TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/11 L504 2135461-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.10.2018
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Entscheidungsdatum

11.10.2018

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

L504 2135461-2/29E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, StA. Irak, vertreten durch RA Dr. Andreas WALDHOF, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.02.2017, XXXXnach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.09.2018 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8 ,57, 10 AsylG 2005, §§ 52 Abs 2 Z 2 u. Abs 9, 46, 55 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrenshergang

Die beschwerdeführende Partei [bP] stellte nach nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 24.05.2015 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [BFA) einen Antrag auf internationalen Schutz.

Es handelt sich dabei um einen Mann, welcher seinen Angaben nach Staatsangehöriger des Irak mit sunnitischem Glaubensbekenntnis ist, der Volksgruppe der Araber angehört und zuletzt in Bagdad lebte.

Anlässlich der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab die beschwerdeführende Partei als Ausreisemotiv an:

"Im Jahr 1998 bin ich als Polizei-XXXXfizier ausgemustert worden und habe bis zum Jahr 2003 in Mosul gearbeitet. Als die Al Kaida in Mosul angekommen ist, wurden alle Offiziere getötet. Deshalb habe ich mich um eine Versetzung nach Bagdad bemüht und bekommen.

Ich habe dort bis April 2015 als Befragungs-Offizier gearbeitet. Vor ein paar Monaten hat die IS meine Heimatstadt Mosul eingenommen. Viele Leute und Beamte aus meiner Stadt arbeiten für sie, das verschaffte mir viele Feinde bei den Arbeitskollegen in Bagdad.

Sie glaubten, dass ich während meines Familien-Urlaubs in Mosul Informationen an sie weiterleite.

Am 19. oder 18.04.2015 erhielt ich einen Besuch von einem Mann der für den Mann (Leiter) "Naji Naser" arbeitet. "Naji Naser" ist der Milizenführer von den "Al Ali Brigaden", diese haben das Stadtviertel "Al Karrada" unter Kontrolle. Er befahl mir einen von seinen Mitgliedern freizulassen den ich verhören sollte.

Ich sagte ihm, dass es nicht in meiner Macht steht und dass es bereits einen richterlichen Beschluss zur Festnahme besteht.

Er sagte, dass merkt man, dass du als Sunnit auf der Seite der IS bist und uns nicht helfen willst.

Das galt für mich als Warnung. Am 20.04.2015 erhielt ich einen Anruf von unserem Pförtner. Er sagte mir, dass die Schiitische Miliz von "Asaib al Hak" mich in der Wohnung gesucht hat. Ich wusste, als Polizist, dass die nur kommen, wenn sie jemanden abholen wollen, der nie wieder zurückkommt.

Sie sind immer bewaffnet und niemanden steht ihnen in den Weg.

Ich habe mich bei einem Freund versteckt und dann meine Flucht über Erbil nach Istanbul organisiert."

Die bP äußerte auf Befragung, dass sie im Falle einer Rückkehr befürchte in Mosul vom IS getötet zu werden, in Bagdad von der "Asaib Al Hak".

Sie habe das Land legal per Flugzeug unter Verwendung ihres Reisepasses verlassen. Den Reisepass habe sie im Meer verloren.

Die Niederschrift wurde im Beisein eines Dolmetschers aufgenommen und von den anwesenden Personen unterfertigt. Darin bestätigt die bP, dass ihr die aufgenommene Niederschrift in einer ihr verständlichen Sprache rückübersetzt wurde und es keine Verständigungsprobleme gegeben habe. Am Beginn der Einvernahme beim Bundesamt bestätigte sie auf Nachfrage, dass die von ihr in der Erstbefragung gemachten Angaben korrekt seien.

In der nachfolgenden Einvernahme beim Bundesamt brachte die bP zu ihrer ausreisekausalen Problemlage im Herkunftsstaat im Wesentlichen Folgendes vor (Auszug aus dem Bescheid):

[...]

F: Stimmen die Angaben, die Sie in der Erstbefragung gemacht haben?

A: Ja.

F: Sie werden ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Sie im Fall von Verständigungsschwierigkeiten jederzeit rückfragen können. Ich möchte sicher sein können, das alles, was Sie gesagt haben, auch so gemeint wurde. Vom bereitgestellten Wasser können Sie sich bedienen. Bei Bedarf machen wir eine kurze Pause.

A: Ja.

[...]

F: Haben Sie entsprechende identitätsbezeugende Dokumente die Sie vorlegen können?

A: - Irakischer Militärausweis, irakisches Innenministerium XXXX

-

Irakischer Militärausweis der Militärschule XXXX7

-

Irakisches Abschlusszeugnis als Leutnant XXXX

-

Irakischer Personalausweis XXXX

-

Irakisches Abschlusszeugnis in Kopie der Militärschule als Leutnant

-

Irakisches Abschlusszeugnis in Kopie als Oberleutnant

-

Irakische Urkunde zur Beförderung zum Hauptmann

Anm. Dolmetscher weist hin, dass Beförderungsurkunden nur in Kopie ausgefolgt werden.

Anm.: Die vorgelegten Beweismittel werden kopiert, in den Akt gelegt und nach der Einvernahme wieder ausgefolgt.

F: Wo befindet sich Ihr Reisepass?

A: Im Meer in Griechenland verloren.

[...]

F: Welche Schulen haben Sie besucht?

A: Ich habe die Grundschule und Gymnasium mit Matura von 1984 bis 1995 und die Polizei Akademie von 1995 bis 1998 in XXXX besucht und abgeschlossen.

F: Haben Sie auch gearbeitet im Irak?

A: Ja. Als Offizier der Polizei in XXXX und Bagdad.

[...]

F: Besitzt Ihre Familie Grundstücke im Irak?

A: Nein, aber meine Eltern haben ein Haus im Irak.

F: Haben Sie Geschwister und wenn ja wie heißen Sie?

A: Ja fünf Brüder und eine Schwester

Brüder:

AZIZ Ubai, ca. 1979 geboren, lebt in XXXX

XXXX lebt in Mossul

XXXX lebt inMossul

XXXX lebt in Mossul

XXXX lebt in Mossul

Schwester:

XXXX lebt in Mossul

Anm.: Angaben stimmen mit der Erstbefragung überein.

F: Haben Sie Kontakt zu Ihren Angehörigen?

A:.Ja aber gering über das Internet.

F: Wie geht es Ihrer Familie?

A: Nicht besonders gut. Sie kennen die Situation in Mossul mit der IS.

