TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/28 W179 2174170-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.09.2018
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Entscheidungsdatum

28.09.2018

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs4
AsylG 2005 §34 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch

W179 2174171-1/20E

W179 2174173-1/20E

W179 2174163-1/20E

W179 2174166-1/20E

W179 2174161-1/21E

W179 2174172-1/20E

W179 2174170-1/20E

W179 2174168-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. iur. Eduard Hartwig PAULUS als Einzelrichter über die Beschwerden 1.) der XXXX ,

2.) des XXXX , 3.) der XXXX , 4.) der XXXX , 5.) des XXXX , 6.) der XXXX , 7.) der XXXX , und 8.) des XXXX , alle StA. XXXX , die XXXX jeweils vertreten durch Mag. Christian HIRSCH, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Hauptplatz 28, gegen die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl XXXX 1.) XXXX , 2.) XXXX , 3.) XXXX , 4.) XXXX , 5.) XXXX , 6.) XXXX , 7.) XXXX , 8.) XXXX , ausgefertigten Bescheide, betreffend Anträge auf Internationalen Schutz, nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung am XXXX ,

SPRUCH

A) Zu Recht erkannt:

In Stattgabe der Beschwerden wird

1.) XXXX ,

2.) XXXX ,

3.) XXXX

4.) XXXX ,

5.) XXXX ,

6.) XXXX ,

7.) XXXX , und

8.) XXXX ,

jeweils der Status eines Asylberechtigten zuerkannt, sowie

festgestellt, dass jedem der acht Genannten kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Beschlossen:

Im Übrigen werden die Beschwerdeverfahren hinsichtlich der Spruchpunkte II., III. und IV. der angefochtenen Bescheide wegen Gegenstandslosigkeit eingestellt.

C) Revision:

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin ist XXXX und stellten alle nach illegaler Einreise in die Republik Österreich am XXXX einen Antrag auf Internationalen Schutz.

2. Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde jeweils die Anträge der Beschwerdeführer auf Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten und eines subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte ihnen nicht einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, sondern erließ vielmehr gegen jene eine Rückkehrentscheidung, stellte die Zulässigkeit ihrer Abschiebung (Spruchpunkt III.) fest und sprach aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).

3. Gegen diese Bescheide wenden sich die erhobenen Beschwerden in vollem Umfange wegen unrichtiger Sachverhaltsfeststellungen, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung; dies mit dem Begehren, den Beschwerdeführern die Flüchtlingseigenschaft zuzusprechen, allenfalls subsidiären Schutz zu gewähren, allenfalls die angefochtenen Bescheide aufzuheben und zur Ergänzung des Verfahrens an die belangte Behörde zurückzuverweisen, einen landeskundigen Sachverständigen zu beauftragen, der sich mit der aktuellen Situation in Afghanistan und den spezifischen von den Beschwerdeführern vorgebrachten Punkten befasst, eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen [sic!], allenfalls eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären, allenfalls einen Aufenthaltstitel aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen, und allenfalls festzustellen, dass die Abschiebung nach Afghanistan unzulässig ist.

4. Die belangte Behörde legt ihren Verwaltungsakt vor, erstattet keine Gegenschrift und verzichtet auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung ohne einen Antrag zu stellen.

5. Das Bundesverwaltungsgericht führt am XXXX eine erste Beschwerdeverhandlung ab, die aufgrund einer nicht einwandfrei sichergestellten Verständigung zwischen den Beschwerdeführern und dem Dolmetsch vertagt wird, und werden die Beschwerdesachen am XXXX erneut vor dem Bundesverwaltungsgericht verhandelt.

Einvernommen werden ausschließlich die Erstbeschwerdeführerin XXXX , der Zweitbeschwerdeführer XXXX und die Drittbeschwerdeführerin XXXX , auf die Einvernahme der anderen minderjährigen Beschwerdeführer wird mit Einverständnis des Rechtsvertreters in Hinblick auf das Kindeswohl und dem Vorliegen derselben Beschwerdegründe verzichtet. Weitere Beweisanträge werden nicht gestellt, der Erstbeschwerdeführerin ( XXXX ) jedoch aufgetragen, binnen zwei Wochen Beweismittel zu den von ihr eingenommenen Medikamente nachzureichen.

6. Die Erstbeschwerdeführerin legt daraufhin für ihre Person a) eine von einem Facharzt für Psychiatrie und Neurologie erstellte Diagnose über XXXX , und b) einen von einem klinischen Psychologen ausgestellten Befund mit XXXX vor, und erstattet eine Stellungnahme zu den von ihr eingenommenen XXXX .

7. Das Bundesverwaltungsgericht schickt diese nachgereichten Beweismittel sowie alle von den Beschwerdeführern in beiden Verhandlungen vorgelegten Unterlagen an die belangte Behörde zum rechtlichen Gehör binnen zwei Wochen, woraufhin sich diese verschweigt. Mit verfahrensleitendem Beschluss schließt das Bundesverwaltungsgericht das Ermittlungsverfahren.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

a) Zur Erstbeschwerdeführerin:

1. Die Erstbeschwerdeführerin heißt XXXX .

b) Zum Zweitbeschwerdefüher:

2. Der Zweitbeschwerdeführer heißt XXXX .

c) Zur Drittbeschwerdeführerin:

3. Die Drittbeschwerdeführerin heißt XXXX .

d) Zur Viertbeschwerdeführerin:

4. Die Viertschwerdeführerin heißt XXXX .

e) Zum Fünftbeschwerdeführer:

5. Der Fünftbeschwerdeführer heißt XXXX .

f) Zur Sechstbeschwerdeführerin:

6. Die Sechstbeschwerdeführerin heißt XXXX .

g) Zur Siebtbeschwerdeführerin:

7. Die Siebtbeschwerdeführerin heißt XXXX .

h) Zum Achtbeschwerdeführer:

8. Der Achtbeschwerdeführer heißt XXXX "

i) Zur Verfolgung der Beschwerdeführer:

9. Der XXXX und war Inhaber eines Autohandelsgeschäftes, während

XXXX betrieben, wobei sich die genannten drei Personen wechselseitig in den XXXX aushalfen und mitarbeiteten. Zudem betrieb der XXXX .

Das festgestellte Heimatdorf befindet sich XXXX .

XXXX .

Der besagte XXXX war einer der Dorfältesten und wurde dort zum Stammesführer bestimmt. Als solcher nahm er eine kontroversielle Haltung zu den Daesh ein, weil dieser auch Dorfbewohner töteten. Ein direktes Gespräch zwischen den Daesh und dem besagten XXXX kam nicht in Frage, weil dies gleichbedeutend mit Kampfhandlungen zwischen beiden Parteien (den Daesh und dem XXXX samt dessen Anhänger) gewesen wäre, sodass die Daesh das XXXX zunächst mehrfach aufsuchten und dem XXXX unter Gewaltandrohung ausrichten ließen, seine ablehnende Gesinnung gegenüber den Daesh aufzugeben.

