TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/17 W270 2157191-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.10.2018
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Entscheidungsdatum

17.10.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W270 2157179-1/27E

W270 2157191-1/23E

W270 2157182-1/20E

W270 2199735-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

I. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Günther GRASSL über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. AFGHANISTAN, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 24.04.2017, Zl. XXXX , betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

II. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Günther GRASSL über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. AFGHANISTAN, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 24.04.2017, Zl. XXXX , betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

III. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Günther GRASSL über die Beschwerde des mj. XXXX , geb. XXXX , StA. AFGHANISTAN, vertreten durch die Mutter, XXXX , diese vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 24.04.2017, Zl. XXXX , betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

IV. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Günther GRASSL über die Beschwerde der mj. XXXX , geb. XXXX , StA. AFGHANISTAN, vertreten durch die Mutter, XXXX , diese vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 22.05.2018, Zl. XXXX , betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. XXXX (in Folge: "Erstbeschwerdeführerin"), XXXX (in Folge: "Zweitbeschwerdeführer") und XXXX (in Folge: "Drittbeschwerdeführer"), dieser vertreten durch die Erstbeschwerdeführerin, stellten am 05.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Bei ihrer Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 06.01.2016 gab die Erstbeschwerdeführerin befragt zu ihren Fluchtgründen an, dass die Familie aufgrund der Tätigkeit des Bruders des Zweitbeschwerdeführers für eine amerikanische Firma in Lebensgefahr gewesen sei. Die Taliban hätten sie als Kommunisten beschimpft und bedroht. Der Schwager sei verschollen. Die Taliban hätten außerdem Drohbriefe ins Haus geworfen. Der Zweitbeschwerdeführer gab am selben Tag zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass seine Familie in Lebensgefahr gewesen sei. Sein Bruder XXXX habe bei einer amerikanischen Straßenbaufirma gearbeitet. Deswegen seien sie von den Taliban mit dem Umbringen bedroht worden. Für den Drittbeschwerdeführer nannten die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer keine eigenen Fluchtgründe.

3. Bei ihrer Einvernahme am 31.03.2017 vor der belangten Behörde gab die Erstbeschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen befragt zusammengefasst an, dass ihr Schwager XXXX für die Amerikaner gearbeitet habe und dann verschwunden sei. Männer seien insgesamt drei Mal zu ihnen nach Hause gekommen und hätten nach ihm gesucht und die Großfamilie bedroht. Vier bis fünf Tage nach dem letzten Vorfall hätte ihr Schwiegervater gesagt, dass sie das Land verlassen müssten. Der Zweitbeschwerdeführer gab bei seiner Einvernahme an, dass sein Bruder XXXX für eine amerikanische Firma gearbeitet habe. Sein Bruder sei dann jedoch verschwunden. Männer hätten dann insgesamt drei Mal das Haus der Familie aufgesucht. Es sei ihnen klargeworden, dass es sich bei den Männern um die Taliban handle. Eine Woche später habe der Vater des Zweitbeschwerdeführers gesagt, dass die Familie das Land verlassen solle.

4. Die belangte Behörde wies die gegenständlichen Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m.

§ 2 Abs. 1 Z 13 des AsylG 2005 (Spruchpunkte I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkte II.) mit Bescheiden vom 24.04.2017 ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den Beschwerdeführern gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 i.V.m. § 9 BFA-VG, wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist und dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für ihre freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkte III. und IV.).

Die belangte Behörde begründete ihren Bescheid im Wesentlichen damit, dass eine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsland nicht glaubhaft gemacht worden sei. Auch eine Gefährdung i.S.d. § 8 AsylG 2005 ließe sich aus den individuellen persönlichen Verhältnissen nicht ableiten. Da der Zweitbeschwerdeführer über Berufserfahrung im Schneidergewerbe verfüge sei davon auszugehen, dass er in der Lage wäre den Lebensunterhalt der Familie bei Rückkehr zu bestreiten. Zusätzlich bestünde die Möglichkeit der finanziellen Unterstützung durch die Familie. Schlussendlich überwiege das öffentliche Interesse an einer Rückkehrentscheidung dem Interesse der Beschwerdeführer an einem Verbleib in Österreich.

5. Gegen diesen Bescheid erhoben die Erstbeschwerdeführerin, der Zweitbeschwerdeführer sowie der Drittbeschwerdeführer am 09.05.2017 Beschwerden. In diesen wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführer ein Risikoprofil erfüllen, weil der Bruder des Zweitbeschwerdeführers für eine ausländische Firma gearbeitet habe und die Behörde Ermittlungen betreffend eine "Verwestlichung" der Erstbeschwerdeführerin unterlassen hätte. Es wurden außerdem weitere Beweismittel betreffend die Lage im Herkunftsstaat vorgelegt.

6. Am 14.08.2017 und am 29.09.2017 wurden dem Bundesverwaltungsgerichte von den Beschwerdeführern Dokumente zur Kenntnisnahme vorgelegt sowie am 21.11.2017 noch weitere nachgereicht. Bei diesen handelt es sich um Bestätigungen integrativer Leistungen der Beschwerdeführer.

7. In den Stellungnahmen vom 28.11.2018 nahmen die Beschwerdeführer Stellung zu den seitens des Bundesverwaltungsgerichts in das Verfahren eingeführten Länderberichten und verwiesen auf weitere Beweismittel.

8. Am Bundesverwaltungsgericht fand am 01.12.2017 eine mündliche Verhandlung statt, in deren Rahmen die Erstbeschwerdeführerin sowie der Zweitbeschwerdeführer insbesondere nochmals zu den geltend gemachten Fluchtgründen einvernommen wurden.