F: Wo konkret haben Sie zuletzt im Irak gewohnt und wie lange? Bitte nennen Sie die genaue Adresse.

A: Bagdad, Bezirk XXXX. Dort lebte ich die letzten 5 Jahre.

[...]

F: Verfolgen Sie die Geschehnisse in Ihrem Heimatland?

A: Ja selbstverständlich. Ich verfolge die Nachrichten.

F: Was ist Ihrer Meinung nach die sicherste Region im Irak?

A: Die grüne Zone in Bagdad.

F: Können Sie sich auf die gestellten Fragen konzentrieren und verstehen Sie den Dolmetscher?

A: Ja, ich kann ihn gut verstehen und ich kann mich gut konzentrieren.

FLUCHTGRUND:

F: Können Sie mir sagen, warum Sie Ihre Heimat verließen und in Österreich einen Asylantrag stellen? Nennen Sie ihre konkreten und ihre individuellen Fluchtgründe dafür!

A: Ich habe bis XXXX2005 als Polizeioffizier in Mossul gedient. Es ist bekannt, dass jeder, der zu dieser Zeit für die Irakische Polizei gedient hat unter Verfolgung und diverse Bedrohungen war. Mir ist persönlich zu dieser Zeit nichts passiert und ich habe keine Bedrohungen erhalten. Am Ende war es sehr extrem, weil viele Polizisten ermordet wurden. Ich habe um meine Versetzung nach Bagdad beantragt. Ich musste auch Bestechungsgelder verwenden. Nach 2005 habe ich meinen Dienst in Bagdad begonnen. In Bagdad gab es auch Bedrohungen vor allem zwischen Sunniten und Schiiten. Ich wurde aber persönlich nicht bedroht. Nachdem aber die IS im Irak einmarschiert sind, haben meine Kollegen zum ersten Mal begonnen mich zu beleidigen. Der Grund war, weil ich aus Mossul war und weil ich Sunnit war. Sie wollten eine Möglichkeit finden um mich zu beseitigen, bzw. mich zu töten.

Im April 2015, als ich im Polizeirevier war, ist eine Person in der Früh zu mir gekommen, bewaffnet und er hat von mir verlangt, dass ich eine Person, die bei uns einsaß, frei lassen soll. Ich habe erwidert, dass ich das nicht machen kann, weil ich einen richterlichen Beschluss habe. Er hat mir gesagt, dass ich Sunnit bin und dass ich deshalb nicht helfen will. Wir sind dann gemeinsam zu meinem Vorgesetzten gegangen und ich sagte zu meinem Vorgesetzten [gesagt], dass ich die Person nicht frei lassen kann. Als dieser Mann rausgegangen ist, hat er mir gesagt: "Du bist Sunnit, du bist von der IS und deine ganze Familie ist auch bei der IS". Seit diesem Zeitpunkt war ich dann vorsichtig. Eines Tages in der Früh hat mich der Portier von unserem Wohnhaus angerufen, ich war im Dienst und sagte mir " komm nicht nach Hause. Die Personen von Haji Naser von der AL Assaeb Miliz sind gerade gekommen und haben dich gesucht und haben über dich geschimpft. Ich bin zu meinem Vorgesetzten und zu meinen Kollegen gegangen und habe das erzählt und um Unterstützung gebeten. Die Art und Weise, wie mein Vorgesetzter mich angesehen hat und seine Aussage, dass ich mich selber um meine Probleme kümmern soll hat mich sehr überrascht. Ein Kollege ist dann zu mir gekommen und hat mir gesagt, " sei vorsichtig, du bist schon länger unter Beobachtung. Ich habe dich sehr gerne, du warst ein guter Kollege, aber du solltest abhauen. Du bist hier nicht sicher. Es patrouillieren draußen Autos von der AL Assaeb Milizen, die nur auf dich warten." Ich habe einen guten Freund angerufen und habe ihn gebeten, dass er mich vom hinteren Eingang der Polizeistation abholt. Er holte mich ab und wir sind zu meinem Freund nach Hause gefahren. Ich habe von dort aus viele Freunde und Bekannte angerufen und um Unterstützung gebeten. Alle haben das abgelehnt und haben zu mir gesagt, dass sie keine Probleme mit der AL Assaeb bekommen wollen, weil die sowieso mit der Regierung zusammenarbeiten. Ich war komplett verzweifelt und ich habe beschlossen den Irak zu verlassen obwohl das mir sehr schwer gefallen ist, weil ich im Irak ein gutes Leben gehabt habe. Ich ging zu einem Reisebüro und versuchte ein Flugticket nach Erbil zu buchen. Das Reisebüro hat mir gesagt, dass ich nicht in Erbil einreisen darf, höchstens nur eine Stunde, Transit um von dort weiter zu fliegen. Ich habe dann ein Flugticket von Bagdad über Erbil nach Istanbul gekauft und bin am 24.04.2015 geflogen.

F: Haben Sie noch weitere Fluchtgründe?

A: Nein.

[...]

F: Warum konkret wurden Sie von den Kollegen in Bagdad beleidigt.

A: Ich war einer der älteren Offiziere in unserem Wachzimmer. Die neuen Kollegen haben mich immer wieder beleidigt mit diversen rassistischen Aussagen zu mir und zu meiner Familie. Der Hauptgrund war wie gesagt, dass ich einerseits Sunnit war und anderer seits von Mossul stammte.

F: bei der Erstbefragung sagten Sie von Ihren Kollegen beschuldigt worden seien, dass Sie während des Familienurlaubes nach Mossul Informationen an die IS weiterleiten Was können Sie darüber uns erzählen?

A: mein letzter Besuch bei meiner Familie in Mossul war Februar 2014, bevor die IS in Mossul einmarschierte. Meine Kollegen haben mir immer wieder gesagt: " Na wann gehst Du nach Mossul und gibst der IS Informationen?".

F: Wann rief der Portier an?

A. ich glaube das war vom 18. Auf 19. 4. 2015.

F: Sie haben bei der Ersteinvernahme nicht erwähnt, dass Autos vor Ihrer Dienststelle auf Sie warten. Was sagen Sie dazu?

A: Bei der Erstbefragung hat man mich gebeten, kurz und bündig zu erzählen. Sie wollten keine Details hören.

F. Sagen sie mir die Adresse Ihrer Dienststelle in Bagdad.

A: Bezirk XXXX.

F: Warum durften Sie In Erbil nicht einreisen?