Am Tag der Flucht der Beschwerdeführer drangen die Daesh gewaltsam in das Dorf ein, um des XXXX habhaft zu werden, und forderten dessen Herausgabe, was seine Brüder nicht zulassen wollten und ihm sagten, er solle jedenfalls im Hause bleiben. Daraufhin töteten die Daesh zuerst die zwei Brüder des genannten XXXX ), drangen in das Haus ein und nahmen gewaltsam XXXX mit, indem sie diese von den anderen Familienmitgliedern unter Gewaltanwendung wegzerrten. Seitdem fehlt jedwede Kunde von XXXX . Anwesend waren im Dorf zum Zeitpunkt des Angriffes alle Beschwerdeführer bis auf den XXXX war. Die Erstbeschwerdeführerin sah sowohl die erwähnten Leichname als auch wie die Daesh XXXX hinter sich zogen und gewaltsam mitnahmen, sodass sie in der Folge einen starken Druck im Kopf und im Herzen verspürte und bewusstlos zu Boden fiel. Der XXXX wurde von einem Nachbarn über den Überfall verständigt. Bei seinem Eintreffen fand er die Leichname der genannten Verwandten als auch seine am Boden liegende XXXX vor und wurde gewahr, dass XXXX zudem entführt worden waren. Noch am selben Tage fand das Begräbnis statt und machte sich die Familie auf die Flucht, wobei XXXX wurde, weil man davon ausging, dass dieses die Strapazen der Flucht nicht überleben könne, sowie blieben XXXX .

Bei keinem der Beschwerdeführer liegen Endigungs- oder Ausschlussgründe für den Status eines Asylberechtigten vor.

j) Feststellungen zum Herkunftsstaat/Drittstaat:

10. Es werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:

XXXX :

XXXX .

XXXX :

XXXX .

XXXX :

XXXX .

XXXX .

XXXX .

XXXX :

XXXX .

XXXX .

XXXX .

XXXX .

XXXX

XXXX .

XXXX

XXXX .

XXXX .

XXXX .

XXXX .

XXXX .

IS/ISIS/ISIL/ISKP/ISIL-K/Daesh - Islamischer Staat:

Seit dem Jahr 2014 hat die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) eine kleine Präsenz in Afghanistan etabliert (RAND 28.11.2016). Die Führer des IS nennen diese Provinz Wilayat Khorasan - in Anlehnung an die historische Region, die Teile des Irans, Zentralasien, Afghanistan und Pakistan beinhaltete (RAND 28.11.2016; vgl auch: MEI 5.2016). Anfangs wuchs der IS schnell (MEI 5.2016). Der IS trat im Jahr 2014 in zwei getrennten Regionen in Afghanistan auf: in den östlichsten Regionen Nangarhars, an der AfPak-Grenze und im Distrikt Kajaki in der Provinz Helmand (USIP 3.11.2016). Trotz Bemühungen, seine Macht und seinen Einfluss in der Region zu vergrößern, kontrolliert der IS nahezu kein Territorium außer kleineren Gegenden wie zB die Distrikte Deh Bala, Achin und Naziyan in der östlichen Provinz Nangarhar (RAND 28.11.2016; vgl auch: USIP 3.11.2016). Zwar kämpfte der IS hArt in Afghanistan, um Fuß zu fassen, die Gruppe wird von den Ansäßigen jedoch großteils als fremde Kraft gesehen (MEI 5.2016). Nur eine Handvoll Angriffe führte der IS in der Region durch. Es gelang ihm nicht, sich die Unterstützung der Ansäßigen zu sichern; auch hatte er mit schwacher Führung zu kämpfen (RAND 28.11.2016). Der IS hatte mit Verlusten zu kämpfen (MEI 5.2016). Unterstützt von internationalen Militärkräften führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch - dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

Auch wenn die Gruppierung weiterhin interne Streitigkeiten der Taliban ausnützt, um die Präsenz zu halten, ist sie mit einem harten Kampf konfrontiert, um permanenter Bestandteil komplexer afghanischer Stammes- und Militärstrukturen zu werden. Anhaltender Druck durch US-amerikanische Luftangriffe haben weiterhin die Möglichkeiten des IS in Afghanistan untergraben; auch wird der IS weiterhin davon abgehalten, seinen eigenen Bereich in Afghanistan einzunehmen (MEI 5.2016). Laut US-amerikanischem Außenministerium hat der IS keinen sicherheitsrelevanten Einfluss außerhalb von isolierten Provinzen in Ostafghanistan (SIGAR 30.10.2017).

Unterstützt von internationalen Militärkräften führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch - dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

Presseberichten zufolge betrachtet die afghanische Bevölkerung die Talibanpraktiken als moderat im Gegensatz zu den brutalen Praktiken des IS. Kämpfer der Taliban und des IS gerieten aufgrund politischer oder anderer Differenzen, aber auch aufgrund der Kontrolle von Territorium, aneinander (CRS 12.1.2017).

Blutrache:

Gemäß althergebrachter Verhaltens- und Ehrvorstellungen töten bei einer Blutfehde die Mitglieder einer Familie als Vergeltungsakte die Mitglieder einer anderen Familie. In Afghanistan sind Blutfehden in erster Linie eine Tradition der Paschtunen und im paschtunischen Gewohnheitsrechtssystem Paschtunwali verwurzelt, kommen jedoch Berichten zufolge auch unter anderen ethnischen Gruppen vor. Blutfehden können durch Morde ausgelöst werden, aber auch durch andere Taten wie die Zufügung dauerhafter, ernsthafter Verletzungen, Entführung oder Vergewaltigung verheirateter Frauen oder ungelöster Streitigkeiten um Land, Zugang zu Wasser oder Eigentum. Blutfehden können zu langanhaltenden Kreisläufen aus Gewalt und Vergeltung führen. Nach dem Paschtunwali muss die Rache sich grundsätzlich gegen den Täter selbst richten, unter bestimmten Umständen kann aber auch der Bruder des Täters oder ein anderer Verwandter, der aus der väterlichen Linie stammt, zum Ziel der Rache werden. Im Allgemeinen werden Berichten zufolge Racheakte nicht an Frauen und Kindern verübt. Wenn die Familie des Opfers nicht in der Lage ist, sich zu rächen, dann kann, wie aus Berichten hervorgeht, die Blutfehde erliegen, bis die Familie des Opfers sich für fähig hält, Racheakte auszuüben. Daher kann sich die Rache Jahre oder sogar Generationen nach dem eigentlichen Vergehen ereignen. Die Bestrafung des Täters im Rahmen des formalen Rechtssystems schließt gewaltsame Racheakte durch die Familie des Opfers nicht notwendigerweise aus. Sofern die Blutfehde nicht durch eine Einigung mit Hilfe traditioneller Streitbeilegungsmechanismen beendet wurde, kann Berichten zufolge davon ausgegangen werden, dass die Familie des Opfers auch dann noch Rache gegen den Täter verüben wird, wenn dieser seine offizielle Strafe bereits verbüßt hat.