9. Am 23.02.2018 stellte die minderjährige XXXX (in Folge: "Viertbeschwerdeführerin"), vertreten durch die Erstbeschwerdeführerin, einen Antrag auf internationalen Schutz.

10. Am 15.03.2018 fand die Erstbefragung der Viertbeschwerdeführerin als nachgeborenes Kind, vertreten durch den Zweitbeschwerdeführer, statt. Dieser gab an, dass die Viertbeschwerdeführerin über keine eigenen Fluchtgründe verfügen würde.

11. Die belangte Behörde wies den gegenständlichen Antrag der Viertbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i. V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) mit Bescheid vom 22.05.2018 ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 i.V.m. § 9 BFA-VG, wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist und dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für ihre freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt V. und VI.).

Zur Begründung ihres Bescheides führte die belangte Behörde insbesondere aus, dass eigene Fluchtgründe nicht ins Treffen geführt worden seien und die Erstbeschwerdeführerin sowie der Zweitbeschwerdeführer eine asylrelevante Verfolgung in Afghanistan nicht glaubhaft gemacht hätten. Eine von den Familienangehörigen ableitbare Gefährdungslage hätte somit nicht bestanden.

12. Die Viertbeschwerdeführerin, vertreten durch die Erstbeschwerdeführerin, erhob am 25.06.2018 gegen diesen Bescheid Beschwerde, in welcher insbesondere eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des Bescheides sowie die Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird und weitere Beweismittel genannt werden.

13. Am 19.07.2018 wurde die Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht fortgesetzt und mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes das Beschwerdeverfahren der Viertbeschwerdeführerin in das Familienverfahren hereingenommen. In der mündlichen Verhandlung wurden die Erstbeschwerdeführerin sowie der Zweit- und Drittbeschwerdeführer nochmals zu deren Leben in Österreich sowie zur Situation im Falle einer Rückkehr einvernommen und legten diese weitere Urkunden vor. In der Verhandlung wurden außerdem weitere länderkundliche Informationen und sonstige Informationen als Beweismittel seitens des Bundesverwaltungsgerichtes in das Verfahren eingeführt. Des Weiteren wurde der Verfahrensakt des Bruders des Zweitbeschwerdeführers, XXXX , GZ W246 2137328 in der mündlichen Verhandlung verlesen und ebenfalls als Beweismittel in das Verfahren aufgenommen. Der Rechtsvertretung der Beschwerdeführer wurde eine Frist von vierzehn Tagen zur Erstattung einer Stellungnahme eingeräumt.

14. Am 21.07.2018 wurde seitens des Bundesverwaltungsgerichtes eine Anfrage an die Staatendokumentation betreffend die Erkrankungen des Zweitbeschwerdeführers und deren Behandlungsmöglichkeiten in Afghanistan gestellt. Die am 03.08.2018 ergangene Anfragebeantwortung wurde den Beschwerdeführern mit einer Frist von vierzehn Tagen zur allfälligen Stellungnahme übermittelt und diesen am 23.08.2018 zugestellt.

15. In der Stellungnahme vom 31.08.2018 wird nochmals eine allfällige westliche Orientierung der Erstbeschwerdeführerin thematisiert sowie ausführlich auf das Krankheitsbild des Zweitbeschwerdeführers eingegangen. Zudem werden weitere Beweismittel und Urkunden vorgelegt.

16. Am 12.09.2018 wurden die Beschwerdeführer über die Absicht des Bundesverwaltungsgerichtes, die UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018, HCR/EG/AFG/18/02 sowie das Gutachten des Sachverständigen Mag. Karl Mahringer vom 30.08.2018 als Beweismittel in das Verfahren einzuführen verständigt und diesen für eine allfällige Stellungnahme eine Frist von vierzehn Tagen eingeräumt. Die Verständigung wurde den Beschwerdeführern am 14.09.2018 zugestellt.

17. Mit Schriftsatz vom 28.09.2018 erstatteten die Beschwerdeführer eine weitere Stellungnahme. Darin führten Sie zum Gutachten von Mag. Karl Mahringer sowie zu den Richtlinien des UNHCR aus.

18. Den Beschwerdeführern wurde auch noch Gelegenheit zur Stellungnahme zu einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation aus dem September 2018 zur Versorgungslage in den Städten Herat und Mazar-e Sharif im Hinblick auf eine dortige Dürresituation eingeräumt.

19. Mit Schriftsatz vom 10.10.2018 nahmen die Beschwerdeführer zur Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Stellung und verwiesen im Wesentlichen erneut auf die UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 im Hinblick auf die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu den Personen:

1.1.1. Zur Erstbeschwerdeführerin:

1.1.1.1. Die Erstbeschwerdeführerin trägt den Namen XXXX und ist Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan. Sie wurde am XXXX in XXXX , in der Provinz Baghlan geboren und ist in Kabul aufgewachsen. Die Erstbeschwerdeführerin gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Sie ist gesund.

1.1.1.2. Die Erstbeschwerdeführerin hat einen Sohn, den Drittbeschwerdeführer XXXX und eine Tochter, die Viertbeschwerdeführerin XXXX .

1.1.1.3. Die Muttersprache der Erstbeschwerdeführerin ist Dari. Neben dieser Sprache hat die Erstbeschwerdeführerin noch Kenntnisse der Sprachen Paschtu und Deutsch.

1.1.1.4. Die Erstbeschwerdeführerin hat in Afghanistan sieben Jahre lang eine staatliche Schule besucht, die siebente Klasse jedoch nicht abgeschlossen. Eine besondere Ausbildung hat sie nicht absolviert, weil sie sich um die Hausarbeit kümmern musste.

1.1.1.5. Die Mutter, die drei Brüder und die beiden Schwestern der Erstbeschwerdeführerin, zu welchen sie auch regelmäßig Kontakt hat, leben in den USA. Zwei Onkel väterlicherseits sowie eine Tante väterlicherseits leben in Kabul, zu diesen pflegt die Erstbeschwerdeführerin jedoch keinen Kontakt.

