Entscheidungsdatum
16.10.2018Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W226 2203065-1/8E
W226 2203063-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. WINDHAGER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) mj. XXXX (BF1), geb. XXXX und 2.) mj. XXXX (BF2), geb. XXXX ; beide StA: Russische Föderation, vertreten durch die Kindesmutter XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.06.2018, Zlen. 1.) 1044992706-140159242 und 2.) 1102825300-160097713, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerden werden gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, § 8 Abs. 1
AsylG 2005, § 57 AsylG 2005, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, § 52 Absatz 9 FPG § 46 FPG, § 55 Absatz 1 bis 3 FPG, als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1.1 Die Mutter und gesetzliche Vertreterin ( XXXX ) des Erst- und Zweitbeschwerdeführers (im Folgenden: BF1 und BF2, gemeinsam BF genannt), eine russische Staatsangehörige und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe reiste gemeinsam mit zwei minderjährigen Halbgeschwistern der BF ( XXXX und XXXX ) illegal ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 07.11.2009 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 26.07.2010 wurden die Anträge auf internationalen Schutz der Mutter sowie der beiden minderjährigen Halbgeschwister der BF bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkte I.), die Anträge bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkte II.) und die BF1, die BF2 und der BF3 gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkte III.). Gegen diese Bescheide wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.
Am 24.08.2012 wurde eine (Halb)Schwester der BF ( XXXX ) im Bundesgebiet geboren. Für diese wurde am 08.10.2012 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt, welcher mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.10.2012 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkte I.), der Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkte II.) und diese gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkte III.). Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.
Mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 08.07.2013, Zlen.: D13 414777-1/2010/14E ( XXXX ), D13 414779-1/2010/5E ( XXXX ), D13 414778-1/2010/5E ( XXXX ) und D13 430606-1/2012/4E ( XXXX ) wurden die Beschwerden gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 Z 1 und 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 BGBl I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 38/2011 als unbegründet abgewiesen.
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Fluchtgründe der Mutter der BF, wonach ihr Ehemann ein Widerstandskämpfer in Tschetschenien gewesen sei und sie deshalb immer wieder von Uniformierten aufgesucht und bedroht worden sei und ihr Ehemann schließlich getötet worden sei, als unglaubwürdig erwiesen hätten.
Am 17.10.2013 wurde ein (Halb)Bruder der BF ( XXXX ) im österreichischen Bundesgebiet geboren und für diesen am 20.11.2013 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt, welcher mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 17.03.2014 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg. cit. dieser Antrag auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die Russische Föderation abgewiesen wurde. Unter Spruchteil II. wurde ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist. Zudem wurde festgehalten, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde eingebracht, welche mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, Zl. W111 2007463-1/2E, gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 Z 1 und 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF, §§ 46 iVm 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9 FPG idgF als unbegründet abgewiesen wurde.
1.2. Am XXXX wurde der BF1 im österreichischen Bundesgebiet geboren. Für ihn wurde am 11.11.2014 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
Am selben Tag fand im Beisein der gesetzlichen Vertreterin (Mutter) die Erstbefragung des BF1 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Die gesetzliche Vertreterin gab an, dass sich der BF1 seit seiner Geburt ununterbrochen bei ihr befinde. Es würden deshalben die gleichen Angaben von der Geburt bis zum heutigen Tage gelten, die sie bei ihrer Einvernahme gemacht habe. Der BF1 habe überdies keine eigenen Fluchtgründe.
Auf der im Akt einliegenden Geburtsurkunde des BF1 wurde XXXX als Vater des BF1 angegeben.
1.3. Am 20.12.2014 stellte die Mutter der BF ( XXXX ) für sich und vier weitere Geschwister der BF ( XXXX , XXXX , XXXX und XXXX ) Folgeanträge auf internationalen Schutz.
Die Mutter der BF brachte in der Erstbefragung ihres Folgeantrages im Wesentlichen kurz zusammengefasst vor, dass sie mit ihrer Mutter telefoniert habe und dies ihr mitgeteilt habe, dass die Polizei nach ihr suche. Zudem sei ihr Bruder in Tschetschenien festgenommen worden. Für die BF würden die gleichen Fluchtgründe gelten. Bei einer Rückkehr habe sie Angst um ihr Leben und das Leben ihrer Kinder.
1.4. Der BF2 wurde am XXXX im österreichischen Bundesgebiet geboren. Für ihn wurde am 20.01.2016 ein Antrag auf internationalen Schutz (Antrag auf Familienverfahren) gestellt. Auf dem Antrag wurde angegeben, dass der BF2 keine eigenen Fluchtgründe bzw. Rückkehrbefürchtungen habe, der Antrag beziehe sich ausschließlich auf die Gründe des Vaters bzw. der Mutter. Es wurde eine Geburtsurkunde beigelegt, auf welcher jedoch kein Vater eingetragen wurde.