Im Licht der oben beschriebenen Bedingungen ist davon auszugehen, dass je nach den Umständen des Einzelfalls für Personen, die in Blutfehden verwickelt sind, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aufgrund anderer relevanter Gründe bestehen kann. Bei Anträgen von in Blutfehden verwickelten Personen können sich jedoch mögliche Ausschlusserwägungen ergeben. Je nach den Umständen des Einzelfalls kann auch für Familienangehörige, Partner oder von an Blutfehden Beteiligten abhängige Personen ebenfalls aufgrund ihrer Verbindung mit der gefährdeten Person ein Bedarf an internationalem Schutz bestehen.

Frauen in Afghanistan:

Die Lage afghanischer Frauen hat sich in den letzten 15 Jahren zwar insgesamt ein wenig verbessert, jedoch nicht so sehr wie erhofft. Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Traditionell diskriminierende Praktiken gegen Frauen existieren insbesondere in ländlichen und abgelegenen Regionen weiter (AA 5.2018).

Bildung

Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.7.2014). Laut Verfassung haben alle afghanischen Staatsbürger/innen das Recht auf Bildung (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Öffentliche Kindergärten und Schulen sind bis zur Hochschulebene kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten sind kostenpflichtig. Aufgeschlossene und gebildete Afghanen, welche die finanziellen Mittel haben, schicken ihre Familien ins Ausland, damit sie dort leben und eine Ausbildung genießen können (z.B. in die Türkei); während die Familienväter oftmals in Afghanistan zurückbleiben (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Berufstätigkeit

Berufstätige Frauen sind oft Ziel von sexueller Belästigung durch ihre männlichen Kollegen. Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit (AA 5.2018). Aus einer Umfrage der Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 geht hervor, dass die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen außerhalb des Hauses unter den Hazara 82,5% beträgt und am höchsten ist. Es folgen die Usbeken (77,2%), die Tadschiken (75,5%) und die Paschtunen (63,4%). In der zentralen Region bzw. Hazarajat tragen 52,6% der Frauen zum Haushaltseinkommen bei, während es im Südwesten nur 12% sind. Insgesamt sind 72,4% der befragten Afghanen und Afghaninnen der Meinung, dass Frauen außerhalb ihres Hauses arbeiten sollen (AF 11.2017). Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig erhöht und betrug im Jahr 2016 19%. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UNW o. D.).

Die Einstellung gegenüber der Berufstätigkeit von Frauen hat sich in Afghanistan in den letzten Jahren geändert; dies hängt auch mit den NGOs und den privaten Firmen zusammen, die in Afghanistan aktiv sind. Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. Davor war der Widerstand gegen arbeitende Frauen groß und wurde damit begründet, dass ein Arbeitsplatz ein schlechtes Umfeld für Frauen darstelle, etc. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent und afghanische Frauen sehen sich immer noch Hindernissen ausgesetzt, wenn es um Arbeit außerhalb ihres Heimes geht. Im ländlichen Afghanistan gehen viele Frauen, aus Furcht vor sozialer Ächtung, keiner Arbeit außerhalb des Hauses nach (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Das Gesetz sieht zwar die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf vor, jedoch beinhaltet es keine egalitären Zahlungsvorschriften bei gleicher Arbeit. Das Gesetz kriminalisiert Eingriffe in das Recht auf Arbeit der Frauen; dennoch werden diese beim Zugang zu Beschäftigung und Anstellungsbedingungen diskriminiert (USDOS 20.4.2018).

Politische Partizipation und Öffentlichkeit

Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor. Dennoch sehen sich Frauen, die in Regierungspositionen und in der Politik aktiv sind, weiterhin mit Bedrohungen und Gewalt konfrontiert und sind Ziele von Angriffen der Taliban und anderer aufständischer Gruppen. Traditionelle gesellschaftliche Praktiken schränken die Teilnahme der Frauen am politischen Geschehen und Aktivitäten außerhalb des Hauses und der Gemeinschaft weiterhin ein. Der Bedarf einer männlichen Begleitung bzw. einer Arbeitserlaubnis ist weiterhin gängig. Diese Faktoren sowie ein Mangel an Bildung und Arbeitserfahrung haben wahrscheinlich zu einer männlich dominierten Zusammensetzung der Zentralregierung beigetragen (USDOS 20.4.2018).

Strafverfolgung und rechtliche Unterstützung

Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte (AA 5.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich (AA 5.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit (AA 9.2016).

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 5.2018). Andere Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können, erhalten in einigen Fällen Unterstützung vom Ministerium für Frauenangelegenheiten und Nichtregierungsinstitutionen, indem Ehen für diese arrangiert werden (USDOS 20.4.2018). Eine erhöhte Sensibilisierung seitens der afghanischen Polizei und Justiz führt zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung von auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen hatte positive Auswirkungen (AA 9.2016). Um Frauen und Kindern, die Opfer von häuslicher Gewalt wurden, beizustehen, hat das Innenministerium (MoI) landesweit Family Response Units (FRU) eingerichtet. Die FRU sind mit Fachleuten wie Psychologen und Sozialarbeitern besetzt, welche die Opfer befragen und aufklären und ihre physische sowie psychische medizinische Behandlung nachverfolgen. Im Jahr 2017 existierten 208 FRU im Land (USDOD 12.2017).

EVAW-Gesetz

Das Law on Elimination of Violence against Women (EVAW-Gesetz) wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen - inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt (AA 5.2018). Das EVAW-Gesetz ist nach wie vor in seiner Form als eigenständiges Gesetz gültig (Pajhwok 11.11.2017; vgl. UNN 22.2.2018); und bietet rechtlichen Schutz für Frauen (UNAMA 22.2.2018).

Das EVAW-Gesetz definiert fünf schwere Straftaten gegen Frauen:

Vergewaltigung, Zwangsprostitution, die Bekanntgabe der Identität eines Opfers, Verbrennung oder Verwendung von chemischen Substanzen und erzwungene Selbstverbrennung oder erzwungener Selbstmord. Dem EVAW-Gesetz zufolge muss der Staat genannte Verbrechen untersuchen und verfolgen, auch, wenn die Frau die Beschwerde nicht einreichen kann bzw. diese zurückzieht. Dieselben Taten werden auch im neuen afghanischen Strafgesetzbuch kriminalisiert (UNAMA/OHCHR 5.2018). Das EVAW-Gesetz wird jedoch weiterhin nur unzureichend umgesetzt. Frauen können sich grundsätzlich, abgesehen von großen Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif nicht ohne einen männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen. Es gelten strenge soziale Anforderungen an ihr äußeres Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, deren Einhaltung sie jedoch nicht zuverlässig vor sexueller Belästigung schützt (AA 5.2018).