A: Erbil ist eine eigene Stadt und gehört zu Kurdistan. Araber brauchen eine Aufenthaltsgenehmigung um sich dort aufzuhalten. Eine Person aus Mossul kriegt niemals eine Aufenthaltsgenehmigung, selbst wenn er Polizist ist.

F: Warum half Ihr Vorgesetzter nicht?

A: Er war sicherlich durch die Milizen zu seinem Posten gekommen.

F: Wann konkret haben Sie Ihre Heimat verlassen?

A: ich verließ am 24.04.2015 den Irak.

F: Was war das letztendlich relevante Ereignis, das Sie zur Flucht bewogen hat?

A:. Die Angst vor dem Tod. Weil ich in Bagdad nicht bleiben konnte und Mossul war von der IS besetzt.

F: gab es keine Alternativen außer Bagdad und Mossul?

A: In Bagdad konnte ich nicht bleiben. Der Süden vom Irak war unter der Kontrolle der Milizen. Der Norden vom Irak ist Kurdistan.

F: Wann haben Sie persönlich das erste Mal darüber nachgedacht, den Irak zu verlassen?

A: Als ich die Bedrohung erhalten habe und ich mich bei meinem Freund versteckte und ich keine Lösung für das Problem gesehen habe.

[...]

F: Haben Sie noch andere Verwandte oder Angehörige im Irak?

A: ja selbstverständlich.

F: War jemand aus Ihrer Familie beim Militär in einer höheren Funktion?

A: Nein.

F: Haben Sie Verwandte, Angehörige oder Bekannte in der autonomen Kurdenzone im Irak?

A: Nein.

[...]

F: Hatten Sie Probleme bei Ihrer Ausreise aus dem Irak?

A: Nein.

F: Waren Sie nach Ihrer Ausreise aus dem Irak noch einmal im Irak?

A: Nein.

F: Waren Sie, Ihre Eltern, Ihre Geschwister oder nahe Angehörige bzw. Sie politisch im Irak tätig?

A: Nein.

F: Waren Sie je Mitglied einer politischen Partei?

A: Nein.

F: Haben Sie oder Ihre Angehörigen je Probleme mit Behörden wie z.B. Gerichten etc. in Ihrem Heimatland gehabt?

A: Nein.

F: Haben Sie schon einmal in einem anderen Staat um internationalen Schutz angesucht?

A: Nein

F: Haben Sie im Irak Ihren Wehrdienst abgeleistet?

A: Nein. Als Polizist ist es nicht notwendig.

F: Hatten Sie Kontakte zu Islamisten?

A: Nein.

F: Was befürchten Sie im Falle der Rückkehr in den Irak?

A: Die gleichen Gründe, die mich zur Flucht bewogen haben. Außerdem vor ca. 2 Monaten gab es einen neuen Beschluss im Irak, der besagt,

Ein Offizier, der aus seinem Land geflüchtet ist, droht 20 Jahre Haft bei einer Rückkehr.

F: Was müsste passieren, damit Sie in Ihre Heimat zurückkehren könnten?

A: Sobald die Milizen Irak verlassen, würde ich sofort zurückkehren.

Vorhalt: Was ist mit dem neuen Beschluss?

A: Ich glaube, dass die Aussage mit den 20 Jahren war nur so her geredet von einem Freund von mir. Ich persönlich habe den Bescheid nie gesehen.

[...]

F: Ich beende jetzt die Befragung. Hatten Sie ausreichend die Möglichkeit Ihr Vorbringen darzustellen?

A: Ja.

F: Möchten Sie die Länderfeststellung zu Ihrem Herkunftsstaat Irak zur Kenntnis gebracht haben? Sie haben die Möglichkeit im Zuge des Parteiengehörs eine Stellungnahme abzugeben.

A: Nein, das möchte ich nicht.

F. Haben Sie noch Fragen?

A: Nein

F: Konnten Sie sich bei dieser Einvernahme konzentrieren? Haben Sie den Dolmetscher einwandfrei verstanden?

A: Ja.

[...]

Der Antrag auf internationalen Schutz wurde folglich vom Bundesamt gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt.

Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zugesprochen.

Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei.

Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

Das Bundesamt gelangte im Wesentlichen zur Erkenntnis, dass hinsichtlich der Gründe für die Zuerkennung des Status eines asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten eine aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation nicht glaubhaft gemacht worden sei. Ebenso ergebe sich aus allgemeinen Lage im Herkunftsstaat keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende bzw. reale Gefährdung der bP. Ein relevantes, die öffentlichen Interessen übersteigendes, Privat- und Familienleben würde nicht vorliegen.

Gegen den genannten Bescheid vom 28.02.2017 wurde innerhalb offener Frist durch die Vertretung Beschwerde erhoben. Die bP wiederholt darin im Wesentlichen ihre im Zuge der bisherigen Einvernahmen geschilderte Problemlage. Neue Fluchtgründe oder neue Rückkehrbefürchtungen äußerte sie darin nicht.

Auf Grund eines von der bP gestellten Fristsetzungsantrages hat der Verwaltungsgerichtshof mit verfahrensleitender Anordnung vom 18.07.2018, ho. eingelangt am 23.07.2018, eine Entscheidung binnen drei Monaten aufgetragen.

Am 18.09.2018 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit der bP sowie im Beisein ihres bevollmächtigten Rechtsfreundes eine Verhandlung durch. Das BFA blieb entschuldigt fern.

Mit der Ladung wurde die beschwerdeführende Partei auch umfassend auf ihre Mitwirkungsverpflichtung im Beschwerdeverfahren hingewiesen und sie zudem auch konkret aufgefordert, insbesondere ihre persönliche Ausreisemotivation und sonstigen Rückkehrbefürchtungen soweit als möglich durch geeignete Unterlagen bzw. Bescheinigungsmittel glaubhaft zu machen, wobei eine umfassende, jedoch demonstrative Aufzählung von grds. als geeignet erscheinenden Unterlagen erfolgte.

Zugleich mit der Ladung wurden der beschwerdeführenden Partei ergänzend Berichte zur aktuellen Lage im Irak übermittelt bzw. namhaft gemacht, welche das Verwaltungsgericht in die Entscheidung miteinbezieht. Eine Stellungnahmefrist von zwei Wochen, einlangend vor der Verhandlung, wurde dazu eingeräumt. Eine solche schriftliche Stellungnahme wurde nicht abgegeben.