Am 29.05.2018 wurden die Mutter und die minderjährige Halbschwester der BF niederschriftlich einvernommen. Die Mutter der BF brachte vor, dass die BF gesund seien. Die Großmutter der BF, zwei Tanten der BF, drei Tanten der Mutter der BF und ein Onkel der Mutter der BF würden im Herkunftsland leben. Ein Onkel väterlicherseits der Mutter der BF lebe - mit seinen Kindern - in Österreich als anerkannter Flüchtling. Zudem lebe eine Cousine der Mutter mit ihrem Ehemann sowie die Großeltern der zwei Halbgeschwister der BF in Österreich. Die BF würden in den Kindergarten gehen. Die BF würden nur Deutsch sprechen. Die jüngeren Kinder würden Tschetschenisch verstehen, aber nur wenig sprechen. Die Mutter würde mit ihnen Tschetschenisch sprechen, aber sie würden sich in Deutsch leichter tun. Die BF würden mit der Mutter, dem Vater und den restlichen Geschwistern in einem XXXX wohnen. Ihr Aufenthalt werde durch die Grundversorgung finanziert.
Zu den Fluchtgründen gab die Mutter der BF zusammengefasst an, dass die BF keine eigenen Fluchtgründe hätten. Zudem berichtete sie über ihre Verfolgung wegen ihrem verstorbenen Ehemann und der diesbezüglichen Sippenhaftung sowie über der Festnahme des Onkels der BF durch die Behörden in Tschetschenien nach einer Explosion in einem Pressehaus in XXXX . Ihre Kinder seien in Österreich aufgewachsen, sie könne diese nicht nach Tschetschenien bringen. Die Kinder hätten dort keine Zukunft und seien in Gefahr. Sie hätte die Kinder frei erzogen und sei dies in Tschetschenien nicht möglich.
Im Zuge der Einvernahme wurde ua. für die Familie der BF ein Empfehlungsschreiben des Grundversorgungsquartieres vorgelegt.
Am 12.06.2018 wurde eine Stellungnahme eingebracht. Es wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Mutter der BF um das Leben und die Freiheit ihrer Kinder fürchte. Diese seien in Österreich aufgewachsen, hätten die Großteil ihres Lebens hier verbracht und seien hier sozialisiert worden. Eine freie Erziehung der Kinder sei in Tschetschenien nicht möglich. Die minderjährigen BF seien in Österreich geboren und hätten niemals das Leben in Tschetschenien kennengelernt. Sie würden teilweise ausschließlich Deutsch sprechen und eine freie Erziehung genießen. Bei einer Neuansiedelung in Tschetschenien würden ihnen ein ernsthafter Schaden drohen, da sie mit den kulturellen Gegebenheiten nicht vertraut seien und der Landessprache nicht ausreichend mächtig seien. Bei den BF habe eine Aufenthaltsverfestigung in ihrem Heimatstaat nie stattgefunden, sie seien mit den örtlichen Begebenheiten nicht vertraut und hätten die prägenden Jugendjahre in Österreich verbracht. Dazu werde auf Judikate des VwGH (ua. vom 14.04.2016, Ra 2016/21/0029 und vom 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 bis 0058) verwiesen.
Mit Bescheiden des BFA vom 21.06.2018 wurden die zweiten Anträge der Mutter sowie der restlichen Geschwister der BF auf internationalen Schutz gemäß § 68 Absatz 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). In Spruchpunkt II. wurden die Anträge auch hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. In Spruchpunkt III. wurde ihnen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und in Spruchpunkt IV. wurden gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG Rückkehrentscheidungen erlassen und in Spruchpunkt V. gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist. In Spruchpunkt VI. wurde festgehalten, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht.
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Vorbringen der Mutter der BF bereits von der Rechtskraft des Erkenntnisses des Asylgerichtshofes erfasst sei, bzw. das restliche Vorbringen keinen glaubwürdigen Kern aufweise.
1.5. Mit den im Spruch angeführten Bescheiden des BFA vom 21.06.2018 wurde unter Spruchteil I. die Anträge der BF auf internationalen Schutz (vom 11.11.2014 und 20.01.2016) bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen und unter Spruchteil II. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg. cit. diese Anträge auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die Russische Föderation abgewiesen. Unter Spruchteil III. wurde den BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der BF in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.).
Im Bescheid des BF2 wurde in Spruchpunkt VI. der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 1 Z 4 und 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt und in Spruchpunkt VII. festgestellt, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht.
Im Bescheid des BF1 wurde in Spruchpunkt VI. einzig festgestellt, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 0 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt. In der Übersetzung des Spruchs (§ 12 BFA-VG) findet sich ein zusätzlicher Spruchpunkt VIII. und ergibt die Begründung der Entscheidung, dass die belangte Behörde ebenfalls - wie im Verfahren des BF2 - die aufschiebende Wirkung aberkennen wollte.