Frauenhäuser

Nichtregierungsorganisation in Afghanistan betreiben etwa 40 Frauenhäuser, zu denen auch Rechtsschutzbüros und andere Einrichtungen für Frauen, die vor Gewalt fliehen, zählen. Alle Einrichtungen sind auf Spenden internationaler Gruppen angewiesen - diese Einrichtungen werden zwar im Einklang mit dem afghanischen Gesetz betrieben, stehen aber im Widerspruch zur patriarchalen Kultur in Afghanistan. Oftmals versuchen Väter ihre Töchter aus den Frauenhäusern zu holen und sie in Beziehungen zurückzudrängen, aus denen sie geflohen sind, oder Ehen mit älteren Männern oder den Vergewaltigern zu arrangieren (NYT 17.3.2018). Die EVAW-Institutionen und andere Einrichtungen, die Gewaltmeldungen annehmen und für die Schlichtung zuständig sind, bringen die Gewaltopfer während des Verfahrens oft in Schutzhäuser (z. B. Frauenhäuser) (UNAMA/OHCHR 5.2018).

Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung oder Zwangsehe sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft für die Notlage (mit-)verantwortlich ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre (AA 5.2018). Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen in Wahrheit Prostituierte (AA 5.2018; vgl. NYT 17.3.2018). Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden. Das Schicksal von Frauen, die auf Dauer weder zu ihren Familien noch zu ihren Ehemännern zurückkehren können, ist bisher ohne Perspektive. Für diese erste "Generation" von Frauen, die sich seit Ende der Taliban-Herrschaft in den Schutzeinrichtungen eingefunden haben, hat man in Afghanistan bisher keine Lösung gefunden. Generell ist in Afghanistan das Prinzip eines individuellen Lebens weitgehend unbekannt. Auch unverheiratete Erwachsene leben in der Regel im Familienverband. Für Frauen ist ein alleinstehendes Leben außerhalb des Familienverbandes kaum möglich und wird gemeinhin als unvorstellbar oder gänzlich unbekannt beschrieben (AA 5.2018). Die EVAW-Institutionen konsultieren in der Regel die Familie und das Opfer, bevor sie es in ein Frauenhaus bringen (UNAMA/OHCHR 5.2018).

Gewalt gegen Frauen: Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet und kaum dokumentiert. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzung und Misshandlung über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigung und Mord (AA 5.2018). Zu geschlechtsspezifischer und sexueller Gewalt zählen außerdem noch die Praxis der badal-Hochzeiten (Frauen und Mädchen, die im Rahmen von Heiratsabmachungen zwischen Familien getauscht werden, Anm.) bzw. des ba'ad (Mädchen, die zur Konfliktlösung abgegeben werden, Anm.) (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TD 4.12.2017). Dem Bericht der AIHRC zufolge wurden für das Jahr 2017 4.340 Fälle von Gewalt gegen Frauen registriert. Die Anzahl der gemeldeten Gewaltvorfälle und der Gewaltopfer steigt (AIHRC 11.3.2018).

Legales Heiratsalter

Das Zivilgesetz Afghanistans definiert für Mädchen 16 Jahre (15 Jahre, wenn dies von einem Elternteil bzw. einem Vormund und dem Gericht erlaubt wird) und für Burschen 18 Jahre als das legale Mindestalter für Vermählungen (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 5.2018). Dem Gesetz zufolge muss vor dem Ehevertrag das Alter der Braut festgestellt werden. Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung besitzt Geburtsurkunden. Quellen zufolge ist die frühe Heirat weiterhin verbreitet. Gemäß dem EVAW-Gesetz werden Personen, die Zwangsehen bzw. Frühverheiratung arrangieren, für mindestens zwei Jahre inhaftiert; dennoch hält sich die Umsetzung dieses Gesetzes in Grenzen (USDOS 20.4.2018). Im Rahmen von Traditionen geben arme Familien ihre Mädchen im Gegenzug für "Brautgeld" zur Heirat frei, wenngleich diese Praxis in Afghanistan illegal ist. Lokalen NGOs zufolge, werden manche Mädchen im Alter von sechs oder sieben Jahren zur Heirat versprochen - unter der Voraussetzung, die Ehe würde bis zum Erreichen der Pubertät nicht stattfinden. Berichte deuten an, dass diese "Aufschiebung" eher selten eingehalten wird. Medienberichten zufolge existiert auch das sogenannte "Opium-Braut-Phänomen", dabei verheiraten Bauern ihre Töchter, um Schulden bei Drogenschmugglern zu begleichen (USDOS 3.3.2017).

Ehrenmorde

Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (BFA Staatendokumentation 3.7.2014) und kommen auch weiterhin vor (USDOS 3.3.2017). Laut AIHRC waren von 277 Mordfällen an Frauen im Jahr 2017 136 Eherenmorde (AIHRC 11.3.2018; vgl. Tolonews 11.3.2018).

Afghanische Expert/innen sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden. Der Grund dafür ist das Misstrauen eines Großteils der afghanischen Bevölkerung in das juristische System (KP 23.3.2016).

Reisefreiheit

Es existieren gewisse Sicherheitsbedenken, wenn Frauen alleine reisen: Manchmal ist es der Vater, der seiner Tochter nicht erlaubt alleine zu reisen und manchmal ist es die Frau selbst, die nicht alleine reisen will. In vielen Firmen, öffentlichen Institutionen sowie NGOs ist die Meinung verbreitet, dass Frauen nicht alleine in die Distrikte reisen sollten und es daher besser sei einen Mann anzustellen. Doch hat sich die Situation wesentlich verbessert. So kann nach eigener Aussage eine NGO-Vertreterin selbst in unsichere Gegenden reisen, solange sie sich dabei an die örtlichen Gegebenheiten hält, also lokale Kleidungsvorschriften einhält (z. B. tragen einer Burqa) und sie die lokale Sprache kennt (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Während früherer Regierungen (vor den Taliban) war das Tragen des Chador bzw. des Hijab nicht verpflichtend - eine Frau konnte auch ohne sie außer Haus gehen, ohne dabei mit negativen Konsequenzen rechnen zu müssen. In der Stadt Mazar-e Sharif wird das Tragen des Hijab heute nicht so streng gehandhabt, wie in den umliegenden Gegenden. Andere Provinzen sind bei diesem Thema viel strenger. In Mazar-e Sharif könnte es in Einzelfällen sogar möglich sein, ganz auf den Hijab zu verzichten, ohne behelligt zu werden. Garantie besteht darauf natürlich keine (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Frauen in Afghanistan ist es zwar nicht verboten Auto zu fahren, dennoch tun dies nur wenige. In unzähligen afghanischen Städten und Dörfern, werden Frauen hinter dem Steuer angefeindet etwa von Gemeindevorständen, Talibansympathisanten oder gar Familienmitgliedern. Viele Eltern unterstützen zwar grundsätzlich die Idee ihren Töchtern das Autofahren zu erlauben, haben jedoch Angst vor öffentlichen Repressalien. Die Hauptstadt Kabul ist landesweit einer der wenigen Orte, wo autofahrende Frauen zu sehen sind. In Kabul sowie in den Städten Mazar-e Sharif, Herat und Jalalabad gibt es einige Fahrschulen; in Kabul sogar mehr als 20 Stück. An ihnen sind sowohl Frauen als auch Männer eingeschrieben. In Kandahar zum Beispiel sind Frauen generell nur selten alleine außer Haus zu sehen - noch seltener als Lenkerin eines Fahrzeugs. Jene, die dennoch fahren, haben verschiedene Strategien um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Manche tragen dabei einen Niqab, um unerkannt zu bleiben (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afghanistan nicht üblich (AA 5.2018).

