das Anwerben von Personen mit militärischem Hintergrund bzw. von Mitgliedern der Sicherheitskräfte erhalten Taliban Waffen, Uniformen und Wissen über die Sicherheitskräfte. Auch Personen die über Knowhow und Qualifikationen verfügen (z.B. Reparatur von Waffen), können von Interesse für die Taliban sein (Beilage ./IV, S. 18).

Die Taliban rekrutieren über bestehende traditionelle Netzwerke und organisierte Aktivitäten im Zusammenhang mit religiösen Institutionen (Beilage ./IV, S. 12).

Die Taliban waren mit ihrer Expansion noch nicht genötigt Zwangsmaßnahmen zur Rekrutierung anzuwenden. Zwangsrekrutierung ist noch kein herausragendes Merkmal für den Konflikt. Die Taliban bedienen sich nur sehr vereinzelt der Zwangsrekrutierung, indem sie männliche Dorfbewohner in von ihnen kontrollierten Gebieten, die mit der Sache nicht sympathisieren, zwingen, als Lastenträger zu dienen (Beilage ./IV, S. 18). Die Taliban betreiben eine Zwangsrekrutierung nicht automatisch. Personen die sich gegen die Rekrutierung wehren, werden keine rechtsverletzenden Sanktionen angedroht. Eine auf Zwang beruhende Mobilisierungspraxis steht auch den im Pashtunwali (Rechts- und Ehrenkodex der Paschtunen) enthaltenen fundamentalen Werten von Familie, Freiheit und Gleichheit entgegen. Es kommt nur in Ausnahmefällen und nur in sehr beschränktem Ausmaß zu unmittelbaren Zwangsrekrutierungen durch die Taliban. Die Taliban haben ausreichend Zugriff zu freiwilligen Rekruten. Zudem ist es schwierig einen Afghanen zu zwingen, gegen seinen Willen gegen jemanden oder etwas zu kämpfen (Beilage ./IV, S. 19).

Im Kontext Afghanistans verläuft die Grenze zwischen Jungen und Mann fließend. Ausschlaggebend für diese Beurteilung sind Faktoren wie Pubertät, Bartwuchs, Mut, Unabhängigkeit, Stärke und die Fähigkeit die erweiterte Familie zu repräsentieren. Der Familienälteste ist das Oberhaupt, absolute Loyalität gegenüber getroffenen Entscheidungen wird vorausgesetzt. Kinder unterstehen der Obrigkeit der erweiterten Familie. Es stünde im Widerspruch mit der afghanischen Kultur, würde man Kinder gegen den Wunsch der Familie und ohne entsprechende Entscheidung des Familienverbandes aus dem Familienverband "herauslösen" (Beilage ./IV, S. 20).

Sunniten:

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten. Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten. Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus (LIB 22.08.2018, S. 267).

Es kann nicht festgestellt werden, dass Angehörige der Religionsgemeinschaft der Sunniten auf Grund dieses Merkmals in Afghanistan Bedrohungen ausgesetzt sind.

Tadschiken:

Die Dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist die zweitgrößte und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan. Sie machen etwa 30% der afghanischen Gesellschaft aus. Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan bilden Tadschiken in weiten Teilen Afghanistans ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten:

In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit.Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (LIB 22.08.2018, S. 282).

Es kann nicht festgestellt werden, dass Angehörige der Volksgruppe der Tadschiken auf Grund dieses Merkmals in Afghanistan Bedrohungen ausgesetzt sind.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt, durch Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die zum Akt genommenen Urkunden Beilage ./I bis ./VI (Konvolut ZMR, GVS, Strafregister Beilage ./I; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Afghanistan vom 29.06.2018 mit Kurzinformation vom 22.08.2018, Beilage ./II; Bericht Landinfo, die Nachrichtendienste der Taliban und die Einschüchterungskampagnen, vom 23.08.2017, Beilage ./III; Bericht Landinfo, Rekrutierung durch die Taliban, vom 29.06.2017, Beilage ./IV; Bericht EASO, Afghanistan Netzwerke, Jänner 2018, Beilage ./V; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Taliban Drohbriefe, Bedrohung militärischer Mitarbeiter, vom 28.07.2016, Beilage ./VI).