1.1.1.6. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer haben ungefähr im Jahr 2006 traditionell geheiratet. Die Hochzeitszeremonie wurde sowohl in Qarabagh als auch in Kabul abgehalten. Die Ehe wurde nicht staatlich registriert.

1.1.1.7. Die Erstbeschwerdeführerin ist in ihrem Herkunftsstaat nicht vorbestraft. Sie hat sich nicht politisch betätigt, war nicht Mitglied einer politischen Partei oder Bewegung und hatte keine Probleme mit den Behörden im Herkunftsstaat.

1.1.1.8. Die Erstbeschwerdeführerin hat Afghanistan im Dezember 2015 verlassen und stellte schließlich am 05.01.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.1.2. Zum Zweitbeschwerdeführer:

1.1.2.1. Der Zweitbeschwerdeführer führt den Namen XXXX und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan. Er wurde am XXXX im Ort XXXX im Distrikt Quarabagh, in der Provinz Kabul geboren und ist dort auch aufgewachsen. Der Zweitbeschwerdeführer gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam.

1.1.2.2. Der Zweitbeschwerdeführer leidet unter diagnostizierten Anpassungsstörungen mit Ängsten, Insomnie und Cephalea, weswegen er die Medikamente Deanxit, Pregabalin und Dominal forte einnimmt. In der Vergangenheit reiste er aufgrund seiner Erkrankungen auch ein bis zweimal pro Jahr für Behandlungen von Afghanistan in den Iran.

Durch die Einnahme der Medikamente in Kombination mit einer regelmäßigen sportlichen Betätigung hat sich der Zustand des Zweitbeschwerdeführers betreffend die angegebenen Erkrankungen verbessert.

Aus fachärztlicher Sicht soll er sich neben der Einnahme von Medikamenten einer regelmäßigen fachärztlichen Kontrolle unterziehen. Eine akute Gefahr einer Selbst- oder Fremdgefährdung besteht nicht.

1.1.2.3. Der Zweitbeschwerdeführer hat einen Sohn, den Drittbeschwerdeführer XXXX und eine Tochter, die Viertbeschwerdeführerin XXXX .

1.1.2.4. Die Muttersprache des Zweitbeschwerdeführers ist Dari. Diese Sprache kann er auch lesen und schreiben. Neben Dari hat er noch Kenntnisse der Sprachen Farsi und Paschtu.

1.1.2.5. Der Zweitbeschwerdeführer ist in Afghanistan sieben Jahre lang in eine öffentliche Schule gegangen. Danach erlernte er den Beruf des Schneiders. Er hatte ein eigenes Geschäft und verfügt über eine mindestens fünfzehnjährige Berufserfahrung in diesem Gewerbe. Mit den daraus erzielten Einkünften konnte er den Lebensunterhalt seiner Familie finanzieren.

1.1.2.6. Die Eltern des Zweitbeschwerdeführers leben nach wie vor in dessen Heimatdorf im Distrikt Quarabagh, in der Provinz Kabul. Sein Vater führt dort auch immer noch den landwirtschaftlichen Betrieb. Dieser ist sehr vermögend. Insbesondere besitzt dieser rund 10.000 Weinstöcke und auch ein Haus.

Die Schwester des Zweitbeschwerdeführers lebt in Kuwait. Ein Onkel väterlicherseits sowie dessen Sohn leben in Kabul. Zwei Brüder des Zweitbeschwerdeführers leben in Deutschland, ein Bruder lebt in England und einer in Österreich. Zu seinen Eltern steht der Zweitbeschwerdeführer regelmäßig in Kontakt.

1.1.2.7. Der Zweitbeschwerdeführer und die Erstbeschwerdeführerin haben ungefähr im Jahr 2006 traditionell geheiratet. Die Hochzeitszeremonie wurde sowohl in Qarabagh als auch in Kabul abgehalten. Die Ehe wurde nicht staatlich registriert.

1.1.2.8. Der Zweitbeschwerdeführer ist in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft. Er hat sich nicht politisch betätigt, war nicht Mitglied einer politischen Partei oder Bewegung und hatte keine Probleme mit den Behörden im Herkunftsstaat.

1.1.2.9. Der Zweitbeschwerdeführer hat Afghanistan im Dezember 2015 verlassen und stellte schließlich am 05.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.1.3. Zum Drittbeschwerdeführer:

1.1.3.1. Der Drittbeschwerdeführer trägt den Namen XXXX und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan. Er wurde am XXXX im Distrikt Quarabagh, in der Provinz Kabul geboren und ist dort bis zur Flucht auch aufgewachsen. Der Drittbeschwerdeführer gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam.

1.1.3.2. Der Drittbeschwerdeführer hat Afghanistan im Dezember 2015 zusammen mit seinen Eltern, der Erstbeschwerdeführerin und dem Zweitbeschwerdeführer, verlassen und stellte schließlich am 05.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.1.3.3. Der Drittbeschwerdeführer lebt mit seinen Eltern und seiner Schwester, der Viertbeschwerdeführerin im Familienverband und ist gesund.

1.1.4. Zur Viertbeschwerdeführerin:

Die Viertbeschwerdeführerin führt den Namen XXXX , wurde am XXXX in Österreich geboren und stellte am 23.02.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz. Sie lebt mit ihren Eltern, der Erstbeschwerdeführerin und dem Zweitbeschwerdeführer, sowie ihrem Bruder, dem Drittbeschwerdeführer, im Familienverband und ist gesund.