2. Beweiswürdigung:

Das Bundesverwaltungsgericht hat zur Bestimmung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts Einsicht genommen in die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakten sowie die darin enthaltenen Unterlagen - insbesondere in die angefochtenen Bescheide, die dagegen erhobenen Beschwerden und die dem Gericht vorgelegten Beweismittel - und hat eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchgeführt.

Dass die Beschwerdeführer einen XXXX sprechen, ergibt sich aus der ersten Beschwerdeverhandlung, in der der damalige Dolmetsch, welcher nur die "Hochsprache XXXX " spricht, bei einzelnen Begriffen immer wieder Verständigungsproblemen hatte und von sich aus zugab, dass es bei der Semantik einzelner Wörter jedenfalls so große Missverständnisse gibt, dass eine seriöse im Detail richtige Übersetzung nicht sichergestellt ist. Die Angaben der Beschwerdeführer in der ersten Beschwerdeverhandlung werden deshalb nicht gewürdigt und explizit dieser Entscheidung nicht zugrunde gelegt, wohingegen die in dieser vorgelegten Beweismitteln sehr wohl zur Beurteilung der erhobenen Beschwerden herangezogen werden, können deren Inhalte doch keinem Übersetzungsfehler unterliegen. Zumal alle in beiden Tagsatzungen vorgelegten Beweismittel der belangten Behörde zum rechtlichen Gehör übermittelt wurden, diese sich jedoch zu diesen verschwiegen hat.

Wie festgestellt gehören der besagte Vater, alle Beschwerdeführer und die väterlichen Verwandten dem XXXX an, woraus sich der Nachname ableitet. Da die Beschwerdeführer (siehe unten) insgesamt äußerst glaubwürdig waren, zudem für die älteren Familienmitglieder Tazkiras vorlegten, wenngleich das Bundesverwaltungsgericht deren geringen Beweiswert nicht verkennt, hatte das Gericht keinen Grund die konsistent angegebenen Vornamen in Zweifel zu ziehen und konnten diese somit festgestellt werden.

XXXX , und deckt sich mit der eigenen Wahrnehmung des Gerichtes, war die Genannte doch während der Beschwerdeverhandlung völlig aufgelöst, verzweifelt, mitgenommen, wirkte jedenfalls immer wieder "neben sich stehend" und ist erkennbar auf die Hilfe ihres XXXX angewiesen. Die XXXX erschien vor dem Bundesverwaltungsgericht ungeschminkt und in dunkler Hose sowie dunklem langärmlichen Shirt oder Pullover, betrachtet seit der Entführung XXXX (nun auch in Österreich im Zeitpunkt der Beschwerdeverhandlung) ihren XXXX , als neues Familienoberhaupt, und nimmt nach überzeugender Ansicht des Gerichtes keinesfalls die ihr nun in Österreich zukommenden Grundrechte und Freiheiten selbst wahr, wenngleich sie sich deren Ausübung durch ihre Kinder "nicht in den Weg stellt".

Die Angaben zum Verbleib XXXX beruhen auf dessen glaubwürdigen Angaben in der Beschwerdeverhandlung, zumal sich diese über alle Akten widerspruchsfrei "wiederholen". Die Feststellungen zum Ehestand des Beschwerdeführers erschließen sich aus den widerspruchsfreien Angaben der XXXX in der polizeilichen als auch behördlichen Einvernahme, und beruht die Feststellung zum Alter beider "Eheleute" im Zeitpunkt der Eheschließung ebenso auf deren übereinstimmenden konsistenten Angaben, weil durchgängig beide "Eheleute" in den behördlichen Einvernahmen zum damaligen Zeitpunkt als 17 Jahre jung und widerspruchsfrei angegeben wurde, die Eheschließung habe vor ca zwei Jahren stattgefunden, was auch mit dem für den Zweitbeschwerdeführer festgestellten Geburtsdatum in Deckung zu bringen ist. Vor dem Hintergrund, dass in den bereits früher erfolgten polizeilichen Einvernahmen das Alter der Eheleute ebenso bereits mit 17 Jahren angegeben wurde, waren beide unter Wahrunterstellung der Angaben, dass die Hochzeitsfeier 2 Jahre zurückliegt, im Zeitpunkt Eheschließung maximal jeweils 15 Jahre jung.

Dass XXXX das Familienmanagement notwendigerweise übernommen hat, ergibt sich nicht nur aus den vorgelegten Unterlagen, sondern insbesondere auch aufgrund der eigenen Wahrnehmung des erkennenden Gerichtes.

Die medizinischen Feststellungen zum Achtbeschwerdeführer beruhen auf den vorgelegten Unterlagen, zu denen sich die belangte Behörde verschwiegen hat.

Die Feststellungen, dass die XXXX die ihr in Österreich zukommenden neuen Freiheiten und Grundrechte wahrnimmt, beruhen nicht nur auf ihrem äußeren Erscheinungsbild und Äußerungen in der Beschwerdeverhandlung, sondern ist das Gericht insbesondere davon überzeugt, dass diese Ausübung der ihr neu zukommenden Rechte (durfte sie doch in der Heimat ausschließlich XXXX im Haushalt helfen) einem dementsprechenden inneren Willensentschluss der XXXX zugrunde liegt.

