TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/2 W228 2178248-1

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Veröffentlicht am 02.10.2018
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Entscheidungsdatum

02.10.2018

Norm

B-VG Art.133 Abs4
VOG §1
VOG §4
VOG §6a

Spruch

W228 2178248-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald WÖGERBAUER als Vorsitzenden und den Richter Mag. Reinhard SEITZ sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde des mj. XXXX, gesetzlich vertreten durch seine MutterXXXX, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien vom 13.10.2017, GZ: XXXX, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der minderjährige XXXX (im Folgenden: Beschwerdeführerin), vertreten durch seine Mutter XXXX, diese zu jenem Zeitpunkt wiederum vertreten durch XXXX Rechtsanwälte, stellte am 20.04.2017 beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, (im Folgenden: belangte Behörde) einen Antrag auf Gewährung von Hilfeleistungen nach dem österreichischen Verbrechensopfergesetz (VOG) in Form einer Pauschalentschädigung für Schmerzengeld in der Höhe von € 4.000,00 und den Ersatz der Kosten für den Hubschraubertransport in der Höhe von € 6.460,35. Der Antrag wurde damit begründet, dass der Beschwerdeführer im Zuge eines Rodelausflugs mit seinen Eltern am Semmering am 21.01.2017 von einer Frau auf einer Holzrodel erfasst und mehrere Meter weit weggeschleudert worden sei. Da sich die Unfallverursacherin vom Unfallort entfernt habe, habe nicht einmal der Name der Unfallverursacherin in Erfahrung gebracht werden können. Der Beschwerdeführer habe durch den Aufprall einen Bruch des rechten Oberschenkels erlitten, und habe mit dem Hubschrauber in das LKH Graz gebracht werden müssen. Er habe aufgrund der Schwere der Verletzung operiert werden müssen. Das Ermittlungsverfahren gegen die unbekannte Täterin sei nach § 197 StPO abgebrochen worden. Zusammenfassend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer durch den von der unbekannten Täterin verursachten Zusammenstoß eine schwere Körperverletzung erlitten habe. Die unbekannte Täterin habe eine vorsätzliche und rechtswidrige Straftat begangen, indem sie ungebremst in den Zielbereich der Rodelbahn gerast sei. Es könne nicht von einem bloß fahrlässigen Verhalten der unbekannten Täterin ausgegangen werden. Der Beschwerdeführer habe sohin Anspruch auf eine Pauschalentschädigung für Schmerzengeld nach §§ 2 Z 10 iVm 6a Abs. 1 VOG. Darüber hinaus seien den Eltern des Beschwerdeführers aufgrund des Hubschraubertransports Kosten in der Höhe von €

6.460,35 entstanden und sei der durch die unbekannte Täterin verursachte Unfall kausal für diese Kosten.

Mit Schreiben der belangten Behörde vom 24.05.2017 an die damalige rechtsfreundliche Vertretung des Beschwerdeführers wurde die Sach- und Rechtslage erörtert. Die belangte Behörde hat darüber informiert, dass davon auszugehen sei, dass es sich bei der Kollision am 21.01.2017 um einen - von keinem Beteiligten beabsichtigten - Rodelunfall gehandelt habe und keine vorsätzliche Körperverletzung vorliege. Das Ansuchen um Hilfeleistungen nach dem VOG werde daher abgewiesen werden. Es wurde die Möglichkeit gegeben, innerhalb von zwei Wochen zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen.