1.2. Zum individuellen Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer:

1.2.1. Der Bruder des Zweitbeschwerdeführers, XXXX , war bis zum Jahr 2010 für die Straßenbaufirma " XXXX " tätig.

1.2.2. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer aufgrund der beruflichen Tätigkeit des Bruders des Zweitbeschwerdeführers, XXXX , persönlich von den Taliban oder sonstigen Personen bedroht oder sonstige Handlungen oder Maßnahmen gegen sie gesetzt wurden.

1.2.3. Weiters kann nicht festgestellt werden, dass gegen die Familie der Beschwerdeführer eine sonstige Maßnahme oder Handlung gesetzt wurde, insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass die Eltern des Zweitbeschwerdeführers persönlich bedroht wurden.

1.2.4. Die Erstbeschwerdeführerin sowie der Zweitbeschwerdeführer hatten in ihrem Herkunftsstaat weder Probleme mit den Behörden noch wurden sie wegen ihrer Nationalität, ihrem Geschlecht, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrem Bekenntnis zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam, ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Tadschiken oder wegen Zugehörigkeit zu einer anderen gesellschaftlichen Gruppe bedroht oder wurde sonst eine Handlung oder Maßnahme aus diesen Gründen gegen sie gesetzt.

1.2.5. Bezüglich des Drittbeschwerdeführers und der Viertbeschwerdeführerin, diese wurde in Österreich geboren, wurden keine individuellen Fluchtgründe vorgebracht.

1.3. Zum Leben der Beschwerdeführer in Österreich:

1.3.1. Zur Erstbeschwerdeführerin:

1.3.1.1. Die Erstbeschwerdeführerin lebt derzeit als Mieterin in einer Unterkunft des " XXXX " in XXXX bei XXXX. Diese Unterkunft teilt sie sich mit den Zweit- bis Viertbeschwerdeführern und dem Bruder des Zweitbeschwerdeführers, XXXX , dessen Frau, XXXX und deren minderjährigen Kindern, XXXX und XXXX .

1.3.1.2. Die Erstbeschwerdeführerin besucht gemeinsam mit dem Zweitbeschwerdeführer mehrmals pro Woche von ehrenamtlichen Deutschlehrern angebotene Deutschstunden, zu welchen sie auch die Viertbeschwerdeführerin mitnimmt. Sie besuchte zudem im Zeitraum von 03.04.2017 bis 16.06.2017 einen Deutschkurs für das Sprachniveau A0 und im Zeitraum von 21.06.2017 bis 03.08.2017 einen solchen für das Sprachniveau A1. Prüfungen hat sie noch keine abgelegt. Die Erstbeschwerdeführerin ist in der Lage in einfachen Situationen des Alltagslebens auf elementarer Basis in deutscher Sprache zu kommunizieren. Des Weiteren nahm sie an Kursen des österreichischen Integrationsfonds teil.

1.3.1.3. Die Erstbeschwerdeführerin betätigt sich weder ehrenamtlich noch ist sie Mitglied in einem Verein oder betätigt sich in einem solchen.

1.3.1.4. Die Erstbeschwerdeführerin geht selbstständig bzw. alleine einkaufen und nimmt dafür - alleine - den Bus nach XXXX . Sie geht außerdem alleine mit ihren Kindern spazieren und erledigt auch Arztbesuche selbstständig. Sie unterstützt weiters ihre Schwägerin bei der Erziehung ihrer Kinder und ebenso bei der Bewältigung des Alltages sowie bei Arztterminen, weil deren Kinder schwerwiegend erkrankt sind. Die Familieneinkünfte verwaltet sie gemeinsam mit dem Zweitbeschwerdeführer bzw. trifft eigenständig wirtschaftliche Dispositionen. Diese Verhaltensweisen hat die Erstbeschwerdeführerin auch bereits verinnerlicht.

1.3.1.5. Sie hat Kontakt zu Österreichern, so etwa zu ihren Nachbarn " XXXX " " XXXX " und " XXXX ".

1.3.1.6. Ihr soziales Umfeld beschreibt die Erstbeschwerdeführerin als verlässlich und kooperativ.

1.3.1.7. Der - verinnerlichte - Kleidungstil der Erstbeschwerdeführerin im Alltagsleben ist sportlich bzw. leger.

1.3.1.8. Die Erstbeschwerdeführerin interessierte sich zuerst für den Beruf der Lehrerin, nunmehr für den der Kindergartenhelferin. Betreffend den Beruf der Kindergartenhelferin hat sie eine Informationsunterlage des BFI sowie des WIFI hinsichtlich Ausbildungsmöglichkeiten für u.a. diese Betreuungsdienstleistung ausgedruckt. Generell möchte sie sich bilden und auf eigenen Beinen stehen.

1.3.1.9. Bislang war die Erstbeschwerdeführerin in Österreich nicht erwerbstätig.

1.3.1.10. Die Erstbeschwerdeführerin ist unbescholten.

1.3.2. Zum Zweitbeschwerdeführer:

1.3.2.1. Der Zweitbeschwerdeführer lebt derzeit als Mieter in einer Unterkunft des " XXXX " in XXXX bei XXXX gemeinsam mit seinem Bruder, XXXX , dessen Frau, XXXX , und deren minderjährigen Kindern, XXXX und XXXX . Die Beschwerdeführer teilen sich mit dieser Familie auch die Unterkunft. Der Bruder des Zweitbeschwerdeführers unterstützt diesen hinsichtlich seiner Erkrankung u.a. bei der Medikamenteneinnahme und wenn es dem Zweitbeschwerdeführer psychisch schlecht geht.

