TE Bvwg Beschluss 2018/9/28 W192 2175093-2

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Veröffentlicht am 28.09.2018
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Entscheidungsdatum

28.09.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §32 Abs1 Z2

Spruch

W192 2175093-2/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ruso als Einzelrichter über den Antrag von XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Herbert POCHIESER, Schottenfeldgasse 2-4/23, 1070 Wien, auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.12.2017, W192 2175093-1/4E, rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens auf internationalen Schutz beschlossen:

A) Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der nunmehrige Antragsteller, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise am 15.04.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung am gleichen Tag durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer an, er habe den Herkunftsstaat verlassen, weil ihn seine Mutter aus Angst vor den Taliban von zu Hause weggeschickt habe. Die Taliban hätten vor ca. zweieinhalb Jahren den Vater des Beschwerdeführers getötet. Im Falle einer Rückkehr befürchte er von den Taliban getötet zu werden. Mit den Behörden des Herkunftsstaates habe er keine Probleme.

1.2. Am 14.10.2015 und am 05.05.2017 erfolgten niederschriftliche Einvernahmen des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA).

Als Fluchtgrund gab der Antragsteller zusammengefasst an, dass sein Vater Lehrer in der Schule und auch in der Moschee gewesen sei. Dieser sei durch Taliban erpresst und diskriminiert worden. Nach einer Übersiedlung der Familie des Beschwerdeführers vor acht Jahren in die Stadt Ghazni sei der Vater des Beschwerdeführers durch Taliban erpresst und dann entführt worden. Die Taliban hätten den Vater des Beschwerdeführers bedroht, damit er keine Mädchen unterrichten solle. Dies sei dem Beschwerdeführer durch seine Mutter mitgeteilt worden. Sie habe ihm gesagt, dass er als ältester Sohn das Land verlassen müsse, weil sie ihn nicht beschützen könne. Seit der Ausreise habe der Beschwerdeführer keinen Kontakt zu seiner Familie gehabt. Ein bekannter Dorfbewohner, den der Beschwerdeführer im Iran getroffen habe, habe ihm mitgeteilt, dass der Vater des Beschwerdeführers von den Taliban ermordet worden sei und ihm auch gesagt, dass er im Falle einer Rückkehr ebenfalls getötet werde.

1.3. Mit Bescheid vom 09.10.2017 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Weiters wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gegenüber dem Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Schließlich sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Die Behörde stellte fest, dass es nicht glaubhaft sei, dass der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat durch die Taliban bedroht sei und er Gefährdung und Verfolgung ausgesetzt wäre. Der Beschwerdeführer sei im arbeitsfähigen Alter, habe mehrere Jahre Schulbildung abgeschlossen und im Herkunftsstaat zwei Jahre als Automechaniker sowie im Iran zwei Monate in einer Autofabrik und zweieinhalb Jahre in einer Steinfabrik gearbeitet. Er verfüge in Afghanistan über umfangreiche familiäre Beziehungen, da dort seine Mutter, Geschwister sowie Bekannte und Verwandte leben. Es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nicht in eine Notlage gemäß Art. 2 bzw. Art. 3 EMRK gelangen würde.

Der Beschwerdeführer sei ledig und kinderlos und führe in Österreich keine Lebensgemeinschaft. Er befinde sich in Grundversorgung und habe einen Deutschkurs auf Niveau B1 absolviert. Er gehöre keinem Verein und keiner Organisation an und sei strafrechtlich unbescholten.

Die Angaben des Beschwerdeführers über eine bestehende Verfolgungsgefahr durch die Taliban seien nicht glaubhaft. Dazu sei zunächst im Hinblick auf die persönliche Glaubwürdigkeit festzuhalten, dass der Beschwerdeführer über sein Alter widersprüchliche Angaben gemacht habe. Er habe zunächst bei der Stellung eines Asylantrages in Ungarn ein Geburtsdatum angegeben, woraus sich seine Volljährigkeit ergebe, und im Gegensatz dazu bei der Erstbefragung in Österreich behauptet, minderjährig zu sein. Auch über seine Schulbildung habe er widersprüchliche Angaben getätigt. So habe er bei der Erstbefragung mehrfach angegeben, vier Jahre die Grundschule besucht zu haben, während er bei der Einvernahme am 05.05.2017 vorgebracht habe er hätte lediglich zwei Jahre die Grundschule besucht und keine weitere Schulbildung genossen.

Aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers ergebe sich insgesamt keine Bedrohung. Dieser habe angegeben, niemals Kontakt mit Taliban gehabt und lediglich von seiner Mutter erfahren zu haben, dass sein Vater von Taliban entführt worden wäre. Dass sein Vater getötet worden wäre, habe er nach seinen Angaben erst im Iran von einem Bekannten erfahren. Die Befürchtung, im Falle einer Rückkehr durch Taliban getötet zu werden, beruhe lediglich auf der angeblichen Aussage eines Bekannten, welchen der Beschwerdeführer im Iran getroffen habe.

Die Behörde gehe davon aus, dass der Beschwerdeführer aus rein wirtschaftlichen Motiven aus dem Herkunftsstaat gereist sei, was sich aus den Angaben des Beschwerdeführers über seine Fluchtroute ergebe.

Der Beschwerdeführer sei arbeitsfähig, verfüge über eine mehrjährige Schulausbildung als auch über umfangreiche Berufserfahrung. Es sei ihm zuzumuten, sich durch eigene Arbeitsleistung und mit der Unterstützung von Angehörigen im Herkunftsstaat den Lebensunterhalt zu sichern. Die Behörde ging - ohne nähere Begründung - davon aus, dass der Heimatort des Beschwerdeführers keinem überdurchschnittlichen Sicherheitsrisiko ausgesetzt sei. Es sei dem Beschwerdeführer eine Rückkehr dorthin sowie auch in die afghanische Hauptstadt Kabul zumutbar. Angesichts der aus den Länderfeststellungen ersichtlichen Sicherheitslage in Kabul und des persönlichen Hintergrundes des Beschwerdeführers sei keine hervorgehobene Gefährdung seiner Person ersichtlich. Es stehe dem Beschwerdeführer offen, sich der finanziellen Rückkehrhilfe gemäß § 52a BFA-VG zu bedienen und Unterstützung durch IOM in Anspruch zu nehmen. Kabul und Ghazni seien mit öffentlichen Verkehrsmitteln auch sicher erreichbar.

Angesichts der kurzen Dauer des Aufenthalts des Beschwerdeführers in Österreich, des Fehlens von familiären oder sonstigen familienähnlichen Bindungen und der bloßen Stützung des Aufenthaltes auf einen Asylantrag sei trotz erkennbarer Integrationsbemühungen eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer sowie seine Abschiebung in den Herkunftsstaat zulässig.

1.4. Gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer durch seine nunmehrige Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 24.10.2017 fristgerecht Beschwerde ein.

1.5. Die Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 09.10.2017 wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.12.2017 als unbegründet abgewiesen. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass der nunmehrige Antragsteller im Herkunftsstaat keiner individuellen gegen ihn gerichteten Verfolgung durch Taliban ausgesetzt war oder im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer solchen ausgesetzt wäre. Das Gericht schenkte den Angaben des Antragstellers bezüglich der von ihm geschilderten Verfolgungssituation mit näherer Begründung keinen Glauben. Auch ging das Bundesverwaltungsgericht nicht davon aus, dass der Antragsteller - wie von ihm vorgebracht wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara Verfolgung zu befürchten habe.

Eine Rückkehr des Antragstellers in seine Herkunftsprovinz wurde vom Bundesverwaltungsgericht für nicht möglich erachtet, weil ihm dort aufgrund der vorherrschenden Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde. Jedoch kam das Bundesverwaltungsgericht mit näherer Begründung zu dem Schluss, dass es dem Antragsteller möglich und zumutbar ist, sich stattdessen in der Hauptstadt Kabul niederzulassen.

Trotz gewisser Integrationsbemühungen erachtete das Bundesverwaltungsgericht die Bindung des nunmehrigen Antragstellers zu Afghanistan für deutlich intensiver als jene zu Österreich. Mit näherer Begründung wurde dargetan, dass eine Aufenthaltsbeendigung des Antragstellers keinen unzulässigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens darstellen würde.

1.6. Gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.12.2017 wurde Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben, deren Behandlung mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 26.02.2018, E 276/2018-7, abgelehnt wurde. Der Verwaltungsgerichtshof hat eine Revision gegen diese Erkenntnis mit Beschluss vom 29.05.2018, Ra 2018/20/0273-5 zurückgewiesen.