Die Identität der BF stehe aufgrund der vorgelegten Geburtsurkunden fest. Die BF seien Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe und würden der islamischen Glaubensgemeinschaft angehören. Ihre Muttersprache sei Tschetschenisch. Es habe nicht festgestellt werden können, inwiefern die BF der deutschen Sprache mächtig seien. Die BF würden an keiner lebensbedrohlichen Krankheit leiden.
Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates wurde ausgeführt, dass die gesetzliche Vertreterin der BF (Mutter) für die BF keine eigenen Fluchtgründe angegeben habe, sondern die gleichen Fluchtgründe wie für sich selbst angegeben habe. Die Fluchtgründe der Mutter seien sowohl in ihrem ersten Asylverfahren, als auch im Rahmen ihres Folgeantrages als nicht glaubhaft gewertet worden und sei mit Bescheid des BFA vom 21.06.2018 ihr am 20.12.2014 gestellte Folgeantrag sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten, als auch hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen worden. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die BF zukünftig eine Verfolgung im Sinn der GFK im Herkunftsland mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten hätten. Es liege ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG vor.
Zu Spruchpunkt II. wurde ausgeführt, dass sich aus der allgemeinen Lage des Herkunftslandes keine solche extreme Gefährdungslage ergebe, dass jeder, der dorthin zurückkehre eine Gefährdung im Sinne des Art. 2, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt wäre. Auch sei die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln in der Russischen Föderation bzw. Tschetschenien gewährleistet. Die BF würden zusammen mit Vater und Mutter, welche über familiäre Anknüpfungspunkte in Tschetschenien verfügen würden, zurückkehren. Die Mutter und der Vater des BF1 würden für die BF sorgen können, dies in Verbindung mit den familiären Anknüpfungspunkten der Mutter sowie den sozialen Leistungen des russischen Staates. Soweit in der Stellungnahme ausgeführt werde, dass den BF bei einer Rückkehr nach Tschetschenien ein ernsthafter Schaden drohe, da sie mit den lokalen kulturellen Gegebenheiten nicht vertraut seien und der Landessprache nicht ausreichend mächtig seien, sei dies mit der Tatsachenwelt nicht vereinbar. Eine Integration in die russische bzw. tschetschenische Gesellschaft sei den BF möglich und zumutbar. Die BF würden am Beginn der Sozialisation stehen und hätten das anpassungsfähige Alter von 7 Jahren noch nicht erreicht. Da ihre Mutter in der Einvernahme angegeben habe, dass sie mit den BF in der tschetschenischen Sprache kommuniziere, sei davon auszugehen, dass die BF diese gewissermaßen beherrschen würden. Die BF würden in einem tschetschenischen Familienverband aufwachsen und würden zusammen mit der Mutter, dem Vater des BF1 und Geschwistern nach Tschetschenien zurückkehren. Die BF würden sich ohne größere Schwierigkeiten in die Verhältnisse in ihrem Heimatland mit Hilfe der Familie integrieren können. Die Mutter bzw. der Vater des BF1 würden sie mit den tschetschenischen Sitten und Gebräuchen vertraut machen können.
Zu Spruchteil III. führte die belangte Behörde aus, dass die BF in Österreich geboren worden seien. Der Vater des BF2 habe nicht festgestellt werden können. Die BF seien in Österreich geboren worden, als sich die Eltern bzw. die Mutter der BF ihres unrechtmäßigen Aufenthaltes bewusst gewesen seien und diese nicht davon ausgehen haben können, im Bundesgebiet verbleiben zu können. Die BF würden innerhalb eines tschetschenischen Familienverbandes aufwachsen. Die Mutter würde mit den BF auf Tschetschenisch kommunizieren. Im Kindergarten würden die BF ebenfalls die eigene Muttersprache kennenlernen, dies gehe aus der Internethomepage des Kindergartens hervor. Bis auf den Besuch des Kindergartens habe keine anderwärtige Integration festgestellt werden können. Das Ausmaß der Deutschkenntnisse habe nicht festgestellt werden können. Gegen die Mutter und die Geschwister werde mit heutigem Tage eine Rückkehrentscheidung erlassen. Da auch der Vater des BF1 über keine Aufenthaltsberechtigung verfüge und gegen ihn eine aufrechte Rückkehrentscheidung bestehe, werde nicht in das Familienleben eingegriffen. Darüber hinaus würden sich der Onkel und die Cousine der Mutter (samt Töchter und Sohn) im Bundesgebiet befinden. Die BF würden mit diesen jedoch nicht an einer gemeinsamen Adresse wohnen und bestehe auch kein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis. Ein Familienleben iSd Art. 8 EMRK bestehe zu diesen daher nicht. Insgesamt sei nicht davon auszugehen, dass die persönlichen Interessen an einem weiteren Verbleib in Österreich die daraus resultierende Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen überwiegen.