1.3.2.2. Der Zweitbeschwerdeführer nimmt - gemeinsam mit der Erstbeschwerdeführerin - mehrmals pro Woche ein Angebot zum Erlernen der deutschen Sprache von ehrenamtlich tätigen Deutschlehrer in Anspruch. Er nahm im Schuljahr 2017/2018 auch gemeinsam mit dem Drittbeschwerdeführer wöchentlich im Lerncafe der Pfarre XXXX teil. Im Zeitraum vom 21.06.2017 bis 08.09.2017 sowie vom 12.09.2017 bis 07.12.2017 absolvierte er weiters Deutschkurse für das Sprachniveau A1.

Der Zweitbeschwerdeführer ist nicht in der Lage, in einfachen Situationen des Alltagslebens auf elementarer Basis auf Deutsch zu kommunizieren.

1.3.2.3. Der Zweitbeschwerdeführer war weder ehrenamtlich tätig, noch ist er Mitglied in einem Verein oder betätigt sich in einem solchen.

1.3.2.4. In seiner Freizeit betreibt der Zweitbeschwerdeführer Sport. Er geht jeden Tag mindestens zwei bis drei Stunden spazieren und spielt auch Fußball.

1.3.2.5. Sein Umfeld beschreibt den Zweitbeschwerdeführer als kooperativ und hilfsbereit.

1.3.2.6. Der Zweitbeschwerdeführer ist in Österreich nicht erwerbstätig.

1.3.2.7. Der Zweitbeschwerdeführer ist unbescholten.

1.3.3. Zum Drittbeschwerdeführer:

1.3.3.1. Der Drittbeschwerdeführer besucht seit dem 25.10.2016 als außerordentlicher Schüler die ASO XXXX . Gemeinsam mit dem Zweitbeschwerdeführer nahm er zudem am Lerncafe der Pfarre XXXX teil.

1.3.3.2. In seiner Freizeit spielt der Drittbeschwerdeführer mit seinen Freunden, welche er aus dem " XXXX " kennt, " XXXX ", " XXXX ", " XXXX ", " XXXX ", " XXXX " und " XXXX " Fußball oder Xbox.

1.3.4. Zur Viertbeschwerdeführerin:

Bei der Viertbeschwerdeführerin handelt es sich um ein unmündiges Kleinkind von sieben Monaten, welches zu Hause von seinen Eltern betreut wird.

1.4. Persönliche Situation der Beschwerdeführer bei Rückkehr nach Afghanistan:

1.4.1. Der Zweitbeschwerdeführer würde die Erstbeschwerdeführerin bei der Verwirklichung ihrer Pläne unterstützen und ihr auch alles erlauben.

1.4.2. Die Beschwerdeführer würden im Familienverband nach Afghanistan zurückkehren. Der Drittbeschwerdeführer und die Viertbeschwerdeführerin würde durch ihre Eltern versorgt werden.

1.4.3. Die Beschwerdeführer könnten vom Vater bzw. der Familie des Zweitbeschwerdeführers, bei deren Rückkehr nach Afghanistan finanziell in erheblichem, jedenfalls für Rückkehrer überdurchschnittlichen Ausmaß unterstützt werden.

1.4.4. Für die Beschwerdeführer besteht daneben die Möglichkeit, staatliche Rückkehrhilfe zu beziehen:

Von 1. Jänner 2017 bis 31. Dezember 2019 implementiert die Internationale Organisation für Migration (IOM), Landesbüro für Österreich, das Projekt "RESTART II - Reintegrations-unterstützung für Freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und Iran". Das Projekt wird durch den Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der Europäischen Union und das Österreichische Bundesministerium für Inneres kofinanziert.

Im Rahmen des Projekts können Drittstaatsangehörige bei ihrer freiwilligen Rückkehr in die Islamische Republiken Afghanistan und Iran sowie bei ihrer nachhaltigen Reintegration im jeweiligen Herkunftsland unterstützt werden.

Das Projekt sieht die Teilnahme von 490 Personen vor. Pro Haushalt kann nur eine Person teilnehmen.

Die Maßnahmen, die die Rückkehrer/innen bei ihren Reintegrationsbemühungen unterstützen, werden gemeinsam mit dem Teilnehmer/innen erarbeitet und sind auf deren individuelle Bedürfnisse und Fähigkeiten abgestimmt.

IOM setzt im Rahmen des Projekts folgende Maßnahmen um:

Rückkehrunterstützung

* Informationsgespräche vor der Abreise in Österreich;

* Möglichkeit der Erhebung der familiären Situation im Rückkehrland im Falle der Rückkehr von unbegleiteten Minderjährigen;

* Logistische Organisation der Reise (inklusive Kauf des Flugtickets);

* Unterstützung bei der Abreise am Flughafen Wien Schwechat;

* Empfang und Unterstützung bei der Ankunft sowie Organisation der Weiterreise zum endgültigen Zielort in Afghanistan und der Islamischen Republik Iran;

* Temporäre Unterkunft nach der Ankunft im Rückkehrland.

Reintegrationsunterstützung

* Beratung der Projektteilnehmer/innen nach der Rückkehr bezüglich ihrer Möglichkeiten unter Berücksichtigung der lokalen Gegebenheiten, ihres Ausbildungs- und beruflichen Hintergrunds und ihrer persönlichen Lebenssituation;

* Finanzielle Unterstützung in Form von Bargeld: EUR 500,- für jede/n Projektteilnehmer/in, um die dringendsten Bedürfnisse direkt nach der freiwilligen Rückkehr in das Herkunftsland abzudecken;

* Unterstützung in Form von Sachleistungen wie

* Unterstützung bei Gründung von oder Beteiligung an einem Unternehmen (z.B. Kauf von Ausstattung, Waren);

* Aus- und Weiterbildung;

* Unterkunft;

* Unterstützung für Kinder;

* Medizinische Unterstützung;

* Leitfaden zur Unternehmensgründung und Weitervermittlung zu kostenlosen Business Trainings.