In der Verhandlung monierte die bP, dass sie beim Bundesamt nicht alles habe sagen können. Sie wollte noch vorbringen, dass sie nicht streng religiös sei. Man habe sie deshalb im Irak im Wesentlichen "schief angeschaut". Sie habe beim Bundesamt auch nicht sagen können, dass sie neben Frauen auch Männer "mag". Sie habe im Irak auch eine sexuelle Beziehung zu einem Mann gehabt. Sie hätte im Irak ein Problem wenn jemand davon erfahren würde.

In der Verhandlung gefragt, weshalb sie nun den Irak verlassen habe, gab sie an, es seien 3 Gründe gewesen: die bereits erzählte Drohung, wegen der Religion und wegen der Beziehung zu besagtem Mann.

Sie habe die beiden neuen Gründe bei der Erstbefragung nicht vorbringen können, da die Zeit zu kurz gewesen sei. Beim Bundesamt habe ihr der Referent auch nicht viel Zeit gegeben dies darzulegen. In der Beschwerde stehe diesbezüglich deshalb nichts, da seitens des VMÖ erklärt worden sei, dass sich eine Ergänzung zeitlich für den Beschwerdeschriftsatz nicht mehr ausginge.

Das BVwG hat in der Verhandlung ergänzende Berichte zur Desertion von Polizeiangehörigen sowie zu Aktivitäten der Asaib Ahl al-Haqq eingebracht und diese erörtert. Eine zusätzlich eingeräumte schriftliche Stellungnahme zu den Berichten ließ die bP bzw. der Rechtsfreund ungenützt bzw. hat man sich dazu verschwiegen.

Es wurde der bP am Ende der Verhandlung aufgetragen das BVwG unverzüglich zu verständigen, wenn sich entscheidungsrelevante Änderungen, die ihren Antrag auf internationalen Schutz bzw. ihr Privat- und Familienleben betreffen, ergeben. Bis zu dieser Entscheidung langte keine solche Mitteilung ein, weshalb das BVwG diesbezüglich von unverändertem Sachverhalt ausgeht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Das BVwG hat durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, einschließlich der Beschwerde sowie durch die Ergebnisse des ergänzenden Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben.

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1. Zur Person der beschwerdeführenden Partei:

Die Identität steht mit XXXX, StA. Irak, fest.

Die bP ist Staatsangehörige des Irak, gehört der Volksgruppe der Araber an, ist in Mosul aufgewachsen und hat die letzten Jahre in Bagdad gelebt und gearbeitet.

Es kam nicht hervor, dass sie im Falle der Rückkehr nicht die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz decken könnte.

Sie verfügt im Herkunftsstaat noch über ein familiäres bzw. verwandtschaftliches Netz.

Aktuell liegen keine relevanten behandlungsbedürftigen Krankheiten vor.

Sie ist zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes in Österreich auf staatliche Zuwendungen angewiesen. Eine auch für Asylwerber gesetzlich erlaubte und bei entsprechender Motivation und Qualifikation mögliche Teilnahme am österreichischen Arbeitsmarkt zur teilweisen oder gänzlichen wirtschaftlichen Selbsterhaltung wurde nicht dargelegt bzw. nachgewiesen. Eine auch nur grundlegende Konversation auf Deutsch konnte mangels Deutschkenntisse der bP in der Verhandlung nicht stattfinden.

Die bP hat in Österreich in einem anderen Bundesland eine irakische Freundin. Nähere Angaben über Geburtsdatum oder konkrete Wohnadresse vermochte sie nicht angeben. Es gab bislang 3 Treffen in Wien. Ein Freund der bP war in der Verhandlung anwesend.

Die bP hat keine Familienangehörigen oder Verwandten in Österreich.

Vormerkungen wegen gerichtlicher oder verwaltungsbehördlicher Bestrafungen kamen nicht hervor.

1.2. Zu den angegebenen Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates:

Sie stand im Dienst der irakischen Polizei, war in Mosul und die letzten Jahre in Bagdad als solcher tätig. Es kann nicht festgestellt werden bis wann die bP tatsächlich als Polizist beschäftigt war und auf welche Art sie den Dienst bei der Polizei beendete.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die bP wegen ihrer religiösen Ansichten im Irak vor der Ausreise entscheidungsrelevante Repressalien erlitten hat oder im Falle einer Rückkehr erleiden würde.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die bP wegen ihrer beider Geschlechter betreffenden sexuellen Orientierung vor ihrer Ausreise entscheidungsrelevante Probleme hatte oder im Falle der Rückkehr erleiden würde.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die bP im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer glaubhaften, asylrelevanten Verfolgungsgefahr oder einer realen Gefahr von Leib und/oder Leben ausgesetzt wäre.

1.3. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat:

Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 11.08.2015, Desertion vom Polizeidienst im Irak:

Zusammengefasst ergibt sich daraus, dass im Rahmen der zeitlich begrenzten Internetrecherche in deutscher und englischer Sprache keine Informationen zur Frage wie hoch das Strafausmaß im Irak für unerlaubtes Verlassen des Polizeidienstes ist. Aus einer darin zitierten Fragebeantwortung durch den Verbindungsbeamten ergibt, sich, dass jeder Polizeist im Irak zu jeder Zeit seinen Dienst kündigen bzw. freiwillig aus dem Dienst ausscheiden kann. Die Auskunftsperson, ein leitender Offizier aus dem Polizeidienst in Bagdad (nähere Personendaten im Akt) wurde mitgeteilt dass zuletzt über einen irakischen Polizeioffizier, der sich nach Holland absetzte entschieden wurde, dass ihm die Rechte und Ansprüche aus dem Polizeidienst aberkannt wurden. Es wurde keine Gefängnisstrafe verhängt.

ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Gesetzliche Bestimmungen, die für Desertion aus der Polizei eine Haftstrafe vorsehen; Festnahme bei der Einreise [a-10473], 26. Jänner 2018

Die schwedische staatliche Herkunftsländerdokumentationsstelle Lifos bemerkt in einem Bericht vom Jänner 2018, dass es gewisse Informationen zu illegalem Verlassen des Dienstes bzw. Desertion von der irakischen Polizei, jedoch nur wenige konkrete Berichte über Inhaftierungen von Deserteuren gebe (Lifos, 12. Jänner 2018, S. 4).

Der Internal Security Forces Penal Code aus dem Jahr 2008 (verfügbar in englischer Übersetzung vom Global Justice Project: Iraq, GJPI) enthält strafrechtliche Bestimmungen betreffend die Polizeikräfte des Irak.