Die XXXX in der hiergerichtlichen Beschwerdeverhandlung einvernommenen Beschwerdeführer XXXX waren bei ihren Angaben sehr authentisch und glaubwürdig, ihre Antworten erfolgten immer ohne Zeitverzögerung und ohne Nachdenkpausen und waren diese keinesfalls ad hoc konstruiert, vielmehr wurden diese oft mimische und gestisch (unbewusst) verdeutlicht. Besonders glaubwürdig war die XXXX ua in der Beschreibung des gewaltsamen "Hinfortzerrens" XXXX , war sie hierbei mimische und emotional von größter Verzweiflung, Weinkrämpfen und Trauer geprägt, und für das Gericht durchaus erkennbar, dass die Beschwerdeführerin (wie auch fachärztlich bestätigt) bis heute traumatisiert ist. Ersteres trifft auch auf den XXXX zu, dessen anhaltende absolute Verzweiflung nicht nur klar wahrnehmbar und keinesfalls "gespielt", sondern dessen Beschreibung seiner Wahrnehmung der vorgefundenen Leichen, am Boden liegenden XXXX und der Entführung seines XXXX dermaßen von anhaltenden Weinkrämpfen und insbesondere "emotionaler Überforderung" gekennzeichnet war, dass es für das Gericht an der Glaubwürdigkeit seiner Angaben keinen Grund zu zweifeln gibt, zumal die hiergerichtliche Beschwerdeverhandlung an diesem Punkte unterbrochen werden musste, um dem XXXX zu ermöglichen, sich wieder physisch und psychisch "zu beruhigen". In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die belangte Behörde ihre Einvernahme des XXXX ebenso für 15 Minuten unterbrechen musste.

Kurzum, die Angaben der XXXX zu den Fluchtgründen waren absolut authentisch und glaubwürdig, sowie deckten sich diese im Wesentlichen konsistent mit den bisherigen Angaben, auch mit denen der XXXX .

Durchgängig stimmig sind auch die Angaben, dass das Eindringen der Daesh in das Heimatdorf dem besagten XXXX galt und primär dessen Haus angegriffen wurde. Soweit die belangte Behörde in der Einvernahme XXXX fragte: "War das ein Angriff des Daesh auf Ihr Dorf?", und damit die Antwort bereits vorwegnahm, worauf diese antwortet: "Ja. Mein XXXX war auch Kommandant und die haben das Dorf angegriffen.", die Behörde sodann diese vorweggenommene Antwort XXXX in seiner Einvernahme (Aktenseite 58) wiederum in einer die Antwort vorwegnehmenden und zumindest diesmal unzulässigen Art vorhält:

"Ihre XXXX hat gesagt, dass es sich um einen Angriff auf ihr Dorf gehandelt hat und nicht um eine gezielte Suche nach ihrem XXXX ?", wobei erstere die gezielte Suche nach dem XXXX so nicht verneint hatte, und der XXXX dann antwortetet: "Es stimmt, es wurde an diesem Tag im ganzen Dorf gekämpft, die wollten aber meinen XXXX .", kann darin kein Widerspruch erblickt werden, der die glaubwürdigen und für das Gericht wahrnehmbaren emotional äußert betroffenen Angaben der Beschwerdeführer nachhaltig erschütterten. Dies zum einen wegen der Art der Fragestellung, zumal die XXXX eine gezielte Suche nach dem XXXX als Ursache des Angriffes nicht verneint hatte, zum anderen wurde jedenfalls im Dorf gekämpft und hierbei die XXXX .

Die Feststellungen zu Afghanistan beruhen auf Auszügen aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom XXXX , wie gemeinsam mit den Ladungen für die am XXXX abgeführte Beschwerdeverhandlung an die Parteien mitausgesandt. Soweit das Länderinformationsblatt zwischenzeitig aktualisiert wurde, weicht dieses nicht so maßgeblich von der dieser Entscheidung zugrundeliegenden Version ab, dass dies zu einer anderweitigen rechtlichen Beurteilung, wie vorgenommen, führte.

Dass bei einem der Beschwerdeführer Endigungs- oder Ausschlussgründe für den Status eines Asylberechtigten iSd § 6 AsylG sowie Art 1 Abschnitt C und F der GFK vorliegen würden, ist weder aktenkundig noch haben sich dazu im hg Ermittlungsverfahren Hinweise ergeben.

3. Rechtliche Beurteilung:

1. Die Beschwerdeverfahren der XXXX sind ausweislich § 34 Abs 4 u Abs 5 iVm § 2 Abs 1 Z 22 AsylG als Familienverfahren zu führen.

2. Der XXXX ist im Zeitpunkt dieser Entscheidung bereits volljährig, sodass er nur dann Familienangehöriger seiner XXXX als Asylwerberin im Sinne des § 2 Abs 1 Z 22 AsylG sein kann, wenn er zum Zeitpunkt der Antragstellung ein minderjähriges lediges Kind war. Seine Minderjährigkeit zum besagten Zeitpunkt ist, wie dargestellt, zweifelsfrei gegeben, allerdings ist sein damaliger ehelicher Status hinsichtlich der bereits damals bestehenden Verehelichung vor dem Hintergrund des IPRG zu prüfen:

2.1. Ob es sich bei einer im Ausland geschlossenen Ehe um eine gültige Ehe handelt, ist nach ausländischem Recht bzw der Anwendungspraxis der ausländischen Behörden zu beurteilen. Es ist nicht auf die Anwendungspraxis der österreichischen Behörden abzustellen (vgl VwGH 27.06.2017, Ra 2016/18/0277).

2.2. Gemäß § 3 IPRG ist maßgebliches fremdes Recht von Amts wegen und wie in seinem ursprünglichen Geltungsbereich anzuwenden, wobei es in erster Linie auf die dort von der Rechtsprechung geprägte Anwendungspraxis ankommt (vgl OGH RIS-Justiz, RS0113594). Nach § 4 Abs 1 IPRG ist das fremde Recht und die Anwendungspraxis dazu (OGH RIS-Justiz RS0113594 (T2), siehe auch OGH RIS-Justiz RS0109415) von Amts wegen zu ermitteln. Nach dem IPRG sind die Form einer Eheschließung im Ausland, die Voraussetzungen der Eheschließung sowie die der Ehenichtigkeit und der Aufhebung und die persönlichen Rechtswirkungen der Ehe nach dem Personalstatut jedes der Verlobten, sofern sich auf Grund von Rück- und Weiterverweisung kein anderer Anknüpfungspunkt ergibt (vgl dazu § 5 IPRG), zu beurteilen (vgl im Näheren insbesondere die §§ 9, 16 ff IPRG). (Vgl VwGH 27.06.2017, Ra 2016/18/0277)

2.3. Das Personalstatut XXXX und seiner "Gattin" ist nach § 9 IPRG jeweils das Recht des afghanischen Staates und hier in Verbindung mit den §§ 16 Abs 2 und 17 Abs 1 IPRG das maßgebliche Recht zur Beurteilung der Gültigkeit der Eheschließung. Wie zum legalen Heiratsalter festgestellt, definiert das Zivilgesetz Afghanistans für Burschen das Alter von 18 Jahren als legales Mindestalter für Vermählungen, für Mädchen hingegen 16 Jahre (bei Zustimmung eines Elternteiles und additionaler Erlaubnis des Gerichtes ist bei Mädchen auch ein Mindestalter von 15 Jahren erlaubt).