2.1. Mit Eingabe des bevollmächtigten Rechtsvertreters des Wiederaufnahmewerbers vom 17.09.2018 wurde der im Spruch genannte, auf § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG gestützte Antrag auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.12.2017 abgeschlossenen Verfahrens gestellt. Unter einem wurde mit näherer Begründung der Antrag gestellt, dem Wiederaufnahmeantrag die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Auch erfolgte der "Hinweis" des Antragstellers, dass der belangten Behörde Gelegenheit zu geben sei, nach § 68 Abs. 3 AVG vorzugehen.

Zur Begründung seines Antrages brachte der Wiederaufnahmewerber vor, es seien nach Abschluss des Verfahrens neue Tatsachen bzw. Beweismittel hervorgekommen, welche im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptteil des Spruchs anderslautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten.

Konkret wurde ausgeführt, das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes sei damit begründet worden, dass Kabul eine innerstaatliche Fluchtalternative darstelle. Aufgrund der Annahme, es liege eine innerstaatliche Fluchtalternative, nämlich in Kabul vor, sei dem Antragsteller sowohl die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten verweigert worden. Das Bundesverwaltungsgericht habe seine Entscheidung auf Länderberichte der Staatendokumentation gestützt.

Nunmehr sei der Antragsteller in den Besitz der "Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan" des UNHCR vom 30.08.2018 (im Folgenden: Richtlinien) gelangt, aus denen sich ergebe, dass Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative nicht in Betracht komme.

Aufgrund der bereits zum Entscheidungszeitpunkt bestehenden Sicherheitslage in Afghanistan, insbesondere in Kabul, aber erst in den UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 festgestellten realen Gefahr einer Verletzung der Rechte nach Art. 2 und Art. 3 EMRK hätte das Bundesverwaltungsgericht dem Antragsteller den Status des Asylberechtigten bzw. des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen müssen. Aus den neuen UNHCR-Richtlinien gehe eindeutig hervor, dass Kabul keine innerstaatliche Fluchtalternative darstelle. Die UNHCR-Richtlinien, von denen der Antragsteller im Verfahren ohne Verschulden nicht Gebrauch machen habe können, wären geeignet gewesen, in Verbindung mit den sonstigen Ergebnissen des Verfahrens eine stattgebende Entscheidung herbeizuführen.

Zur Rechtzeitigkeit wurde ausgeführt, dass der Antragsteller die Informationen zu den UNHCR-Richtlinien am 03.09.2018 per E-Mail erhalten habe, sodass die zweiwöchige Wiederaufnahmefrist gewahrt sei.

Abschließend wurde beantragt, die Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.12.2017, abgeschlossenen Verfahrens zu bewilligen und dem Antragsteller den Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005 zuzuerkennen, in eventu ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG 2005 zuzuerkennen, in eventu auszusprechen, dass ihm eine Aufenthaltsberechtigung nach § 55 AsylG 2005, nach § 56 AsylG 2005 oder nach § 57 AsylG 2005 zu erteilen ist, sowie festzustellen, dass seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet unzulässig ist.

Dem Wiederaufnahmeantrag wurden die Richtlinien vom 30.08.2018 (englische Fassung) beigelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung demnach dem jeweils nach der geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

1.2. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist. Fuchs hält in Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 32 VwGVG, Anm. 13, fest, dass der Systematik des VwGVG folgend anzunehmen ist, dass sämtliche Entscheidungen über Wiederaufnahmeanträge - als selbstständige Entscheidungen - in Beschlussform zu erfolgen haben.

Zu A) Abweisung des Wiederaufnahmeantrages:

2.1. § 32 VwGVG lautet wie folgt:

"Wiederaufnahme des Verfahrens

§ 32. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn

1. das Erkenntnis durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder

2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten, oder

3. das Erkenntnis von Vorfragen (§ 38 AVG) abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde oder

4. nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren des Verwaltungsgerichtes die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.

(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

..."

2.2. Voraussetzung für die Wiederaufnahme des Verfahrens ist, dass die das seinerzeitige Verfahren abschließende Entscheidung mit einem ordentlichen Rechtsmittel nicht mehr anfechtbar, also formell rechtskräftig ist. Die Zulässigkeit und auch die Erhebung von Rechtsmitteln bei den Höchstgerichten hindern, selbst wenn der Beschwerde oder der Revision aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, nicht den Eintritt der formellen Rechtskraft (VwGH 16.09.1980, 1079/79; 23.02.2012, 2010/07/0067; 28.02.2012, 2012/05/0026).