Laut Artikel 5 dieses Gesetzbuchs sind Personen, die ihrer Abteilung oder ihrem Dienstort fernbleiben oder deren Urlaub länger als 15 Tage andauert, mit maximal sechsmonatiger Haft zu bestrafen. Bei wiederholtem Fernbleiben erhöht sich die Haftdauer auf maximal ein Jahr.

Gemäß Artikel 6 sind Personen, die während Unruhen oder eines Notstandes mehr als zehn Tage ihrem Dienstort fernbleiben, mit mindestens einem Jahr Haft zu bestrafen.

Gemäß Artikel 7 kann ein Hoher Disziplinarkommandeur (Senior Disciplinary Commander), bei dem es sich um den Innenminister oder eine von ihm ermächtigte Person handele, einem Polizisten das Gehalt für eine Dauer von maximal 15 Tagen abziehen, wenn bewiesen werden kann, dass dieser in gewöhnlichen Zeiten nicht länger als 15 Tage seinem Dienst fernblieb. Bei wiederholtem Fernbleiben ist der Polizist mit maximal 30-tägiger Haft zu bestrafen:

Al-Monitor, eine auf Berichterstattung zum Nahen Osten spezialisierte Medienplattform, schreibt in einem Artikel vom Dezember 2016, dass der irakische Parlamentsausschuss für Sicherheit und Verteidigung angekündigt habe, mit Beginn der Gesetzgebungsperiode 2017 die Umsetzung eines im Dezember 2016 beschlossenen Gesetzes zur Repatriierung von Personen, die aus der Armee, der Polizei oder den Sicherheitseinrichtungen entlassen oder (aus diesen Organisationen) geflohen oder deren Verträge beendet worden seien, zu überwachen.

Die private irakische Online-Zeitung Iraqi News berichtet im Mai 2015, dass der irakische Premierminister Haider al-Abadi erklärt habe, dass unter anderem gegen geflohene oder abwesende Mitglieder der Streitkräfte und der Sicherheitskräfte des Inneren keine rechtlichen Schritte mehr unternommen würden.

"Iraqi Prime Minister and Commander-in-Chief of the Armed Forces, Haider al-Abadi announced on Sunday, the halt of any legal action against the fugitives and the absent during military service.

Abadi's office said in a statement, 'The Prime Minister has decided to stop any legal action was taken against members of the Armed Forces and internal security forces definitively, including the following offenses: escape, absenteeism, malingering and self-harm to get rid of service, as well as crimes against the military regime and the affairs of the service.'" (Iraqi News, 17. Mai 2015)

Ältere Informationen zur Umsetzung der oben genannten Strafbestimmungen finden sich im folgenden gemeinsamen Bericht von Lifos und dem norwegischen Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo vom Mai 2014 (siehe Seite 17):

Es konnten keine weiteren Informationen zu obiger Fragestellung gefunden werden.

ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Aktivitäten der Asa'ib Ahl al-Haqq, insbesondere Verhalten gegenüber sunnitischen MuslimInnen [a-10480-2 (10481)], 2. Februar 2018

Allgemeine Informationen zur Asa'ib Ahl al-Haqq (AAH) entnehmen Sie bitte folgenden Dokumenten:

· BFA Staatendokumentation: Fact Finding Mission Report Syrien (mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak), August 2017,

S. 64-65

https://www.ecoi.net/en/file/local/1410004/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf

· Der Standard: Der IS ist im Irak besiegt, die Milizen bleiben, 13. Dezember 2017

https://derstandard.at/2000070152028/Der-Islamische-Staat-ist-im-Irak-besiegt-die-Milizen-bleiben

Informationen zu Aktivitäten der Asa'ib Ahl al-Haqq, auch zum Verhalten gegenüber sunnitischen MuslimInnen, entnehmen Sie bitte auch folgenden ACCORD-Anfragebeantwortungen vom Februar und November 2017:

· ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Aktivitäten von Asa'ib Ahl al-Haqq [a-10041], 20. Februar 2017

https://www.ecoi.net/de/dokument/1394896.html

· ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Bagdad: Aktivitäten der Milizen der Asaib Ahl al-Haqq (AAH) seit 2013 bis heute; Übergriffe auf die Zivilbevölkerung [a-10409], 30. November 2017

https://www.ecoi.net/de/dokument/1419814.html

Das US-Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem im März 2017 veröffentlichten Jahresbericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum: 2016), dass ethnisch motivierte Kämpfe in ethnisch gemischten Gebieten nach den Befreiungsoperationen eskaliert seien. So hätten nach Angaben eines Berichts von Human Rights Watch (HRW) von Jänner 2016 nach Bombenanschlägen, für die der IS die Verantwortung übernommen habe, Mitglieder schiitischer Milizen Berichten zufolge Dutzende sunnitische EinwohnerInnen aus Muqdadiya entführt und getötet und darüber hinaus sunnitische Häuser, Geschäfte und Moscheen zerstört. Ende 2016 sei niemand von den Verantwortlichen aus den Milizen zur Verantwortung gezogen worden. Es habe viele Berichte darüber gegeben, dass schiitische Volksmobilisierungseinheiten Sunniten nach der Befreiung von Gebieten vom IS verhaftet hätten. Es habe etwa anhaltende Berichte darüber gegeben, dass von den Hardline-Milizen, darunter die Asa'ib Ahl al-Haqq, bis zu 3.000 Gefangene illegal gehalten worden seien. Unter den Gefangenen seien Sunniten gewesen sowie weitere Personen, die verdächtigt worden seien, mit dem IS zusammengearbeitet zu haben. Die Gefangenen seien in provisorischen Gefängnissen festgehalten worden, einige wegen Verbrechen, die man ihnen vorgeworfen habe, andere, um Lösegeld zu erhalten, die bei der Finanzierung der Aktivitäten der Milizen helfen sollten. Laut Angaben des Sprechers der Volksmobilisierungseinheiten habe das Justizministerium einen Richter ernannt, der Ende des Jahres 2016 die 300 Fälle bearbeitet habe, die mit Verstößen von Milizen-Mitgliedern zu tun gehabt hätten, wobei es um mutmaßliche Misshandlungen von Gefangenen bis hin zu summarischen Hinrichtungen gegangen sei. Laut dem Sprecher habe es sich nur bei einem Viertel derer, die beschuldigt worden seien, um "echte" Mitglieder von Milizen gehandelt, bei den anderen habe es sich um Mitglieder von Freiwilligengruppen gehandelt. Laut den Vereinten Nationen und internationalen Menschenrechtsorganisationen hätten einige der vom Iran unterstützten schiitischen Milizen, die nach außen hin unter der Kontrolle der Regierung stünden, Menschenrechtsverletzungen begangen. Diese Gruppen hätten als Teil der Volksmobilisierungseinheiten an Operationen gegen den IS teilgenommen und seien an mehreren Angriffen auf sunnitische ZivilistInnen beteiligt gewesen, wobei sie sich Berichten zufolge für Verbrechen des IS gegenüber SchiitInnen gerächt hätten. Amnesty International (AI) habe berichtet, dass Gruppen der Volksmobilisierungseinheiten, insbesondere schiitische Milizen und die Peschmerga, ZivilistInnen, die großteils SunnitInnen gewesen seien, daran gehindert hätten, nach der Befreiung von Gebieten vom IS in ihre Häuser zurückzukehren.

Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO), eine Agentur der Europäischen Union, die die praktische Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten im Asylbereich fördern soll und die Mitgliedsstaaten unter anderem durch Recherche von Herkunftsländerinformation und entsprechende Publikationen unterstützt, veröffentlicht im Juli 2017 einen Bericht über ein Meeting zum Irak, in dem Experten ihre Einschätzung zur aktuellen Lage abgeben. Joost Hiltermann, der Direktor des Programms für den Nahen Osten und Nordafrika von der International Crisis Group (ICG), gibt an, dass schiitische Anführer im Juni 2014, als die Armee zusammengebrochen sei, die Gemeinschaft zur Selbstverteidigung mobilisiert hätten. Die stärksten schiitischen Milizen, darunter die AAH, hätten militärische Unterstützung aus dem Iran. Mit ihrem Vorstoß in sunnitische Gebiete im Norden habe die benachbarte Türkei begonnen, sie als Gefahr für die eigene Sicherheit anzusehen. Die Aktivitäten dieser Milizen in den Gebieten, die von der Gruppe Islamischer Staat (IS) zurückerobert worden seien, seien ebenfalls problematisch. Als sie die östlichen Gebiete von Mosul betreten hätten, hätten sie sehr provokative Banner gezeigt. Die Milizen würden binnenvertriebene Personen zurückbringen, insbesondere schiitische Turkmenen, und sie würden drohen, Sunniten zu vertreiben. Auf die Frage, ob es Unterschiede bei den schiitischen Milizen hinsichtlich des Verhaltens gegenüber sunnitischen MuslimInnen gebe, antwortet Hiltermann, dass die vom Iran unterstützten Milizen dazu tendieren würden, konfessionell ausgerichtet und offen anti-sunnitisch zu sein. Bei der Rückeroberung von Gebieten vom IS hätten sie die lokale sunnitische Bevölkerung mit Gewalt vertrieben.

Walter Posch, der an der österreichischen Landesverteidigungsakademie (LVAk) und am Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement (IFK) tätig ist, veröffentlicht im August 2017 ein Forschungspapier zu schiitischen Milizen im Irak und in Syrien:

"Den Ahl al-Haqq werden oft in Kooperation mit oder unter Duldung der Sicherheitskräfte Menschenrechtsverletzungen gegen die Sunniten vorgeworfen. Die Stämme in Diyala lehnten daher einen Einsatz der Ahl al-Haqq, die sie oft als schiitische Kriminelle oder ‚Safaviden' bezeichnen, in ihrer Region ab. Ebenso bekannt ist ihr Anti-Amerikanismus, Qays al-Khazali akzeptiert zwar die temporäre materielle Hilfe der USA verlangt aber deren Abzug aus dem Irak."

(Posch, August 2017, S. 20)

Die schweizerische Online-Zeitung Journal21 veröffentlicht im Dezember 2017 einen Beitrag von Arnold Hottinger, einem Nahostwissenschaftler, der über 30 Jahre als Korrespondent der NZZ gearbeitet habe, in dem Folgendes erläutert wird:

"Die wichtigste Bruchlinie, die es für den Irak in der Nachkriegszeit zu überwinden gilt, ist jene zwischen dem iranischen Einfluss und dem der USA. Wie gefährlich dieser Gegensatz ist, zeigt der Umstand, dass es im Land bewaffnete Gruppen gibt, die Iran zuneigen und von Iran gestützt und teilweise unterhalten werden, während andere sich von den Amerikanern ausbilden lassen. [...]

Zurzeit erklären die Amerikaner, ihrer Ansicht nach sollten die irakischen Milizen der sogenannten Volksmobilisation aufgehoben werden. Milizionäre, die weiter als Militärs zu dienen gedächten, sollten in die reguläre Armee eingegliedert werden. Doch die Anführer der mächtigsten der Milizen widersprechen laut. Am vergangenen Samstag erklärte der Stellvertretende Kommandant der Volksmilizen, Abual-Mahdi al-Muhandis: ‚Wir brauchen militärische Kräfte, die erfahren sind in Kämpfen gegen Terroristen und gegen alle Bedrohungen von aussen, und wir müssen genügend Kräfte aufrechterhalten. Wir sehen unsere Rolle als ergänzend zu derjenigen der Armee. Sie können nicht kämpfen ohne uns, und wir nicht ohne sie!'

Fast gleichzeitig hat ein Mitglied des amerikanischen Senats ein Gesetz vorgeschlagen, durch das gewisse irakische Volksmilizen wie jene, die sich ‚Asaib Ahl al-Haqq' und ‚Harakat Hizbullah an-Nujaba' nennen, ("Scharen der Anhänger der Wahrheit" und "Bewegung der Edlen der Partei Gottes") zu Terroristen erklärt werden sollen. Der Anführer dieser zweitgenannten Gruppierung, Akram al-Kaabi, wurde schon 2008 von den USA als Terrorist klassifiziert. [...]

Gesamthaft gibt es zur Zeit 140'000 Angehörige der Volksmobilisation. Von ihnen sind 34'000 Mann sunnitische Kämpfer und rund 10'000 Angehörige der Minderheiten wie Christen, Schabak und Jesiden, alle in ihren eigenen Einheiten. Die übrigen knapp 100'000 sind Schiiten.

Doch auch unter den Schiiten gibt es Unterschiede. Manche von ihren Milizen sind loyal gegenüber dem irakischen Grossayatollah Sistani und anderen irakischen Geistlichen, andere jedoch neigen dem iranischen ‚Herrschenden Gottesgelehrten' Khamenei zu. Letztere werden direkt von Iran unterstützt.