1.6. Gegen diese Bescheide wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Es wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die BF ein schützenswertes Familienleben in Österreich führen würden. Die Mutter der BF habe diese frei erzogen und wolle, dass ihre Kinder nach ihren eigenen Wünschen und Vorstellungen leben dürfen und es ihre Sache sei, ob sie die Moschee besuchen oder nicht. Sie würden auch nicht zum Gebet gezwungen werden. Sie wolle die Kinder zum selbstständigen Denken erziehen und sei es ihr größter Wunsch, dass die Kinder unabhängig in Frieden leben können. Die BF seien weder der tschetschenischen, noch der russischen Sprache hinreichend mächtig und würden diese mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden und weitreichende Diskriminierung drohen, weshalb ihnen subsidiärer Schutz zu gewähren sei. Bei den BF hab eine Aufenthaltsverfestigung in Tschetschenien nicht stattgefunden und seien diese mit den örtlichen Gegebenheiten nicht vertraut. Abschließend wurde ein Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung und ein Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt.
1.7. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.08.2018 wurde den Beschwerden der BF die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG zuerkannt.
1.8. Auf Nachfrage des Bundesverwaltungsgerichtes an das BFA ( XXXX), teilte dieses am 16.08.2018 mit, dass das Asylverfahren des XXXX bereits im Jahr 2013 rechtskräftig in zweiter Instanz negativ entschieden worden sei. Er habe keinen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt und sei auch kein anderes Verfahren beim BFA anhängig. Er halte sich beharrlich unrechtmäßig im Bundesgebiet auf.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Beweis wurde erhoben durch den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakten der BF sowie den Inhalt der Verwaltungsakten der gesetzlichen Vertreterin, beinhaltend die niederschriftlichen Einvernahmen vor dem BFA der gesetzlichen Vertreterin, das Erkenntnis des Asylgerichtshof der gesetzliche Vertreterin vom 08.07.2013, die vorgelegten Dokumente, die Stellungnahmen vom 12.06.2018, die Beschwerden vom 08.08.2018, der Auskunftserteilung durch das BFA vom 16.08.2018, durch Einsicht in Auszüge aus ZMR, GVS, IZR und Strafregister und schließlich durch Berücksichtigung aktueller Länderinformationen zum Herkunftsstaat.
1. Feststellungen:
Feststellungen zu den BF:
Die BF sind minderjährige Staatsangehörige der Russischen Föderation und gehören der tschetschenischen Volksgruppe an. Ihre Identität steht fest. Der BF1 wurde am 21.09.2014 im österreichischen Bundesgebiet geboren, für ihn wurde am 11.11.2014 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Der BF2 wurde am 19.12.2015 im österreichischen Bundesgebiet geboren, für ihn wurde am 20.01.2016 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
Die minderjährigen BF sind die Söhne der XXXX sowie die (Halb)Geschwister der XXXX , des XXXX , der XXXX und des XXXX , deren erstes Asylverfahren mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 08.07.2013, Zlen.: D13 414777-1/2010/14E ( XXXX ), D13 414779-1/2010/5E ( XXXX ), D13 414778-1/2010/5E ( XXXX ) und D13 430606-1/2012/4E ( XXXX ) bzw. mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.09.2014, Zl. W111 2007463-1/2E ( XXXX ) in zweiter Instanz negativ entschieden wurde.
Die Mutter sowie die vier weiteren (Halb)Geschwister der BF stellten am 20.12.2014 Folgeanträge auf internationalen Schutz. Mit Bescheiden des BFA vom 21.06.2018 wurden diese zweiten Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 68 Absatz 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). In Spruchpunkt II. wurden die Anträge auch hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. In Spruchpunkt III. wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und in Spruchpunkt IV. wurden gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG Rückkehrentscheidungen erlassen und in Spruchpunkt V. gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist. In Spruchpunkt VI. wurde festgehalten, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht.
Die Beschwerden gegen diese Bescheide wurden mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom heutigen Tag als unbegründet abgewiesen.
BF1 und BF2 sind weiters die Söhne des XXXX , dessen Asylverfahren mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 08.07.2013 (Zl.: D15 409819-1/2009) hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet abgewiesen und dessen Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation für zulässig erachtet wurde (rechtskräftig in zweiter Instanz negativ entschieden). XXXX hält sich unrechtmäßig im österreichischen Bundesgebiet auf.
Es kann nicht festgestellt werden, dass den minderjährigen BF in der Russischen Föderation respektive Tschetschenien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität droht.
Ebenfalls nicht festgestellt werden kann, dass die minderjährigen BF im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation in ihrem Recht auf Leben gefährdet wären, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würden oder von der Todesstrafe bedroht wären.
Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass die minderjährigen BF im Fall ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würden und ihnen die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.
Für die minderjährigen BF wurden von ihrer gesetzlichen Vertreterin keine gesundheitlichen Beschwerden oder Krankheiten vorgebracht. Sie sind gesund.