Entscheidungen eines Verwaltungsgerichtes werden mit ihrer Erlassung rechtskräftig. Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.12.2017 wurde mit seiner Zustellung am 13.12.2017 rechtskräftig.

2.3. Der Einschreiter stellte am 17.09.2018 den vorliegenden, auf § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG gestützten Antrag auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.12.2017 rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens.

Ausgehend von der (dem Akteninhalt nach nachvollziehbaren) Einlassung des Antragstellers, wonach sein rechtsfreundlicher Vertreter erst am 03.09.2017 von der Veröffentlichung der UNHCR-Richtlinien in der Fassung vom 30.08.2018 Kenntnis erlangt habe, ist die in § 32 Abs. 2 VwGVG geforderte Frist von zwei Wochen ab Kenntniserlangung des Wiederaufnahmegrundes erfüllt, weshalb der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens als rechtzeitig eingebracht anzusehen ist.

2.4. In der Regierungsvorlage zum Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013 (2009 der Beilagen, XXIV. GP) wurde festgehalten, dass die Bestimmungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im VwGVG weitgehend den Bestimmungen der §§ 69 bis 72 AVG mit den entsprechenden Anpassungen aufgrund der Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz entsprechen. Durch den Ausschluss der Anwendung des IV. Teiles des AVG ist das AVG in diesem Bereich für unanwendbar erklärt worden, wobei aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmung und ähnlichen Formulierung der Bestimmung des § 32 Abs. 1 bis 3 VwGVG mit § 69 AVG die bisher ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidungen sinngemäß anzuwenden sind bzw. die bisherigen Judikaturlinien zu § 69 AVG herangezogen werden können.

In diesem Sinne sprach der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 28.06.2016, Ra 2015/10/0136, aus, dass die Wiederaufnahmegründe des § 32 Abs. 1 VwGVG denjenigen des § 69 Abs. 1 AVG nachgebildet sind und daher auf das bisherige Verständnis dieser Wiederaufnahmegründe zurückgegriffen werden kann.

2.5. Der gegenständliche Antrag zielt darauf ab, das mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.12.2017 rechtskräftig abgeschlossene Verfahren aufgrund neuer Tatsachen bzw. Beweismittel iSd § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG wiederaufzunehmen.

Nach ständiger - auf § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG übertragbarer - Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 Z 2 AVG nur auf solche Tatsachen d.h. Geschehnisse im Seinsbereich (vgl. VwGH 15.12.1994, 93/09/0434; 04.09.2003, 2000/17/0024) oder Beweismittel, d.h. Mittel zur Herbeiführung eines Urteils über Tatsachen (vgl. VwGH 16.11.2004, 2000/17/0022; 24.04.2007, 2005/11/0127), gestützt werden, die erst nach Abschluss eines Verfahrens hervorgekommen sind und deshalb von der Partei ohne ihr Verschulden nicht geltend gemacht werden konnten.

Es muss sich also um Tatsachen und Beweismittel handeln, die beim Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens schon vorhanden waren, deren Verwertung der Partei aber ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich wurde ("nova reperta"), nicht aber um erst nach Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens neu entstandene Tatsachen und Beweismittel ("nova producta" bzw. "nova causa superveniens").

Neu entstandene Tatsachen, also Änderungen des Sachverhalts nach Abschluss des Verfahrens, erübrigen eine Wiederaufnahme des Verfahrens, weil in diesem Fall einem Antrag auf der Basis des geänderten Sachverhalts die Rechtskraft des bereits erlassenen Bescheides nicht entgegensteht. Bei Sachverhaltsänderungen, die nach der Entscheidung über einen Asylantrag eingetreten sind, ist kein Antrag auf Wiederaufnahme, sondern ein neuer Antrag (auf internationalen Schutz) zu stellen (vgl. dazu VwGH 19.02.1992, 90/12/0224 ua; 25.10.1994, 93/08/0123; 25.11.1994, 94/19/0145; 18.12.1996, 95/20/0672; 07.04.2000, 96/19/2240; 20.06.2001, 95/08/0036; 17.02.2006, 2006/18/0031).