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Lebenslauf (sein Aufwachsen sowie seine familiäre Situation in Afghanistan, seine Schulbildung und Berufsausübung) sowie zu den Eigentumsverhältnissen seiner Familie gründen sich auf seine diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Die Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich (insbesondere zur Aufenthaltsdauer, seinen geringen Deutschkenntnissen, seinen fehlenden familiären oder engen sozialen Anknüpfungspunkten in Österreich und seiner Integration in Österreich) stützen sich auf die Aktenlage (vgl. insbesondere den Auszug aus dem Grundversorgungs-Informationssystem) sowie auf die Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Die Feststellungen zu den Deutschkenntnissen konnten auch vom Gericht getroffen werden, da der Beschwerdeführer in der Verhandlung die auf Deutsch gestellten Fragen kaum verstanden hat und diese auf Deutsch auch kaum beantworten konnte (OZ 16, S. 10). Hinweise auf nachhaltige Integrationsschritte (soziale/berufliche Integration) des Beschwerdeführers in Österreich sind weder dem Verwaltungs- noch dem Gerichtsakt zu entnehmen und wurden auch im Verlauf der mündlichen Verhandlung nicht vorgebracht. Der Beschwerdeführer gab zunächst an, dass er einige Afghanen in Österreich kenne, die er als Freunde bezeichnen würde. Erst auf konkrete Befragung gab der Beschwerdeführer an, dass er auch österreichische Freunde habe, zu denen habe er jedoch keinen Kontakt mehr (OZ 16, S. 11-12). Es ergaben sich daher keine engen sozialen Kontakte oder verwandtschaftliche Beziehungen in Österreich.

Dass die Familie des Beschwerdeführers wohlhabend ist und über ausreichend finanzielle Mitteln verfügt, ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers. Dieser gab bereits beim Bundesamt, auf die Frage ob die Familie Besitztümer habe, an, dass seine Familie alles habe bloß keine Sicherheit (AS 117). In der mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer an, dass sein Bruder nach dem Tod des Vaters über das Vermögen der Familie, nämlich das Haus, Grundstücke, Bargeld, Waffen, verfügt habe, nun verfüge die Tante über das Vermögen (OZ 16, S. 9). Die Familie habe es sich auch leisten können 20 Bodyguards gleichzeitig zu bezahlen (AS 119). Zudem sei er von Entführungen bedroht, da er aus einer vermögenden Familie stamme (OZ 16, S. 14). Es ist daher aufgrund dieser Angaben des Beschwerdeführers davon auszugehen, dass die Familie des Beschwerdeführers vermögend ist und nunmehr die in Mazar-e Sharif lebende Tante des Beschwerdeführers dieses Vermögen verwaltet.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung (AS 111-113; OZ 16, S.

12) und auf dem Umstand, dass im Verfahren nichts Gegenteiliges hervorgekommen ist.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister, in das Urteil des Landesgerichts XXXX sowie aus den im Akt befindlichen Polizeiprotokollen.

Der Beschwerdeführer spielte in der Verhandlung seine strafrechtliche Verantwortung herunter. Der Beschwerdeführer räumte zwar das Vergehen gegen das Suchtmittelgesetz ein, hinsichtlich der Körperverletzung gab der Beschwerdeführer jedoch an, von den Polzisten beschuldigt worden zu sein, "sie irgendwie berührt zu haben", er habe die Polizisten jedoch nicht berührt (OZ 16, S. 12). Die Polizisten seien selber schuld gewesen, da diese sich nicht ausgewiesen haben und auch nicht gesagt haben, dass es eine Polizeikontrolle sei (OZ 16, S. 13). Auch hinsichtlich der Verleumdung übernahm der Beschwerdeführer keine Verantwortung und zeigte auch keine Reue. Der Beschwerdeführer gab diesbezüglich an, dass er niemanden habe anzeigen wollen, dies habe der Dolmetscher zu verantworten (OZ 16, S. 13). Dies steht jedoch im Widerspruch zur strafrechtlichen Verurteilung, wonach der Beschwerdeführer dies bei 4 unterschiedlichen Befragungen angegeben hat, sowie zu den im Akt befindlichen polizeilichen Protokollen.