Die minderjährigen BF verfügen - abgesehen von ihrer Mutter und ihren (Halb)Geschwistern, die im gleichen Maße wie die BF von aufenthaltsbeendenen Maßnahmen betroffen sind und ihrem Vater, gegen welchen ebenfalls eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung bestehtsowie dem Onkel und der Cousine der Mutter (samt Familie), welche als anerkannte Flüchtlinge in Österreich leben, zu welchen aber kein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK besteht, weder über Verwandte noch über sonstige familiäre oder private Bindungen in Österreich.
Im Herkunftsstaat der BF halten sich zahlreiche Familienangehöre auf. So lebt ua. die Großmutter der BF in XXXX , zwei verheiratete Tanten der BF leben in Tschetschenien ( XXXX und XXXX ). Zudem leben eine verheiratete Tante der Mutter der BF und ein Onkel der Mutter der BF in XXXX .
Eine nachhaltige Integration der BF im Sinne einer tiefgreifenden Verwurzelung im Bundesgebiet kann nicht erkannt werden. Die BF besuchen in Österreich den Kindergarten und wohnen gemeinsam mit ihrer Mutter, ihrem (Stief)Vater sowie den vier weiteren Geschwistern in einer Unterkunft der XXXX .
Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat der BF:
Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen
Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit 7.5.2018 in das LIB Russische Föderation übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 13).
Der russische Präsident Wladimir Putin hat am Montag (7.5.2018) den Eid für seine vierte und somit letzte Amtszeit abgelegt. Vor etwa 5.000 Gästen im Kreml in Moskau gelobte er, "dem Volk treu zu dienen", wie es in der Eidesformel heißt (Kurier.at 7.5.2018).
Bei der Präsidentenwahl im März 2018 hatte die Wahlbehörde ihm ein Rekordergebnis von knapp 77% der Stimmen zugesprochen. Überschattet wird die Amtseinführung von der Gewalt, mit der die Polizei am 5.5.2018 Kundgebungen von Regierungsgegnern auflöste. Landesweit wurden dabei etwa 1.600 Anhänger des Oppositionellen Alexej Nawalny festgenommen, die meisten aber wieder freigelassen. Doch das Bürgerrechtsportal "OVD-Info" zählte am Montag immer noch dutzende Demonstranten in Gewahrsam (Standard.at 7.5.2018).
Alexej Nawalny hatte zu landesweiten Protesten gegen den Kremlchef aufgerufen, unter dem Motto "Er ist nicht unser Zar" fanden sich in rund 90 Städten Demonstranten zusammen. Die größten Veranstaltungen gab es traditionell in Moskau und St. Petersburg. Vor allem junge Menschen folgten dem Aufruf Nawalnys. In der Hauptstadt Moskau waren es nach Einschätzung der Tageszeitung Kommersant rund 10.000 Demonstranten, während die Polizei die Menge dort auf nur 1.500 Personen taxierte. Die in jedem Fall verhältnismäßig geringe Zahl der Demonstranten ist auch auf die anhaltende Zersplitterung der russischen Opposition zurückzuführen. So beteiligten sich weder die sozialliberale Jabloko-Partei, noch die neue "Partei der Veränderungen" um Xenia Sobtschak und Dmitri Gudkow an den Kundgebungen. Die Obrigkeit hingegen hatte eine enorme Anzahl an Sicherheitskräften aufgefahren, um mögliche Unmutsbekundungen im Keim zu ersticken. Neben der Polizei waren Männer in Kosakenuniform im Einsatz. Kosaken - eigentlich Folklore - treten immer wieder als Hilfspolizisten auf. In Moskau gingen sie hart gegen die Menge vor. Auch die Polizei setzte Schlagstöcke gegen die Demonstranten ein. Kritik am harten Vorgehen der Behörden gab es nicht nur von der EU, sondern auch aus dem Menschenrechtsrat des russischen Präsidenten. Speziell der Einsatz der Kosaken rief dort Unmut hervor. Kremlsprecher Dmitri Peskow hingegen kommentierte die Vorfälle nicht. Nawalny wurde gleich nach seinem Eintreffen auf dem für die Protestaktion zentralen Puschkin-Platz abgeführt. Etwa 80% der Festgenommen wurden innerhalb eines Tages wieder auf freien Fuß gesetzt. Auch Nawalny kam nach mehreren Stunden vorläufig frei, allerdings muss er sich am 11.5.2018 - vier Tage nach den Inaugurationsfeiern im Kreml - vor Gericht wegen der Organisation einer ungenehmigten Kundgebung und Widerstands gegen die Staatsgewalt verantworten. Als Wiederholungstäter droht dem Oppositionellen eine empfindliche Strafe (Standard.at 6.5.2018).
Quellen:
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Standard.at (6.5.2018): Härte gegen Proteste vor erneuter Putin-Amtseinführung,
https://derstandard.at/2000079263953/Nawalny-nach-Festnahme-bei-Oppositionskundgebung-wieder-frei, Zugriff 7.5.2018
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Standard.at (7.5.201): Putin trat vierte Amtszeit als Präsident an, kommt am 5. Juni nach Wien, https://derstandard.at/2000079311730/Putin-tritt-vierte-Amtszeit-als-russischer-Praesident-an, Zugriff 7.5.2018
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Kurier.at (7.5.2018): Putin trat vierte Amtszeit an und besucht am 5. Juni Wien,
https://kurier.at/politik/ausland/putin-trat-vierte-amtszeit-an-geloebnis-vor-5000-gaesten/400031920, Zugriff 7.5.2018
Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit heutigem Datum in das LIB Russische Föderation übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 2. Politische Lage).
