Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §41 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Böhm, über die Beschwerde des J H in W, vertreten durch Dr. Ferdinand Unterkircher, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Riemergasse 11, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 11. August 1997, Zl. UVS-03/V/42/00394/97, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand i.A. Übertretung der StVO und des KFG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund und das Land Wien haben dem Beschwerdeführer je zur Hälfte Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Favoriten, vom 10. April 1997 wurde der Beschwerdeführer der Übertretung des § 52 Z. 11a StVO und des Art. III Abs. 1 iVm Abs. 2 der dritten KFG-Novelle schuldig erkannt; er habe am 27. September 1996 als Lenker eines näher bezeichneten Kraftfahrzeuges um 06.59 Uhr an einem näher bezeichneten Ort in Wien X durch eine Strecke von etwa 250 m die kundgemachte Höchstgeschwindigkeit von 30 km um ca. 30 km - somit erheblich - überschritten und an einem näher bestimmten Ort in Wien X den Sicherheitsgurt nicht bestimmungsgemäß verwendet. Es wurde über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe von S 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 60 Stunden) bzw. S 300,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 18 Stunden) verhängt.
Der Beschwerdeführer erhob dagegen Berufung. Die belangte Behörde setzte für den 24. Juli 1997 um 09.30 Uhr einen Verhandlungstermin in Wien II, S.-Gasse 14 unter Angabe der Zimmernummer an. Hiezu wurde der Beschwerdeführer persönlich - obwohl er anwaltlich vertreten war - geladen. Eine Ladung des Rechtsfreundes oder des Beschwerdeführers als Partei zu Handen seines Rechtsfreundes erfolgte nicht.
Über Ersuchen des Beschwerdeführers wurde diese Verhandlung in der Folge auf den 29. Juli 1997 09.30 Uhr unter Angabe einer Zimmernummer verlegt; eine (neuerliche) Anführung des Ortes der Verhandlung erfolgte nicht. Auf der Verständigung von der Verlegung der Verhandlung ist die Adresse der belangten Behörde (1200 Wien, D-Straße 75) im Kopf sowie die Anschrift der Geschäftsabteilung mit 1020 Wien, S-Gasse 14, angeführt. Die Verständigung von der Verlegung der Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer zu Handen seines ausgewiesenen Rechtsfreundes zugestellt.
Zum Termin der verlegten mündlichen Verhandlung kamen der Beschwerdeführer und sein Rechtsfreund an den Sitz der belangten Behörde in der D-Straße, während die Verhandlung in ihrer Abwesenheit am Sitz der belangten Behörde in der S-Straße stattfand. Dabei wurde der Meldungsleger vernommen und danach der Berufungsbescheid verkündet. Erst danach trafen der Beschwerdeführer und sein Rechtsfreund am Sitz der belangten Behörde in der S-Straße ein.
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpften Bescheid wies die belangte Behörde den Wiedereinsetzungsantrag des Beschwerdeführers gegen die Versäumung der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung ab.
Der Beschwerdeführer bekämpft diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie den Antrag stellt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß der Bestimmung des § 71 Abs. 1 AVG - diese ist nach § 24 VStG auch in Verwaltungsstrafverfahren anzuwenden - ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn (Z. 1) die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Zu prüfen ist zunächst, ob überhaupt eine Säumnis vorliegt. Die Versäumung einer mündlichen Verhandlung tritt nämlich dann nicht ein, wenn die Partei hiezu nicht oder nicht ordnungsgemäß geladen wurde (vgl. Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5 672, E 11 zu § 71 AVG). Im Beschwerdefall ist jedoch nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes von einer wirksamen Ladung (und damit auch von einer Säumnis) auszugehen. Zwar wurde nur der Beschwerdeführer selbst (als Partei) für die für den 24. Juli 1997 anberaumte mündliche Verhandlung zu eigenen Handen geladen, sodass deshalb eine ordnungsgemäße Ladung zweifelhaft erscheinen könnte. Die Benachrichtigung von der Verlegung der mündlichen Verhandlung wurde jedoch dem Beschwerdeführer zu Handen des ausgewiesenen Rechtsanwaltes zugestellt. Damit war aber jedenfalls klar, dass die Behörde das Erscheinen der Partei (und des Rechtsfreundes) zu einer mündlichen Verhandlung an einem bestimmten Termin anstrebte. Auch der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass es ihm möglich gewesen wäre, zur (verlegten) mündlichen Verhandlung zu kommen.
Die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gehen übereinstimmend davon aus, dass im Sinne der eben erwähnten Gesetzesbestimmung ein unvorhergesehenes bzw. unabwendbares Ereignis vorliegt. Auch der Verwaltungsgerichtshof hegt im Beschwerdefall keinerlei Bedenken dagegen, dass der Irrtum über den Ort der mündlichen Verhandlung ein derartiges Ereignis ist.
Die belangte Behörde ging im bekämpften Bescheid - zusammengefasst - davon aus, dass den Rechtsfreund des Beschwerdeführers ein diesem zurechenbares Verschulden treffe, das über einen minderen Grad des Versehens hinausgehe, weil der Rechtsfreund damit habe rechnen müssen, dass die mündliche Verhandlung nicht am Sitz der belangten Behörde in der D-Straße stattfinden werde. Dies deshalb, da er als berufsmäßiger Parteienvertreter Kenntnis davon gehabt habe, dass die belangte Behörde an mehreren Stellen innerhalb Wiens tätig sei; auch hätte der Benachrichtigung von der Verlegung der mündlichen Verhandlung die Anschrift der zuständigen Geschäftsabteilung mit "S-Straße" entnommen werden können.
Dem ist insoweit zu folgen, als es dem Rechtsfreund des Beschwerdeführers und diesem selbst als Verschulden anzulasten ist, die von der belangten Behörde aufgezeigten Überlegungen nicht angestellt zu haben. Der Verwaltungsgerichtshof teilt jedoch nicht die Beurteilung der belangten Behörde, wonach ein "minderer Grad des Versehens" nicht vorliege. Unbestritten ist, dass sich aus der Verständigung von der Verlegung der mündlichen Verhandlung im Zusammenhang mit der Bekanntgabe des neuen Termins als Ortsangabe nur die Zimmernummer entnehmen lässt. Weiters sind - wie erwähnt - aus der Verständigung zwei Anschriften der belangten Behörde ersichtlich. Davon springt die unmittelbar unter der Überschrift "Unabhängiger Verwaltungssenat Wien" im Kopf angeführte Anschrift "1200 Wien, D-Straße 75" ins Auge. Bei flüchtiger Betrachtungsweise könnte daher tatsächlich - wie in der Beschwerde und im Wiedereinsetzungsantrag vorgebracht - davon ausgegangen werden, dass die Verhandlung in der "D-Straße" stattfinden könnte, zumal ansonsten nur ersichtlich ist, dass die Geschäftsabteilung in der S-Straße ihren Sitz hat. Auch einem berufsmäßigen Parteienvertreter, dem bekannt ist, dass die belangte Behörde an mehreren Stellen in Wien tätig ist, ist es nicht als grobes Verschulden anzurechnen, wenn er einen nur unter Bedachtnahme auf einen ihm nicht zugestellten früheren Ladungsbescheid eindeutigen Ladungstext missversteht und weitere Überlegungen hinsichtlich des Ortes der mündlichen Verhandlung nicht anstellt.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, wobei die Ersatzpflicht zweier verschiedener Rechtsträger zu berücksichtigen war.
Wien, am 30. September 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1998020007.X00Im RIS seit
20.11.2000