Da der Beschwerdeführer nicht schuldeinsichtig ist und auch keine Reue gezeigt hat, geht das Gericht davon aus, dass der Beschwerdeführer auch weiterhin Straftaten verüben werde.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Soweit der Beschwerdeführer vorbrachte, ihm drohe Lebensgefahr durch den IS, die Taliban oder Feinde des Vaters, weil sein Vater Kommandant gewesen sei, kommt seinem Vorbringen aus nachfolgenden Gründen keine Glaubhaftigkeit zu:

2.2.1. Zunächst ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer seine diesbezüglichen Angaben im gesamten Verfahren, insbesondere vor dem Bundesamt, lediglich vage und unkonkret hielt und diese nur auf Nachfragen weiter konkretisierte. Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht präsentierte der Beschwerdeführer - trotz wiederholter Aufforderung, sein Vorbringen von sich aus und möglichst detailliert zu schildern (OZ 16, S. 4, 5, 14) - bloß eine grobe und allgemein gehaltene Rahmengeschichte, die er erst auf Nachfragen darlegte. Selbst auf Nachfragen blieben die Angaben des Beschwerdeführers weitgehend vage und ausweichend. Auch dabei konnte der Beschwerdeführer keine konkreten und lebensnahen Details nennen. Die Schilderungen machen nicht den Eindruck, dass es sich um tatsächlich erlebte Ereignisse handeln würde.

Es ist dem Beschwerdeführer, wie im Folgenden aufgezeigt, nicht gelungen seine Verfolgungsgeschichte glaubhaft zu machen:

2.2.2. Der Beschwerdeführer wurde bereits beim Bundesamt befragt, warum er Afghanistan verlassen hat, dabei gab er nur vage und unkonkrete Antworten, ohne Details. Selbst auf weiteres Nachfragen, blieben die Ausführungen vage und detaillos:

"VP: Mein Leben war in Gefahr von den IS und den Taliban. Wir haben immer Drohbriefe von diesen erhalten. In diesen Briefen wurden wir (ich und mein Bruder) namentlich genannt. Dort stand, dass mein Vater für die Regierung arbeitet und dass wir alle getötet werden. Ich habe leider keinen Brief mitgenommen." (AS 119)

Der Beschwerdeführer machte, wie aufgezeigt, nur vage und ausweichende Angaben, den jegliche lebensnahen Details fehlten.

Auch in der mündlichen Verhandlung präsentierte der Beschwerdeführer lediglich eine grobe Rahmengeschichte, die er selbst auf Nachfragen kaum mit konkreten Angaben oder Details ergänzen konnte (OZ 16, S. 14).

"BF: Mein Vater war ein Kommandant. Er wurde in Afghanistan getötet. Seinetwegen kann ich nicht in Afghanistan leben. Ich kann in Afghanistan nicht reisen, wenn man mich erwischt, dann werde ich geköpft. Das zweite Problem ist, dass man mit Entführungen konfrontiert ist. Wer vermögend ist, wird entführt und die Angehörigen werden dann kontaktiert, dass man Lösegeld zahlen muss, ansonsten würden sie mich umbringen. Das Töten in Afghanistan steht auf der Tagesordnung. Ein Menschenleben hat dort keinen Wert. Mein Leben war dort in Gefahr, mein Leben war der Tod. Wie lange soll ich dort unter Bedrohung leben? Mein Problem ist, dass mein Vater ein Kommandant war und er war vermögend und deswegen kann ich nicht mehr in Afghanistan leben."

Die Angaben des Beschwerdeführers machen auf das Gericht nicht den Eindruck, dass es sich dabei um tatsächlich erlebte und furchtauslösende Ereignisse handeln würde.

2.2.3. Widersprüchlich ist zudem, dass der Beschwerdeführer beim Bundesamt angab, dass sein Vater getötet worden sei, als er von seinem Urlaub aus XXXX nach XXXX zurückkehren wollte (AS 119). In der mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer an, dass sein Vater getötet worden sei, als dieser nach XXXX unterwegs war (OZ 16, S. 16). Es ist nicht plausibel, dass der Beschwerdeführer einmal angibt, dass sein Vater gerade erst von zuhause aus aufgebrochen sei und der Beschwerdeführer ein anderes Mal angibt, dass sein Vater zuvor nicht zuhause, sondern im Urlaub an einem anderen Ort gewesen sei. Die Angaben des Beschwerdeführers sind nicht glaubhaft.