Mit Schreiben vom 07.06.2017 hat die Mutter des Beschwerdeführers als gesetzliche Vertretung eine Stellungnahme abgegeben. Darin wurde ausgeführt, dass sie die Frau sofort gesehen habe, wie sie die 200 Meter lange Piste hinuntergefahren sei und mit voller Wucht ins Fangnetz geprallt sei. Nach einer Abfahrt mit der Rodel hätten der Beschwerdeführer und sein Vater unten am Rand der Piste im Zielbereich gewartet. Der Beschwerdeführer sei von der Frau erfasst und in die Luft geschleudert worden. Sie sei mit voller Wucht, geradeaus, ohne zu bremsen und ohne einen Laut von sich zu geben mit ihrem ganzen Körper und dem Bob in den Beschwerdeführer hineingefahren. Hierbei könne es sich um keinen Unfall handeln. Die Frau habe nichts unternommen, obwohl sie gesehen habe, dass sie in eine Menschenmenge rase. Nachdem die Täterin den Beschwerdeführer überfahren habe, habe sie der Mutter des Beschwerdeführers ins Gesicht gelacht und kein Wort des Bedauerns gesagt und sei noch einmal die Piste hinuntergefahren. Der Beschwerdeführer habe schwerste Verletzungen erlitten und habe noch immer mit den Folgen der Tat zu kämpfen. Das Ansuchen um Hilfeleistungen nach dem VOG sei daher zu genehmigen.

Am 16.06.2017 gab die Mutter des Beschwerdeführers als gesetzliche Vertretung telefonisch ergänzend zu ihren Ausführungen in der Stellungnahme vom 07.06.2017 zusammengefasst an, dass das Gesamtverhalten der Täterin, insbesondere das neuerliche Abfahren trotz eines eben verursachten Unfalls, darauf schließen lasse, dass der Täterin die Kollisionsgefahr völlig bewusst gewesen sei, aber sie trotzdem auf der dicht befahrenen - noch dazu nur für Kinder vorgesehenen - Piste ohne Bremsbereitschaft (oder Kenntnis der Bremstechniken) abgefahren sei.

Die belangte Behörde hat mit Schreiben an die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt vom 23.06.2017 zur nochmaligen Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen nach § 1 Abs. 1 VOG um eine ausführliche Begründung gebeten, warum es sich nach Ansicht der Staatsanwaltschaft bei dem Vorfall vom 21.01.2017 um eine fahrlässige Körperverletzung handle. Weiters wurde gebeten zu prüfen, ob es sich um eine vorsätzliche Straftat nach § 84 Abs. 4 StGB handeln könnte.

Am 14.08.2017 langte bei der belangten Behörde eine Mitteilung der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt ein, in welcher ausgeführt wurde, dass das Verfahren gegen unbekannte Täter gemäß § 197 Abs. 2 StPO abgebrochen bleibt. Ein Verletzungsvorsatz sei nicht indiziert.

Die belangte Behörde hat mit Bescheid vom 13.10.2017, GZ: XXXX, den Antrag des Beschwerdeführers vom 20.04.2017 auf Gewährung einer Pauschalentschädigung für Schmerzengeld und Heilfürsorge gemäß § 1 Abs. 1 und 6, § 4 Abs. 1 und § 6a VOG abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass im vorliegenden Fall festgestellt werden habe können, dass der Beschwerdeführer durch eine unbekannte Rodelfahrerin am Körper schwer verletzt worden sei. Es würden jedoch keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es der unbekannten Rodelfahrerin auf eine Kollision mit dem Beschwerdeführer angekommen wäre. Es sei davon auszugehen, dass es sich bei der Kollision am 21.01.2017 um einen - von keinem Beteiligten beabsichtigten - Rodelunfall gehandelt habe. Es könne nicht von einer vorsätzlichen Handlung ausgegangen werden. Im gegenständlichen Fall könnte der unbekannten Täterin allenfalls ein grob fahrlässiges Verhalten unterstellt werden. Auch das Strafverfahren sei aufgrund des Vergehens der fahrlässigen und nicht der vorsätzlichen Körperverletzung geführt worden. Da ein Verletzungsvorsatz im Sinne des StGB nicht angenommen werden könne und da auch keine sonstigen Anhaltspunkte für die Annahme einer anspruchsbegründenden Straftat im Sinne de s§ 1 Abs. 1 VOG gegeben seien, müsse der Antrag auf Pauschalentschädigung für Schmerzengeld und Heilfürsorge abgewiesen werden.