Vorauszuschicken ist, dass dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.12.2017 u.a. das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 02.03.2017, die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 (deutsche Fassung) sowie die mediale Berichterstattung über die Sicherheitslage in Afghanistan zugrunde gelegt wurden.

Dem Antragsteller hat übersehen, dass die Tatsachen (z.B. über die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan und die bestehenden Risikoprofile), auf denen die am 30.08.2018 herausgegebenen UNHCR-Richtlinien basieren, erst nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes entstanden sind. Dies ergibt sich daraus, dass die Richtlinien - sofern nicht anders angegeben - auf den dem UNHCR am 31.05.2018 bekannten Informationen beruhen (vgl. FN 2 auf S. 5 der Richtlinien). Aus weiteren Belegen in den Fußnoten insbesondere zu Abschnitt II. der Richtlinien vom 30.08.2018, den die aktuelle Situation in Afghanistan darstellt, ist ersichtlich, dass die Richtlinien sich praktisch ausschließlich auf Quellen stützen, die erst 2018 und somit nach der Erlassung der Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.12.2017 entstanden sind.

Sie stützen sich daher auf Sachverhaltsänderungen, die erst nach der Entscheidung über den Asylantrag des Antragstellers entstanden sind. Sie sind daher neu entstandene Tatsachen und Beweismittel und damit nicht geeignet, eine Wiederaufnahme zu begründen.

2.6. Aus den dargelegten Erwägungen sind die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG nicht erfüllt, weshalb der gegenständliche Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens spruchgemäß abzuweisen ist. Aus denselben Gründen bleibt auch für eine amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens kein Raum.

3.1. Angesichts dieses Ergebnisses erübrigt sich ein gesonderter Abspruch über den unter einem gestellten Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

3.2. Zum "Hinweis" des Antragstellers im Wiederaufnahmeantrag, dass der belangten Behörde Gelegenheit zu geben sei, nach § 68 Abs. 3 AVG vorzugehen, wird der Vollständigkeit halber festgehalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes niemandem ein Rechtsanspruch auf Ausübung des der Behörde gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG eingeräumten Abänderungs- und Behebungsrechtes zusteht, weshalb eine Partei durch Ablehnung ihres darauf gerichteten Begehrens nicht in ihren Rechten verletzt sein kann (VwGH 22.02.2013, 2010/02/0272, mwN; 24.02.2015 Ra 2015/05/0004). Gleiches gilt für die amtswegige Verfügung der Wiederaufnahme eines Verfahrens (VwGH 21.09.2007, 2006/05/0273, mwN, dessen Ausführungen sich auf die insoweit gleichlautende Bestimmung des § 32 Abs. 3 VwGVG übertragen lassen).

Eine Verpflichtung des Bundesverwaltungsgerichtes, (anstelle des Antragstellers) bei der Behörde ein Vorgehen nach § 68 Abs. 3 AVG anzuregen, besteht im Lichte der dargestellten Rechtslage nicht.

3.3. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung

Da die Sachlage aufgrund der Aktenlage als erklärt erscheint, konnte eine mündliche Erörterung der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben. Im vorliegenden Fall liegen keine widersprechenden prozessrelevanten Behauptungen vor, die es erforderlich machen würden, dass sich das Gericht im Rahmen einer mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien verschafft. Vielmehr ist die hier zu beantwortende Frage, ob ein Wiederaufnahmegrund iSd § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG vorliegt, rechtlicher Natur. Ein Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde vom anwaltlich vertretenen Antragsteller auch nicht gestellt. Dem Entfall der Verhandlung stehen im Ergebnis weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegen (vgl. VwGH 07.08.2017, Ra 2016/08/0140).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die hier anzuwendenden Regelungen erweisen sich als klar und eindeutig (vgl. zur Unzulässigkeit der Revision bei eindeutiger Rechtslage trotz fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa VwGH 28.05.2014, Ro 2014/07/0053). Im Übrigen ergeht die vorliegende Entscheidung im Rahmen der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den maßgeblichen Bestimmungen des § 69 AVG bzw. § 32 VwGVG.

Schlagworte

Voraussetzungen, Wiederaufnahme, Wiederaufnahmeantrag,
Wiederaufnahmegrund

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W192.2175093.2.00

Zuletzt aktualisiert am

27.11.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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