1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.5.1. Zur allgemeinen Lage in Afghanistan:

Sicherheitslage

Allgemein

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil.

Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren.

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.2009 bis 31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken. Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registriert die UNAMA 2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen.

Die Provinz Kabul verzeichnete die höchste Zahl ziviler Opfer - speziell in der Hauptstadt Kabul: von den 1.612 registrierten zivilen Opfer (440 Tote und 1.172 Verletzte). Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen.

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 29.06.2018 [in Folge: "LIB"], Pkt. 4. "Sicherheitslage")

In den ersten sechs Monaten des Jahres 2018 zerstörte der bewaffnete Konflikt weiterhin das Leben und die Lebensgrundlagen von Zivilisten auf dem gleichen giftigen Niveau wie im Vorjahr. Die VN-Hilfsmission in Afghanistan (UNAMA) fordert die Konfliktparteien erneut auf, ihre Bemühungen um den Schutz der Zivilbevölkerung zu verstärken, und ermutigt die Parteien, auf eine friedliche Lösung hinzuarbeiten.

Vom 1. Januar bis 30. Juni 2018 dokumentierte die UNAMA 5.122 zivile Opfer (1.692 Tote und 3.430 Verletzte) - ein Rückgang von insgesamt drei Prozent gegenüber dem Vorjahr - und spiegelte damit das gleiche Ausmaß an Schäden für Zivilisten wider wie im gleichen Zeitraum 2017 und 2016. Die Zahl der zivilen Todesfälle stieg um ein Prozent, während die Zahl der verletzten Zivilisten um fünf Prozent zurückging.

(Auszug aus dem Midyear-Report der UNAMA, Juni 2018, abrufbar unter:

https://unama.unmissions.org/sites/default/files/unama_poc_midyear_update_2018_15_july_english.pdf, abgerufen am 16.10.2018)

Kinder und der bewaffnete Konflikt in Afghanistan

In den ersten sechs Monaten des Jahres 2018 trug das Leiden von Kindern in bewaffneten Konflikten viele Gesichter in Afghanistan, wobei afghanische Jungen und Mädchen getötet, verstümmelt, sexuell angegriffen, missbraucht, rekrutiert und von Konfliktparteien genutzt wurden. Konfliktbezogene Gewalt hat das Recht der Kinder auf Bildung, Gesundheitsversorgung, Freizügigkeit und andere Grundrechte sowie das Familienleben weiter untergraben, indem sie im Freien spielen und einfach eine Kindheit ohne die brutalen Folgen des Krieges genießen.

UNAMA verzeichnete in den ersten sechs Monaten des Jahres 2018 1.355 Kinderopfer (363 Tote und 992 Verletzte) als Folge des bewaffneten Konflikts, ein Rückgang von insgesamt 15 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum 2017. Der Rückgang resultierte hauptsächlich aus weniger Kindern, die bei Bodeneinsätzen getötet und verletzt wurden, obwohl diese Art von Vorfällen nach wie vor die Hauptursache für Kinderopfer war. Die Mission verzeichnete auch einen Rückgang der Kinderopfer durch Nicht- Selbstmord-IEDs, stellte aber mit Besorgnis fest, dass die Kinderopfer durch Selbstmord und komplexe Angriffe und Luftangriffe zugenommen haben und dass Kinder weiterhin mehr als ein Drittel der Opfer durch Druckplatten-IEDs ausmachen. Obwohl UNAMA einen Rückgang der Kinderverluste durch explosive Kriegsrückstände im Einklang mit der allgemeinen Verringerung der Opferzahlen durch diese Art von Vorfällen verzeichnete, bekräftigt die Mission ihre Besorgnis, dass Kinder erneut 89 Prozent der zivilen Opfer durch explosive Kriegsrückstände ausmachten.

Die Mission nimmt Besorgnis über einen sich abzeichnenden Trend zur Ausrichtung der Bildung durch Anti-Regierungs-Elemente als Reaktion auf die Maßnahmen der regierungsnahen Kräfte zur Kenntnis. In der Provinz Nangarhar verzeichnete die Mission bis zum Monat Juni 13 verwandte Vorfälle, die Daesh/ISKP zugeschrieben wurden, nachdem die Gruppe Drohungen der Mädchenschulen als Vergeltung für Luftangriffe ausgesprochen hatte. Die Gruppe richtete sich an Bildungsbeamte und Schulen und unternahm einen komplexen Angriff auf das Department of Education Offices in Jalalabad, bei dem insgesamt 23 Zivilisten ums Leben kamen (sechs Tote und 17 Verletzte). Im Bezirk Charkh der Provinz Logar verzeichnete UNAMA die Schließung von 29 Schulen durch die Taliban, nachdem Ende März eine regierungsnahe Truppenoperation in einem ihrer Kommandantenhäuser stattgefunden hatte.

In den ersten sechs Monaten des Jahres 2018 überprüfte UNAMA die Rekrutierung und den Einsatz von 22 Buben und dokumentierte glaubwürdige Anschuldigungen über die Rekrutierung und den Einsatz von sieben Jungen durch die Parteien des bewaffneten Konflikts. Diese Buben wurden zur Teilnahme an Feindseligkeiten, einschließlich der Pflanzung von IEDs und der Tötung von Zivilisten, verwendet. Darüber hinaus dokumentierte UNAMA glaubwürdige Anschuldigungen über fünf Fälle von sexuellem Missbrauch an sechs Jungen, auch zum Zwecke von Bacha Bazi, die der afghanischen Nationalpolizei und der afghanischen lokalen Polizei zugeschrieben wurden.

(Auszug aus dem Midyear-Report der UNAMA, Juni 2018)

Regierungsfeindliche Gruppierungen

Allgemeines

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus.

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen. Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren. Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet.

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird.

Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan. Die Gründe dafür sind verschiedene:

das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten.