Wie erwartet ist Russlands Präsident Putin bei der Präsidentschaftswahl am 18.3.2018 im Amt bestätigt worden. Nach Auszählung von 99% der Stimmen errang er 76,7% der Stimmen. Putins stärkster Herausforderer, der Kommunist Pawel Grudinin, kam auf 11,8%, dahinter der Rechtspopulist Wladimir Schirinowski mit 5,7%. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur Tass zufolge bei knapp 67%, und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration. 70% waren in den letzten Wochen inoffiziell als Ziel gestellt worden, zuletzt hatte der Kreml die Erwartungen auf 65% heruntergeschraubt (Standard.at 19.3.2018, vgl. Presse.at 19.3.2018). Die Beteiligung galt als wichtiger Indikator für Putins Rückhalt in der Bevölkerung. Entsprechend beharrlich hatte die russische Führung die Bürger aufgerufen, ihre Stimme abzugeben (Tagesschau.de 19.3.2018).
Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018).
Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin. Sie stellte Bilder einer Überwachungskamera in einem Wahllokal nahe Moskau zur Verfügung, die offenbar zeigen, wie Wahlhelfer gefälschte Stimmzettel in eine Urne stopfen. Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinanderfolgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018).
Quellen:
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Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen",
https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 19.3.2018
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Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident,
https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 19.3.2018
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Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 19.3.2018
Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit heutigem Datum in das LIB Russische Föderation übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt
2.2 Politische Lage Dagestan und Abschnitt 4 Rechtsschutz/Justizwesen).
In Machatschkala, der Hauptstadt Dagestans, ist die gesamte Regierungsspitze auf Befehl Moskaus festgenommen worden, insgesamt sieben Personen: der kommissarische Regierungschef Abdussamad Gamidow, zwei seiner Stellvertreter und vier weitere ranghohe Beamte. Ihnen wird Korruption vorgeworfen. Persönliche Waffen der Politiker wurden beschlagnahmt. Die Politiker wurden von Sicherheitskräften aus Moskau in Handschellen zum Flughafen gebracht und zu Vernehmungen in die russische Hauptstadt geflogen. Die muslimisch geprägte russische Teilrepublik Dagestan wird von Korruption und islamistischem Extremismus geprägt und macht Moskau Sorgen. Präsident Wladimir Putin entsandte im vergangenen Oktober den ehemaligen russischen Vize-Innenminister Wladimir Wassiljew, um für Ordnung zu sorgen. Im Januar war bereits der Bürgermeister der Hauptstadt, Mussa Mussajew, wegen Amtsmissbrauchs verhaftet worden (Euronews 6.2.2018, vgl. Kurier 5.2.2018).
Der Präsident der Republik Dagestan, Ramasan Abdulatipow, ist im September 2017 von seinem Amt aus Altersgründen zurückgetreten (Ostexperte.de 28.9.2017). Am 9.10.2017 wird daraufhin Wladimir Wasiljew zum kommissarischen Oberhaupt der Republik Dagestan ernannt (Länderanalysen - Chronik 9.10.2017).