2.2.4. Der Beschwerdeführer gab beim Bundesamt an, dass seine Ausreise dadurch finanziert wurde, dass sein reicher Vater ein Grundstück verkauft habe (As 117). Es ist für das Gericht nicht plausibel, wie der Vater des Beschwerdeführers ein Grundstück zur Finanzierung der Flucht des Beschwerdeführers verkaufen will, wenn der Vater des Beschwerdeführers bereist mehrerer Jahre vor der Flucht verstorben sei. Die Angaben des Beschwerdeführers sind nicht nachvollziehbar, es kann daher nicht festgestellt werden, dass der Vater des Beschwerdeführers bereits verstorben ist.

Auch die Angaben des Beschwerdeführers beim Bundesamt betreffend den Beruf seines Vaters waren vage und ausweichend (AS 199). Es kann daher vom Gericht nicht festgestellt werden, welchen Beruf der Vater des Beschwerdeführers tatsächlich ausgeübt hat.

Der Beschwerdeführer hat zwar Fotos vorgelegt, auf denen Personen und Waffen abgebildet sind. Es kann vom Gericht jedoch weder erkannt werden, dass der Beschwerdeführer noch, dass sein Vater dort abgebildet wäre. Die Fotos sind zwar mit Schriftzügen versehen, diese Schriftzüge können jedoch von jedermann angebracht werden, sodass auch darin weder ein Beweis für ein Verwandtschaftsverhältnis, noch für die Identität der fotografierten Personen noch für den tatsächlichen Beruf des Vaters zu erkennen ist.

2.2.5. Die Angaben des Beschwerdeführers haben zudem Steigerungen enthalten, die für das Gericht nicht nachvollziehbar sind.

So gab der Beschwerdeführer erst in der mündlichen Verhandlung an, dass sein Vater wohlhabend gewesen sei und er deswegen fürchte entführt zu werden, damit Lösegeld gefordert werden kann (OZ 16, S. 14). Nicht plausibel ist, dass der Beschwerdeführer dies erst in der mündlichen Verhandlung angab und nicht bereits beim Bundesamt. Es liegt daher eine Steigerung des Vorbringens vor.

Der Beschwerdeführer gab beim Bundesamt an, dass er aufgrund seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit in Afghanistan keine Probleme hatte (AS 117). Der Beschwerdeführer gab jedoch in der mündlichen Verhandlung an, dass er aufgrund seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit bereits Probleme in Afghanistan gehabt habe. Er würde von Schiiten getötet, wenn man ihn erwischen würde und man würde von ihm als Tadschiken verlangen, dass er nach Tadschikistan gehen soll. Erst auf mehrfaches Nachfragen räumte der Beschwerdeführer ein, selber noch kein Erlebnis gehabt zu haben, bei dem er aufgrund seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit in Afghanistan bereits Probleme gehabt habe (OZ 16, S. 15). Die Angaben des Beschwerdeführers sind nicht glaubhaft.

2.2.6. Es fällt in diesem Zusammenhang zudem auf, dass der Beschwerdeführer beim Bundesamt angab, dass er 4 Jahren lang insgesamt 800 Drohbriefe erhalten habe. Er habe sich dann nach 4 Jahren gedacht, dass irgendwann etwas passieren wird und deshalb habe er sich entschlossen das Heimatland zu verlassen (AS 121). Es habe auch nach dem Tod des Vaters, der zwei oder sechs Jahre vor der Flucht des Beschwerdeführers gewesen sei, keine weiteren Vorfälle gegeben (AS 121).

Auch diesbezüglich sind die Angaben des Beschwerdeführers vage und ausweichend. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer erst nach dem Erhalt von 800 Briefen über eine Flucht nachgedacht habe. Insbesondere kann nicht erkannt werden, dass es ein tatsächliches fluchtauslösendes Ereignis gegeben habe. Das Gericht geht daher davon aus, dass der Beschwerdeführer Afghanistan weder aus Angst vor Eingriffen in die körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr, sondern aus anderen Gründen verlassen hat.