Gegen diesen Bescheid hat die Mutter des Beschwerdeführers als gesetzliche Vertretung mit Schriftsatz vom 22.11.2017 fristgerecht Beschwerde erhoben. Begründend führte sie aus, dass sie die Frau sofort gesehen habe, wie sie die 200 Meter lange Piste, die voll von Kindern gewesen sei, hinuntergefahren sei und mit voller Wucht ins Fangnetz geprallt sei. Schon da sei jedem erwachsenen Menschen klar gewesen, dass sie gefährlich sei und sei ihr die Gefahr auch bewusst gewesen. Nach einer Abfahrt mit der Rodel hätten der Beschwerdeführer und sein Vater unten am Rand der Piste im Zielbereich gewartet. Der Beschwerdeführer sei von der Frau erfasst und in die Luft geschleudert worden. Sie sei mit voller Wucht, geradeaus, ohne zu bremsen und ohne einen Laut von sich zu geben mit ihrem ganzen Körper und dem Bob in den Beschwerdeführer hineingefahren. Sie habe gewusst, dass sie in eine Menschenmenge rase und habe eine Körperverletzung absichtlich in Kauf genommen. Danach habe sie gelacht und sei noch einmal mit gleicher Wucht abgefahren. Nachdem die Täterin den Beschwerdeführer überfahren habe, habe sie gelacht, kein Wort des Bedauerns gesagt und sei sie nicht einmal ein bisschen schockiert gewesen. So könne nur ein Mensch reagieren, dem die Folgen seiner Tat mehr als bewusst gewesen seien. Folgende Fakten würden zudem für einen Vorsatz der Täterin sprechen: Die Frau sei bereits als der Beschwerdeführer mit seiner Familie angekommen sei zweimal unkontrolliert die Piste hinuntergerast ohne Rücksicht auf andere zu nehmen. Sie habe gewusst, dass viele Kinder da seien und Verletzungsgefahr bestehe. Sie sei geradeaus in den Beschwerdeführer hineingefahren ohne zu bremsen und ohne einen Laut von sich zu geben. Sie habe absichtlich die Beine in die Luft gehalten um noch schneller sein zu können. Sie habe keine Reue gezeigt. Nachdem sie den Beschwerdeführer überfahren habe, sei sie erneut die Piste hinunter gefahren gleich wie vorher. Abschließend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer schwerste Verletzungen erlitten habe und er immer noch mit den Folgen der Tat kämpfen müsse. Es sei ihm daher Pauschalentschädigung für Schmerzengeld zuzusprechen.

Die Beschwerde wurde gemäß § 15 Abs. 2 letzter Satz VwGVG unter Anschluss der Akten des Verfahrens am 30.11.2017 dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Seitens des Bundesverwaltungsgerichts wurde für den 26.06.2018 eine mündliche Verhandlung anberaumt.

Am 18.05.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht ein Schreiben der gesetzlichen Vertretung des Beschwerdeführers ein, in welchem sie ausführte, dass sie am 26.06.2018 aufgrund eines gebuchten Urlaubs verhindert sei.

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Schreiben vom 04.06.2018 der gesetzlichen Vertretung des Beschwerdeführers ein Parteiengehör gewährt, in welchem die Unterschiede in den Schilderungen im Schreiben vom 07.06.2017 und in der Beschwerde vom 22.11.2017 hervorgehoben wurden und wurde ihr aufgetragen, auszuführen, welche Sachverhaltsversion nunmehr die Richtige sei, wie es zu den Ergänzungen gekommen sei und wieso sie sich an die ergänzenden Details erinnern könne.