Quellen:
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Euronews (6.2.2018): Dagestan: Gesamte Regierung in Handschellen abgeführt,
http://de.euronews.com/2018/02/06/dagestan-gesamte-regierung-in-handschellen-abgefuhrt, Zugriff 7.2.2018
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Kurier (5.2.2018): Russland: Regierungsspitze in Dagestan festgenommen,
https://kurier.at/politik/ausland/russland-regierungsspitze-in-dagestan-festgenommen/309.777.147, Zugriff 7.2.2018
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Russland Analysen (9.10.2017): Chronik: Russland im Jahr 2017, http://www.laender-analysen.de/russland/chroniken/Chronik_RusslandAnalysen_2017.pdf, Zugriff 7.2.2018
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Ostexperte.de (28.9.2017): Präsident von Dagestan verkündet Rücktritt,
https://ostexperte.de/praesident-von-dagestan-verkuendet-ruecktritt/, Zugriff 7.2.2018
Politische Lage
Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 15.6.2017, vgl. GIZ 7.2017c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12. Juni 1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12. Dezember 1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte) (AA 3.2017a). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über sehr weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Amtsinhaber ist seit dem 7. Mai 2012 Wladimir Putin (AA 3.2017a, vgl. EASO 3.2017). Er wurde am 4. März 2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident. Dmitri Medwedjew, Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8. Mai 2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Seit der Wiederwahl von Staatspräsident Putin im Mai 2012 wird eine Zunahme autoritärer Tendenzen beklagt. So wurden das Versammlungsrecht und die Gesetzgebung über Nichtregierungsorganisationen erheblich verschärft, ein föderales Gesetz gegen "Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen" erlassen, die Extremismus-Gesetzgebung verschärft sowie Hürden für die Wahlteilnahme von Parteien und Kandidaten beschlossen, welche die Wahlchancen oppositioneller Kräfte weitgehend zunichtemachen. Der Druck auf Regimekritiker und Teilnehmer von Protestaktionen wächst, oft mit strafrechtlichen Konsequenzen. Der Mord am Oppositionspolitiker Boris Nemzow hat das Misstrauen zwischen Staatsmacht und außerparlamentarischer Opposition weiter verschärft (AA 3.2017a). Mittlerweile wurden alle fünf Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldig gesprochen. Alle fünf stammen aus Tschetschenien. Der Oppositionelle Ilja Jaschin hat das Urteil als "gerecht" bezeichnet, jedoch sei der Fall nicht aufgeklärt, solange Organisatoren und Auftraggeber frei sind. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hat verlautbart, dass die Suche nach den Auftraggebern weiter gehen wird. Allerdings sind sich Staatsanwaltschaft und Nebenklage, die die Interessen der Nemzow-Familie vertreten, nicht einig, wen sie als potenziellen Hintermann weiter verfolgen. Die staatlichen Anklagevertreter sehen als Lenker der Tat Ruslan Muchutdinow, einen Offizier des Bataillons "Nord", der sich in die Vereinigten Arabischen Emirate abgesetzt haben soll. Nemzows Angehörige hingegen vermuten, dass die Spuren bis "zu den höchsten Amtsträgern in Tschetschenien und Russland" führen. Sie fordern die Befragung des Vizebataillonskommandeurs Ruslan Geremejew, der ein entfernter Verwandter von Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow ist (Standard 29.6.2017). Ein Moskauer Gericht hat den Todesschützen von Nemzow zu 20 Jahren Straflager verurteilt. Vier Komplizen erhielten Haftstrafen zwischen 11 und 19 Jahren. Zudem belegte der Richter Juri Schitnikow die fünf Angeklagten aus dem russischen Nordkaukasus demnach mit Geldstrafen von jeweils 100.000 Rubel (knapp 1.500 Euro). Die Staatsanwaltschaft hatte für den Todesschützen lebenslange Haft beantragt, für die Mitangeklagten 17 bis 23 Jahre (Kurier 13.7.2017).
Russland ist formal eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum (AA 3.2017a).
Die siebte Parlamentswahl in Russland hat am 18. September 2016 stattgefunden. Gewählt wurden die 450 Abgeordneten der russischen Duma. Insgesamt waren 14 Parteien angetreten, unter ihnen die oppositionellen Parteien Jabloko und Partei der Volksfreiheit (PARNAS). Die Wahlbeteiligung lag bei 47,8%. Die meisten Stimmen bei der Wahl, die auch auf der Halbinsel Krim abgehalten wurde, erhielt die von Ministerpräsident Dmitri Medwedew geführte Regierungspartei "Einiges Russland" mit gut 54%. Nach Angaben der Wahlkommission landete die Kommunistische Partei mit 13,5% auf Platz zwei, gefolgt von der nationalkonservativen LDPR mit 13,2%. Die nationalistische Partei "Gerechtes Russland" erhielt 6%. Diese vier Parteien waren auch bislang schon in der Duma vertreten und stimmten in allen wesentlichen Fragen mit der Mehrheit. Den außerparlamentarischen Oppositionsparteien gelang es nicht die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. In der Duma verschiebt sich die Macht zugunsten der Regierungspartei "Einiges Russland". Die Partei erreicht im Parlament mit 343 Sitzen deutlich die Zweidrittelmehrheit, die ihr nun Verfassungsänderungen ermöglicht. Die russischen Wahlbeobachter von der NGO Golos berichteten auch in diesem Jahr über viele Verstöße gegen das Wahlrecht (GIZ 4.2017a, vgl. AA 3.2017a).