Taliban

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht. Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden. Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren. Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen.

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurde. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen.

Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans. Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten. Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand. Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten. Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten:

Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friedens-Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden.

Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen. Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben. Auch ist es sehr schwierig Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren - dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS.

IS/ISIS/ISIL/ISKP/ISIL-K/Daesh - Islamischer Staat

Höchst umstritten ist von Expert/innen die Größe und die Gefahr, die vom IS ausgeht. So wird von US-amerikanischen Sicherheitsbeamten und weiteren Länderexpert/innen die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan mit zwischen 500 und 5.000 Kämpfern beziffert. Jeglicher Versuch die tatsächliche Stärke einzuschätzen, wird durch den Umstand erschwert, dass sich die Loyalität der bewaffneten radikalen Islamisten oftmals monatlich oder gar wöchentlich ändert, je nach ideologischer Wende, Finanzierung und Kampfsituation. Auch wurde die afghanische Regierung bezichtigt, die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan aufzublasen. Zusätzlich ist wenig über die Gruppierung und deren Kapazität, komplexe Angriffe auszuführen, bekannt. Viele afghanische und westliche Sicherheitsbeamte bezweifeln, dass die Gruppierung alleine arbeitet.

Die Fähigkeiten und der Einfluss des IS sind seit seiner Erscheinung im Jahr 2015 zurückgegangen. Operationen durch die ANDSF und die US-Amerikaner, Druck durch die Taliban und Schwierigkeiten die Unterstützung der lokalen Bevölkerung zu gewinnen, störten das Wachstum des IS und verringerten dessen Operationskapazitäten. Trotz erheblicher Verluste von Territorium, Kämpfern und hochrangigen Führern, bleibt der IS nach wie vor eine Gefährdung für die Sicherheit in Afghanistan und in der Region. Er ist dazu in der Lage, öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) in städtischen Zentren zu verüben. Der IS hat sich nämlich in den vergangenen Monaten zu einer Anzahl tödlicher Angriffe in unterschiedlichen Teilen des Landes bekannt - inklusive der Hauptstadt. Dies schürte die Angst, der IS könne an Kraft gewinnen. Auch haben örtliche IS-Gruppen die Verantwortung für Angriffe auf Schiiten im ganzen Land übernommen.

Im Jahr 2017 wurden dem IS 1.000 zivile Opfer (399 Tote und 601 Verletzte) zugeschrieben sowie die Entführung von 81 Personen; er war damit laut UNAMA für 10% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich - eine Zunahme von insgesamt 11% im Vergleich zum Jahr 2016. Im Jahr 2017 hat sich der IS zu insgesamt 18 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen oder zivile Objekte bekannt; er agiert wahllos - greift Einrichtungen der afghanischen Regierung und der Koalitionskräfte an, aber auch ausländische Botschaften. Fast ein Drittel der Angriffe des IS zielen auf schiitische Muslime ab - sechs Angriffe waren auf schiitische Glaubensstätte. Der IS begründet seine Angriffe auf die schiitische Gemeinschaft damit, dass deren Mitglieder im Kampf gegen den IS im Mittleren Osten involviert sind.

Zusätzlich dokumentierte die UNAMA im Jahr 2017 27 zivile Opfer (24 Tote und drei Verletzte) sowie die Entführung von 41 Zivilist/innen, die von selbsternannten IS-Anhängern in Ghor, Jawzjan und Sar-e Pul ausgeführt wurden. Diese Anhänger haben keine offensichtliche Verbindung zu dem IS in der Provinz Nangarhar.

Der IS rekrutierte auf niedriger Ebene und verteilte Propagandamaterial in vielen Provinzen Afghanistans. Führung, Kontrolle und Finanzierung des Kern-IS aus dem Irak und Syrien ist eingeschränkt, wenngleich der IS in Afghanistan nachhaltig auf externe Finanzierung angewiesen ist, sowie Schwierigkeiten hat, Finanzierungsströme in Afghanistan zu finden. Dieses Ressourcenproblem hat den IS in einen Konflikt mit den Taliban und anderen Gruppierungen gebracht, die um den Gewinn von illegalen Kontrollpunkten und den Handel mit illegalen Waren wetteifern. Der IS bezieht auch weiterhin seine Mitglieder aus unzufriedenen TTP-Kämpfern (Tehreek-e Taliban in Pakistan - TTP), ehemaligen afghanischen Taliban und anderen Aufständischen, die meinen, der Anschluss an den IS und ihm die Treue zu schwören, würde ihre Interessen vorantreiben.

Auch ist der IS nicht länger der wirtschaftliche Magnet für arbeitslose und arme Jugendliche in Ostafghanistan, der er einst war. Die Tötungen von IS-Führern im letzten Jahr (2017) durch die afghanischen und internationalen Kräfte haben dem IS einen harten Schlag versetzt, auch um Zugang zu finanziellen Mitteln im Mittleren Osten zu erhalten. Finanziell angeschlagen und mit wenigen Ressourcen, ist der IS in Afghanistan nun auf der Suche nach anderen Möglichkeiten des finanziellen Überlebens.

(Auszüge aus dem LIB, Pkt. 4. "Sicherheitslage")

Grundversorgungs- und Wirtschaftslage

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu.

Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich 6% prognostiziert. Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1.4% aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3.4% bzw. 1.8%. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3% zurückgingen und die Importe um 8% stiegen.