Da der Zweitbeschwerdeführer somit, wie er selbst zugibt, im Zeitpunkt seiner Eheschließung keinesfalls 18 Jahre alt war, ist er nach afghanischen Recht nicht rechtsgültig in den Stand der Ehe eingetreten, sodass er schon deshalb im Zeitpunkt seiner Antragstellung auf internationalen Schutz ein minderjähriges - lediges - Kind im Sinne des § 2 Abs 1 Z 22 AsylG war.

2.4. Doch auch im Falle einer in Afghanistan rechtsgültig geschlossenen Ehe, was wie gezeigt nicht der Fall ist, wäre nach § 6 IPRG (ordre public) eine Bestimmung des fremden Rechts nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führte, welches mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar ist. An ihrer Stelle wäre erforderlichenfalls die entsprechende Bestimmung des österreichischen Rechts anzuwenden.

Von dieser Ausnahme ist sparsamster Gebrauch zu machen, keinesfalls ist ein Abweichen von zwingenden österreichischen Vorschriften bereits ein "ordre public"-Verstoß. Schutzobjekt sind primär die "Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung" und nicht subjektive Rechtspositionen von Inländern (Hinweis E vom 30. Jänner 2007, 2004/18/0374). Auch der OGH hat in seiner Entscheidung vom 28. Februar 2011, 9 Ob 34/10f, unter Hinweis auf Judikatur und Lehre ausgesprochen, dass Gegenstand der Verletzung vielmehr Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung sein müsste. Dabei spielten einerseits Verfassungsgrundsätze eine tragende Rolle wie das Recht auf persönliche Freiheit, Gleichberechtigung, das Verbot abstammungsmäßiger rassischer und konfessioneller Diskriminierung; außerhalb der verfassungsrechtlich geschützten Grundwertungen zählten etwa das Verbot der Kinderehe, des Ehezwangs, der Schutz des Kindeswohls im Kindschaftsrecht oder das Verbot der Ausbeutung zu den geschützten Grundwertungen. Die zweite wesentliche Voraussetzung für das Eingreifen der Vorbehaltsklausel sei, dass das Ergebnis der Anwendung fremden Sachrechts und nicht bloß dieses selbst anstößig sei und überdies eine ausreichende Inlandsbeziehung bestehe. (Vgl VwGH 19.09.2017, Ra 2016/20/0068).

Diese Rechtsmeinung zur Freiheit der Eheschließung und Kinderehe vor dem Hintergrund des § 6 IPRG teilt auch der VfGH in seinen Entscheidungen vom 14.12.2011, B 13/11, und vom 11.10.2012, B 99/12 ua.

2.4.1. Wie dargestellt gibt der Beschwerdeführer selbst an, dass die zu beurteilende Ehe von seinen Eltern organisiert wurde. Dies alleine vermittelt noch keine Zwangsehe, sondern ist vielmehr zu prüfen, inwieweit die beiden "Eheleute" (und deren Eltern) dieser rechtswirksam ohne Verletzung des ordre public zustimmen konnten, ist also das Faktum der organisierten Ehe vor dem Hintergrund des jugendlichen Alters derselben zu gewichten, waren doch beide erst, wie festgestellt, damals 15 Jahre jung.

2.4.2. In Österreich bedarf es zur Ehefähigkeit sowohl der Geschäftsfähigkeit der verlobten Personen, als auch deren Ehemündigkeit im Sinne des § 1 Ehegesetz (EheG). Grundsätzlich sind in Österreich ausweislich § 1 Abs 1 EheG Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, ehemündig. Jedoch kann in Österreich das Gericht eine Person, die das 16. Lebensjahr vollendet hat, nach § 1 Abs 2 EheG auf ihren Antrag hin für ehemündig erklären, wenn der künftige Ehegatte bereits volljährig ist und jene bereits für die Ehe reif erscheint.

Es kann dahingestellt bleiben, ob bereits ein so schwerwiegender Verstoß der Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung vorliegt, wenn keiner der Ehegatten bereits das 18. Lebensjahr vollendet hat, weil der österreichische Gesetzgeber im genannten § 1 Abs 2 EheG jedenfalls die Vollendung des 16. Lebensjahres als Untergrenze (!), bei der ein Gericht die Ehemündigkeit auf Antrag erklären kann, eingezogen hat. Da beide Ehegatten im Zeitpunkt der Eheschließung 15 Jahre waren und diesfalls erschwerend hinzutritt, dass die Ehe von den Eltern organisiert worden war, liegt (auch!) im Sinne der österreichischen Rechtsordnung jedenfalls eine Kinderehe sowie eine Zwangsverheiratung und somit auf dem Boden der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ein so schwerwiegender Verstoß gegen die "Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung" vor, dass keine rechtsgültige Eheschließung des XXXX mit seiner "Ehegattin" im Sinne des § 6 IPRG (ordre public) vorliegen würde. Zur zutreffend selben Ansicht gelangt auch Martina Melcher, (Un-)Wirksamkeit von Kinderehen in Österreich - Kollisionsrechtliche Beurteilung und ordre public, EF-Z 2018/3, 103, wenn sie ebenso einen Verstoß gegen den ordre public definiert, sobald einer der Eheleute jünger als 16 Jahre ist.

Der Zweitbeschwerdeführer wäre somit auch bei nach afghanischem Rcht rechtsgültig geschlossener Ehe, welche wie festgestellt nicht vorliegt, im Sinne des § 2 Abs 1 Z 22 AsylG ledig.

2.5. Der Zweitbeschwerdeführer war daher auf jedem Fall im Zeitpunkt seiner Antragstellung auf Internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs 1 Z 22 AsylG ledig und ist deshalb sein Beschwerdeverfahren ausweislich § 34 AsylG im Familienverfahren mit den anderen hier entschiedenen Beschwerdeverfahren zu führen.

3. Die Beschwerden wurden rechtzeitig erhoben und sind zulässig.

3.1. Zu Spruchpunkt A) Erkenntnis:

4. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht der Beschwerdeführer, in ihrem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, begründet ist:

a) Die Drittbeschwerdeführerin:

5.1. Aus nachstehenden Gründen besteht für die Drittbeschwerdeführerin eine objektiv nachvollziehbare Verfolgungsgefahr:

Die Drittbeschwerdeführerin übt, wie dargestellt, die ihr in Österreich neu zukommenden Freiheiten und Grundrechte aus, wohingegen sie zuvor auf dem mütterlichen Haushalt beschränkt war. Deshalb kann nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass sie in Afghanistan zukünftig aufgrund ihres "westlichen Lebensstils" Opfer von Übergriffen und Einschränkungen wird. Denn für sie tritt - wie sich aus den Feststellungen ergibt - zum generellen, alle afghanische Frauen treffenden Risiko, Opfer einer Vergewaltigung oder eines sonstigen Übergriffs bzw Verbrechens zu werden, die spezifische Gefahr hinzu, bei einem nonkonformen Verhalten (dh bei Verstößen gegen gesellschaftliche Normen wie beispielsweise Bekleidungsvorschriften) Übergriffen ausgesetzt zu sein (vgl auch EGMR, Case N. gegen Schweden, 20.7.2010, Application Nr. 23505/09, wonach Frauen in Afghanistan einem besonderen Risiko von Misshandlung ausgesetzt sind, wenn sie als sich nicht konform ihrer durch die Gesellschaft, Tradition und das Rechtssystem vorgeschriebenen geschlechtsspezifischen Rolle benehmend wahrgenommen werden).