Das Verfahren am Wahltag selbst wurde offenbar korrekter durchgeführt als bei den Dumawahlen im Dezember 2011. Direkte Wahlfälschung wurde nur in Einzelfällen gemeldet, sieht man von Regionen wie Tatarstan oder Tschetschenien ab, in denen Wahlbetrug ohnehin erwartet wurde. Die Wahlbeteiligung von über 90% und die hohen Zustimmungsraten in diesen Regionen sind auch nicht geeignet, diesen Verdacht zu entkräften. Doch ist die korrekte Durchführung der Abstimmung nur ein Aspekt einer demokratischen Wahl. Ebenso relevant ist, dass alle Bewerber die gleichen Chancen bei der Zulassung zur Wahl und die gleichen Möglichkeiten haben, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Der Einsatz der Administrationen hatte aber bereits im Vorfeld der Wahlen - bei der Bestellung der Wahlkommissionen, bei der Aufstellung und Registrierung der Kandidaten sowie in der Wahlkampagne - sichergestellt, dass sich kein unerwünschter Kandidat und keine missliebige Oppositionspartei durchsetzen konnte. Durch restriktives Vorgehen bei der Registrierung und durch Behinderung bei der Agitation wurden der nichtsystemischen Opposition von vornherein alle Chancen genommen. Dieses Vorgehen ist nicht neu, man hat derlei in Russland vielfach erprobt und zuletzt bei den Regionalwahlen 2014 und 2015 erfolgreich eingesetzt. Das Ergebnis der Dumawahl 2016 demonstriert also, dass die Zentrale in der Lage ist, politische Ziele mit Hilfe der regionalen und kommunalen Verwaltungen landesweit durchzusetzen. Insofern bestätigt das Wahlergebnis die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Apparats und die Wirksamkeit der politischen Kontrolle. Dies ist eine der Voraussetzungen für die Erhaltung der politischen Stabilität (RA 7.10.2016).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Russische Föderation - Innenpolitik,
http://www.auswaertiges-amt.de/sid_167537BE2E4C25B1A754139A317E2F27/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html, Zugriff 21.6.2017
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CIA - Central Intelligence Agency (15.6.2017): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 21.6.2017
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EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 21.6.2017
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GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (4.2017a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c24819, Zugriff 21.6.2017
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GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2017c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 11.7.2017
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Kurier.at (13.7.2017): Nemzow-Mord: 20 Jahre Straflager für Mörder,
https://kurier.at/politik/ausland/nemzow-mord-20-jahre-straflager-fuer-moerder/274.903.855, Zugriff 13.7.2017
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RA - Russland Analysen (7.10.2016): Nr. 322, Bewegung in der russischen Politik?,
http://www.laender-analysen.de/russland/pdf/RusslandAnalysen322.pdf, Zugriff 21.6.2017
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Standard (29.7.2017): Alle Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldiggesprochen,
http://derstandard.at/2000060550142/Alle-Angeklagten-im-Mordfall-Nemzow-schuldig-gesprochen, Zugriff 30.6.2017
Tschetschenien
Die Tschetschenische Republik ist eine der 21 Republiken der Russischen Föderation. Betreffend Fläche und Einwohnerzahl - 15.647 km2 und fast 1,3 Millionen Einwohner/innen (2010) - ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).
Den Föderationssubjekten stehen Gouverneure vor. Gouverneur von Tschetschenien ist Ramsan Kadyrow. Er gilt als willkürlich herrschend. Russlands Präsident Putin lässt ihn aber walten, da er Tschetschenien "ruhig" hält. Tschetschenien wird überwiegend von Geldern der Zentralregierung finanziert. So erfolgte der Wiederaufbau von Tschetscheniens Hauptstadt Grosny vor allem mit Geldern aus Moskau (BAMF 10.2013, vgl. RFE/RL 19.1.2015).
In Tschetschenien gilt Ramsan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres System geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und größtenteils außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert. So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens zurücktreten, nachdem er von Kadyrow kritisiert worden war, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter in die föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen im September 2016, wenn auch das Republikoberhaupt gewählt wird, durchzuführen. Die Entscheidung erklärte man mit potentiellen Einsparungen durch das Zusammenlegen der beiden Wahlgänge, Experten gehen jedoch davon aus, dass Kadyrow einen Teil der Abgeordneten durch jüngere, aus seinem Umfeld stammende Politiker ersetzen möchte. Bei den Wahlen vom 18. September 2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Den offiziellen Angaben zufolge wurde Kadyrow mit über 97% der Stimmen im Amt des Oberhauptes der Republik bestätigt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld HRW über Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte (ÖB Moskau 12.2016). In Tschetschenien hat das Republikoberhaupt Ramsan Kadyrow ein auf seine Person zugeschnittenes repressives Regime etabliert. Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 24.1.2017).
Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die darauf aus wären, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtlern, aber auch von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert. Im März ernannte Präsident Putin Kadyrow im Zusammenhang mit dessen im April auslaufender Amtszeit zum Interims-Oberhaupt der Republik und drückte seine Unterstützung für Kadyrows erneute Kandidatur aus. Bei den Wahlen im September 2016 wurde Kadyrow laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt, wohingegen unabhängige Medien von krassen Regelverstößen bei der Wahl berichteten (ÖB Moskau 12.2016). Im Vorfeld dieser Wahlen zielten lokale Behörden auf Kritiker und Personen, die als nicht loyal zu Kadyrow gelten ab, z.B. mittels Entführungen, Verschwindenlassen, Misshandlungen, Todesdrohungen und Androhung von Gewalt gegenüber Verwandten (HRW 12.1.2017).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (24.1.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013):
Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg
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HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/334746/476500_de.html, Zugriff 28.6.2017)
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ÖB Moskau (12.2016): Asylländerbericht Russische Föderation