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem LIB, Pkt. 22. "Grundversorgung und Wirtschaft")

Rechtsschutz und Justizwesen in Afghanistan

Im Bereich des Rechtsschutzes und des Justizwesens in Afghanistan gibt es legislative Fortschritte; dennoch gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen und werden Dispute überwiegend außerhalb des formellen Justizsystems gelöst. Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, in den ländlichen Gebieten aber schwächer ausgeprägt. Dem Justizsystem mangelt es an Leistungsfähigkeit, teils mangels qualifizierten Personals (insbesondere in ländlichen Gebieten), teils wegen der eingeschränkten Zugänglichkeit von Gesetzestexten; die Situation bessert sich jedoch. Innerhalb des Gerichtswesens ist auch Korruption vorhanden und sind Richterinnen und Richter und Anwältinnen und Anwälte oftmals Ziel von Bedrohung oder Bestechung durch lokale Anführer oder bewaffnete Gruppen.

(Zusammenfassung aus dem LIB, Pkt. 5. "Rechtsschutz/Justizwesen")

Sicherheitsbehörden in Afghanistan

In Afghanistan gibt es drei Ministerien, die mit der Wahrung der öffentlichen Ordnung betraut sind: das Innenministerium (MoI), das Verteidigungsministerium (MoD) und das National Directorate for Security (NDS). Das MoD beaufsichtigt die Einheiten der afghanischen Nationalarmee (ANA), während das MoI für die Streitkräfte der afghanischen Nationalpolizei (ANP) zuständig ist.

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Bestandteile der ANDSF sind die afghanische Nationalarmee (ANA), die afghanische Nationalpolizei (ANP) und die afghanischen Spezialsicherheitskräfte (ASSF). Die ANA beaufsichtigt alle afghanischen Boden- und Luftstreitkräfte inklusive der konventionellen ANA-Truppen, der Luftwaffe (AAF), des ANA-Kommandos für Spezialoperationen (ANASOC) des Spezialmissionsflügels (SMW) und der afghanischen Grenzpolizei (ABP) (die ABP seit November 2017, Anm.). Die ANP besteht aus der uniformierten afghanischen Polizei (AUP), der afghanischen Nationalpolizei für zivile Ordnung (ANCOP), der afghanischen Kriminalpolizei (AACP), der afghanischen Lokalpolizei (ALP), den afghanischen Kräften zum Schutz der Öffentlichkeit (APPF) und der afghanischen Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA). Auch das NDS ist Teil der ANDSF.

Die ASSF setzen sich aus Kontingenten des MoD (u. a. dem ANASOC, der Ktah Khas [Anm.: auf geheimdienstliche Anti-Terror-Maßnahmen spezialisierte Einheit] und dem SMW) und des MoI (u.a. dem General Command of Police Special Unit (GCPSU) und der ALP) zusammen.

Schätzungen der US-Streitkräfte zufolge betrug die Anzahl des ANDSF-Personals am 31. Jänner 2018 insgesamt 313.728 Mann; davon gehörten 184.572 Mann der ANA an und 129.156 Mann der ANP. Diese Zahlen zeigen, dass sich die Zahl der ANDSF im Vergleich zu Jänner 2017 um ungefähr 17.980 Mann verringert hat. Die Ausfallquote innerhalb der afghanischen Sicherheitskräfte variiert innerhalb der verschiedenen Truppengattungen und Gebieten. Mit Stand Juni 2017 betrug die Ausfallquote der ANDSF insgesamt 2.31%, was im regulären Dreijahresdurchschnitt von 2.20% liegt.

Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. In einer öffentlichen Erklärung der Taliban Führung zum Beginn der Frühjahrsoffensive 2018 (25. April 2018) hieß es: "Die Operation Al-Khandak wird sich neuer, komplexer Taktiken bedienen, um amerikanische Invasoren und ihre Unterstützer zu zermalmen, zu töten und gefangen zu nehmen". Bereits der Schwerpunkt der Frühjahroffensive 2017 "Operation Mansouri" lag auf "ausländischen Streitkräften, ihrer militärischen und nachrichtendienstlichen Infrastruktur sowie auf der Eliminierung ihres heimischen Söldnerapparats.". Afghanische Dolmetscher, die für die internationalen Streitkräfte tätig waren, wurden als Ungläubige beschimpft und waren Drohungen der Taliban und des Islamischen Staates (IS) ausgesetzt.

Aktuelle Tendenzen und Aktivitäten der ANDSF

Die afghanischen Sicherheitskräfte haben zwar im Jahr 2015 die volle Verantwortung für die Sicherheit des Landes übernommen; dennoch werden sie teilweise durch US-amerikanische bzw. Koalitionskräfte unterstützt. Die USA erhöhten ihren militärischen Einsatz in Afghanistan: Im ersten Quartal des Jahres 2018 wurden US-amerikanische Militärflugzeuge nach Afghanistan gesandt; auch ist die erste U.S. Army Security Force Assistance Brigade, welche die NATO-Kapazität zur Ausbildung und Beratung der afghanischen Sicherheitskräfte verstärken soll, in Afghanistan angekommen. Während eines Treffens der NATO-Leitung am 25.5.2017 wurde verlautbart, dass sich die ANDSF-Streitkräfte zwar verbessert hätten, diese jedoch weiterhin Unterstützung benötigen würden.

Die ANDSF haben in den vergangenen Monaten ihren Druck auf Aufständische in den afghanischen Provinzen erhöht; dies resultierte in einem Anstieg der Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen auf Zivilisten in der Hauptstadt. Wegen der steigenden Unsicherheit in Kabul verlautbarte der für die Resolute Support Mission (RS) zuständige US-General John Nicholson, dass die Sicherheitslage in der Hauptstadt sein primärer Fokus sei. Die ANDSF weisen Erfolge in urbanen Zentren auf, hingegen sind die Taliban in ländlichen Gebieten, wo die Kontrolle der afghanischen Sicherheitskräfte gering ist, erfolgreich. Für das erste Quartal des Jahres 2018 weisen die ANDSF einige Erfolge wie die Sicherung der Konferenz zum Kabuler Prozess im Febru

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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