Am 20.06.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine mit 18.06.2018 datierte Stellungnahme der gesetzlichen Vertretung des Beschwerdeführers ein. Darin wurde ausgeführt, dass es sich nicht um zwei unterschiedliche Sachverhaltsschilderungen handle, sondern die zweite Sachverhaltsschilderung detaillierter beschrieben sei. Die erste und die zweite Aussage seien identisch; in der zweiten seien lediglich mehrere Details enthalten. Auf die Frage, wie sie sich an all diese Details erinnern könne, führte sie aus, dass sie ein gutes Gedächtnis habe und außerdem vergesse man es nicht, wenn man zusehen müsse, wie sein Kind verletzt werde. Sie könne sich gut daran erinnern, dass ihr die Frau ins Gesicht gelacht habe ohne einen Funken normaler menschlicher Reaktion zu zeigen, die jeder Mensch zeigen würde, wäre es tatsächlich ein Unfall gewesen. An der Reaktion der Frau habe man sehen können, dass sie weder überrascht noch erschrocken oder verängstigt gewesen sei; sie habe keinerlei Reue gezeigt, sondern sei einfach noch einmal mit der Rodel abgefahren, so als ob nichts passiert wäre.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Am 21.01.2017 war der Beschwerdeführer gemeinsam mit seinen Eltern und seinem Zwillingsbruder auf einer Rodelwiese am Semmering (Panhans-Wiese) rodeln. Nachdem sie zweimal die Wiese hinuntergerodelt sind, hielten sich der Beschwerdeführer und sein Vater stehend im Zielbereich der Wiese auf und warteten auf die Mutter und den Bruder des Beschwerdeführers, als plötzliche eine Frau mit einer Holzrodel den Beschwerdeführer in voller Fahrt erfasste. Sie fuhr ohne zu bremsen in den Zielbereich der Rodelwiese ein. Aufgrund der Wucht des Aufpralls wurde der Beschwerdeführer etwa zehn Meter weit durch die Luft und schließlich gegen eine andere bereits zum Stillstand gekommene Rodel geschleudert. Er erlitt einen dislozierten Oberschenkelbruch und musste mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus geflogen werden, wo die Oberschenkelfraktur operativ behandelt wurde.

Es ist sohin festzustellen, dass der Beschwerdeführer am 21.01.2017 durch eine unbekannte Rodelfahrerin eine schwere Körperverletzung erlitt.

Bei der Rodelwiese am Semmering (Panhans-Wiese), auf der der Unfall passierte, handelt es sich um eine für jeden frei zugängliche Rodelwiese, welche einmal täglich präpariert wird. Es gibt keine Einschränkung, wer die Rodelwiese benützen darf.

Von der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt wurde ein Verfahren gegen die unbekannte Täterin wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung eingeleitet und am 15.03.2017 gemäß § 197 StPO eingestellt.

Es konnte das Vorliegen einer vorsätzlichen Handlung gegen den Beschwerdeführer nicht mit Wahrscheinlichkeit festgestellt werden.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellung betreffend die Einstellung des Strafverfahrens ergibt sich aus der Mitteilung der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt.

Die Feststellung betreffend die Verletzung des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem vorliegenden ärztlichen Entlassungsbrief des Landeskrankenhaus Universitätsklinikum Graz vom 23.01.2017.

Die Feststellung betreffend den Unfallhergang beruht auf den diesbezüglichen Ausführungen des Vaters des Beschwerdeführers im Zuge seiner Zeugenvernehmung vor der Landespolizeidirektion Steiermark am 11.02.2017, aus dem Abschlussbericht an die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt vom 04.03.2017 sowie aus den Ausführungen der Mutter des Beschwerdeführers im Verfahren vor der belangten Behörde und vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Die Feststellung, wonach die unbekannte Rodelfahrerin auf einer Holzrodel fuhr, ergibt sich aus den Ausführungen des Vaters des Beschwerdeführers im Zuge seiner Zeugenvernehmung vor der Landespolizeidirektion Steiermark am 11.02.2017 sowie aus den Ausführungen im Antrag auf Gewährung von Hilfeleistungen nach dem VOG vom 20.04.2017. Erst später, nämlich im Schreiben der Mutter des Beschwerdeführers vom 07.06.2017, wurde erstmals ausgeführt, dass die Rodelfahrerin auf einem Bob gefahren sei und kann diesen Ausführungen daher nicht gefolgt werden.

Den Ausführungen der Mutter des Beschwerdeführers, wonach die Rodelwiese nur für Kinder vorgesehen sei, kann nicht gefolgt werden, zumal laut Auskunft des Betreibers (Gemeinde Semmering) vom 23.06.2017 diese Rodelwiese für jeden frei zugänglich ist.