Seit dem vergangenen Sommer sind die Milizen der Volksmobilisation durch einen Parlamentsbeschluss reguläre Angehörige der irakischen Streitkräfte, und Ministerpräsident Haidar al-Abadi gilt formell als ihr Oberbefehlshaber. Doch sie stehen weiterhin unter ihren eigenen Anführern und rekrutierten ihre eigenen Mannschaften. Der Staat bezahlt gegenwärtig jedem Milizsoldaten den Gegenwert von 500 Dollar im Monat. Die regulären Armeesoldaten erhalten das Doppelte, doch es gibt Bestrebungen im Parlament, ihren Sold auf den Gegenwert von monatlich 2'000 Dollar zu erhöhen. [...]

Gegen einige der Milizen wurden Vorwürfe erhoben, sie hätten Racheaktionen an Sunniten in den vom IS befreiten Ortschaften und Städten durchgeführt. Ihren Opfern werfen sie vor, sie gehörten zum IS oder sie hätten mit diesem sympathisiert. Die Milizführer geben zu, dass gelegentlich ‚Fehler' gemacht worden seien.

Die Ankläger versichern jedoch, es handle sich um viel mehr. Sie behaupten, diese Milizen versuchten in bestimmten, bisher von Sunniten bewohnten Regionen und Ortschaften schiitische Mehrheiten zu konstruieren, indem sie den wegen der Kriegsaktivitäten geflohenen Zivilisten verböten, nach der Befreiung in ihre Heimatorte zurückzukehren. Der Haus- und Landbesitz dieser Geflohenen werde von schiitischen Neusiedlern in Besitz genommen.

Derartige Versuche ethnischer Säuberung kommen vor allem in der sunnitisch-schiitisch gemischten Provinz Diyala vor. Sie liegt nordöstlich von Bagdad und reicht bis an die iranische Grenze."

(Journal21, 15. Dezember 2017)

AI - Amnesty International: Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Iraq, 22. Februar 2018

Im Zuge des internen bewaffneten Konflikts begingen Regierungstruppen, kurdische Streitkräfte, paramilitärische Milizen, die US-geführte Militärallianz und die bewaffnete Gruppe Islamischer Staat (IS) auch 2017 Kriegsverbrechen, Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und schwere Menschenrechtsverstöße. Der IS vertrieb Tausende Zivilpersonen, zwang sie in Kampfgebiete und missbrauchte sie massenhaft als menschliche Schutzschilde. Er tötete vorsätzlich Zivilpersonen, die vor den Kämpfen fliehen wollten, und setzte Kindersoldaten ein. Regierungstruppen und kurdische Streitkräfte sowie paramilitärische Milizen waren verantwortlich für außergerichtliche Hinrichtungen von gefangen genommenen Kämpfern und Zivilpersonen, die dem Konflikt entkommen wollten. Außerdem zerstörten sie Wohnhäuser und anderes Privateigentum. Sowohl irakische und kurdische Streitkräfte als auch Regierungsbehörden hielten Zivilpersonen, denen Verbindungen zum IS nachgesagt wurden, willkürlich fest, folterten sie und ließen sie "verschwinden". Prozesse gegen mutmaßliche IS-Mitglieder und andere Personen, denen terroristische Straftaten vorgeworfen wurden, waren unfair und endeten häufig mit Todesurteilen, die auf "Geständnissen" basierten, welche unter Folter erpresst worden waren. Die Zahl der Hinrichtungen war weiterhin besorgniserregend hoch.

HINTERGRUND

Ende 2017 hatten irakische Regierungstruppen, kurdische Streitkräfte, paramilitärische Milizen und die US-geführte Militärallianz den größten Teil der zuvor vom IS gehaltenen Gebiete und Städte zurückerobert: Ost-Mossul im Januar, West-Mossul im Juli, Tal Afar im August und Hawija im Oktober. Die militärische Rückeroberung von Mossul und Umgebung hatte bis November zur Vertreibung von mindestens 987648 Menschen in der Provinz Ninive geführt. Im gesamten Irak gab es weiterhin mehr als 3 Mio. Binnenvertriebene.

Am 25. September 2017 hielt die kurdische Regionalregierung ein Unabhängigkeitsreferendum ab. Es fand nicht nur in der teilautonomen Region Kurdistan statt, sondern auch in Gebieten der Provinzen Ninive, Kirkuk, Salah al-Din und Diyala, deren Kontrolle zwischen der kurdischen Regionalregierung und der irakischen Zentralregierung strittig ist. Fast 93 % der Wähler stimmten nach Angaben der kurdischen Wahlkommission für die Unabhängigkeit. Die irakische Regierung erklärte die Volksabstimmung für rechts- und verfassungswidrig. Kurz nach dem Referendum übernahmen irakische Streitkräfte und regierungsnahe Kräfte, darunter Einheiten der Volksmobilisierung, erneut die Kontrolle über die Provinz Kirkuk und über Gebiete in den Provinzen Ninive, Salah al-Din und Diyala.

VERSTÖSSE BEWAFFNETER GRUPPEN

Die bewaffnete Gruppe IS verübte 2017 massive Menschenrechtsverstöße und schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, die teilweise Kriegsverbrechen darstellten. IS-Kämpfer vertrieben Tausende Zivilpersonen und zwangen sie in Kampfgebiete, um sie als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen. Sie töteten vorsätzlich Zivilpersonen, die den Kämpfen entfliehen wollten, und hängten deren Leichen zur Abschreckung an öffentlichen Plätzen auf, um die Bevölkerung von Fluchtversuchen abzuhalten. Der IS verübte regelrechte Hinrichtungen von Gegnern, rekrutierte Kindersoldaten und setzte sie bei Kampfhandlungen ein. In Mossul verweigerten IS-Kämpfer Zivilpersonen routinemäßig den Zugang zu medizinischer Versorgung und besetzten Krankenhäuser und andere Gebäude mit Gesundheitseinrichtungen, um Angriffen der irakischen Streitkräfte und der Koalitionstruppen zu entgehen.

Der IS verübte im ganzen Land Selbstmordattentate und andere Anschläge, bei denen Zivilpersonen getötet oder verletzt wurden. Die Angriffe richteten sich gezielt gegen Zivilpersonen, die Märkte, schiitische Schreine und andere öffentlich zugängliche Orte besuchten. Bei einem Bombenattentat des IS in dem vorwiegend von Schiiten bewohnten Viertel Sadr City in Bagdad wurden am 2. Januar 2017 mindestens 35 Menschen getötet und mehr als 60 verletzt. Bei Selbstmordattentaten vor einer Eisdiele und einem Regierungsgebäude in Bagdad verloren am 30. Mai mindestens 27 Menschen ihr Leben, rund 50 weitere erlitten Verletzungen. Ein Anschlag des IS auf ein Restaurant in Nasirija, das von schiitischen Pilgern besucht wurde, hatte am 14. September 2017 mindestens 84 Tote und 93 Verletzte zur Folge.