Damit fällt die Drittbeschwerdeführerin in eine weitere von UNHCR angeführte Risikogruppe (vgl zB nur dessen Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfes afghanischer Asylsuchender, vom 19. April 2016, Seite 72 ff, denen zumindest Indizwirkung zukommt und sich die Einschätzung durch die neuen Richtlinien vom 30.08.2018 in diesem Punkte, Seite 76 ff nicht entscheidungswesentlich geändert hat), wonach Frauen, die als gesellschaftliche Normen überschreitend wahrgenommen werden, weiterhin nicht nur sozialer Stigmatisierung und grundsätzlicher Diskriminierung, sondern auch Sicherheitsrisiken ausgesetzt sind.

Zwar sind diese Umstände keine Eingriffe von "offizieller" Seite, das heißt, sie sind von der gegenwärtigen afghanischen Regierung nicht angeordnet. Andererseits ist es der Zentralregierung nicht möglich, für die umfassende Gewährleistung grundlegender Rechte und Freiheiten hinsichtlich der Bevölkerungsgruppe der afghanischen Frauen Sorge zu tragen. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt auch von privaten Personen oder Gruppierungen ausgehender Verfolgung asylrechtliche Relevanz zu, wenn der Staat nicht in der Lage oder nicht gewillt ist, Schutz zu gewähren. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind staatliche Akteure häufig nicht in der Lage - oder aufgrund konservativer Wertvorstellungen nicht gewillt -, Frauenrechte zu schützen.

Somit würde die Drittbeschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan wegen der "westlichen" selbstbestimmten Lebensweise Verfolgung aufgrund einer ihr unterstellten politischen Gesinnung drohen (vgl dazu etwa VwGH, 28.05.2014, Ra 2014/20/0017, wonach "Asyl zu gewähren ist, wenn der von [der Beschwerdeführerin] vorgebrachte "westliche Lebensstil" in Afghanistan einer zu den herrschenden politischen und/oder religiösen Normen eingenommene oppositionellen Einstellung gleichgesetzt wird und ihr deshalb Verfolgung [...] droht").

5.2. Eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht für die Drittbeschwerdeführerin nicht, weil das besagte Sicherheitsrisiko für Frauen im gesamten Staatsgebiet Afghanistans zu erwarten ist.

5.3. Da auch keiner der in § 6 AsylG sowie in Art 1 Abschnitt C und F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt, war der Drittbeschwerdeführerin gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status einer Asylberechtigten zuzuerkennen und diese Entscheidung nach § 3 Abs 5 AsylG 2005 mit der Feststellung zu verbinden, dass jener damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

b) Zu den anderen Beschwerdeführern:

6. Der Erstbeschwerdeführerin, dem Zweitbeschwerdeführer sowie dem Viert- bis Achtbeschwerdeführern sind aufgrund der Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten an die Drittbeschwerdeführerin ausweislich § 34 iVm § 2 Abs 1 Z 22 iVm § 3 Abs 1 AsylG gleichermaßen Asyl zuzuerkennen und ist dies wiederum mit einer Feststellung nach § 3 Abs 5 AsylG zu verbinden, zumal auch in deren Personen keine Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegen.

Zumal nicht verkannt werden darf, dass gerade der im Familienverfahren geführte Familienverband auf Grund dessen, dass es sich hiebei um XXXX minderjährige Kinder, davon XXXX minderjährige Mädchen, mit einer festgestellter Maßen traumatisierten XXXX (was für sich genommen noch kein IFA-Ausschlussgrund wäre) und XXXX in seinen unteren Extremitäten beeinträchtigten XXXX handelt, besonders vulnerable, und die gesamte Familie auf den gerade erst volljährigen XXXX als alleiniger "Manager" der Familie angewiesen ist.

c) Zum XXXX im Besonderen:

7.1. Wie dargestellt war der XXXX im Zeitpunkt des Angriffes im Tal in seinem Geschäft und nicht zu Hause. Es muss jedoch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass ihm als erstgeborenen und ältesten Sohn XXXX jedenfalls auch eine den Ansichten der Daesh zuwiderlaufende politische Gesinnung, ebenso wie dem XXXX , unterstellt worden und er somit im Zeitpunkt des gewaltsamen Vorgehens der Daesh wie die meisten seiner engsten männlichen erwachsenen Verwandten aller Voraussicht nach getötet oder entführt worden wäre, was ihm im Falle einer Rückkehr in sein Heimatdorf aus diesem Grunde höchstwahrscheinlich drohen würde.

7.2. Zudem ist er inzwischen älter und sogar nach österreichischem Recht volljährig geworden, sodass in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht auszuschließen ist, dass ihm im Falle einer Rückkehr Verfolgung dadurch drohen könnte, dass die Entführer XXXX und (jedenfalls) Mörder der besagten XXXX nun ihrerseits von ihm als erstgeborenen erwachsenen Sohn "Blutrache-Handlungen" erwarten und versuchen könnten, diesen zuvorzukommen, indem sie dem XXXX Gewalt antun (vgl VwGH vom 7.10.2008, Zl 2006/19/0706, oder 15.12.2010 zu Zl 2007/19/0265).

7.3. Zumal der afghanische Staat wie ausgeführt nicht in der Lage, die Beschwerdeführer vor Verfolgungshandlungen Privater effektiv zu schützen, sodass diesfalls eine dem Staat zuzurechnende (drohende) Verfolgungshandlung vor.

7.4. Deshalb ist dem Zweitbeschwerdeführer auch aus eigenen in seiner Person liegenden Gründen nach § 3 Abs 1 AsylG der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, zumal keine Asylausschlussgründe gegeben sind. Da sein Beschwerdeverfahren nach § 34 AsylG gemeinsam mit den anderen Beschwerdeverfahren im Familienverfahren zu führen ist, ist er in diesem Regelungszusammenhang kein junger alleinstehender erwerbsfähiger Mann, dem eine IFA in Afghanistan zB in Herat zukäme. (Zudem sind XXXX als besonders vulnerabler Familienverband auf seine Hilfe, wie dargestellt, auch in Österreich angewiesen.)

8. Somit sind im Ergebnis den Beschwerdeführern nach § 3 Abs 1 iVm § 34 Abs 2, 4 u 5 iVm § 2 Abs 1 Z 22 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr 100/2005 idF BGBl I Nr 24/2016, jeweils der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, und ausweislich § 3 Abs 5 AsylG 2005,

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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