Dem Vorbringen der Mutter des Beschwerdeführers, wonach es sich um keine fahrlässige, sondern um eine vorsätzliche Handlung der unbekannten Rodelfahrerin gehandelt habe, kann nicht gefolgt werden; dies aus folgenden Erwägungen:

Die Mutter des Beschwerdeführers hat sowohl in ihrer Stellungnahme vom 07.06.2017 als auch in der Beschwerde vom 22.11.2017 den Unfallhergang beschrieben. Dabei ist festzuhalten, dass die Schilderungen trotz des zunehmenden Zeitabstandes zum Tag des Unfalls in der Beschwerde detaillierter wurden und wurden einzelne Wörter durch andere, welche dem Gesagten offenbar mehr Nachdruck verleihen sollten, ersetzt. So schrieb sie in der Stellungnahme vom 07.06.2017: "[...] Die Frau habe ich sofort gesehen, wie sie die 200 Meter Piste hinuntergefahren ist und mit voller Wucht ins Fangnetz gefahren ist [...]". In der Beschwerde schrieb sie: "[...] Die Frau habe ich sofort gesehen, als wir gekommen sind, wie sie die 200 Meter Piste, die voll von Kindern war, hinuntergefahren ist und mit voller Wucht ins Fangnetz geprallt ist [...]". Die neue Wortwahl passierte offensichtlich beeinflussend durch die Mutter des Beschwerdeführers, da über diese Änderungen hinaus diese Passagen wortident sind.

Die Passage "[...] Schon da war jedem Erwachsenen, verantwortungsvollen, normalen Menschen klar, dass sie gefährlich ist und ihre Gefahr war auch ihr genau bewusst. Also ist schon da der Fakt bestätigt, dass sie wusste und auch eine Kollision wollte bzw. sie es auf das abgesehen hat und es in Kauf genommen hat. [...]" hat die Mutter des Beschwerdeführers erstmals in der Beschwerde vorgebracht.

Da die Erinnerung aber mit zunehmenden Zeitabstand nachlässt und es sich bei den eben zitierten Änderungen um Vorfälle vor dem Zusammenstoß handelt, ist nicht erkennbar, dass es eine sachliche Grundlage für die Ergänzungen durch die Mutter des Beschwerdeführers gibt, da das einschneidende Erlebnis und die Aufmerksamkeitssteigerung der Mutter erst später passierten.

In einer Gesamtschau ist festzuhalten, dass das Vorliegen eines Vorsatzdelikts aus der Aktenlage nicht wahrscheinlich ist. In diesem Zusammenhang ist beweiswürdigend auch festzuhalten, dass die belangte Behörde mit Schreiben an die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt vom 23.06.2017 um eine Begründung gebeten hat, warum es sich nach Ansicht der Staatsanwaltschaft bei dem Vorfall vom 21.01.2017 um eine fahrlässige Körperverletzung handle. Weiters wurde gebeten zu prüfen, ob es sich um eine vorsätzliche Straftat nach § 84 Abs. 4 StGB handeln könnte. In einer Mitteilung der Staatsanwaltschaft wurde daraufhin ausgeführt, dass ein Verletzungsvorsatz nicht indiziert ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts:

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 9 Abs. 2 Z 1 VwGVG ist belangte Behörde in den Fällen des Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG jene Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat - vorliegend das Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien.

Gemäß § 9d Abs. 1 Verbrechensopfergesetz (VOG) entscheidet über Beschwerden gegen Bescheide nach diesem Bundesgesetz das Bundesverwaltungsgericht durch einen Senat, dem ein fachkundiger Laienrichter angehört. Es liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

sGemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

Gemäß § 1 Abs. 1 VOG haben österreichische Staatsbürger Anspruch auf Hilfe, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist. Eine ausreichende Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 1 VOG ist erst dann gegeben, wenn erheblich mehr für als gegen das Vorliegen einer Vorsatztat spricht (vgl. VwGH vom 26.04.2013, Zl. 2012/11/0001).