Nach Angaben der Vereinten Nationen befanden sich im Oktober 2017 noch immer 1563 jesidische Frauen und Kinder in der Hand des IS im Irak und in Syrien. Sie wurden Opfer von Vergewaltigungen und anderer Folter, tätlichen Angriffen und Versklavung. Diejenigen Frauen, denen die Flucht gelang oder die von Verwandten durch die Zahlung eines Lösegelds freigekauft wurden, erhielten weder angemessene psychologische Hilfe noch ausreichende materielle Unterstützung, um sich ein neues Leben aufbauen zu können. Im August 2017 teilten die Vereinten Nationen mit, dass in Gebieten, die vormals unter IS-Kontrolle standen, mindestens 74 Massengräber entdeckt worden seien.

BEWAFFNETER KONFLIKT - VERSTÖSSE DURCH REGIERUNGSTRUPPEN,

MILITÄRALLIANZ UND MILIZEN

Regierungstruppen, paramilitärische Milizen und die US-geführte Militärallianz verübten wiederholt Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, von denen einige möglicherweise Kriegsverbrechen darstellten. Die irakischen Truppen und die Militärallianz waren für eine Reihe von unverhältnismäßigen und wahllosen Angriffen in West-Mossul verantwortlich. Bei einem der Angriffe, einem US-Luftangriff auf zwei IS-Heckenschützen im Stadtviertel al-Jadida, wurden am 17. März 2017 mindestens 105 Zivilpersonen getötet.

In West-Mossul setzten irakische Streitkräfte immer wieder explosive Waffen mit großer Reichweite ein. Dazu zählten unkonventionelle, raketenunterstützte Spreng- und Brandvorrichtungen (Improvised Rocket-Assisted Munitions - IRAM), die sich nicht zielgenau auf militärische Objekte richten lassen und deren Einsatz in bewohnten Gebieten rechtswidrig ist. Bei Luftangriffen der irakischen Truppen und der internationalen Militärallianz auf Ost-Mossul wurden Hunderte Zivilpersonen getötet, weil sie der Aufforderung der irakischen Regierung gefolgt waren, ihre Häuser und die Unterstände, in denen sie Schutz gesucht hatten, während der Kampfhandlungen nicht zu verlassen.

Irakische und kurdische Streitkräfte sowie paramilitärische Milizen waren für außergerichtliche Hinrichtungen von Männern und Jungen verantwortlich, denen Verbindungen zum IS nachgesagt wurden. Gegen Ende der Kämpfe um Mossul zwischen Mai und Juli 2017 häuften sich Berichte, wonach irakische Einheiten, darunter Spezialkräfte des Innenministeriums, die Bundespolizei und irakische Sicherheitskräfte, Männer und Jungen, die vor den Kämpfen flohen, festnahmen, folterten und außergerichtlich hinrichteten.

WILLKÜRLICHE FESTNAHMEN UND INHAFTIERUNGEN

Irakische Sicherheitskräfte, kurdische Streitkräfte und paramilitärische Milizen unterzogen alle männlichen Personen im kampffähigen Alter (etwa zwischen 15 und 65 Jahren), die aus Gebieten unter IS-Kontrolle geflohen waren, einer Sicherheitsüberprüfung. Sie wurden in provisorische Auffanglager oder behelfsmäßige Hafteinrichtungen gebracht. Männer, die der Zugehörigkeit zum IS verdächtigt wurden, mussten dort Tage oder sogar Monate unter oft harten Bedingungen ausharren, bevor sie an die Sicherheitsbehörden überstellt wurden. Irakische Truppen, kurdische Streitkräfte und paramilitärische Milizen, darunter auch Volksmobilisierungseinheiten, nahmen zudem Tausende mutmaßliche Terrorverdächtige ohne Haftbefehl in ihren Wohnungen, an Kontrollpunkten und in Lagern für Binnenvertriebene fest.

Folter und Verschwindenlassen

Männer und Jungen, die im Verdacht standen, Mitglieder des IS zu sein, fielen dem Verschwindenlassen zum Opfer. Sie befanden sich in Gefängnissen des irakischen Innen- und des Verteidigungsministeriums, der kurdischen Regionalregierung oder in Geheimgefängnissen und hatten keinen Kontakt zu ihren Familien und zur Außenwelt. Die Inhaftierten wurden von Sicherheitskräften verhört, ohne dass ein Rechtsbeistand anwesend war, und routinemäßig gefoltert. Zu den häufigsten Foltermethoden zählten Schläge mit Metallstangen und Kabeln auf den Kopf oder auf andere Körperteile, das Aufhängen an Armen oder Beinen in schmerzhaften Positionen, Elektroschocks sowie die Drohung, weibliche Verwandte zu vergewaltigen. Mangelnde medizinische Versorgung führte dazu, dass Häftlinge in Gewahrsam starben oder man ihnen Gliedmaßen amputieren musste. Die Haftbedingungen waren hart, da die Zellen oftmals extrem überfüllt und schlecht belüftet waren und es an Duschen und Toiletten mangelte.

UNFAIRE GERICHTSVERFAHREN

Das Strafjustizwesen wies weiterhin gravierende Mängel auf. Angeklagten wurde ihr Recht auf angemessene Verteidigung, Aussageverweigerung und die Befragung von Zeugen der Anklage vorenthalten. Dies galt insbesondere für Angeklagte, denen terroristische Straftaten zur Last gelegt wurden. Gerichte sprachen Angeklagte weiterhin aufgrund von "Geständnissen" schuldig, die unter Folter erpresst worden waren. Viele der unfairen Schnellverfahren endeten mit Todesurteilen.

Zwischen Juli und August 2017 erließen die irakischen Behörden Haftbefehle gegen mindestens 15 Rechtsanwälte, die mutmaßliche IS-Mitglieder verteidigt hatten. Den Anwälten wurde vorgeworfen, sie stünden mit dem IS in Verbindung. In der Folge befürchteten viele ihrer Kollegen, sie könnten ebenfalls inhaftiert werden, weil sie Mandanten verteidigten, denen eine IS-Mitgliedschaft zur Last gelegt wurde.

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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