2.2.7. Den beigezogenen Länderberichten ist zudem zu entnehmen, dass die Taliban das Schreiben von Drohbriefen nicht mehr verfolgen und die meisten Drohbriefe Fälschungen sind. Ein Taliban-Sprecher hat dazu angegeben, dass die Taliban keine Drohbriefe mehr versenden und dies nicht die Art der Taliban ist. Gefälschte Briefe werden auf dem Briefpapier des islamischen Emirats für USD 1.000 pro Stück verkauft. Ein Fälscher ging davon aus, dass aktuell nur 1% der Briefe ernsthafte Drohungen beinhalten würde (Beilage ./VI). Es ist daher auch unter Berücksichtigung der Länderberichte nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer 800 Drohbriefe erhalten haben soll. Es ist zudem unglaubhaft, dass jemand 800 Drohbriefe schreiben sollte.

Den Länderberichten ist zudem zu entnehmen, dass die Taliban ein vorgegebenes Verfahren bei Einschüchterungen verfolgen. Dieses sieht vor, dass die Person zunächst identifiziert wird, anschließend werden die Kontaktdaten ermittelt, die Person wird zumindest zweimal verwarnt. Wenn die Person greifbar ist, wird diese verhört und vor ein Gericht gestellt. Wenn diese Person nicht greifbar ist oder die Person sich weigert den Anordnungen der Taliban Folge zu leisten, dann wird diese auf eine schwarze Liste gesetzt. Anschließend wird eine günstige Gelegenheit abgewartet um zuzuschlagen (Beilage ./III, S. 15). Da die Regeln der Taliban eine zweimalige Verwarnung vorsehen bevor die Person auf die schwarze Liste gesetzt wird, ist nicht plausibel, dass die Taliban 800 Drohbriefe schreiben würden.

Es ist für das Gericht auch nicht plausibel, wie fremde Personen insgesamt 800 Briefe vor die Haustüre des Beschwerdeführers legen könne (AS 121), wenn dieser und seine Familie von 20 Bodyguards bewacht werden. Nach Angaben des Beschwerdeführers seien die Bodyguards jedoch Tag und Nacht da gewesen (AS 121).

Die Angaben des Beschwerdeführers zu den Drohbriefen sind nicht plausibel. Das Gericht geht davon aus, dass weder der Beschwerdeführer noch seine Familie jemals Drohbriefe von den Taliban, dem IS oder anderen Personen erhalten haben.

2.2.8. Aufgrund der derart vagen und unplausiblen Angaben des Beschwerdeführers, ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen glaubhaft zu machen, dass er oder seine Familie jemals in Afghanistan bedroht wurden.

Aufgrund der insgesamt nicht glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers konnte auch nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer konkret und individuell im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan Lebensgefahr oder ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch die Taliban, den IS oder durch andere Personen drohen würde.

2.2.9. Auch darüber hinaus vermochte der Beschwerdeführer eine individuelle und konkrete Betroffenheit von Verfolgung aufgrund seiner Eigenschaft als Tadschike und Sunnit nicht aufzuzeigen:

Der Beschwerdeführer brachte weder bei der Erstbefragung noch bei den Einvernahmen vor dem Bundesamt vor, dass er in Afghanistan Probleme aufgrund seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit gehabt habe. Lediglich in der mündlichen Verhandlung führte der Beschwerdeführer aus, dass ihm eine Verfolgung aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit zu den Tadschiken und wegen seiner Religionszugehörigkeit zu den Sunniten in Afghanistan drohe. Der Beschwerdeführer konnte jedoch keinen konkreten Vorfall nennen (OZ 16, S. 15).

Es ist den Länderberichten nicht zu entnehmen, dass Sunniten oder Tadschiken in Afghanistan einer (Gruppen)Verfolgung ausgesetzt wären. Zwischen 84,7 und 89,7% der afghanischen Bevölkerung sind Sunniten, sodass eine diesbezügliche Verfolgung auszuschließen ist. Den Länderberichten ist zu entnehmen, dass die Dari-sprachige Minderheit der Tadschiken die zweitgrößte in Afghanistan ist Tadschiken bilden die zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan. Sie machen etwa 30% der afghanischen Gesellschaft aus. Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan bilden Tadschiken in weiten Teilen Afghanistans ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten. In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit. Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (LIB 22.08.2018, S. 282). Es ergeben sich daher auch aus den Länderberichten keine Anhaltspunkte, wonach Tadschiken in Afghanistan aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit einer Verfolgung ausgesetzt seien.