Gemäß § 1 Abs. 6 Z 1 VOG ist Hilfe Unionsbürgern sowie Staatsbürgern von Vertragsparteien des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum in gleicher Weise wie österreichischen Staatsbürgern zu leisten, wenn die Handlung nach Abs. 1 im Inland oder auf einem österreichischen Schiff oder Luftfahrzeug, unabhängig davon, wo sich dieses befindet, begangen wurde.

Für die Gewährung einer Pauschalentschädigung gemäß § 2 Z 10 VOG ist das Vorliegen einer schweren Körperverletzung im Sinne des § 84 Abs. 1 StGB erforderlich. Um einen Anspruch auf Pauschalentschädigung für Schmerzengeld begründen zu können, muss entweder eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit oder eine an sich schwere Verletzung oder Gesundheitsschädigung vorliegen. Eine schwere Körperverletzung liegt im gegenständlichen Fall unbestritten vor.

Grundlegende Voraussetzung für Leistungen nach dem VOG ist das Vorliegen einer vorsätzlich begangenen Straftat. Gemäß § 5 Abs. 1 StGB handelt vorsätzlich, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht; dazu genügt es, dass der Täter diese Verwirklichung ernsthaft für möglich hält und sich mit ihr abfindet.

Wie beweiswürdigend ausgeführt liegen keine Anhaltspunkte vor, dass die unbekannte Rodelfahrerin eine Kollision und eine damit einhergehende Verletzung des Beschwerdeführers ernsthaft für möglich hielt und sich damit abgefunden hat.

Grob fahrlässig im Sinne des StGB handelt, wer ungewöhnlich und auffallend sorgfaltswidrig handelt, sodass der Eintritt eines dem gesetzlichen Tatbild entsprechenden Sachverhalts als geradezu wahrscheinlich vorhersehbar war. Im gegenständlichen Fall könnte der Rodelfahrerin allenfalls ein grob fahrlässiges Verhalten unterstellt werden, weil einem Rodelfahrer in der Regel bewusst sein müsste, dass durch das ungebremste Einfahren in den Zielbereich eine erhöhte Unfallgefahr herbeigeführt wird. Daran kann zwar eine auffallende Sorgfaltswidrigkeit erblickt werden; bedingter Vorsatz im Sinne des StGB lässt sich aus dem Verhalten der Rodelfahrerin jedoch nicht ableiten.

Ein Verletzungsvorsatz im Sinne des StGB kann im gegenständlichen Fall sohin nicht angenommen werden. Eine anspruchsbegründende Straftat im Sinne des § 1 Abs. 1 VOG liegt sohin nicht vor.

Selbst wenn man der Mutter des Beschwerdeführers, entgegen der vom Senat vorgenommenen Beweiswürdigung, zugestehen würde, dass sämtliche Ergänzungen in der Beschwerde durch eine verfrühte Aufmerksamkeitssteigerung der Mutter vor dem Unfall erklärbar sind, weil sie die Gefahr im Sinne eines Instinkts vorhergesehen oder vorhergefühlt hat, und, entgegen der vom Senat vorgenommenen Beweiswürdigung, ein Verletzungsvorsatz der Täterin gegeben gewesen wäre, wäre ein Anspruch nach dem VOG nach dieser Argumentation ebenso zu verneinen. Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 2. Fall VOG sind Opfer von den Hilfeleistungen ausgeschlossen, wenn sie sich ohne anerkennenswerten Grund grob fahrlässig der Gefahr ausgesetzt haben, Opfer eines Verbrechens zu werden. Wenn die Mutter des Beschwerdeführers in der Beschwerde nunmehr ausführt, dass jedem erwachsenen, verantwortungsvollen, normalen Menschen klar war, dass die Rodelfahrerin gefährlich sei und klar gewesen sei, dass sie eine Kollision wollte und es darauf abgesehen habe, so hätte sie jedoch als Mutter im Antlitz dieser offensichtlichen Gefahr den Beschwerdeführer grob fahrlässig einer Gefahr ausgesetzt und wäre somit ein Anspruch nach dem VOG ausgeschlossen.

Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Schmerzengeld, Straftat, Transportkosten, Voraussetzungen,
vorsätzliche Begehung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W228.2178248.1.00

Zuletzt aktualisiert am

27.11.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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