2.2.10. Es ist auch nicht erkennbar, dass der Beschwerdeführer einen "westlichen Lebensstil" an den Tag legen würde. Aufgrund der Kürze seines Aufenthalts ist in Zusammenhang mit dem von ihm in der Beschwerdeverhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck nach Ansicht des Gerichts nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer eine westliche Lebenseinstellung in einer ihn in Afghanistan exponierenden Intensität übernommen hätte. Es ist auch nicht erkennbar, warum gerade der Beschwerdeführer gegenüber hunderttausend anderen Rückkehrern in eine derart exponierte Lage geraten soll, dass er auf Grund seines Lebensstils oder auf Grund seines Aufenthaltes in einem westlichen Land psychischer oder physischer Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt wäre.

Es ist den beigezogenen Länderberichten zu entnehmen, dass Rückkehrer aus Europa in besondere Form von Gewalt und Bedrohung betroffen wären, sodass auch eine generelle (Gruppen-)Verfolgung von Rückkehrern aus Europa nicht festgestellt werden konnte.

2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat und zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

Der Beschwerdeführer verwies auch auf das Stahlmann-Gutachten vom März 2018, welches im Auftrag des Verwaltungsgerichtes Wiesbaden erstellt wurde. Zunächst ist zu beachten, dass der pauschale Verweis des Beschwerdeführers auf das Gutachten von Friederike Stahlmann vom 28.03.2018, 7 K 1757/16.WI.A nicht geeignet ist, eine konkrete und individuell den Beschwerdeführer treffende Bedrohung bzw. eine Verfolgung aufzuzeigen.

Das Gutachten kommt zum Schluss, dass alleine aufgrund der Anwesenheit einer Person in Afghanistan die Gefahr eines ernsthaften Schadens hinsichtlich ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit bestünde. Das Gesamtniveau der Gewalt würde sich aus einer Kombination von Gewaltformen (Gefahr ausgehend von Aufständischen, staatlichen Akteuren oder privaten Akteuren) konstituieren, dass grundsätzlich landesweit drohen würde. Jedoch ist zu beachten, dass im gegenständlichen Gutachten eine subjektive Quellenauswahl und -interpretation vorgenommen wurde und von regionalen Einzelfällen Rückschlüsse auf die Situation in Afghanistan landesweit geschlossen werden. Die Gutachterin trifft insbesondere zur Sicherheitslage in Afghanistan teilweise nur sehr allgemein gehaltene Aussagen - die einer rechtlichen Beurteilung gleichkommen - und lässt dabei vor allem regionale Unterschiede zwischen den einzelnen Provinzen vollkommen außer Acht. Außerdem sind die Schlussfolgerungen der Gutachterin, dass eine Ansiedlung in Kabul ohne familiäre oder soziale Unterstützung nicht möglich ist, aufgrund der zugrundeliegenden Quellen zu allgemein gehalten, um daraus eine verallgemeinerungsfähige, über den Einzelfall hinausgehende Feststellung zu treffen. Es wird zwar seitens der Gutachterin eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür aufgezeigt, dass es für afghanische Rückkehrer schwer ist in Kabul eine Arbeit und eine Wohnung zu finden, sie liefert jedoch keinen Nachweis dafür, dass sich die beschriebenen Risiken bei einer bestimmten Anzahl von Rückkehrern tatsächlich realisiert haben und deswegen jeder Rückkehrer einer tatsächlichen Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt wäre. Das Gutachten nimmt auch keinen Bezug auf die konkrete Lage des Beschwerdeführers.

Den UNHCR-Richtlinien ist im Gegensatz zum Gutachten von Stahlmann, die eine Rückkehr nach Afghanistan allgemein ausschließt, zu entnehmen, dass eine Rückkehr für alleinstehende, junge, gesunde Männer ohne besondere Vulnerabilität in urbane u

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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